Walter Gerhard Piranty und das Wehrdorf Szőce: Ein militanter Neonazi zwischen Rotlichtkriminalität, organisiertem Betrug und völkischer Landnahme.

Am 25. April 2021 erblickte der mit neonazistischen Inhalten befüllte Telegram-Kanal „Wehrdorf Szőce“ das Licht der Welt, dessen Name bereits die Programmatik des dahinterliegenden Projekts illustriert: Wir sprechen von der zunehmend praktizierten Strategie der völkischen Landnahme durch neonazistische Akteur*innen in ganz Europa, die versuchen abseits der Großstädte völkisch-rassistische Gegenkulturen zu etablieren und Einfluss auf die dort lebende Landbevölkerung zu gewinnen. In dem konkreten Fall verbirgt sich hinter dem Kanal ein rund 30.000m² großes Anwesen in Szőce, einem kleinen Ort mitten im Nirgendwo im ungarischen Landkreis Körmed, etwa eine halbe Stunde von der österreichischen und rund eine Stunde von der slowenischen und kroatischen Grenze entfernt. Das Wehrdorf-Projekt reiht sich damit in einen aktuellen Trend innerhalb der extremen Rechten in Europa ein, vermehrt Siedlungsprojekte in der ungarischen Peripherie – aber nicht nur dort – zu gründen, um dort abseits zivilgesellschaftlicher und behördlicher Sanktionierung „alternative Lebensräume“ zu erschließen. Der Akteur hinter dem besagten Telegram-Kanal und mutmaßlicher Eigentümer des Anwesens in Ungarn ist der aus dem direkten Umfeld von Gottfried Küssel und mit diesem bis zum heutigen Tag in intensivem Kontakt stehende Walter Gerhard Piranty: ein im Rotlichtmilieu tätiger und in seinem Leben immer wieder in verschiedene Betrugsmaschen involvierter Neonazi aus Wien, der in den letzten Jahren auch neben der „Rotlichtlegende“ Peter Konstantin Laskaris in der ATV-Sendung „NachtGschicht“ zu sehen war.

Der ideologischen Ausrichtung und dem Milieu Walter Gerhard Pirantys entsprechend gestaltet sich auch der öffentliche Auftritt dessen Wehrdorf-Kanals, auf dem die Propaganda von neonazistischen Parteien und Organisationen wie die der NPD, des III. Weges, der Légió Hungaria oder der Wotanjugend neben verkitschter Siedlungsromantik rege verbreitet wird. Auch antisemitische Verschwörungsmythen, nazistische Runen, Merchandise-Artikel rechtsextremer Versandhäuser wie Runic Storm und downloadbare Anastasia-Bände sowie die Turner Diaries – die inoffizielle Bibel des Rechtsterrorismus – finden sich auf dem Kanal. Das „Wehrdorf“ selbst befindet sich aktuell noch im Aufbau, soll aber ab 2025 als Rückzugsort abseits der österreichischen Gesellschaft und der hiesigen Politik dienen. Wie bereits erwähnt und in dieser Recherche ausführlich behandelt, fungiert Ungarn aufgrund der fest verankerten parlamentarischen Rechten, der florierenden rechtsextremen Szene und nicht zuletzt auch deshalb, weil bei rechtsextremen Aktivitäten kaum mit staatlicher Repression zu rechnen ist, innerhalb vieler rechtsextremer Milieus in Europa und so auch für Walter Gerhard Piranty als ideologische Projektionsfläche, Sehnsuchtsort und Reisedestination.

Piranty macht auch abseits seines Telegram-Kanals keinen Hehl aus seinen politischen Ansichten – besonders deutlich wurde dies in den letzten Jahren auf den von ihm unter Pseudonymen betriebenen Social-Media-Kanälen: „Ernst Johann Heurteur“, „Ernst Heurteur“, „Ernst Hofer“ oder „Maria Polzer“ (wie u. a. auch FPÖ-Fails 2021 postete). Auf diesen leugnete er die Shoah, verherrlichte und verharmloste die Waffen-SS, artikulierte schwerste Gewaltandrohungen gegenüber muslimischen Migrant*innen, hetzte gegen die LGBTIAQ*-Community, solidarisierte sich mit Gottfried Küssel nach dessen Verurteilung zu einer neunjährigen Haftstrafe und postete Songs der neonazistischen Bands Lunikoff Verschwörung und Landser. Doch auch unter Klarnamen verbreitet der Neonazi aus Wien ohne Hemmungen nazistisches Gedankengut: So teilt er auf seinem Pinterest-Account einen ganzen Ordner strafrechtlich relevanter Glorifizierungen der Waffen-SS, Hakenkreuzfahnen, Sig-Runen, SS-Uniformen, SS-Dolche samt SS-Treueschwur, Wehrmachtpropaganda und militanten Antisemitismus in Form von NS-Hetzplakaten gegen Jüdinnen*Juden.

Dass die propagandistische Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts bei Piranty durchaus System hat, zeigt auch seine öffentliche Reproduktion antisemitischer Verschwörungserzählungen. Diese Narrative scheinen durchaus internalisiert und auch handlungsleitend: So sorgte Piranty unter anderem für kleinere Schlagzeilen in den Boulevardmedien, als er eine Blockade der Klimaaktivist*innen der „Letzten Generation“ in Wien, Nähe Wien-Hauptbahnhof wüst beschimpfte, mit Anderen deren Transparent entwendete, die Aktivist*innen filmte und cholerisch herumschrie, man solle die „Arbeitslosen“ einfach überfahren. Auf den sozialen Medien des Neonazis erhält man dann die Erklärung zu seinem Hass auf jegliche Form des linken Aktivismus: Der menschengemachte Klimawandel wäre die Erfindung einer finsteren globalen Elite, die schon seit Jahrzehnten auch über ethnische Waffen verfügen würde, um diese zur Zerstörung der „natürlich starken“ Völker (heißt: Zerstörung der „weißen Völker“) einzusetzen. Auch der Covid-19-Virus wäre die Erfindung einer „globalistischen Elite“ gewesen, deren Ziel die Erzeugung multipler Krisen wäre, um die Bevölkerungen zu unterwerfen und den Plan der „Umvolkung“ voranzutreiben.

Wäre dies nicht schon besorgniserregend genug, verstärkt sich die Gefährdungslage, da Piranty während seiner Hasstiraden oft rund um seine Wohnung in der Herta Firnberg-Straße 16/10 im 10. Wiener Gemeindebezirk spaziert und als von ihm „ausländisch“ wahrgenommene Personen währenddessen filmt und rassistisch beleidigt – hinzukommt seine Gewaltaffinität und der durchaus (laut Eigenaussage sowie belegt durch Ermittlungen der Behörden nach §50 des Waffengesetzes) vertraute Umgang mit (Schuss-)Waffen.

Das Vorhaben des Aufbaus einer völkischen Siedlung und die Verbreitung militant-nazistischer Inhalte durch einen in den organisierten Rechtsextremismus bestens vernetzten Neonazi wären bereits Grund genug, um über das sogenannte Wehrdorf zu berichten. Nun kommt aber hinzu, dass das Anwesen in Szőce eine gewisse historische Bedeutung für den österreichischen Rechtsterrorismus der 1990er-Jahre hat: Ehemaliger Eigentümer des Objekts war zu dieser Zeit Franz Radl sen., der Vater des später im Briefbombenprozess angeklagten und bis heute im organisierten Neonazismus aktiven Franz Radl jun. Radl sen. siedelte 1991 seine Chemie-Firma Biochemie KFT (in den Unterlagen der Behörden teilweise auch „Biotechnika“ genannt) von Fürstenfeld nach Szőce und betrieb diese dort bis 1993. Der Sohn Franz Radl jun., der zeitweise in der Firma des Vaters tätig war und auch plante, diese zu übernehmen, hatte sich im ungarischen Residuum einen kleinen versperrten Arbeitsraum eingerichtet, indem er sich gelegentlich aufhielt, um ungeklärten Betätigungen nachzugehen. Dies führte dazu, dass in der Nacht des 14. Dezember 1993 die österreichische Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT) gemeinsam mit ungarischen Behörden das Firmengelände stürmte und durchsuchte. Grund dafür waren die damals laufenden Ermittlungen im Kontext der Briefbombenanschläge des Franz Fuchs und der Verdacht der Behörden, es könnte sich belastendes Material z.B. für den Bau der Briefbomben an dem Ort befinden – dazu später mehr.

Die lange rechtsextreme Kontinuität in Bezug auf das ehemalige Firmengelände in Ungarn wirft so einige Fragen auf und gibt Anlass dazu, einen genaueren Blick auf das Netzwerk von Walter Gerhard Piranty und dessen Verwicklungen in den organisierten Neonazismus in Österreich seit den 1980er-Jahren zu werfen. Ferner legt die rege Involvierung Pirantys in dubiose Kryptowährungsgeschäfte sowie seine aktiven Kontakte zu Gottfried Küssel und weiteren Exponenten der Corona-Querfront und der Ferialverbindung Imperia die Frage nahe, ob die organisierte NS-Szene in Österreich sowohl in dessen Geschäfte, als auch in das anliegende Siedlungsprojekt auf die eine oder andere Art involviert ist. Auch wenn die Frage, wie und wann das Gebäude des Franz Radl sen. in den Besitz von Piranty gelangte, nicht mit Sicherheit beantwortet werden kann, gibt die bis heute anhaltende Beziehung Pirantys unter anderem auch zu Franz Radl jun., – der in den sozialen Medien im Übrigen fast jeden Beitrag Pirantys teilt – Anlass zu der Annahme, dass hinter dem „Wehrdorf“ mehr als nur Pirantys privates Vergnügen, sondern auch die Involvierung breiterer politischer Strukturen steht und so die Gefahr der Etablierung eins Siedlungsprojekts des besonders militanten Arms des österreichischen Neonazismus in naher Zukunft durchaus plausibel ist. Um Walter Gerhard Piranty politisch einzuordnen, dessen Geschäfte offenzulegen und um die lang anhaltenden Beziehungen desselben zu zentralen Akteur*innen der extremen Rechten zu belegen, wird in weiterer Folge auf dessen Biografie, Geschäfte und Netzwerke systematisch eingegangen, um daran anschließend das Phänomen der völkischen Landnahme Ungarns als breites gesellschaftliches Problemfeld zu diskutieren.

Walter Gerhard Pirantys langjährige Involvierung in den Neonazismus und die organisierte Kriminalität

Walter Gerhard Piranty wurde am 1. April 1965 in Frankfurt am Main als Sohn eines österreichischen Handelsvertreters geboren, wuchs jedoch schon kurz nach seiner Geburt mit seinen Eltern und seiner Großmutter in Wien auf. Für die anliegende Recherche wird seine Biografie etwa Mitte der 1980er-Jahre interessant, denn: als sich Piranty 1982 für das österreichische Bundesheer verpflichtete, knüpfte er dort auch erste Kontakte in das Rotlicht-, Türsteher- und Glücksspielmilieu sowie in den organisierten Rechtsextremismus. Pirantys kriminelle Karriere begann als „Aufpasser“ bei Hinterzimmer-Kartenspielen und in Glücksspielhallen, aber auch als Zuhälter im Bereich der illegalen Straßenprostitution – letzteres eine Funktion, die er ausweitete und mit Unterbrechung in legalisierter Form auch heute noch ausübt. Einige Jahre nach seinem Eintritt in das Bundesheer trat Piranty dann mit Robert Rudolph, Eric Pasiecznik und Thomas Reisinger, drei weiteren jungen Männern der Wiener Neonazi-Szene, das erste Mal politisch in Erscheinung: Sie hatten 1988 gemeinsam die Nationalsozialistische Freiheitsfront (NSFF) gegründet, vielfach öffentlich Nazi-Parolen gerufen sowie mehrfach Hakenkreuze in der Öffentlichkeit angebracht. Im Zuge von Hausdurchsuchungen wurden bei den jungen Neonazis und auch bei Piranty selbst NS-Devotionalien gefunden, die ihm eine bedingte Haftstrafe von zehn Monaten einbrachten.

Um das politische Milieu, in dem sich Walter Gerhard Piranty in seinen Jugendjahren bewegte, einordnen zu können, müssen die damals breit stattfindenden Reorganisationsprozesse innerhalb der österreichischen Neonazi-Szene beachtet werden. Bei der NSFF handelte es sich nämlich nur um eine von vielen kleinen neonazistischen Splittergruppen des zunehmend militant auftretenden und durch Konsolidierungsversuche gekennzeichneten NS-Milieus Österreichs. So trat Piranty neben seinen Aktivitäten in der NSFF am 26. August 1988 auch der österreichischen Sektion der neonazistischen Nationalistischen Front (NF) bei, in der Franz Radl jun. eine leitende Funktion innehatte. Wie an dieser Stelle gesehen werden kann, handelt es sich bei der anliegenden Rekonstruktion also nicht um ein bloß zeitgeschichtliches Interesse für die zum damaligen Zeitpunkt sich formierende rechtsextreme Szene, sondern verdeutlicht die personellen Kontinuitäten innerhalb der extremen Rechten, die auch heute noch für die Beurteilung des Gegenstandsbereichs Rechtsextremismus von Relevanz sind – und oft sind es auch heute noch kaum bekannte und etwa durch finanzielle Unterstützungen im Hintergrund operierende Personen aus den „alten Tagen“, die für die aktuelle Analyse rechtsextremer Zusammenhänge von Bedeutung sind und kaum Beachtung finden.

Nachdem die Nationalistische Front am 16. November 1985 als deutschlandweite nazistische Parteiorganisation in Bielefeld gegründet wurde, pochten schon kurz danach führende österreichische Neonazi-Kader darauf, auch in der „Ostmark“ eine Unterorganisation selbiger zu gründen. Diesem Gründungsimpetus stand jedoch entgegen, dass Gerd Honsik bereits 1984 die namentlich leicht zu verwechselnde und das Sektierertum der extremen Rechten illustrierende Nationale Front auszurufen versuchte, die faktische Gründung jedoch an einer unmittelbaren Untersagung seitens des österreichischen Innenministeriums scheiterte. Erst 1987 schien die Führungsriege des späteren NF-Ablegers in Österreich nach mehreren Jahren des Wartens nichts mehr davon abzuhalten, nun auch „offiziell“ als Nationalistische Front aufzutreten. Trotz der direkten programmatischen Ausrichtung an der NSDAP hielt man sich dennoch weiterhin bedeckt, um nicht als Nachfolgeorganisation der von Honsik angestrebten Nationalen Front in den Fokus der Behörden zu rücken.

Unter dem Schirm hochrangiger NF-Mitglieder wie etwa Herbert Schweiger oder Lisbeth Grolitsch schlossen sich vorwiegend junge gewaltbereite Neonazis in der Volkstreuen Jugend Offensive (VJO), der Jugendorganisation der Nationalistischen Front, zusammen – ein Gründungsmoment, den die Führung der NF in Deutschland als ersten Meilenstein der NF-Aktivitäten in der „Ostmark“ verbuchte. Im April 1988 folgten dann mit der neuen Organisierung verbundene Publikationstätigkeiten – zuerst Gerd Honsiks Hetzpostille „HALT“ und in weiterer Folge die vom damaligen VJO-Führungskader Franz Radl jun. herausgegebene Zeitung der österreichischen NF mit dem Namen „Gäck“, beides Blätter voller militantem Rassismus, der systematischen Leugnung der Shoah und der Verherrlichung des NS-Regimes. Nicht nur Franz Radl jun. und Walter Gerhard Piranty, sondern einige auch heute noch aktive und einflussreiche Rechtsextreme sozialisierten sich politisch im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in der NF-Jugendsektion. So etwa Heinrich Sickl (ehem. FPÖ-Gemeinderat, IB-Mäzen und alter Herr der pB! Tigurina zu Feldkirchen in Kärnten) Andreas Thierry (ehemals bei der NPD aktiv), Helmut Adolf Schatzmayr (ebenso alter Herr und Schriftführer der pB! Tigurina zu Feldkirchen in Kärnten) sowie Markus Adam, Ewald Friesacher, Georg Lobnig und viele mehr.

Die jungen Neonazis wurden in die streng hierarchisch strukturierte Organisationen nach Vorbild der NSDAP unter der Verpflichtung des bedingungslosen Gehorsams integriert und von einflussreichen Altnazis rund um die zentrale NF-Führungsfigur Herbert Schweiger, dem ehemaligen SS-Untersturmführer der SS-Division Leibstandarte SS Adolf Hitler, protegiert und gefördert. Auch die Verbindung zu den politischen Tätigkeiten der Kameradschaft IV war für die Jungnazis der VJO von prägender Bedeutung – denn der politische Kampf der K IV um die Rehabilitierung der alt-nazistischen Idole in ihrer Funktion als „Zeitzeug*innen“ gehörte ebenso zum integralen Bestandteil der Agitation der nachkommenden Generation rund um die VJO (nähere Informationen zu dieser Verbindung sind in unserer letzten Recherche zum Begräbnis des Waffen-SS-Veteranen Herbert Bellschan-Mildenburg zu finden).

Gedenkgesteck an die vier ermordeten Roma Erwin Horvath, Karl Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon in Oberwart Februar 1995.

In der Frühphase der NF stießen neben den bereits genannten Kernakteur*innen zahlreiche weitere Neonazis zur österreichischen Sektion hinzu. Als finanzielle Unterstützer*innen oder einfache Mitglieder traten neben Walter Gerhard Piranty vor allem im Jahre 1988 zahlreiche später für die VAPO-Gauorganisation relevanten Akteur*innen wie auch Neonazis anderer politischer Spektren in die NF ein. So finden sich etwa Kurt Hofinger („Gaubeauftragter“ für Wien), Reinhold Kovar („Kameradschaftsführer“ Wien I), Markus Ullmann („Kameradschaftsführer“ Stv. Wien II), Franz Propst („Kameradschaftsführer“ Linz), Rene Lang („Kreisleiter“ Innviertel), Günther Reinthaler („Kameradschaftsführer“ Salzburg), Christian Wilhelm Anderle (späterer technischer Leiter des alpen-donau.info-Projekts), Jürgen Hatzenbichler (zuerst stv. „Bereichsleiter“ der NF-Kärnten, danach neurechter Publizist) und Andreas Zepke (neonazistischer Wiener Hooligan, jetzt SGN-Mitglied näher beleuchtet hier: Rechtsextremer Kampfsport, Biker-Kriminalität (MC) und neonazistische Vernetzungen) auf der Liste der NF-Zugehörigen.

Pirantys Mitgliedschaft in der NF gibt auch Aufschluss darüber, warum er sich nicht von der ohnehin milden Verurteilung abschrecken ließ: Zu tief war er schon in das Neonazi-Netzwerk integriert und noch tiefer schien er dazu bereit, in dieses einzusteigen: Wie einer Liste sämtlicher Mitglieder und finanzieller Unterstützer*innen der Volkstreuen außerparlamentarische Opposition (VAPO) entnommen werden kann, war Piranty auch Teil von Gottfried Küssels Sektion „Ostmark“ der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF). Gleichzeitig muss für die Beurteilung von Pirantys Involvierung in die österreichische extreme Rechte der 1990er-Jahre davon ausgegangen werden, dass dieser innerhalb der VAPO-Strukturen keinerlei leitende Funktion eingenommen hatte. Wie etwa aus den umfangreichen Ermittlungsakten und der Liste der geladenen Zeug*innen im Zuge der Anklage gegen Peter Binder, Franz Radl jun. und Alexander Wolfert 1993 im Zuge der Briefbombenermittlungen hervorgeht, scheint Walter Gerhard Piranty an keiner Stelle prominent auf und auch sonst gibt es keinen Hinweis darauf, dass dieser führende Positionen innerhalb des sich neuformierenden „dritten“ Lagers innehatte.

Einstieg ins Rotlichtmilieu und illegale Prostitution

Die Abwesenheit des Namens Walter Gerhard Piranty in den betreffenden Unterlagen lässt sich teilweise mit Blick auf seine Biografie erklären. Ab etwa 1991 übersiedelte Piranty auf die Philippinen und arbeitete und lebte dort bis 1993 – eine Zeit, in der er wohl auch erstmals seinen kompletten Lebensunterhalt durch Zuhälterei bestritt. Mit seiner Rückkehr nach Wien im Jahr 1993 wurde neben der Zuhälterei nun auch der professionelle Kreditkartenbetrug zu einer seiner Haupteinnahmequellen, auch wenn die Betrugsmasche bereits Ende 1993 eine Verurteilung zu fünf Jahren unbedingter Haft nach sich zog. Aus der Haft entlassen folgte der Wiedereinstieg ins Rotlichtmilieu in einem Gürtellokal eines berüchtigten Wiener Zuhälters, auch wenn bereits kurze Zeit später eine weitere Verurteilung zu drei Jahren Haft wegen Anstiftung zum Betrug folgte. Pirantys Erzählungen aus der Haftzeit illustrieren die Gewaltaffinität des kriminellen Neonazis, der gerne heroisch von mehreren brutalen Angriffen auf einen Mithäftling vor den Augen der Justizwache berichtet. Auch sonst macht Piranty keinen Hehl daraus, Probleme mit Gewalt zu lösen und auch vor dem Gebrauch von Schusswaffen nicht zurückzuschrecken.

Nach Ende der zweiten Haftzeit erfolgte nun der Aufstieg im Rotlichtmilieu. Zunächst erwarb Piranty 2004 eine Immobilie in der Wiener Leopoldstadt und betrieb dort mehrere Jahre eine „Zimmervermietung“ im damals für das Straßenprostitutionsgewerbe berüchtigten Stuwerviertel. Berüchtigt war das Viertel nicht nur aufgrund des großen Straßenstrichs, sondern auch deshalb, weil Zuhälter und später Etablissements wie das Pirantys keine Scheu zeigten, auch minderjährige Frauen auf den Strich zu schicken bzw. keinerlei Kontrollen vornahmen, wer sich für 10 Euro die halbe Stunde in die heruntergekommen Zimmer einmietete, um dort den Käuferverkehr abzuwickeln. So entwickelte sich unter der Protektion österreichischer Zuhälter und späterer „Immobilienbesitzer“ in der Wendezeit eine Szene an minderjährigen Prostituierten, die vor allem aus den östlichen Nachbarländern Österreichs, dem Balkan und Baltikum stammten. Mit dem Wachstum des Milieus entwickelte sich auch eine zunehmend aggressiv und gewalttätig auftretende Käufer-Szene im Viertel, die auf der Suche nach „verfügbaren“ Frauen durch das Viertel zogen und dabei oftmals auch nicht davor zurückschreckten, wahllos Frauen und Mädchen auf der Straße und im direkten Umfeld von Schulen sexuell zu belästigen – wie mehrfach Medienberichte dieser Zeit belegen.

Medienberichte der 2000er-Jahre geben auch einen Einblick in die für die Entwicklungen im Stuwerviertel konstitutive Funktion Walter Gerhard Pirantys: Er sei einer der ersten Zuhälter gewesen, der das Format der billigen Zimmervermietung umgesetzt hätte und so eine neue Variante zum typischen Bordell (Einmietung der Prostituierten gegen hohe Mieten mit längerer Laufzeit der Verträge) geschaffen habe. Vor allem Boulevardmedien protokollierten die stetig zunehmende Etablierung des Viertels als Wiener Rotlichthotspot: Im Zentrum der Berichte stehen jedoch zumeist die „gewitzten“ und „frechen“ Versuche der dort aktiven Zuhälter, den Eingriffen und Kontrollen staatlicher Behörden zu entgehen – ein in Österreich gängiger Diskurs der Heroisierung und Exotisierung der „Unterwelt“ der „Strizzis“ und „Ganoven“, bei gleichzeitiger Ausblendung der mit dem Geschäft verbundenen Gewalt und Ausbeutung strukturell Benachteiligter. Auch hierfür ist Pirantys geschäftige Umtriebigkeit und seine ans Querulantentum grenzende Bereitschaft, sich mittels rechtlicher Schlupflöcher staatlicher Kontrolle zu entziehen, „stilbildend“: So gründete der Neonazi-Zuhälter u. a. die „Partei für die freie Liebe“, später umbenannt in „Partei gegen Rassismus“, um seine Laufhäuser als „Parteiheime“ anzumelden, wodurch diese vor Eingriffen polizeilicher Organe geschützt werden sollten. Aber auch Piranty konnte sich, so gerne er es gewollt hätte, nicht der staatlichen Sanktionsgewalt entziehen und wurde im März 2007 wegen illegaler Prostitution angezeigt und vorübergehend inhaftiert, wie zum damaligen Zeitpunkt die Zeitung „Österreich“ berichtete – dem vorausgegangen war die viermalige behördliche Schließung des „Stundenhotels“ aufgrund illegaler Prostitution. Im März 2007 war es mit der „Zimmervermietung“ im Stuwerviertel dann für Piranty endgültig vorbei. Diese  und mehr solcher „Strizzi-Geschichten“ beschreibt Piranty in seinem, u.a. im Falter-Shop erhältlichen, Buch.

Walter Gerhard Piranty im Café Singletreff.

Der durch polizeiliche Maßnahmen forcierte Rückzug des Rotlichtmilieus aus dem Stuwerviertel und den damit verbundenen Strafen führten bei Walter Gerhard Piranty allerdings keineswegs zu einem Umdenken. Mittels eines Privatkonkurses gelang es ihm, seine Verschuldung von mehreren hunderttausend Euro aufgrund vermeintlicher Uneinbringbarkeit aufzulösen. Wenige Jahre später folgte prompt die Eröffnung des auch heute noch existierenden Lokals „Café Single Treff“ am Wiedner Gürtel nahe dem Wiener Hauptbahnhof. Der Erfolg des „Single-Treffs“ wie auch sein medialer Bekanntheitsgrad dürften Piranty wohl auch mit anderen Wiener Rotlicht-Größen in Verbindung gebracht haben. Auffallend ist hierbei vor allem seine Freundschaft zum berüchtigten Bordellbetreiber Peter Konstantin Laskaris. Der mehrfach unter anderem wegen Stalking und Sachbeschädigung vorbestrafte Zuhälter Laskaris gehört zu den bekanntesten der Wiener Rotlichtszene, ist trotz Millionenpleite nach wie vor im Geschäft aktiv und wird seit Neuestem auch von ATV gehostet – zusammen mit Walter Gerhard Piranty, dessen militant neonazistisches Weltbild weder für Laskaris noch für den Privatsender ein Problem zu sein scheint. Die verherrlichende sowie verharmlosende Darstellung des „Wiener Strizzis“ auf die Spitze bringend, widmet sich ATV voll der Glorifizierung des Rotlichtmilieus aus unhinterfragter Perspektive der Zuhälter und unter Ausklammerung der mit dem Geschäft verbundenen Ausbeutung und Gewalt. Dass man bei ATV auch bereitwillig einem verurteilten Neonazi wie Walter Gerhard Piranty eine für ihn hochwillkommene Bühne bietet, löst vor dem Hintergrund dieser Ideologieproduktion leider keine Verwunderung mehr aus.

Das (wiederholte) Geschäft mit der Hoffnung

Mitte bis Ende der 2010er-Jahre entdeckte der bereits mehrfach wegen Betruges verurteilte Piranty neben dem Rotlichtmilieu einen weiteren Erwerbsbereich: Den „Handel“ mit Kryptowährungen in sogenannten Ponzi-Systemen (Schneeballsystemen). In einschlägigen Internetforen der Krypto-Szene ist der Name Piranty geläufig und es wird mehrfach vor seinen Praktiken gewarnt. Beteiligt dürfte Piranty an mehreren solcher Systeme gewesen sein – so unter anderem an Questra und PlusToken, Advert International Marketing (AIM) und seit neustem auch Metronix. Um einen Einblick in diese halb-legalen bis illegalen Geschäftsmodelle zu geben, gehen wir an dieser Stelle exemplarisch auf zwei nachweislich mit Piranty verbundene Projekte ein – auch wenn auf eine detailliertere Darstellung aufgrund des Schwerpunkts dieser Recherche auf das Problemfeld Rechtsextremismus verzichtet wird.

Ein von Walter Gerhard Piranty vielfach beworbener Krypto-Dienst war etwa die Mitte 2015 mit Sitz in Spanien gegründete Questra Holding (später auch Questra World Holding) mit späteren Verbindungen nach Russland und Kasachstan. Bereits im Oktober 2016 sprach die österreichische Finanzmarktaufsicht eine Warnung gegen das Unternehmen aus. Einerseits fehlte dem Unternehmen die Lizenz, Banktransaktionen durchzuführen, andererseits widersprachen die Kreditvergaberichtlinien Questras geltendem österreichischen Recht. Etwa 2017 ging es mit Questra dann den Bach hinab und es kam zu massiven Problemen bei der Auszahlung von Kund*innengeldern. Piranty hatte in das System laut Eigenaussage rund 40.000 € investiert, wie viel Gewinn er abschöpfen konnte und inwieweit er von dem drohenden Zahlungsausfall wusste, bleibt unklar. Fakt ist: Piranty machte bis zum bitteren Ende Werbung für das System und versuchte skeptisch gewordene Kund*innen mittels seiner YouTube-Videos zu beschwichtigen und im System zu halten. Seine späteren Vermittlungsversuche von Geschädigten an einen Anwalt erscheinen vor diesem Hintergrund mehr als unglaubwürdig. Und: Mit PlusToken fand sich für Piranty rasch eine Alternative. Auch bei PlusToken handelte es sich um ein Ponzi-System, das primär im asiatischen Raum beworben wurde. Interessant ist hierbei, dass die Hintermänner des Questra-Betruges allesamt auch bei dem „neuen“ Krypto-Dienst vertreten waren. Das Geschäftsmodell hinter den monatlichen Zahlungen von PlusToken war dabei eine Bot-basierte Kryptowährungsarbitrage sowie der Handel mit und das Mining von Kryptowährungen. Mit der Verhaftung von sechs Hauptfiguren des PlusToken-Systems Juni 2019 auf Vanuatu kollabierte jedoch auch dieses System. Die Verluste beliefen sich laut u.a. dem Bundesministerium für Inneres auf 2,9 Milliarden Dollar. Während Piranty zwar keiner der internationalen Köpfe dieser Systeme war, deuten doch Forderungen von Geschädigten und sein Status als „Big Family“-Member an, dass er im deutschsprachigen Raum ein relevanter Akteur innerhalb dieser Systeme gewesen war. Chancen auf Seiten der Geschädigten bezüglich Wiedergutmachung von Schäden sind bei Betrugsmaschen dieser Art allerdings meistens juristisch nicht durchsetzbar und Pirantys Selbstinszenierung als „Mann des Volkes“, der „ja“ auch verloren hätte, tut ihr Übriges.

Doch auch damit schien es Piranty nicht zu genügen: Nach dem Untergang von PlusToken stieg Piranty in das nächste Schneeballsystem ein – Advert International Marketing. Während Questra und PlusToken klar im Kryptowährungsbereich zu verorten sind, präsentiert sich AIM selbst als Marketingunternehmen. In verkürzter Darstellungsweise funktioniert AIM wie folgt: ein Unternehmen will online Werbung schalten und kauft sich deshalb ein Promotion-Package bei AIM. Damit einher geht die Verpflichtung, sich täglich eine vordefinierte Anzahl an Werbungen anderer AIM-Partner*innen anzusehen. Dafür bekommt man die eigenen Werbekosten erstattet, plus einen Gewinn von 10 bis 40% über einen vordefinierten Zeitraum. Laufzeitverlängerungen und Reinvestitionen innerhalb von AIM sind jederzeit möglich. Mit diesem Modell sind weitere Bonussysteme verbunden, die das Anwerben neuer „Partner*innen“ attraktiv machen sollen und nach der Logik von Pyramidensystemen funktionieren: Hat man ausreichend Partner*innen angeworben, die in das System investieren, verdient man mittels Provisionen an deren Tätigkeiten mit. Je weiter oben eine Person in dem System steht, desto mehr verdient diese auch.

Um neue Investor*innen anzuwerben, werden in diesem Geschäft oftmals virtuelle oder reelle Stammtische organisiert, die dazu dienen, interessierte Personen dazu zu bringen, ihr Geld in die jeweiligen Systeme einzuzahlen. Auch Walter Gerhard Piranty organisierte Stammtische dieser Art – zunächst am Wiedner Gürtel 46, 1040 Wien, danach in der Zentagasse 33, 1050 Wien und später im Café Frey in der Favoritenstraße 44, 1040 Wien (dazu später noch mehr) und verteilte dort etwas höher bepreiste Werbegeschenke wie AirPods und Poloshirts, um einen bleibenden Eindruck bei den hoffnungsvollen Teilnehmer*innen der Stammtische zu hinterlassen. Die hier dargestellte Masche ist eine gängige Betrugsform im Krypto-Bereich: Durch ständige Reinvestitionen bleibt letztlich sämtliches Geldkapital innerhalb des virtuell abgeschlossenen Kreislaufs, wodurch die Betreiber*innen meist nur geringe Beträge auszahlen müssen. Sobald eine wie auch immer geartete externe Unsicherheit die Stabilität des System bedroht, folgt meist der sogenannte „Exit-Scam“: Investor*innen erhalten keine Auszahlungen mehr und bleiben auf ihren Kosten sitzen, während die Organisator*innen des Betrugs das gesamte Investment abschöpfen und untertauchen.

Mutmaßliche Opfer Pirantys Betrugs fordern eine Rückerstattung ihrer Investments.

Aktuell bewirbt Piranty mit dem Tradingdienst Metronix ein weiteres Krypto-System, dieses Mal jedoch de facto in führender Rolle – schon 2019 stieg er mit 25% anteilsmäßig bei Metronix ein. Auch hier kommt das altbekannte Verkaufsmuster zum Einsatz: AirPod-Geschenke, Stammtische, Trading-Sessions; alles „seriös und gedeckt“, wie Piranty nicht müde wird zu betonen – immerhin handle es sich bei Metronix auch um ein österreichisches Unternehmen, was wesentlich mehr Sicherheit garantiere. Als Gründer von Metronix tritt Michael Eder auf, ehemaliger Geschäftsführer des nicht minder dubiosen Marketing- und IT-Dienstleistungsunternehmens EdJoWa GmbH mit Sitz in Ansfelden. Metronix hingegen ist als automatisierte Trading-Software konzipiert, die direkt in Kryptobörsen wie „Binance“ integriert ist und mit diesen interagieren kann. Dazu bietet Eder über die von ihm gegründete Big Deal Company – eine Krypto-Coaching-Plattform – die für das Buying-Schema von Metronix passenden Tradingkurse mit einer Kursgebühr zwischen 300 und 3.000€ an. Dass Piranty bei Metronix wesentlich zentraler involviert ist als bei den global organisierten Ponzi-Systemen und Exit-Scams, ist durch dessen enge Verbindung mit Eder belegbar: Nicht nur teilt Piranty permanent Einführungsvideos Eders auf seinen Online-Kanälen, auch war Eder schon Gast in Pirantys Geschäftsräumen in der Wiener Innenstadt. Dort wartete man mit Sekt, Kanapees & Werbegeschenken auf und war bereit, neue Kundschaft zu empfangen – brisant daran auch: Mit anwesend war auch der seit den 1970er-Jahren aktive Neonazi Harald A. Schmidt, doch dazu im nächsten Teil mehr. Bis dato bewirbt Piranty Metronix aggressiv und umfassend, feierte Ende 2022 das mehr als dreijährige Bestehen und kündigte weitere rege Betriebsamkeit für das System an.

Im Dezember 2019, also nur wenige Monate nach dem Einstieg bei Metronix, schien sich Piranty auch wieder auf stabilem finanziellen Fuß befunden zu haben: So kaufte er in der Wielandgasse 1, 1100 Wien, ein ebenerdiges Objekt just gegenüber des Ernst-Kirchweger-Hauses und baute es zum „Mona Lisa Club“ um, wie auch das Single Treff als „Kontaktlokal“ gedacht. Doch dann schlugen Piranty März 2020 die Covid-19-Maßnahmenpakete und Lockdowns ein Schnippchen – er musste seine Lokalitäten wie alle anderen Gewerbe vorübergehend schließen, Corona-Hilfen seitens des Staates konnte er für den neu eröffneten Club jedoch nicht beantragen, da das Lokal aufgrund der erst kurz zuvor vonstatten gegangenen Eröffnung nicht unter den Coronahilfe-Schirm fiel  – so blieb Piranty wiederum auf mehreren zehntausend Euro Schulden sitzen und das Lokal steht bis dato unter der Telefonnummer +436606304039 zur Vermietung frei.

Zur aktuellen Vernetzung Pirantys in den organisierten Neonazismus

Wir widmen uns in dieser Recherche Walter Gerhard Pirantys Vergangenheit sowie dessen Geschäften deshalb so detailliert, weil hierdurch belegt werden kann, dass dieser zum einen seit den 1980er-Jahren intensive Kontakte in den organisierten Neonazismus pflegt und zum anderen sowohl im Bereich des organisierten Betruges als auch der Rotlicht-Kriminalität tätig war bzw. – wenn auch mittlerweile auf halb-legaler Basis – noch immer ist. Für den Gegenstandsbereich Rechtsextremismus ist allerdings nicht nur Pirantys ehemalige Involvierung in den militanten Neonazismus von Relevanz, sondern auch der Umstand, dass auch heute noch sowohl politische wie auch geschäftliche Beziehungen zwischen ihm und mehreren Exponenten der extremen Rechten bestehen.

Fotoaufnahmen vom 12. Oktober 2019 belegen in diesem Kontext die Zusammenkunft von Walter Gerhard Piranty mit dem Neonazi Paul Blang und mutmaßlich auch Thomas Cibulka. Diese waren an dem Tag zu einem „Heldengedenken“ am Grab des Holocaustleugners Gerd Honsik in der Marktgemeinde Königsstetten zusammengekommen. Traditionsbewusst legte man auf dem Grab ein Gesteck in Reichskriegsfarben und den Aufschriften „Schillerbund – Imperia“ und „Knut-Hamsun-Gesellschaft“ nieder. Auf dem zweiten Band des Gestecks fand sich zusätzlich eine Referenz auf den Treuespruch der SS: „Deine Ehre – unsere Treue.“ Zur Erklärung: Die auf dem Gesteck genannten Organisationen können dem österreichischen Neonazismus zugerechnet werden. Während die Ferialverbindung Imperia den Nachfolgeverein der noch zu VAPO-Zeiten gegründeten Ferialverbindung Reich darstellt und vom ehemaligen VAPO-Mitglied Lucas Tuma nach wie vor legalistisch geleitet wird, ist außerdem interessant, dass auch die 1983 von Gerd Honsik ins Leben gerufene Knut Hamsun-Gesellschaft offenbar bis heute noch aktiv ist beziehungsweise sich Personen des neonazistischen Spektrums selbiger zumindest zuzuordnen scheinen.

Unklar bleibt der dem Imperia-Schriftzug vorangestellte „Schillerbund“: Der 1906 von dem militanten Antisemiten Adolf Bartels (tätig als Schriftsteller und Journalist) ins Leben gerufene Deutsche Schillerbund verzeichnete als völkisch-nationalistisches Kulturorgan schon weit vor der Machtergreifung des NS eine einschlägige Geschichte: So agitierte Bartels – der während des NS-Regimes im Übrigen zu einer wichtigen Figur der nationalsozialistischen Literatur- und Kulturpolitik werden sollte – bereits unmittelbar nach der Gründung des Bundes für eine Ausrichtung an den antisemitischen Wagner-Festspielen in Bayreuth, lediglich umgemünzt auf die Dramatik Schillers. Dass dann auf dem Grab des antisemitischen „Dichters“ Honsik ein Gesteck mit einer Referenz auf den für die NS-Kulturpolitik vielleicht wichtigsten deutschen Dichter liegt, verwundert also nicht – offen und zu klären bleibt allenfalls, ob sich hinter dem Schillerbund eine reelle Organisation von nazistischen Akteur*innen verbirgt.

Gruppenfoto des Gedenktreffens zu Ehren Norbert Burgers.

Rund ein Jahr später fand am 26. September 2020 ein weiteres „Heldengedenken“ in Kirchberg am Wechsel statt. Erneut kamen in diesem Zusammenhang Walter Gerhard Piranty, Paul Blang, Thomas Cibulka und dieses Mal auch Richard Fiebicher und Herbert Fritz zusammen, um dem verurteilten BAS-Terroristen und ehemaligen NDP-Vorsitzenden Norbert Burger zu gedenken. Bei Fiebicher handelt es sich um einen ehemaligen VAPO-Militanten mit ehemals guten Kontakten etwa zu dem Vandalen und Vordenker des Rechtsterrorismus Bendix Wendt oder dem ehemaligen stv. Vorsitzenden der Nationalen Alternative Alexander Dietze. Fiebicher ist seit Jahrzehnten integral in die hochgradig militante, um Gottfried Küssel organisierte Neonazi-Szene eingebunden und konnte über die Jahre in beinahe allen wichtigen Organisierungsversuchen dieses Milieus beobachtet werden (als Gottfried Küssel in Haft war, etwa des Öfteren an der Seite von Karin Küssel, z. B. im Rahmen von Kundgebungen der neonazistischen Partei des Volkes oder beim Neonazi-Aufmarsch in Spielfeld). Jüngst fiel Fiebicher v. a. im Rahmen von CQ stets an der Seite von Gottfried Küssel auf und sorgte zuletzt medial für größeres Aufsehen, da er als offizieller Security für den freiheitlichen Präsidentschaftskandidaten Walter Rosenkranz, aber auch für den amtierenden Bundespräsidenten Alexander van der Bellen tätig war. Herbert Fritz wiederum ist noch länger als Fiebicher in der neonazistischen  Szene Österreichs aktiv: Fritz ist alter Herr der aB! Olympia, war als militanter Südtirol-Aktivist, Gründungsmitglied der NDP und späterer Landessprecher der Wiener-Sektion ein Intimus von Norbert Burger, aber auch von Gerd Honsik, den er laut Eigenaussage im Gefängnis 1961 (im Rahmen der Südtirol-Prozesse Anfang der 1960er-Jahre) kennenlernte und auf den er etwa auch 2018 bei der „Gerd Honsik Feier“ des Gedächtnisstätte e.V. in Guthmannshausen, Thüringen eine Laudatio nach Honsiks Abeleben in Sopron hielt (Honsik wiederum widmete Fritz 2009 ein Gedicht). Bis heute ist Fritz neonazistisch engagiert – sein zahlreichen Aktivitäten können in der hier verlinkten Publikation des DÖW nachgelesen werden.

Der Umstand, dass Piranty zusammen mit zentralen Akteuren der österreichischen Neonazi-Szene an szeneinternen, klandestinen Gedenkveranstaltungen und Vernetzungstreffen dieser Art teilnimmt, verdeutlicht also dessen politische Einbindung in das Milieu und seine noch immer guten Kontakte.

Mit dem Erstarken der Corona-Proteste in Wien nahm Piranty zudem sowohl als regulärer Teilnehmer, als auch im Gleichschritt mit CQ rund um Gottfried Küssel regelmäßig an den Demonstrationen teil. Aufnahmen vom 20. März 2021 zeigen ihn so etwa inmitten der CQ-Neonazis Gottfried Küssel, Karin Küssel, Mario Aulabauer, Marco Helfenbein, Lucas Tuma und anderen. Mindestens zweimal nahm Piranty außerdem an den Demonstrationen der Corona-Querfront in Eisenstadt teil und ließ es sich nicht nehmen, sich gemeinsam anlässlich des Besuches von Sebastian Kurz mit Gottfried Küssel, Lucas Tuma und Franz Radl im Schweizerhaus im Wiener Prater aufzuhalten (er postete ein Live-Video von Küssel, der lautstark mit Tuma skandierte), um die Veranstaltung zu stören. Auch an einer von Walter Gerhard Piranty im kleinen Kreis ausgerichteten Feier in einem Bordell anlässlich dessen Geburtstag nahm Gottfried Küssel teil, um mit Piranty zu feiern. Dass Piranty durchaus enge Kontakte zu Küssel pflegt, belegt des Weiteren eine skurrile Begebenheit: Nachdem eine Razzia im Siga Siga in Ternitz stattgefunden hatte (siehe dazu unsere Recherche zu CQ), kontaktierte Piranty Küssel privat, um sich bei ihm zu erkundigen, ob er tatsächlich verhaftet worden sei. Küssel antwortete scherzhaft, dass er davon nichts wüsste, er ihm aber danke, dass Piranty ihn von seiner eigenen Verhaftung wissen lasse. Darauf folgte eine amüsierte Nachricht Küssels mit dem Bild eines Cobra-Beamten mit Schutzschild und dem Text „Vermummter erstürmt Kühlschrank.“

Neben den privaten Kontakten zu Gottfried Küssel pflegt Piranty auch Kontakte zu weiteren alteingesessenen Persönlichkeiten der österreichischen Neonazi-Szene. Interessant ist hierbei vor allem die Beziehung zu dem seit den 1970er-Jahren aktiven Neonazi Harald A. Schmidt, der sich offenbar für mehrere Jahre mit Piranty Büroräume teilte: ein zweistöckiges Büro in der Johannesgasse 21, 1010 Wien, laut Eigenaussage ein Büro im Hotel Imperial am Opernring, 1010 Wien und zuletzt ein Büro in der Mommsengasse 33/5, 1040 Wien. Fotografien, die in den Büroräumlichkeiten in der Johannesgasse aufgenommen wurden, geben Hinweise auf die geschäftliche Verstrickung der beiden Neonazis: Dort sind Schmidt und Piranty etwa zusammen zu sehen, als sie gemeinsam mit einem unbekannten Dritten das Büro eröffnen und noch einmal zu einem späteren Zeitpunkt mit dem bereits genannten Michael Eder, Gründer von Metronix. Es sind Verbindungen dieser Art, die den begründeten Verdacht nahe legen, dass auch andere rechtsextreme Akteur*innen in die geschäftlichen Machenschaften Pirantys involviert sind. Am Rande: Der Geschäftsmann Michael Eder hat scheinbar kein Problem damit, seine wirtschaftlichen Aktivitäten in Kooperation mit langjährig kriminellen und militanten Neonazis abzuwickeln, die aus ihrer Gesinnung keinen Hehl machen.

Auch in Trumau scheinen Schmidt und Piranty geschäftlich aktiv zu sein.

Bei Walter Gerhard Pirantys Unternehmungen fallen zusätzlich nicht nur dessen Kontakte in die österreichische Neonazi-Szene, sondern auch relevante geografische Überschneidungen mit dieser auf. Seit 2020 organisieren Piranty und Schmidt regelmäßig Metronix-Stammtische im Café Frey auf der Favoritenstraße 44, dem Lokal, in dem über einen längeren Zeitraum bis mindestens 2020 auch Stammtische der Ferialverbindung Imperia stattfanden. Vor dem Hintergrund von Pirantys Kontakten zu Mitgliedern der Imperia und der geografischen Überschneidung mit deren Stammlokal stellt sich zum einen also die Frage, ob auch Piranty innerhalb der Ferialverbindung politisch organisiert ist und zum anderen, ob zwischen der Ferialverbindung Imperia und Walter Gerhard Piranty Gelder geflossen sind. Piranty könnte vor dem Hintergrund seiner ideologischen Überzeugungen als Finanzier neonazistischer Organisationen und Akteur*innen aufgetreten sein, oder diesen mittels seines Ponzi-Systems Investitionsmöglichkeiten abseits staatlicher Kontrolle z.B. gegen Bargeld angeboten haben. Auch wenn auf der Grundlage des aktuellen Informationsstands keine Belege dafür existieren, ist es dennoch notwendig, auf mögliche Finanzierungsstrukturen in diesem Zusammenhang aufmerksam zu machen.

Das Wehrdorf und die Expansion ins heile Ungarn

Abschließend muss der Aufbau von Pirantys völkischer Siedlung im Kontext allgemeiner Trends innerhalb der westeuropäischen extremen Rechten gesehen werden – denn in den letzten Jahren entwickelte sich Ungarn zunehmend zu einer beliebten Destination für rechtsextreme Akteur*innen, die den von ihnen als degeneriert und fremdgesteuert wahrgenommenen westeuropäischen Gesellschaften den Rücken zukehren und versuchen alternative Lebensräume im Osten zu erschließen.

Kommen wir aber zunächst zum Ausgangspunkt dieser Recherche zurück: Bei Walter Gerhard Piranty handelt es sich um einen betrugsaffinen Neonazi mit ausgezeichneten Kontakten in den organisierten Rechtsextremismus, der ein für den österreichischen Rechtsterrorismus historisch relevantes Grundstück in Ungarn mit dem Ziel des Aufbaus einer völkischen Siedlung besitzt. Walter Gerhard Piranty, der auch über Kontakte in die organisierte Kriminalität verfügt, musste sich selbst schon mehrmals in seinem Leben wegen illegalen Waffenbesitzes, Körperverletzung, Betrugsmaschen, illegaler Prostitution und weiteren Delikten vor Gericht verantworten und verbreitet auch heute noch militant-rassistische und militant-antisemitische Inhalte sowie neonazistische Propaganda über seine Social-Media-Kanäle und ist nach wie vor in dubiose Geschäfte verwickelt.

Wir wollen an dieser Stelle vertiefend auf die Hausdurchsuchungen im Jahre 1993 im Zuge der Briefbombenermittlungen und die Rolle Franz Radls eingehen, da eine mögliche Involvierung Pirantys auch schon zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann – zumindest hielt dieser sich zu dieser Zeit wieder in Wien auf und bestritt mittels organisierter Betrugsmaschen seinen Unterhalt in der Wiener Unterwelt. Das zukünftige „Wehrdorf“ von Piranty wurde wie bereits erwähnt in der Nacht vom 14. Dezember 1993 im Rahmen einer groß angelegten Razzia rund vier Stunden lang in Koordination mit den ungarischen Behörden von österreichischen Beamt*innen der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT) durchsucht. Der Aktion war bereits eine fünfstündige Hausdurchsuchung des EBT bei Franz Radl jun. und Johannes Pammer in der Laurenzgasse 6/14, 1050 Wien samt Haftbefehl gegen Radl vorausgegangen. Im Zuge der Durchsuchungen wurden sämtliche Materialien sichergestellt, die in Verbindung mit den Ermittlungen rund um die Anklage gegenüber Peter Binder, Franz Radl und Alexander Wolfert wegen der möglichen Urheberschaft der zum damaligen Zeitpunkt getätigten Briefbombenserien standen. Neben rechtsextremer Propaganda, Disketten, sowie Adress- und Namensverzeichnissen und rechtsextremer Literatur wurden von der Einsatzgruppe auch unterschiedliche Chemikalien zur näheren Untersuchung sichergestellt. Am Grundstück in Szőce blieb man allerdings weitgehend erfolglos – lediglich Honsiks Postille HALT und Druckwerke der Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AfP) wurden von den Ermittler*innen konfisziert.

Im Rahmen der diesen Fall betreffenden Gerichtsverhandlungen wurden alle drei Beschuldigten aufgrund mangelnder Beweislast freigesprochen – trotz der vielfachen Aussagen von Zeug*innen und erdrückender Indizienlage. Wofür und inwieweit das Anwesen in Szőce in weiterer Folge genutzt wurde, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht rekonstruieren. Einige Jahre später (2020/2021) begann Walter Gerhard Piranty allerdings die ersten aufwendigen Umbau- und Renovierungsarbeiten – vor dem Hintergrund der Verfasstheit der Bausubstanz und der großflächigen Verwilderung des etwa 30.000 m² großen Grundstückes kann durchaus angenommen werden, dass dieses über einen längeren Zeitraum nicht genutzt wurde. Auffällig bei den Renovierungsarbeiten ist, dass diese mutmaßlich in zwei Phasen stattgefunden hat. Während das Grundstück nördlich an ein breites Wald- und Moorgebiet grenzt, das Teil des Őrség Nationalpark ist, grenzt der östliche Teil des Grundstücks an die vom Schwertransit geprägte E65 und westlich an Gehöfte des Ortes Szőce. Der nördliche nach dem Wald gehende und nur von diesem aus einsichtige Teil erscheint dabei gut gepflegt und aufgeräumt und wurde im Winter 2022/23 auch weiterhin schon vorangeschrittenen Bauarbeiten unterzogen, während der restliche Teil des Grundstücks erneut verwildert, obwohl Piranty dort bereits mehrfach umfangreiche Gartenarbeiten durchgeführt hatte. Ebenso auffällig ist die breit angelegte Kameraüberwachung des großen, zweistöckigen Hauptgebäudes, in dem in den 1990er-Jahren das Zimmer von Franz Radl angesiedelt war, sowie die im umliegenden Wald zu findenden Spuren der Benutzung, wie etwa in der Umgebung am Boden verteilte, im ungarischen Landkreis nicht erhältliche österreichische Bierdosen, die nahe legen, dass auch die das Grundstück umliegenden Wälder inklusive der schmalen Trampelpfade für die bedenklichen Aktivitäten von Walter Gerhard Piranty und dessen Geschäftspartner*innen bzw. Kamerad*innen genutzt wurden.

Die Historie des Grundstücks, dessen Besitzer sowie die Kontakte desselben geben also Anlass, das „Wehrdorf“-Projekt als potenzielle neonazistische Gefährdung zu betrachten – und auch in Bezug auf das Prostitutionsgewerbe kritisch zu beurteilen. Sollte Piranty seine Pläne tatsächlich umsetzen und in Szőce bis 2025 in der ungarisch-österreichisch-slowenisch-kroatischen Grenzregion ein völkisches Siedlungsprojekt auf mehr als 30.000 m² Land aufziehen, ist durchaus zu befürchten, dass im Schutz provinzieller Abgeschiedenheit und öffentlicher Gleichgültigkeit gegenüber neonazistischen Aktivitäten ein Rückzugs- und Schulungsraum für militante österreichische und ungarische Neonazis sowie auch ein für dessen dubiose Geschäfte attraktiver Netzwerkknoten entstehen könnte – mit transnationalem rechtsterroristischem Potenzial. Anleitungen zum Terrorismus verbreitet Piranty wie schon dargestellt bereits auf seinem Wehrdorf-Kanal und die Gewaltaffinität haben dieser und sein Umfeld mehrfach bewiesen. Es ist außerdem bekannt, dass die österreichisch-ungarische Landesgrenze schon seit Anfang der 1990er-Jahre als Vernetzungsraum der militanten Neonazi-Szene fungiert – man denke etwa an Gottfried Küssels Verbindungen zu dem wegen Mordes verurteilten Neonazi István Györkös sen., der ebenso einen Familienlandsitz nahe Györ bis zu seiner Verhaftung und Inhaftierung 2016 betrieben hatte und in dessen Zusammenhang paramilitärische Trainings der Magyar Nemzeti Arcvonal (MNA) mit österreichischen Neonazis immer wieder Gegenstand medialer Berichterstattung waren. Zu den geschilderten Entwicklung kommt hinzu, dass Piranty neben dem Objekt in Szőce noch weitere Immobilien in Ungarn besitzt, die in Zukunft als Laufhäuser genutzt werden sollen: In Sopron besitzt der militante Neonazi einen Bungalow, den er noch bis Mai 2023 als weiteres „Stundenhotel“ betreiben will, in Mosonmagyarovar existiert außerdem eine Immobilie, deren Nutzung bis dato noch unklar ist.

Das Siedlungsprojekt und der Immobilienankauf Pirantys in Ungarn mag zwar aufgrund dessen intensiver Kontakte in den militanten Neonazismus besonders besorgniserregend sein, steht zugleich aber für eine Entwicklung, die innerhalb der breiten Öffentlichkeit und auch bei Behörden viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Denn hinter Pirantys Ansiedelung steht nicht nur der für den Euroraum günstige Wechselkurs, sondern auch die ideologisch geprägte Imagination Ungarns als noch heile, ethnisch homogene und intakte Gesellschaft, in der im Gegensatz zum westlichen Europa noch wahre Patrioten und Nationalisten an der Macht sind. Diese Vorstellung teilt Piranty mit vielen anderen rechtsextremen Akteur*innen, die sich seit etwa 2014 nicht nur ideologisch, sondern auch geografisch zunehmend in Richtung Ungarn orientieren. So ist bekannt, dass sich die britischen Neonazis der Kinghts Templar International Nick Griffin und James Dowson nach Ungarn abgesetzt haben. Auch den schwedischen und international bekannten Neonazi Daniel Friberg, den US-Neonazi und „Männerrechtler“ Matt Forney, den deutschen Rechtsextremist und Waffenhändler Mario Rönsch sowie den deutschen Shoah-Leugner Horst Mahler, den österreichischen Shoah-Leugner Gerd Honsik (bis zu seinem Tod in Sopron 2018) und den Schweizer Rechtsextremisten und Pegida-Schweiz Gründer Ignaz Bearth sowie einige mehr hat es in den letzten Jahren nach Ungarn verschlagen. Viele andere beschränken sich darauf, Ungarn regelmäßig bei Neonazi-Events zu besuchen oder in Solidarität mit der nationalen Bewegung in Ungarn auf die Revolution in ihrem eigenen Land zu warten.

Gerade Ignaz Bearth versinnbildlicht eine zunehmend bemerkbare Aufbruchsstimmung, die innerhalb einschlägiger Kreise seit der Covid-19-Krise herrscht. Dieser lancierte zeitgleich mit dem Anstieg der Corona-Proteste im deutschsprachigen Raum ein Auswanderungsprogramm für „Patrioten“ und emigrierte mit einer Handvoll Pensionist*innen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich in eine kleine Ortschaft am ungarischen Balaton – eine Region, die seit Jahrzehnten ein beliebtes Reiseziel deutscher und österreichischer Tourist*innen und seit 2014 auch Treffpunkt internationaler Neonazi-Größen ist. In einem Artikel des NZZ-Magazins wurde in diesem Zusammenhang etwa von einer Migrationsbewegung „rechter Rentner“ gesprochen, der Bayerische Rundfunk berichtete davon, dass die meisten dieser Auswanderer aus rassistischen Motiven ihr Land verlassen und daher Ungarn als Zufluchtsort gegen die „Überfremdung im eigenen Land“ auserkoren haben. Einflussreiche Influencer wie Bearth mobilisieren erfolgreich auf ihren Social-Media-Kanälen mit tausenden Mitgliedern für die Auswanderung nach Ungarn und bieten Info-Materialien an, um möglichst rasch in Ungarn Fuß fassen zu können. Mittlerweile existieren etwa 20 intakte und besiedelte „deutschsprachige Stützpunkte“ in Ungarn, zwei Drittel dieser sind rund um den Balaton angesiedelt – 10 weitere wären bereits in Planung. Angetrieben von antisemitischen Verschwörungsmythen, die unter den Begriffen „Great Reset“, „Umvolkung“, „Großer Austausch“ und „Globalisten“ zunehmend aggressiv artikuliert und verbreitet werden, verschlägt es also immer mehr rechtsextreme Akteur*innen in das von Viktor Orbán autoritär geführte Ungarn – dass hierzu kaum öffentlicher Handlungsbedarf seitens Politik und Zivilgesellschaft gesehen wird, ist in diesem Zusammenhang besonders besorgniserregend und garantiert neonazistischen Strukturen weiterhin freie Hand vor Ort.

Resümee

Der Fall Walter Gerhard Piranty verdeutlicht exemplarisch zunehmend relevant werdende Entwicklungen innerhalb des militant neonazistischen Lagers im deutschsprachigen Raum seit den 1990er-Jahren: Gewaltaffine neonazistische Milieus vernetzen sich rege mit Strukturen der organisierten Kriminalität. Die Kontakte rechtsextremer Akteur*innen in das Rotlichtmilieu, den organisierten Drogen- und Waffenhandel, aber auch in den Bereich des organisierten Betruges sind mittlerweile vielfach belegt. Zu diesem Schluss kommt auch eine neue empirische Studie des Counter Extremism Project, die sich in ihrem europaweiten Bericht der Vernetzung rechtsextremer Milieus in Europa mit der organisierten Kriminalität widmet. Oftmals entstehen durch kriminelle Aktivitäten überregionale und transnationale Netzwerkstrukturen, deren Infrastruktur auch für politische Zwecke genutzt werden – etwa durch unregistrierte Cashflows, mittels derer die politische Praxis und der Lebensunterhalt rechtsextremer Gruppen und Einzelpersonen finanziert werden kann.

Die durch die organisierte Kriminalität generierten Gelder fließen so abseits staatlicher Kontrolle in unterschiedliche Aktivitätsbereiche der extremen Rechten: In die Unterstützung von untergetauchten oder inhaftierten Kameraden, die Finanzierung politischer Arbeit, die Bereitstellung von Räumlichkeiten sowie die Produktion von Schulungs- und Propagandamaterialien, den Ankauf von Waffen und Sprengstoff und nicht zuletzt auch in die Finanzierung des Lebens der meist abseits konventioneller Arbeitsverhältnisse agierenden Aktivist*innen der Szene. Fälle wie die des Objekt 21, der Bruderschaft Thüringen (Turonen), der Steeler Jungs und diverse Waffenschieber-Ringe in den letzten Jahren in Deutschland und Österreich verdeutlichen, dass die in der organisierten Kriminalität agierenden Personen und Gruppen der extremen Rechten nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auf der Grundlage eines militant-nazistischen Weltbildes agieren und eine gewisse Affinität zu rechtsterroristischen Strukturen aufweisen. Während manche Personen sich stärker dem politischen Aktivismus zuwenden, bewegen sich andere vertiefend in der organisierten Kriminalität – die gemeinsame weltanschauliche Basis dient jedoch zugleich als Fundament für geschäftliche und politische Beziehungen.

Die Person Walter Gerhard Piranty illustriert diese Interaktionsdynamik zwischen Rechtsextremismus und organisierter Kriminalität: Das rechtsextreme Weltbild sowie die Kontakte in das NS-Milieu prägten ihn trotz der Verlagerung seiner Aktivitäten in die organisierte Kriminalität seit seinem Einstieg in die neonazistischen Subkulturen der 1980er-Jahre. Auch wenn Piranty seit seiner Zeit als Aktivist nicht mehr als relevanter Akteur der extremen Rechten in Österreich wahrgenommen wurde, blieb dieser doch der Szene erhalten. Der Umstand, dass Piranty seit 2020 den Aufbau einer völkischen Siedlung verfolgt und zunehmend engagiert an Aktivitäten der extremen Rechten partizipiert, verdeutlicht dessen Relevanz für den Gegenstandsbereich Rechtsextremismus – und die Relevanz krimineller oder halb-krimineller Strukturen für die extreme Rechte im Allgemeinen. Die finanziell lukrativen Geschäfte Pirantys bei gleichzeitig regem Kontakt zu rechtsextremen Kadern verstärken das Verdachtsmoment, dass dieser für die Szene kaum nachvollziehbare Investitionsmöglichkeiten geschaffen hat. Seit dem 7. April 2023 geht Piranty nun außerdem einem weiteren „Geschäftsmodell“ nach: die inoffizielle Prostitutionsvermittlung via Telegram-Kanal im Raum Wien, Niederösterreich und Burgenland – es ist davon auszugehen, dass die Gelder unter anderem in sein völkisches Siedlungsprojekt fließen werden.

​​​​​​Ein Blick in Gottfried Küssels Vita verdeutlicht außerdem, dass dieser und die ihn umgebenden Personen immer schon Kontakt zu multikriminellen Milieus gesucht haben. Ein prominentes Beispiel sind etwa die Kontakte zu dem 1997 wegen der brutalen Hinrichtung an der Prostituierten Petra K. verurteilten Zuhälter Georg W., mit dem man sich unter anderem zu gemeinsamen Schießübungen traf. Auch der Rückzug aufs Land an die Ränder kleiner, abgelegener Dorfstrukturen ist für Küssel kein Novum. Nach seiner Haft erstand dieser eine ganze Kellergasse bei Poysdorf und wie wir erst kürzlich dargestellt haben ein Objekt in Purbach am See, das CQ-Kader nutzten und in dem eine Hausdurchsuchung des DSN und Spezialeinheiten der Polizei wegen des Verdachts einer illegalen bewaffneten Gruppierung stattfand. Das wesentlich größere und deutlich abgelegenere Gehöft in Szőce gibt vor diesem Hintergrund noch mehr Grund zur Sorge.

Der Umstand, dass die Überschneidung von rechtsextremen Strukturen mit der organisierten Kriminalität sowie die zunehmend praktizierte Strategie der völkischen Landnahme ein zurzeit umfassendes Problem darstellen, ist evident. Dennoch scheint es in Österreich bis dato kaum einen staatlichen noch zivilgesellschaftlich-politischen Umgang mit diesem Phänomen zu geben. Dass dieses Milieu aber vor allem abseits gesellschaftlicher Beobachtung und Sanktionierung gedeiht,  liegt in der Natur der Sache und erfordert daher gezielte Gegenmaßnahmen. Es ist daher von zentraler Bedeutung dort Aufklärung und Licht zu schaffen, wo sich diese Milieus keines wünschen – denn erst durch die Offenlegung der verdeckten Netzwerke der extremen Rechten wird öffentliche Intervention gegen diese möglich.

Einer der letzten Zeugen der SS: Transnationale rechtsextreme Vernetzung bei Herbert Bellschan-Mildenburgs Bestattung in Celovec/Klagenfurt

Das Begräbnis von Herbert Bellschan-Mildenburg in Celovec/Klagenfurt

Am 12. November 2022 fand am Klagenfurter Friedhof Annabichl das Begräbnis des Waffen-SS-Veteranen Herbert Bellschan-Mildenburg statt. Abseits einer kleinen Traueranzeige in der Kleinen Zeitung Kärnten, erfuhr man in der breiten Öffentlichkeit nichts über die rechtsextreme Gedenkveranstaltung. Die europäische extreme Rechte vermied es, zum Gedenken an ihren Mitstreiter und Helden aufzurufen und sendete klandestin Einladungen zur Bestattung des Veteranen an einen ausgewählten Personenkreis aus. Dem Aufruf folgten zahlreiche rechtsextreme Akteur*innen aus dem In- und Ausland, um sich kurz vor 12 Uhr vor der großen Zeremonienhalle des Friedhof Annabichl einzufinden. Nach einer musikalischen Einleitung folgten die Trauerreden von Angehörigen Bellschans und Vertretern der österreichischen Kameradschaftsszene, vermutlich jenen der Kameradschaft IV, deren offizielles Mitglied der verstorbene Waffen-SS-Veteran war. Die Rede des Vertreters der Kameradschaft stand ganz im Zeichen einer Lobeshymne auf das unverzagte, mutige und tapfere Leben des Herbert Bellschan-Mildenburg – gespickt mit Revisionismus gegen die „Geschichtsverdrehung“ der Feinde des deutschen Volkes, gegen die der Verstorbene zeitlebens angekämpft hatte.

Auffällig bei der Trauerrede war der Umstand, dass der Redner trotz seiner Verachtung für die etablierte Geschichtsschreibung, seine revisionistischen Positionen hinsichtlich des NS-Regimes an manchen Stellen schon fast übertrieben vorsichtig zum Ausdruck brachte. So formulierte dieser verklausuliert, dass der verstorbene Bellschan-Mildenburg nach seiner Zeit beim Wandervogel zu einem Jugendbund ging, „der den Namen des damaligen Reichskanzlers“ trug – also die Hitlerjugend. Warum der Redner es vermied, den Namen Adolf Hitlers auszusprechen, bleibt unklar, folgte darauf doch in revisionistischer Manier die Charakterisierung des Überfalls auf Polen am 1. September 1939 durch die deutsche Wehrmacht „als Antwort auf permanente Übergriffe auf das Reichsgebiet der polnischen Kavallerie“ sowie die Verklärung der Kriegs-einleitenden Worte Hitlers „Ab heute wird zurückgeschossen“ als einen „unglücklichen Ausspruch“, der als „diplomatischer Fehler“ zu betrachten sei. Diesen diplomatischen Fehler hätten die Sieger des Ersten Weltkriegs instrumentalisiert, um Deutschland ein zweites Versailles zu bescheren.

Im Anschluss daran folgte eine Lobpreisung der deutschen Jugend der 1920er und 30er-Jahre, die vor dem Hintergrund von Bellschans Biografie zugleich als Rehabilitierung der Hitlerjugend und der SS-Junkerschulen zu verstehen ist, in welchen der Führungsnachwuchs für den nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug herangezogen wurde und in die Bellschan-Mildenburg maßgeblich involviert war:

Was Dichter und Musiker in das Wort Deutschland hineingelegt haben, hat diese Jugend hineingelebt. Der Schlüssel zum Verständnis jener Jugend liegt nicht bei analytischer Rationalität, sondern im sehnlichen Erlebnis. Volk und Heimat, Deutschland und Vaterland wurden von dieser Jugend konkret erfahren und erlebt, ganz im Sinne Goethes, dessen Geistigkeit sich die Jugend zum Vorbild gemacht hat.

Als paradigmatisch zu betrachten, ist der Rekurs auf und die Affirmation des triebhaften Irrationalismus, im Sinne einer Befreiung von Geist und Körper durch die erneuerte lebensphilosophische Bindung an die vitalisierende Kraft des ursprungsmythologisch gedachten Bodens – nur in der Heimat, im Vaterland würde die Jugend dazu in der Lage sein, den Status quo zu überwinden und an dessen Stelle die deutsche Volksgemeinschaft als Schicksals- und Blutsgemeinschaft zu etablieren. Das in der Rede hervorgehobene „Sehnen“ der Jugend bezieht sich auf den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich – der Überlebenskampf gegen „den Schandvertrag von Versailles“ wirkte daher kraftvoll als „eine Art Ersatzreligion gegen den materiellen Zeitgeist“ resümierte der Redner mit weltanschaulichem Pathos und fügte dem heroisch hinzu, es sei beinahe unbegreiflich „in welcher Liebe zur Heimat und in welcher Opferbereitschaft damals die Jugend war.“

In diesem Duktus setzte sich die Rede des Kameradschaftsvertreters fort, der in seiner Erzählung die Biografie Herbert Bellschan-Mildenburgs stellvertretend für die willensstarke deutsche Jugend Revue passieren ließ: Von der Hitlerjugend über die Waffen-SS bis hin zum Widerstand gegen das Meinungsdiktat der „sogenannten Elite“ wäre er dazu bereit gewesen, für Deutschland sein Leben zu lassen. Als einer der wenigen wäre er nicht davor zurückgeschreckt, dem dominanten Geschichtsnarrativ zu widersprechen und stattdessen die „Wahrheit“ an die neuen Generationen weiterzugeben:

Das war mit der Grund, warum Herbert gegen diese offizielle, von den Siegern diktierte Geschichtsschreibung, wo sie unredlich seiner Meinung nach war, aufgetreten […] ist. Das ist doch ein wichtiges, für einen Patrioten wichtiges, Anliegen. 2012 konnte Herbert die Festansprache auf dem Ulrichsberg halten. Er nutzte diese Festansprache für eine offene Diskussionsmöglichkeit, damit die Geschichte zur Sprache komme. Herbert erwähnte das Menschnrechtskomitee in Genf, das 2011 beschlossen hat und zwar sagte er wörtlich am Ulrichsberg: ‚Wir alten Soldaten anerkennen nämlich voll die derzeit geltenden Gesetze und respektieren diese auch.‘ Obwohl wir nicht ganz verstehen können, warum die Republik Österreich nicht gemeinsam mit den Staaten der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und der Schweiz schon im Juli 2011 in Genf beim UN-Menschenrechtskomitee verbindlich und verpflichtend eine Konvention geschrieben haben, wonach gesetzlich zur Meinungsfreiheit der Ausdruck einer irrtümlich gemeinten und unrichtigen Interpretation vergangener Geschehnisse völkerrechtlich [Anm. d. Verf.: zu ergänzen ‚erlaubt ist‘] und somit nicht bestraft werden darf.‘ Und weiter: ‚Wo aber noch immer und seit vielen Jahren Personen im Gefängnis sitzen, weil sie ihre Wahrheit verkündet haben.‘

Der Verweis auf die Menschenrechte, Meinungsfreiheit und die besagte UN-Konvention sind dabei ganz in der Tradition eines gängigen Argumentationsmusters neonazistischer Akteur*innen nach 1945. Es handelt sich um die bewusste Instrumentalisierung und Verkehrung demokratischer Werte in ihr Gegenteil – die Wehrhaftigkeit der Demokratie gegen jene, die sie zugunsten einer auf Abstammung basierenden Gemeinschaft ersetzen wollen, wird als „Meinungsdiktat“ der „Scheindemokratie“ umgedeutet und die wegen Holocaustleugnung inhaftierten Szene-Ikonen wie Ursula Haverbeck, Horst Mahler, Richard Melisch und viele mehr zu „Freiheitskämpfer*innen“ verklärt. Ein „widerständiger“ Geist wie Bellschan hätte allerdings gewusst, dass „die Geschichtsschreibung nicht der Wahrheit entsprach“ und sich dagegen eingesetzt, dass jene, die für das deutsche Volk kämpften, kriminalisiert und die „Waffen-SS als verbrecherisch“ verleumdet wird.

Auf die Beschwörung der Vergangenheit folgte dann die Darstellung von Bellschans Vision eines zukünftigen „Europas der Völker“, ganz nach dem Vorbild des Europakonzepts der Waffen-SS, in dessen Zentrum kein politisches Gemeinwesen im Sinne einer Assoziation freier Menschen, sondern die Volksgemeinschaft als rassisches Abstammungskollektiv steht: Hinter den in der Rede durchaus subtil gewählten Begriffen steht vor dem Hintergrund von Bellschan-Mildenburgs Biografie kein auf liberalen Werten basierendes Europa-Konzept, sondern die ideologische Internationalisierung des nationalsozialistischen Vernichtungsprojekts durch die SS und Waffen-SS, die als Reaktion auf die Imagination eines global agierenden und daher auch auf selber Ebene zu bekämpfenden Judentums zu verstehen ist. Auch heute noch beziehen sich große Teile des internationalen Neonazi-Milieus auf die Vision eines Zusammenschlusses der vom „Weltjudentum“ unterdrückten „Herrenrassen“ und streben einen gemeinsamen Feldzug gegen den wahnhaft imaginierten, übermächtigen und im Verborgenen agierenden Feind an – also gegen jenen Feind, der mittlerweile schon salonfähig unter dem Begriff des „Globalismus“ Einzug in die breite Öffentlichkeit erhalten hat und letztlich die popularisierte Form der alten antisemitischen Weltverschwörungstheorie darstellt, der Bellschan und seine Kameraden anhängen.

Vor dem Hintergrund dieser internationalisierten Ideologie ist es auch nicht verwunderlich, dass Neonazis aus verschiedenen europäischen Staaten angereist waren, um gemeinsam einem verstorbenen Kameraden zu gedenken – der zeitgenössische Neonazismus ist lokal verankert, international ausgerichtet und transnational vernetzt, was sich nicht zuletzt auch an Zusammenkünften wie diesen zeigt. Die Rede abschließend wendete sich der Kamerad des verstorbenen Waffen-SS-Veteranen, an die zum Gedenken Angereisten und schwor diese auf den Kampf ein, den Bellschan-Mildenburg sein Leben lang geführt hatte. Das Vermächtnis Bellschans sei es, „der Wahrheit zu dienen […] und unserem Volk die Treue zu halten und nie die Worte Friedrich Schillers zu vergessen: ‚Denn wenn kein Mensch mehr die Wahrheit sucht und verbreiten wird, dann verkommt alles Bestehende auf der Erde, denn nur in der Wahrheit sind Gerechtigkeit, Frieden und Leben.'“ Mit dem abgewandelten SS-Treueschwur „Seine Ehre hieß Treue“ beendete der Redner schlussendlich andächtig die Ansprache.

K IV und KAB bilden ein gemeinsames Ehrenspalier beim Hinaustragen der Urne Bellschan-Mildenburgs.

Nach dem Zeremoniell folgte ein Trauerzug zum Familiengrab der Bellschan-Mildenburgs, bei dem unterschiedliche Vertreter rechtsextremer Organisationen aus Österreich, Deutschland, Ungarn und Italien kondolierten und Kränze im Gedenken an den „Kameraden“ niederlegten. Zahlreiche Besucher*innen ließen es sich außerdem nicht nehmen, einige Meter von Bellschan-Mildenburgs Grab entfernt einem weiteren „Ehemaligen“ Ehrenbekundungen zu bezeugen, der jedoch eine deutlich höhere Funktion im nationalsozialistischen Staat innehatte. Die Rede ist von Friedrich Rainer, dem ehemaligen NS-Gauleiter von Salzburg und Kärnten, dessen „Ruhestätte“ eine große Elhaz-Rune und ein Ausspruch Adolf Hitlers „ziert“. Auch dort legte die Kameradschaft IV eine Grabkerze zum Gedenken ab – danach verharrte eine größere Gruppe Grazer, Wiener und Kärntner Neonazis an dem Grab, bevor sie als letzte Gruppe zurück in Richtung Ausgang marschierte. Der Leichenschmaus fand, an das Gedenken anschließend, im nahegelegenen Gasthof Krall statt, bei dem sich auch viele der österreichischen Neonazis einfanden. Das Milieu, welches am Begräbnis des Waffen-SS-Veteranen teilnahm, setzte sich dabei hauptsächlich aus langjährig organisierten Neonazis sowie Gruppierungen, die vornehmlich der österreichischen Kameradschaftsszene zuzurechnen sind, zusammen. Neben der Kameradschaft IV war auch der Kärntner Abwehrkämpferbund (KAB) mit einigen Mitgliedern, sowie die Kameradschaft der ehemaligen Angehörigen des Gebirgsjäger Regiments 139, einer Wehrmachtskameradschaft, die Teil des Kärntner Kameradschaftsbundes und damit auch Teil des Österreichischen Kameradschaftsbundes (ÖKB) ist, vertreten – nicht zu vergessen der Ulrichsbergveteran und aB! Tauriska zu Klagenfurt Burschenschafter Peter Mussi.

Neben der Kameradschaftsszene fanden sich im Gleichschritt mit Gottfried Küssel und Franz Radl ein Skinhead der Gruppe Sozialismus Jetzt (SoJ) und der Corona Querfront (CQ), einschlägige Neonazis aus dem ehemaligen alpen-donau.info Umfeld Wiens und mit Christoph Schober auch ein Exponent der Grazer Szene rund um alpen-donau.info ein. Küssel samt Anhang marschierten nach der Trauerbekundung direkt zum Grab von Friedrich Rainer: Geleitet wurde die Gruppe neben Küssel von Erika Hannesschläger, der Tochter Friedrich Rainers, die ebenso als „Zeitzeugin“ agiert, aktuell in Klagenfurt wohnhaft ist und das Grab ihres Vaters betreut – ein Umstand, der ihr im Übrigen schon eine Anzeige nach dem Verbotsgesetz eingebracht hat. Weiters nahmen die obersteirischen Neonazis Hans Ploderer und Martin Ploderer, die der in den 2010er-Jahren aktiven neonazistischen Vereinigung Skinheads Steiermark zuzurechnen sind, teil. Auffällig war die Präsenz der Familie Larisch, also Nils Larisch und Conny Larisch samt beider Kinder – Nils Larisch stammt aus dem neonazistischen Hooligan-Umfeld von Lokomotive Leipzig und der lokalen Leipziger NPD-Szene. Mit Peter Dingsleder schaffte es auch ein Aktivist aus dem Umfeld der steirischen Identitären Bewegung (IB) zum Szenetreff in Klagenfurt Annabichl. Dingsleder ist langjähriger Aktivist der Identitären Bewegung, sowie Alter Herr der deutschnationalen Burschenschaft aB! Cheruskia Graz. Auch Tobias Faethe, ein aus München stammenden Neonazi aus dem Umfeld der deutschnationalen Burschenschaft Danubia München, der nun schon seit einigen Jahren in der Steiermark lebt und über gute Kontakte in die völkische und neonazistische Szene verfügt, war angereist. Obgleich die ungarischen und italienischen Kameraden nicht identifiziert werden konnten, zeugten deren Kränze und Symbole von deren Anwesenheit. In dieser Recherche wird auf die unterschiedlichen zu dem Gedenken angereisten Milieus und deren Vernetzung noch vertiefend eingegangen. Für das Verständnis der Zusammenkunft am 12. November ist es aber zunächst notwendig, einen Blick auf Herbert Bellschan-Mildenburgs Biografie zu werfen und seine Funktion innerhalb der europäischen Neonazi-Szene nach 1945 zu beleuchten.

Biografische Skizze Herbert Bellschan-Mildenburgs

Bellschan-Mildenburg mit dem Dortmunder Neonazi Michael Brück, der mittlerweile nach Chemnitz verzogen ist.

Herbert Bellschan-Mildenburg wurde am 24. Juni 1923 als Sohn des Hermann Bellschan von Mildenburg und der Fini Schüst geboren. Er entsprang dem Adelsgeschlecht Bellschan von Mildenburg, das vor allem durch die gefeierte Mahler- und Wagner-Sopranistin Anna von Mildenburg Bekanntheit erlangte. Wie aus der Rede eines Kondolenten zu entnehmen ist, dürfte Herbert Bellschan-Mildenburg schon in seiner frühen Jugend in den österreichischen Wandervogel eingetreten sein, der, wie der Historiker Peter Dudek feststellt, als 1911 gegründeter Ableger des deutschen Wandervogels ideologisch besonders „bewusst deutsch-national und antisemitisch“ auftrat, auch wenn dieser später entgegen der historischen Quellenlage als Opposition zur späteren Hitlerjugend (HJ) und dem Bund Deutscher Mädel (BDM) dargestellt und damit gewissermaßen rehabilitiert wurde. Gerade im Falle Österreichs muss diese historische Einschätzung zurückgewiesen werden. Der Wandervogel wurde zwar auch in Österreich 1938 verboten, legte zugleich aber in Form der völkischen Gesinnung, des Körperkults und der Fixierung auf das Primat des Natürlichen die ideologischen Grundsteine für die Jugend- und Nachwuchsorganisationen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Die nahtlose Integration völkischer Sozialisierung von den Wandervögeln in die Strukturen des NS-Regimes wird auch in der Biografie Bellschan-Mildenburgs sichtbar, dessen frühe ideologische Prägung ihn sein ganzes Leben lang begleitete.

Bevor Bellschan-Mildenburg mit 17 freiwillig in die Waffen-SS eintrat, war er bereits aktives Mitglied des Deutschen Jungvolk (DJ) sowie der Hitlerjugend. Laut eigenen Angaben, die seiner im Dezember im rechtsextremen Nation und Wissen Verlag erschienenen Biografie zu entnehmen sind, sei er (auch schon in der Illegalität) maßgeblich für den Aufbau und die Führung der Klagenfurter HJ-Ortsgruppe mitverantwortlich gewesen – ob dies den historischen Tatsachen entspricht, kann nicht bestätigt werden, zeugt aber von Bellschan-Mildenburgs klarem Bekenntnis zum Hitlerismus, von dem er sich nie loslöste. Im Jahre 1941 wurde Bellschan in den aktiven Dienst der Waffen-SS einberufen und in die 6. SS-Gebirgsdivision „Nord“ eingegliedert, die an der „Finnlandfront“ in Karelien kämpfte und sich ursprünglich aus der 6., 7. und 9. SS-Totenkopfstandarte zusammensetzte. Der Eintritt in den militärischen Verband wäre das Schicksal von Bellschan-Mildenburg gewesen, wie er in einem Interview festhält: „Meine vorangegangenen Jahre, die Erziehung und das Erleben war gar nicht anders möglich, als dass man als Freiwilliger zur Waffen-SS gegangen ist.“ Bellschan selbst brachte es in dem Regiment bis zum SS-Untersturmführer, verbrachte die letzten Kriegsmonate als Lehroffizier an der SS-Junkerschule in Bad Tölz und wurde nach dem Sieg der Alliierten in Kriegsgefangenschaft genommen und nach Hallein überstellt. Die Urkunde der Beförderung zum Untersturmführer, signiert durch den Reichsführer SS Heinrich Himmler höchstpersönlich, bewahrte Bellschan laut Angaben des Rechercheportals Blick nach Rechts bis zumindest 2005 neben anderen Devotionalien in seiner Wohnung als Andenken auf.

Nach der Kriegsgefangenschaft begann für Bellschan-Mildenburg das, wofür er innerhalb rechtsextremer Milieus in ganz Europa und darüber hinaus bekannt werden sollte: Seine Lebensmission bestand darin, die Waffen-SS als vierten Teil der Wehrmacht zu verharmlosen und die von dem nationalsozialistischen Terror-Regime begangenen Verbrechen öffentlich zu leugnen oder zu relativieren. Nachdem er 1947 als unter einem Pseudonym Studierender der Universität Wien vom US-amerikanischen Geheimdienst als entflohener SS-Kriegsverbrecher enttarnt wurde, floh Bellschan ins Ausland. Über zahlreiche Umwege und Langzeitaufenthalte erreichte er 1986 laut der Gazette abc Paraguay, wo er sich, wie so viele andere Kriegsverbrecher auf dem südamerikanischen Kontinent, niederließ und ein Landstück von 1.000 Hektar erstand. Während er zwar sein Haus in Klagenfurt in der Aichelburg-Labia-Straße 18 bis zu seinem Tod besaß, lebte Bellschan-Mildenburg bis etwa 2017 in der Provinz Ciudad del Este in Paraguay, besuchte Europa mehrmals aus geschäftlichen Gründen, oder um Shoah-Leugnern wie Ernst Zündel vor Gericht beizustehen.

In Paraguay wurde Bellschan – wie mutmaßlich auch in anderen Ländern – durchaus ambitioniert als Geschäftsmann tätig: Er erlangte die Stellung eines Vertreters des staatlichen Bahnbetriebes Cooperativa Ferroviaria, Pdte. Carlos A. López, für europäische Belange. Im Auftrag der Coop. Ferroviaria und der staatlichen Bahngesellschaft Ferrocarriles del Paraguay (Fepasa) verhandelte er unter anderem mit Schweizer Investment-Firmen um den Ausbau und die Neu-Erschließung staatlicher Eisenbahn-Linien ausgehend von der Hauptstadt Asunción – das Verhandlungsvolumen betrug mutmaßlich zwischen 600 und 800 Millionen US-Dollar. Als Geschäftspartner führte Bellschan in einem Interview 2014 den Ingenieur sowie RFJ-, FPÖ– und späteren BZÖ-Politiker Karlheinz Klement an, also jenen wüsten Antisemiten, der auch im EA-Komplex (Europäische Aktion) eine nicht geringe Rolle einnahm, da er 2010 das erste Treffen der EA in Österreich mit führenden NVP-Kadern und Bernhard Schaub ausrichtete. Interessant ist die Beteiligung Klements an den Geschäften Bellschan-Mildenburgs alleine schon deshalb, weil Bellschan wohl zeitnah zur Gründung der Europäischen Aktion auf die Idee kam, in Paraguay einen Millionendeal mit Schweizer Partnern zu realisieren und aktiv für den Bau der Bahnstrecke von Ascunión bis Encarnación zu lobbyieren. Als dieser Plan zu scheitern drohte, schickte Bellschan im ersten Quartal des Jahres 2014 Klement nach Asunción, um das Geschäftsmodell mit Fepasa und der Coop. Ferroviaria zu besprechen. Es ist also anzunehmen, dass Klement schon vor der öffentlichen Bekanntgabe durch Bellschan dessen Geschäftspartner war – warum auch sollte Bellschan wahllos einen Bekannten nach Asunción schicken, um einen Millionendeal auszuhandeln. Schlussendlich dürfte der Deal jedoch gescheitert sein, auch wenn Bellschan noch bis 2017 versuchte, die staatlichen Betriebe in Paraguay vom Gegenteil zu überzeugen. Auch wenn in diesem Komplex viele Fragen offen bleiben, so sind die geschäftlichen Tätigkeiten von Bellschan-Mildenburg in Paraguay auch für den Gegenstandsbereich Rechtsextremismus von potenziellem Interesse, steht doch zur Disposition, ob Gelder aus Bellschans Tätigkeiten in die Finanzierung rechtsextremer Strukturen geflossen sind. Auch wenn Finanzierungsmodelle dieser Art aktuell nicht nachgewiesen werden können, ist es dennoch wichtig auf die Möglichkeit hinzuweisen.

Klement bei einer Gedenkveranstaltung des KAB. Oft in seiner Funktion als Chorleiter der Sängerrunde Emmersdorf.

Rückzug nach Europa, Österreich, Klagenfurt

Um das Jahr 2017 kehrte Bellschan dann, womöglich auch auf Grund gescheiterter Geschäfte, wieder nach Europa zurück und dürfte sich von diesem Zeitpunkt an in Österreich, Ungarn und Deutschland aufgehalten haben. Schon vor seiner permanenten Rückkehr war der Waffen-SS-Veteran gelegentlich nach Europa gereist, so zum Beispiel 2012 und 2016, um am Ulrichsbergtreffen eine Festrede zu halten und auch 2016 am Vortag des Treffens an einer klandestin organisierten Zusammenkunft der Kameraschaft IV in Krumpendorf teilzunehmen, bei der er als Szenegröße hofiert und gefeiert wurde. Auch die bayrische Sektion der neonazistischen Partei Der III. Weg lud Bellschan-Mildenburg 2017 nach München ein, wo er im Gasthof Flügelrad vor versammelten Publikum die Hauptrede des Abends hielt. Ebenso 2017 hielt Bellschan einen Vortrag bei der neonazistischen, vom thüringischen Staatsschutz überwachten Burschenschaft Normannia zu Jena, die der Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG) angehörte, in der sogenannten Wilhelmsburg tagte wie auch im Braunen Haus in Alt-Lobeda, das auch im Kontext des NSU-Komplexes eine wichtige Rolle spielte. 2019 dann erschien Bellschan auf Einladung der langjährigen Unterstützer*innen rund um die Partei Die Rechte in Dortmund, um dort bei der revisionistischen Vortragsreihe „Soldaten berichten“ als „Zeitzeuge“ aufzutreten – eine Delegation von Die Rechte Rhein-Erft hatte im Übrigen bereits 2016 am sogenannten „Kärntner Abend“ der Kameradschaft IV teilgenommen, an der auch Bellschan-Mildenburg anwesend war und partizipierte am darauffolgenden Ulrichsberggedenken, an dem Bellschan eine Festrede hielt.

Bellschan-Mildenburg war über seine Vortragsreihen hinaus mit Altnazi-Szenegrößen vernetzt, die als intergenerationeller Kitt und ideologische Stichwortgeber der europäischen extremen Rechten fungierten und teilweise immer noch fungieren. So sprach sich Bellschan-Mildenburg etwa mehrfach für den wegen Wiederbetätigung verurteilten und 2021 verstorbenen Shoah-Leugner Wolfgang Fröhlich aus, erschien bei dessen Haftentlassung und lies sich mit ihm gemeinsam vor der Justizanstalt Stein in Krems ablichten. Auch mit dem Altnazi, Auschwitz-Leugner und Szeneanwalt Herbert Schaller war Bellschan-Mildenburg befreundet und pflegte außerdem Kontakte zu Akteur*innen der militanten ungarischen Neonazi-Szene. Darüber hinaus verfügte die K IV über gute Kontakte zur nicht mehr existenten ungarischen MNA (Magyar Nemzeti Arcvonal) unter der Leitung von Györkös István snr., wo sie auch an „Heldengedenken“ in Dég teilgenommen hatte.

Bellschan-Mildenburg vor der JV Krems nach der Haftentlassung von Wolfgang Fröhlich.

Die Vernetzung zu europäischen Neonazi-Gruppen bzw. Personen des rechtsextremen Spektrums Europas, sowie Bellschans Ansehen innerhalb der NS-Szene Europas spiegelt sich auch in den vor seinem Grab niedergelegten Kränzen wieder: Ungarische Kameraden widmeten dem Waffen-SS-Soldaten letzte Grußworte und zeigten sich überzeugt, man würde sich in „Valhalla“ wiedersehen, die Familie Larisch widmete Bellschan einen Kranz in den Farben der Reichskriegsfahne und auch die italienischen Neonazis sowie die Vertreter der Kameradschaft IV und die aus Graz und Wien angereisten Neonazis ließen es sich nicht nehmen, dem Kameraden letzte Worte mitzugeben. Auch online mangelte es nicht an einschlägigen Szenebekundungen: Sowohl Die Rechte, Der III. Weg sowie kuruc.info, das antisemitische Portal des Jobbik-Politikers Novák Előd, bezeugten Kondolenz.

SS-Zeugen zwischen Szenekult und Integrationsfunktion

Bellschan-Mildenburgs Wirken reiht sich in eine Tradition der revisionistischen Zeitzeug*innen ein, die für die nach 1945 agierende extreme Rechten in Europa integral gewesen ist. Er war einer von vielen Überlebenden des Weltkriegs, die nach der Kriegsniederlage ihr Leben ungebrochen der Agitation für den Wiederaufbau der NSDAP widmeten und dem „Ruf des Werwolfs“ folgten. Sie nahmen und nehmen innerhalb der extremen Rechten eine wichtige Scharnierfunktion zwischen der Generation, die den Nationalsozialismus noch erlebte und jenen, die erst nach 1945 politisch aktiv wurden, ein und stehen mit ihrer Biografie und ihren Erfahrungen innerhalb der Szene für die unverfälschte Weitergabe der „wahren“ Geschichte. Vortragende wie Bellschan-Mildenburg konnten über den Nationalsozialismus aus erster Hand berichten, Wissen und Kontakte vermitteln und auf bereits etablierte Netzwerke zurückgreifen, die für die Szene von Relevanz waren – von den gesuchten SS-Männern und anderen hochrangigen Mitgliedern der NSDAP, der Gestapo und des Reichssicherheitshauptamtes über die rechtsterroristischen Werwolf-Gruppen bis hinein in die staatlichen Institutionen der neuen Demokratien.

Symbolisch steht für diesen intergenerationellen Schulterschluss die im vom Antifaschistischen Autorenkollektiv in ihrem Standardwerk zur rechtsextremen Organisierung in Deutschland und Österreich enthaltene Abbildung des schwedischen Altnazis Per Engdahl, der kaum mehr fähig zu gehen, sich auf seinem Stock abstützend, die Hand eines stramm stehenden jungen Neonazis schüttelt mit der Unterschrift, Engdahl würde „Vermögen und Kontakte an die ‚Enkelgeneration'“ weitergeben. Das Modell Engdahl wurde in Europa nach 1945, von vielen ehemaligen Spitzenfunktionär*innen wie Otto Skorzeny, Himmlers Tochter Gudrun Burwitz, dem ehemaligen Kommandeur des Wach-Battalions Großdeutschland Otto-Ernst Remer, dem SS-Untersturmführer der Leibstandarte Adolf Hitler Herbert Schweiger oder dem SS-Sonderführer Thies Christophersen praktiziert – sie alle haben die Formierung des organisierten Neonazismus nach 1945 personell und ideologisch geprägt und mit ihren biografischen Erzählungen zur Etablierung der revisionistischen Gegenerzählung beigetragen. Das Antifaschistische Autorenkollektiv charakterisiert diese Riege an Altnazis als „Kartell“, das über legale und illegale Kommunikationsformate verfügte und sowohl den legalen politischen Kampf als auch die klandestine Organisation von NS-Terrorzellen förderte. Zu diesem weit verzweigten Netzwerk an „Ehemaligen“ dürfte auch Bellschan-Mildenburg gezählt haben, der zugleich aber im Vergleich zu anderen Exponenten relativ wenig wahrgenommen wurde. In dem zitierten Band wird sein Name etwa gar nicht erwähnt, was vermutlich auch dem Umstand geschuldet ist, dass er sich lange Zeit im außereuropäischen Ausland aufgehalten hat. Die Erkenntnis über Bellschan-Mildenburgs Involvierung in millionenschwere Geschäfte bei gleichzeitiger bestehender Vernetzung in die Neonazi-Szene Europas wirft allerdings neues Licht auf diesen Sachverhalt und wirft die Frage auf, ob es sich bei ihm um einen Geldgeber beziehungsweise finanziellen Vermittler der rechtsextremen Szene gehandelt hat.

Fest steht in jedem Fall, dass Bellschan-Mildenburg Teil des engen Netzwerkes an „Ehemaligen“ war. In Österreich war der Waffen-SS-Veteran in der Kameradschaft IV organisiert, die als radikalere Schwesterorganisation der deutschen Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS (HIAG) eingestuft werden kann und zu einem späteren Zeitpunkt in dieser Recherche noch im Detail vorgestellt wird. Über die Kameradschaft war Bellschan mit dem bekannten Oberleutnant der Wehrmacht und Szeneanwalt Herbert Schaller eng verunden, sowie mit dem Shoah-Leuner Ernst Zündel. Auch mit dem etwas jüngeren Shoah-Leugner Wolfgang Fröhlich verband Bellschan-Mildenburg eine freundschaftliche Beziehung. Sowohl Fröhlich, als auch Schaller waren im Umfeld beziehungsweise auch als Redner des rechtsextremen Medienkartells Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) aktiv, das als zentrales Medium der militanten rechtsextremen Szene Deutschlands und Österreichs galt. Die Gesellschaft gab die Zeitschrift Das freie Forum heraus, vergab den sogenannten Ulrich-von-Hutten-Preis und wurde von dem aus Heidelberg stammenden Neonazi Peter Dehoust geleitet. Die GfP selbst ging aus der Organisation Deutsches Kulturwerk des europäischen Geistes hervor, die von dem „SA-Barden“ Herbert Böhme gegründet worden war. Der in Österreich gegründete Ableger der DKEG war vordergründig in Kärnten aktiv und wurde von Otto Scrinzi sowie der FPÖ-Politikerin Gerhild Mattuschka geleitet, wobei auch Getraud und Manfred Roeder unterstützende Tätigkeiten übernahmen.

Es ist daher auch alles andere als zufällig, dass die militanten neonazistischen Aktivitäten der neuen Generationen in Deutschland und Österreich auf diesen bereits etablierten Strukturen aufbauten. Die Kameradschaft IV beziehungsweise die darin organisierten Waffen-SS-Veteranen galten als Vorbilder der jungen Neonazis und zogen die Mitglieder des österreichischen Ablegers der Nationalen Front (NF), namentlich Franz Radl jun., Helmut Adolf Schatzmayr, Andreas Thierry, Markus Adam, Georg Lobnig jr. und Ewald Friesacher an, die mittels programmatischen Flugblättern wie „Die Wahrheit über die Waffen-SS“ für die gemeinsame Sache kämpften. In diesen Flugblättern hieß es dann etwa: „Der Helden-Ruhm der Waffen-SS wird auch in den Zeiten der geistigen Leichenschänder überdauern, gleichgültig, was die ewig Heutigen, die Menschenjäger auch versuchen“. Jene jungen Neonazis, die sich im Kampf für die „Wahrheit“  besonders hervortaten, wurden dann zu den Tagungen der alten Generation geladen, konnten dort als Securitys tätig sein oder andere Hilfstätigkeiten ausführen. Bei den, für die internationale Neonazi-Szene wichtigen Gästewochen der DKG, die unter der Führung von Lisbeth Grolitsch, der Grazer Leitern des Freundeskreises Ulrich von Hutten zahlreiche bedeutende rechtsextreme Organisationen Europas an einen Tisch holte, ware somit auch der Nachwuchs in Form von Franz Radl. jr., Helmut Adolf Schatzmayr und Georg Lobnig jr. vertreten.

Doch wichtig zu betonen ist, dass das Versterben der alten Nazi-Größen die Szene durchaus trifft und potenziell schwächt, da mit ihnen zentrale ideologische Bezugspunkte und wichtige Projektionsflächen wegbrechen, die für die identitätspolitische Selbstbestätigung der Szene eine zentrale Schlüsselfunktion eingenommen haben. Dies verdeutlicht sich auch in einem Statement der Redaktion von N.S. Heute, Nr. 19 aus dem November/Dezember 2019, das direkt auf Bellschan-Mildenburg und das Ulrichsberg-Treffen Bezug nimmt und die Leerstelle beklagt, die die „Erlebnisgeneration“ hinterlässt:

Der November ist traditionell der Monat des Gedenkens und des Erinnerns. Am Volkstrauertag gedenken wir all jenen, die während und nach den Weltkriegen für Deutschland starben, und am Totensonntag besuchen wir die Gräber unserer verstorbenen Angehörigen und Freunde. Noch leben auch einige Kameraden, die die Zeit des großen Völkerringens aktiv miterlebt haben – doch es werden leider immer weniger, erst vor wenigen Wochen starb unser lieber Kamerad Karl Münter aus Nordstemmen (Niedersachsen) im Alter von 97 Jahren. Unsere Gastautoren Alex, Christoph und Micha waren für uns beim diesjährigen Ulrichsberg-Gedenken in Kärnten, wo sie auf den letzten noch lebenden Lehroffizier der SS-Junkerschule Bad Tölz, Herbert Bellschan von Mildenburg, trafen.

Der Ahnenkult der extremen Rechten und das inszenierte Märtyrertum derer, die für das NS-Regime ihr Leben gelassen haben, verlangt gewissermaßen nach als authentisch wahrgenommenen Bezugspersonen wie Bellschan-Mildenburg, die der Lüge über den Nationalsozialismus durch ihren väterlich-autoritären Gestus erst den Schein von Wahrheit verleihen können. Zugleich stellt sich mit dem sukzessiven Versterben der Kriegsgeneration die Frage, wie die extreme Rechte diese stark integrierende Funktion der Ehemaligen zu füllen versuchen wird. Hinsichtlich der materiellen Dimension ist damit zu rechnen, dass überzeugte, auch noch nach 1945 für die deutsche Volksgemeinschaft kämpfende Akteur*innen ihr Erbe in der Szene verteilt haben und verteilen werden. Gerade jene, wie Gottfried Küssel oder Franz Radl jr., die sich seit vielen Jahrzehnten dem Kampf für die Wiedererrichtung des Deutschen Reiches einsetzen, dürften als geeignet betrachtet werden, das Vermächtnis der Alten weiterzuführen – auch wenn diese mittlerweile selbst gewissermaßen aus der Zeit gefallen sind. Ob die zweite Generation an Überzeugungstäter*innen über die gleiche politische Strahlkraft verfügt, wie ihre Vorbilder der Kriegsgeneration, wird sich erst zeigen, lässt sich aber doch bezweifeln.

Der KAB, die Kameradschaft der ehemaligen Angehörigen des Gebirgsjäger Regiments 139 (K 139) und die Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes (OdR)

KAB und K 139 bilden die eine Seite des Ehrenspaliers.

Wie bei dem alljährlichen rechtsextremen Treffen am Ulrichsberg waren auch zu Bellschan-Mildenburgs Begräbnis Kameradschaftsgruppen anwesend, die sowohl dem Österreichischen Kameradschaftsbund (ÖKB) als auch dem Kärntner Abwehrkämpferbund (KAB) zuzurechnen sind. Während sich sowohl der ÖKB als auch der KAB traditionell von rechtsextremen Aktivitäten distanzieren und behaupten, sie würden lediglich Gedenk- und Betreuungsarbeit für ihre älteren Kameraden leisten, bestätigt ihre Anwesenheit beim Ulrichsbergtreffen und ihre aktive Rolle bei dem Begräbnis des Waffen-SS-Veteranen Bellschan-Mildenburg, dass es sich um Verbände handelt, die aktiv am rechtsextremen Geschehen Österreichs partizipieren. In vollem Prunk, mit Fahne und Tracht marschierte der KAB unter der Leitung von Wilhelm Überfellner bei dem Gedenken auf, um das Zeremoniell nach den Trauerreden standesgemäß über die Bühne zu bringen. Schon in der Trauerhalle hatten es sich KAB, K 139 und K IV nicht nehmen lassen, neben der Urne im Appell zu stehen und Bellschan-Mildenburg die letzte Ehre zu erweisen und ihm Kränze zu spenden. Anwesend war Peter Stockner, der Obmann der K 139, sowie Thomas Schinnerl, der Schriftführer der Kameradschaft. Die K 139 ist ein aus ehemaligen Wehrmachtssoldaten bestehender Verband, der wie auch Bellschan an der Finnlandfront eingesetzt wurde und zentral in der Schlacht um Narvik aktiv war. Sie ist Teil der ÖKB-Sektion Kärnten und gut mit dem KAB und anderen Akteur*innen, die regelmäßig am rechtsextremen Ulrichsbergtreffen teilnehmen, vernetzt – so auch mit Peter Mussi, dem alten Herrn der aB! Tauriska zu Klagenfurt, der auch am rechtsextremen und mittlerweile verbotenen Ustaša-Gedenken in Bleiburg/Pliberk teilgenommen hatte und wie bereits erwähnt ebenso dem Begräbnis Bellschans beiwohnte.

Neben den beiden österreichischen Kameradschaften und der Kameradschaft IV nahm eine weitere elitäre NS-Ehrenkameradschaft, die Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes an dem Gedenken teil. Die im Jahr 1954 vom Generaloberst der deutschen Luftwaffe Alfred Keller gegründete Vereinigung besteht nur aus solchen Soldaten der Wehrmacht, Luftwaffe oder Marine, welchen das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes, sowie höhere Auszeichnungen, verliehen wurden. Die Orden wurden von Adolf Hitler persönlich ausgehändigt und die Ehrenträger firmierten als Propagandaidole und nahmen an öffentlichen Auftritten, Schulbesuchen und Veranstaltungen der Hitlerjugend teil – manche der Würdenträger besaßen sogar eigene Autogrammkarten. Die Ordensgemeinschaft ist als neonazistisch zu klassifizieren, die in ihren Statuten jene Personen hervorhebt, die sich in besonders großem Ausmaß an der Front für den Nationalsozialismus eingesetzt, oder als Propagandisten der Sache gedient haben. Delegationen der Ordensgemeinschaft nahmen regelmäßig am Ulrichsbergtreffen teil – ihr Erscheinen bei dem Begräbnis von Bellschan-Mildenburg verdeutlicht das hohe symbolische Kapital, über das dieser innerhalb der NS-Szene verfügt haben muss. Im Kontext der Ordensgemeinschaft muss zur Vollständigkeit hinzugefügt werden, dass bis zumindest 2022 der in St. Pölten ansässige Andreas Cesanka der erste stellvertretende Vorsitzende der Ordensgemeinschaft war, dann aber offenbar nicht mehr bestellt wurde und nun als reguläres Mitglied tätig ist. Mit den anderen Kameradschaften gemeinsam trat auch die Kameradschaft IV auf, deren Mitglied Bellschan-Mildenburg war.

Die K IV – rechtsextreme Kameradschaft und Schwesterorganisation der HIAG

Die K IV im Spalier gegenüber von KAB und K 139 am Vorplatz.

Bei dem Bundesverband der Kameradschaft IV handelte es sich um eine 1954 gegründete rechtsextreme Veteranenorganisation ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS, die sich in der Nachkriegszeit vor allem durch ihren Revisionismus und die Relativierung und Rechtfertigung der Taten und der Rolle der Waffen-SS im NS-System hervortat. Entgegen der Klassifizierung der Waffen-SS als verbrecherische Organisation durch den Internationalen Militärgerichtshof (IMG) im Rahmen der Nürnberger Prozesse, hielten die Repräsentanten und Mitglieder der K IV daran fest, es hätte sich bei den militärischen Verbänden der Waffen-SS neben Heer, Luftwaffe und Marine bloß um einen vierten Teil der Wehrmacht gehandelt – ein Rehabilitierungsversuch, der nicht nur hinsichtlich der Verharmlosung der Waffen-SS historisch falsch ist, sondern in doppelter Verleugnung außerdem die Beteiligung der deutschen Wehrmacht an der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten in deutsch-österreichischer Tradition zur Disposition stellte. Wie Anna Giulia Fink unter Verweis auf die historischen Primärquellen belegt, warnte bereits 1955 der Kärntner Friedensrat in einem Rundschreiben davor, dass „es sich bei diesem SS-Verband nicht um eine österreichische Kameradschaftsgruppe handeln kann, sondern um eine Gruppe zur Fortführung der großdeutschen Hitlertraditionen“ – eine Einschätzung, die sich auch heute noch bestätigt.

Trotz der Warnungen etablierte sich unter anderem durch die rege Unterstützung des Kameradschaft vom Edelweiß Mitglieds Balsius Scheicher, dem ehemaliger Vizebürgermeister von Klagenfurt und Mitbegründer der Ulrichsberggemeinschaft, die Kameradschaft IV als erfolgreicher Kameradschaftsverband in Österreich, der über eine hohe Zahl an Mitgliedern, die in relativ autonomen Ortsgruppen und Landesverbänden organisiert waren, verfügte. Als zentrales Publikationsorgan der K IV fungierte die von Günther M. K. Glotz herausgegebene und 2005 eingestellte Zeitschrift Die Kameradschaft, deren Inhalte im Rahmen einer Analyse durch das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) als rechtsextrem bis neonazistisch eingestuft und die Kameradschaft daher auch 1992 wegen der Überschreitung der Vereinsstatuten und rechtsextremer Tätigkeiten angezeigt wurde – eine Einschätzung, die im Übrigen der damals amtierenden Innenminister Franz Löschnak bestätigte, in dem er der Kameradschaft IV die Verharmlosung des NS-Regimes und die Glorifizierung der SS attestierte und eine vereinsrechtliche Überprüfung initiierte.

Auch wenn bezüglich dieser Charakterisierung der K IV weitgehend Einigkeit herrschte, wurde der Herausgeber von Die Kameradschaft, Günther Glotz, freigesprochen und ein Vereinsverbotsverfahren in Folge ruhig gestellt. Das Innenministerium versicherte vor diesem Hintergrund, die Kameradschaft weiterhin zu beobachten und bei neuen Indizien erneut gegen diese vorzugehen. Ein weiteres Vorgehen gegen die legalen Bundesstrukturen erübrigte sich aber insofern, als es im Oktober 1995 zu freiwilligen Selbstauflösung des Bundesverbandes kam. Für die Organisationsentwicklung des österreichischen Rechtsextremismus nach 1945 war infolge dieser Auflösung allerdings von Bedeutung, dass mit dem offiziellen Ende des Bundesverbandes nicht automatisch die Auflösung der relativ autonomen Landesverbände der Kameradschaft IV einherging.

Der politische Charakter der Kameradschaft IV zeigte sich auch an dem Umstand, dass diese entgegen der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS (HIAG), dem deutschen Pendant der K IV, nicht nur als Veteranenorganisation auftrat, sondern auch aktiv Mitglieder für den Verband rekrutierte, die nicht Teil der Kriegsgeneration waren. Dieser Erhaltungsanspruch führte 1991 durch eine Initiative des Landesverbandes Steiermark und Südburgenland auch zu einer Änderung der Vereinsstatuten, sodass neben ehemaligen Soldaten der Weltkriege nun insgesamt „ehemalige und aktive Soldaten“ Mitglieder werden konnten. Trotz dieser großflächigen Öffnung der Kameradschaft IV, nahmen über die Jahre die Mitgliedszahlen doch stark ab, sodass ab den 1990er-Jahren die Landesverbände sukzessive aufgelöst wurden: 1994 der Landesverband Tirol, 2005 der in Wien, 2008 der Landesverband Salzburg. Die einzige Ausnahme bildete der Landesverband Steiermark und Südburgenland, der bis heute besteht und Drehscheibe und Netzwerkknoten des organisierten Rechtsextremismus in Österreich und insbesondere in der Steiermark ist.

Die Kameradschaft IV Landesgruppe Steiermark-Südburgenland

Der K IV Landesverband Steiermark-Südburgenland nimmt innerhalb der Geschichte der Kameradschaft IV eine zentrale Rolle ein, handelte es sich doch stets um den aktivsten und mitgliederstärksten Landesverband der Kameradschaft IV, der mit dem oberösterreichischen Landesverband auch über die meisten Ortsgruppen verfügte. Der Landesverband Steiermark-Südburgenland war entgegen dem Bundesverband außerdem auch vor 1991 statutarisch für Mitglieder geöffnet, die nicht in den Weltkriegen dienten. In den Statuten des Verbandes werden Ziel und Zweck dabei in Paragraph 2 wie folgt bestimmt:

Förderung des traditionellen Kameradschafts, Vaterlands, Heimat und Kulturgedankens unter den ehemaligen Angehörigen aller Wehrmachtsteile der deutschen Wehrmacht und den Teilnehmern des I. Weltkrieges, sowie deren Angehörigen und Nachkommen, den Angehörigen und ehemalig Angehörigen des österreichischen Bundesheeres, Pflege der Kameradschaft unter den Mitgliedern, Zusammenarbeit mit Organisationen die der EuropaIdee dienen, sowie anderen Kameradschaften der Teilnehmer am I. und II. Weltkrieg, sowie am Kärntner Abwehrkampf.

Gerhard Kurzmann mit dem Neonazi und ehemaligen FPÖ-Lokalpolitiker Hans Ploderer.

Hinsichtlich der Mitglieder sind (neben dem derzeitigen statutarischen Leitungsgremium, bestehend aus: Ludwig Wagner (Vorsitzender), Walter Vortisch (Stv. Obmann) und Gustav Bayer (Stv. Obmann)) prominente Personen aus dem FPÖ-Umfeld wie der ehemalige FP-Landesparteiobmann Gerhard Kurzmann, oder der FPÖ-Gemeinderat und bürgerwehr-affine ehemalige Bundesheeroberst, Teutone und Publizist Helge Endres, vertreten. Gerade Gerhard Kurzmann wird uns in dieser Recherche noch an anderer Stelle begegnen, stellte er sich wiederholt schützend vor rechtsextreme und neonazistische Akteur*innen des steirischen Neonazi-Milieus und nahm stets eine zentrale Vermittlerrolle an der Schnittstelle der steirischen FPÖ zum organisierten außerparlamentarischen Rechtsextremismus ein.

Hans Ploderer mit „Skinheads Steiermark“-Shirt in der Silvana-Bar 2010.

Dass es sich gerade bei dem steirisch-südburgenländischen Ableger der Kameradschaft IV um einen intergenerationellen Verband handelt, in den relevante Akteur*innen der rechtsextremen Szene Österreichs eingebunden sind, die die revisionistische Tradition ihrer an der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie partizipierenden „Kameraden“ bis heute fortsetzen, konnte bei dem Gedenken an Bellschan gut beobachtet werden. Während die Gedenkstätte selbst mit den Wappen und Fahnen der Kameradschaft IV geschmückt war, salutierten neben den älteren Kameradschaftsmitgliedern auch zwei bekannte rechtsextreme Akteure, die fester Teil des in Österreich organisierten Neonazismus sind. Wenn sie nicht Mitglieder des revisionistischen Verbandes sind, so stehen sie doch zumindest in einem eindeutigen Naheverhältnis zu diesem: Hans Ploderer und Thobias Faethe.

Die Obersteiermark-Connection

 

Bei Hans Ploderer handelt sich um einen der führenden Köpfe der obersteirischen Neonazi-Szene und einen ehemaligen FPÖ-Funktionär, der bereits in den 2010er-Jahren wegen seines offenen Bekenntnisses zum Nationalsozialismus mediale Aufmerksamkeit erhielt. Die späten 2000er-Jahre waren in der Steiermark insgesamt durch das zunehmend militante und neonazistische Auftreten einiger RFJ-Mitglieder und Funktionäre sowie durch deren Kontakte in das subkulturelle Neonazi-Milieu geprägt, deren Aktivitäten von der damaligen FPÖ-Führungsriege rund um Gerhard Kurzmann, wenn nicht sogar geschützt, so doch eindeutig geduldet wurden – einige der zum Teil außerordentlich gewalttätigen Aktionen werden in dieser Recherche noch thematisiert werden, weil die damaligen Aktivisten heute noch Teil des organisierten Rechtsextremismus sind und bei dem Gedenken an Bellschan teilweise auch personell vertreten waren.

Zwei Exemplare der „Sammlung“ Ploderers.

In der Obersteiermark galt Mariazell zu dieser Zeit und inbesondere die von Silvana Wallmann, der damaligen Jugendreferentin der FP-Ortsgruppe Mariazell, geführte „Silvanabar“ als beliebter Szenetreffpunkt der regionalen Neonazi-Szene. Auf der Facebook-Seite der Bar konnte man Fotos von feiernden Skinheads mit T-Shirts der rechtsextremen Bands „Landser“, „Skrewdriver“ und auch „Faustrecht“ sehen. Einige der Neonazis wurden auch bei dem Zeigen des Hitlergrußes abgebildet. Von einem 2007 in der Silvanabar stattgefundenen Konzert der Neonazi-Band „Agiator“ tauchten weiters Fotos auf, die unter anderem Hans Ploderer zeigten, der in dieser Zeit auch als FP-Spitzenkandidat von St. Sebastian im Bezirk Bruck an der Mur kanditierte. Auf einem der Fotos war Ploderer in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Skinheads Steiermark“, dem steirischen Wappen und einem SS-Totenkopf zu sehen, die durch Recherchen von Grazer Antifaschist*innen an die Öffentlichkeit gelangten. In selbigen Recherchen wurde auch publik gemacht, dass Dominik Ungerböck, der Schriftführer der FPÖ-Ortsgruppe auf der Seite der FPÖ-Ortsgruppe selbst in einer Jacke mit Lorbeerkranz und der neonazistischen Zahlenkombination 88 („Heil Hitler“) posierte.

Lange Freundschaften prägen das obersteirische Neonazi-Milieu. V.l.n.r.: Ungerböck, Ploderer, Tobias Weissensteiner (siehe unten).

Bei den Skinheads Steiermark handelte es sich um eine konspirativ organisierte Gruppe nach dem Vorbild von Blood & Honour, die in der Steiermark und Umgebung Rechtsrock-Konzerte veranstaltete und sowohl im In- als auch Ausland an Szeneveranstaltungen teilnahm. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Hans Ploderer tonangebend in die Gruppe involviert war, tauchte sein Name in vielen Zusammenhängen, unter anderem auch im Rahmen eines Hacking-Angriffs, im Verzeichnis eines internationalen B&H-Forums auf. Ein weiterer Akteur der obersteirischen NS-Szene, der ebenfalls bei dem Gedenken an Bellschan neben Küssel und Konsorten teilnahm und in den letzten Jahren bei internationalen Neonazi-Vernetzungstreffen wie dem Tag der Ehre in Budapest im Gleichschritt mit Andreas Linhart identifiziert wurde, ist Martin Ploderer, der mutmaßliche Bruder von Hans Ploderer. Auch wenn die Obersteiermark vor allem in den 2010er-Jahren durch eine aktive Neonazi-Szene aufgefallen ist, belegt die Anwesenheit der Ploderer-Brüder, dass diese nach wie vor Teil der NS-Szene sind, auch wenn sie vorsichtiger geworden sind und nach außen hin nicht mehr mit derselben Militanz auftreten wie in ihren Jugendjahren.

Martin Ploderer (rote Jacke) neben Andreas Linhart 2020 beim Beginn des Ausbruchsmarsches.

Die Teilnahme an der Gedenkveranstaltung, internationalen Vernetzungstreffen der Neonazi-Szene und die Partizipation an Demonstrationen belegen, dass die obersteirische Zelle nach wie vor aktiv ist und auch gute Kontakte zu den „Ehemaligen“ pflegt – Hans Ploderer hat sich mehrmals mit Bellschan selbst ablichten lassen und fühlt sich offenbar dazu verpflichtet, sich in die revisionistische Tradition der „Erlebnisgeneration“ zu stellen. Neben den Kontakten zum Kameradschafts-Milieu sind die Ploderer-Brüder außerdem eng über obersteirische Kameraden aus der Jugendzeit mit neonazistischen Hooligans der Alten Garde (AG) des SK Rapids vernetzt. Dabei dürfte der Kontakt primär über drei Kameraden laufen, die – wie die Ploderer Brüder – aus der Obersteiermark stammen und wohl dem Skinhead-Milieu der Silvana-Bar zugerechnet werden können: Andreas Durchlaufer und eine Person, die unter dem Spitznamen „Zrissl“ bekannt ist, sowie Mario Schliber, der wohl nicht als Mitglied der AG aktiv ist, sich aber in deren Umfeld bewegt.

Während die obersteirischen Kameraden ihre Gesinnung mittlerweile nicht mehr mit der gleichen Aggressivität nach außen tragen wie in ihren Jugendjahren, besteht dennoch kein Zweifel hinsichtlich ihrer rechtsextremen Weltanschauung. Neben der Selbstbeschreibung als „Kategorie C“ und der Vernetzung in das rechtsextreme Hooligan-Milieu treffen sich die alten Kameraden auch gerne für Bergwanderungen oder Leistungsmärsche in den obersteirischen Wildalpen oder auch in Ungarn: Einem Foto kann etwa entnommen werden, dass Martin Ploderer, „Zrissl“ und Schliber im Rahmen der neonazistischen Festivitäten rund um den „Tag der Ehre“ am 10. Februar gemeinsam einen 60 Kilometer langen „Aufbruchsmarsch“ bestritten haben – gemeinsam mit dem ebenso aus Mariazell stammenden Neonazi Tobias Weissensteiner und dem hinlänglich bekannten Wiener Neonazi Wolfgang Lechner, der sich seit vielen Jahren im direkten Umfeld Gottfried Küssels bewegt. Die obersteirische Zelle rund um die Ploderers hat sich also keineswegs aus dem organisierten Rechtsextremismus zurückgezogen, sondern partizipiert weiterhin aktiv an neonazistischen Events und ist bestens in den organisierten Rechtsextremismus vernetzt.

V.l.n.r.: Schliber, Weissensteiner, „Zrissl“, Ploderer, Lechner.

Von der Danubia in die Ostmark

Die zweite Person, die neben Hans Ploderer mit den alten Mitgliedern der Kameradschaft IV bei der Gedenkveranstaltung für Bellschan salutierte, war Tobias Faethe, ein aus Deutschland stammender Neonazi, der nun schon seit einigen Jahren in der Steiermark lebt und in die dort ansässige völkische NS-Szene involviert ist. Faethe wurde in den letzten Jahren bei Veranstaltungen der Identitären Bewegung (IB), wie etwa der Demonstration am 16.11.2015 gemeinsam mit dem ehemaligen Grazer FP-Vizebürgermeister Mario Eustacchio, dem Identitären Peter Dingsleder und dem Grazer FP-Gemeinderat mit intensiven Kontakten in das neofaschistische Milieu Heinrich Sickl in Spielberg gesehen. Auch am bereits erwähnten Tag der Ehre im Jahr 2020 marschierte Tobias Faethe mit anderen österreichischen Neonazis wie Richard Pfingstl, Christoph Schober und Benni Wolf uniformiert und im Gleichschritt mit hunderten Neonazis aus ganz Europa durch Budapest. Für die Einordnung von Tobias Faethe ist weiters wichtig zu wissen, dass der als Entwicklungsingenieur bei Siemens Graz (mutmaßlich in der Suspensionsabteilung) tätige Aktivist bereits vor seinem Umzug nach Österreich in Deutschland rege in die organisierte extreme Rechte eingebunden war.

Vorne Faethe, rechts dahinter Schober, verdeckt hinter Schober, Wolf, mit Brille links hinter Schober Pfingstl beim Tag der Ehre 2020.

Faethe war Sprecher der Burschenschaft Danubia München, in der viele Rechtsextreme Kader wie Walter Post, Karl Richter, Michael Vogt und Hans-Ulrich Kopp Mitglieder waren bzw. sind. Die Burschenschaft Danubia wird vom bayrischen Verfassungschutz als „rechtsextremistische Organisation“ eingestuft und tat sich in der Vergangenheit nicht nur durch die rechtsextreme bis neonazistische Weltanschauung ihrer Mitglieder, sondern auch ihre Verbindungen zu rechtsterroristischen Akteur*innen hervor. Der im Jänner 2001 stattgefundene rassistische Mordversuch von 18 rechtsextremen Schlägern an dem Griechen Artemios T. ging etwa von Gästen einer gemeinsamen Feier des Danubia-Burschenschafters Reiner Mehr und dem Rechtsterroristen Martin Wiese aus. Auch der zu 6 Jahren Haft verurteilte Neonazi Christoph Schulte konnte sich im Haus der Danubia verstecken, bevor er sich in den Niederlanden absetzte um den deutschen Behörden zu entkommen. Dass Tobias Faethe Sprecher der Danubia war und nun in Österreich in die neonazistische Szene involviert ist, ist also alles andere als ein Zufall, sondern bestärkt die Einschätzung, dass es sich bei ihm um einen hochideologisierten und potenziell gefährlichen Neonazi mit guten Verbindungen nach Deutschland handelt.

Neben seiner Tätigkeit für die Burschenschaft Danubia München war Faethe außerdem laut der Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (a.i.d.a.) in der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) aktiv, einem neonazistischen Jugendverband der militärische Sommerlager für Kinder und Jugendliche abhielt und im März 2009 behördlich verboten wurde. Vor diesem Hintergrund ist es auch wenig verwunderlich, dass Faethe in Österreich Kontakte zu alteingesessenen Neonazis wie Gottfried Küssel und Franz Radl, aber auch jüngeren Aktivisten der NS-Szene wie Richard Pfingstl pflegt, die bereits als Jugendliche bei den Sommerlagern des 2007 aufgelösten Bund Freier Jugend (BfJ) teilnahmen – das österreichsiche Äquivalent zur HDJ und die Jugendorganisation der Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AFP), eine der zentralen Drehscheiben des organisierten Rechtsextremismus in Österreich nach 1945. Schon in der Zeit vor den behördlichen Vereinsverboten bestanden grenzübergeifende Kontakte zwischen den beiden neonazistischen Jugendorganisationen. Im Falle der in dieser Recherche behandelten Akteur*innen, bestehen diese auch heute noch.

Alpen-donau.info Graz und Wien – Abwesenheit mit Ausnahmen

Dass auch Neonazis aus der Organisationsriege von alpen-donau.info beim Begräbnis von Bellschan-Mildenburg Präsenz zeigen würden, war durchaus erwartbar – hervorgehoben werden sollte aber eher die auffallende Abwesenheit vieler amtsbekannter Akteur*innen aus diesem Umfeld. Dass es sich weder Gottfried Küssel noch Franz Radl jr. nehmen lassen würden, beim Heldengedenken teilzunehmen und gemeinsam mit dem jungen Neonazi, der aus den Reihen von SoJ und CQ stammt, aus Wien in Küssels Dacia anzureisen, liegt auf der Hand. Küssels Auftritt lässt ferner ahnen, dass er sich weiterhin als Führer des österreichischen Neonazismus fühlt und inszeniert und Radl nach wie vor in der ihm seit jeher zugeteilten Rolle des „Leibfuchs des Küssel“ agiert – wie es in alten Ermittlungsakten hieß. Dennoch ist im Falle Wiens auffällig, dass zahlreiche langjährig aktive Kader absent waren: So etwa Wolfgang Lechner, Andreas Linhart, Paul Blang, Thomas Cibulka sowie diverse deutschnational-nazistische Burschenschafter, die sich im Umfeld Küssels bewegt haben. Womöglich versuchen die genannten Personen nicht allzu auffällig am Szene-Geschehen mitzumischen, stehen sie doch aktuell am Radar der Behörden und müssen beziehungsweise mussten sich vor dem Gericht verantworten.

Entgegen der Abwesenheit vieler amtsbekannter Neonazis war der ebenso bereits seit vielen Jahren als rechtsextremer Aktivist bekannte Christoph Schober aus Graz-Umgebung angereist, dessen politische Aktivitäten so wie die der obersteirischen Neonazis rund um Hans Ploderer in den 2010er Jahren das erste mal dokumentiert wurden. Der am 30. März 1990 in Graz geborene und aktuell als Stahlbautechniker in Gratwein arbeitende Christoph Schober bewegte sich in seinen Jugendjahren im Umfeld der steirischen Neonazi-Aktivisten von Alpen-Donau.info und war maßgeblich an den brutalen Attacken im Rahmen einer Geburtstagsfeier am 30. Jänner 2010 in dem Grazer Lokal Zeppelin und den Übergriffen bei einem Public-Viewing-Event im Rahmen des WM-Spiels Deutschland gegen Ghana am 23. Juni 2010 in der Grazer Innenstadt beteiligt. Schon im Mai 2009 waren RFJ-Mitglieder in Bomberjacken am Grazer Hauptplatz bei einer FPÖ-Kundgebung mit Hitlergrüßen aufgefallen, bevor sie mit dem vielfach erwähnten FP-Landesobmann Gerhard Kurzmann Bier trinken gingen. Obwohl Kurzmann während der Kundgebung neben den RFJ-Nazis fotografiert wurde, wollte er auf Medienanfragen nichts über die Hitlergrüße seiner jungen Kameraden wissen – ein altbekanntes Muster.

Zu den Attacken unter Schobers beteiligung selbst: Gemeinsam mit u.A. dem ehemaligen RFJ-Mitglied und amtsbekannten Neonazi Richard Pfingstl, dem ehemaligen Obmann der RFJ-Deutschlandsberg, Burschenschafter und mittlerweile im Umfeld der Identitären Bewegung angekommenen Stefan Juritz, seinem ebenso korporierten Bruder Christian Juritz und dem Neonazi-Kickboxer Gerhard Taschner attackierte Schober am Abend des 30. Jänner 2010 mehrere Personen, die sich bei einer Geburtstagsfeier in dem Grazer Lokal Zeppelin zusammengefunden hatten. Als Reaktion darauf, dass die Geburtstagsgäste den Anti-Nazi-Song „Schrei nach Liebe“ abspielten, positionierten sich die halbuniformierten Neonazis mit gehobenem Arm in dem Lokal und antworteten mit dem verbotenen Horst Wessel Lied und Heil-Hitler-Rufen. Daran anschließend griffen die Neonazis die Partygäste an und fügten diesen durch gezielte Faustschläge und Tritte gegen den Kopf und Oberkörper schwere Verletzungen zu. Das Resultat der brutalen Attacke: Nasenbeinbruch, der Bruch beider Augenhöhlen, der mehrfache Bruch des Nasenbeines, Prellungen und Blutergüsse bei einem der Opfer sowie zahlreiche Prellungen und Blutergüsse bei den anderen und schwere psychische Folgeschäden bei den Attackierten bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung.

Auch hier herrschen lange Bekanntschaften vor: Ganz rechts Taschner neben dem jungen Pfingstl, im braunen Hemd Küssel und neben ihm Budin bei einem Sommerlager des BfJ 2010.

Dass es sich bei diesem Übergriff um keinen spontanen Raufhandel handelte, sondern um die vorsätzliche politische Gewalt militanter Neonazis belegt der Umstand, dass einige der Beteiligten inklusive Richard Pfingstl und Christoph Schober bereits am 23. Juni 2010 bei einem Public-Viewing-Event erneut zuschlugen. Die Parolen „SS-SA die Wehrmacht ist da“, „SS-SA wir sind wieder da“ rufend attackierten die Neonazis einen Zuseher bei dem Event und fügten ihm unter Todesdrohung eine schwere Körperverletzung zu. Seit den Attacken sind 12 Jahre vergangen und doch sind einige der damals militant auftretenden Aktivisten nach wie vor aktiv. Christoph Schober wurde etwa gemeinsam mit Richard Pfingstl und dem Neonazi-Nachwuchs der Roten Armee Graz (RAG) rund um Benni Wolf, einem großteils rechtsextremen Fanclubs des Grazer GAKs, in alpen-donau.info-Shirt beim Schild und Schwert-Festival im April 2018 in Ostritz gesehen (auch wenn Schober selbst eine Jacke über seinem T-Shirt trägt, ist davon auszugehen, dass er ebenso den alpen-donau.info-Aufdruck trug, hatten alle anderen angereisten Kameraden doch dasselbe T-Shirt an). Wäre dies nicht ohnehin Beweis genug, reiste Schober mit Pfingstl und Wolf zum „Ausbruchsmarsch“ während der „Feierlichkeiten“ rund um den Tag der Ehre 2020 nach Budapest, um die 60 Kilometer in paramilitärischer Kleidung zu bestreiten. Auch Christoph Schober ist also ein alter Bekannter, der nach wie vor im rechtsextremen Milieu mitmischt und an internationalen Großevents der Neonazi-Szene und klandestinen Gedenken wie der an den Waffen-SS-Veteranen Bellschan-Mildenburg partizipiert.

Hier besser sichtbar: Wolf neben Pfingstl, davor wieder Schober und Faethe.

Neben Christoph Schober war ein weiterer rechtsextremer Aktivist aus Graz beziehungsweise Graz-Umgebung bei dem Gedenken an Bellschan-Mildenburg anwesend: Peter Dingsleder. Wie die Kolleg*innen von Recherche Graz bereits aufgearbeitet haben, bewegte sich Peter Dingsleder seit ihrer Gründung 2012 in den Strukturen der steirischen Identitären Bewegung. Dingsleder nahm bei so gut wie allen Aktionen der IB in der Steiermark teil und wurde wegen der Besetzung der Grünen Parteizentrale auch im Rahmen der IB-Prozesse angezeigt. Er agierte als Kassier des identitären Verein für nachhaltige Völkerverständigung und Jugendarbeit und nahm innerhalb der IB Steiermark eine zentrale Rolle ein. Entgegen den meisten rechtsextremen Akteur*innen aus der Steiermark war/ist Dingsleder nicht innerhalb der RAG des GAKs organisiert, auch wenn er mit deren Umfeld über den organisierten Neonazismus Kontakt hat, sondern kommt aus dem Umfeld der Leibnitzer SK Sturm Fan-Szene (SWS), wurde aber schon seit längerem nicht mehr im Stadion beziehungsweise in Fußballzusammenhängen gesehen.

Stockner nach dem Gespräch mit Dingsleder, direkt hinter der Gruppe um Küssel.

Neonazismus aus Leipzig: Familie Larisch und Bellschan-Mildenburg

Dass die alpen-donau.info-Kerngruppe aus Wien Kontakte nach Deutschland hat, ist bekannt. Im gegenständlichen Fall beschäftigt uns konkret jene Connection von Gottfried Küssel nach Leipzig, die schon oft zu Zusammenkünften am Ulrichsberg führte: Zentraler Knotenpunkt ist der Leipziger Neonazi Riccardo Sturm, der neben Küssel auch Hans-Jörg Schimanek jr. zu seinen Bekannten zählt. Schimanek jr., der schon seit seiner vorzeitigen Haftentlassung 1999 in Sachsen wohnhaft ist, betreibt eine Baufirma in Leipzig Lindenthal, ist aber seit seinem letzten Auftritt am Ulrichsberg kaum mehr öffentlich zu sehen. Die Genese Sturms sparen wir hier aus, wollen aber auf die zahlreichen Artikel im AIB zur Person Sturms verweisen – wichtig ist für die vorliegende Analyse seine Begleitung am Ulrichsberg 2017: Dort erschien er u. a. mit dem Leipziger NPD-Langtagsabgeordneten Nils Larisch und dessen Ehefrau Conny Larisch.

Larisch ist im Raum Sachsen durchaus als Szenegröße zu begreifen und sein neonazistischer Werdegang lang: politischer Ursprung in der neonazistischen Hooligangruppierung Blue Caps Lok, darüber hinaus Mitbegründer von Lokomotive Leipzig, über die Szene Kontakt zum Blue Caps-Capo Enrico Böhm. Auch Böhm ist in der NPD aktiv, genauer in der Odermannstraße 8, saß für die NPD im Leipziger Stadtrat und betreibt den nazistischen Buchversand Der Schelm. 2014 dann tritt Larisch mit dem Leipziger Neonazi Mirko Beier als Organisator eines Lunikoff Verschwörung-Konzerts in Zobes, Sachsen, auf – er wickelt den Kartenvorverkauf selbstständig ab, während die Rechte das Konzert offiziell ausrichtete. Dass Larisch mit der Band mehr als nur die Organisation dieses Events verbinded, beweist seine Leitung des in Leipzig ansäßigen Hermannsland-Versandes: Offizielle angemeldet hat das Label zwar ex-Spreegeschwader-Mitgründer Alexander Gast, der nun mit Michael Regener bei Lunikoff Verschörung spielt, im Impressum allerdings wird als Betreiber Nils Larisch und die Odermannstraße 8 genannt – Larisch dürfte so eine durchaus zentrale Rolle im Vertriebsnetzwerk von Regener einnehmen.

Dass Larisch seine politische Agitation offenbar auch auf das Unterstützen von bedeutenden Altnazis ausdehnt, zeigt u. a. die Lancierung einer Kampagne für den Kriegsverbrecher und ehemaligen SS-Hauptsturmführer Erich Priebke: Im Rahmen einer Reihe von „Zeitzeugen“-Vorträgen in der Odermannstraße 8 präsentierte Larisch die Kampagne „Freiheit für Erich Priebke“, bewarb u. a. Solidaritäts-Shirts und einen eigens etikettierten Wein, der sich – besonders originell – „Erich Priebke Wein“ nannte. Larischs Kampagne endete unfreiwillig erfolglos, als Priebke 2013 verstarb. In diesen Rahmen passt auch die Beziehung der Familie Larisch zu Bellschan-Mildenburg: Auffälig ist, dass Larisch beim Verlassen der Zeremonienhall weint – als einziger (und Nicht-Familienanghöriger, wie etwa Elke Bellschan-Mildenburg). Schon 2017 hatte Larisch fröhlich zusammen mit Bellschan-Mildenburg und Sturm am Ulrichsberg posiert – offenbar waren die Verbindungen Larischs zu Bellschan ausführlich und gut. Das verdeutlicht auch der Kranz, den die Familie eigens spendete, in den Farben der Reichskriegsfahne und mit letzten Wünschen von „Nils und Conny“.

Nachbetrachtung und Ausblick

Was bleibt vom Begräbnis des einflussreichen „Zeitzeugen“ der Waffen-SS ist zweifelsohne die Bestätigung, wie intergenerationell und transnational vernetzt die rechtsextreme Szene Österreichs ist und dass es weiterhin wenige Bruchlinien zwischen Kameradschaften von Ehemaligen, neonazistischen Aktivist*innen, die sich schon seit den Anfängen der transnationalen Organisation rund um die NSDAP-AO nazistisch betätigen und einer jungen Generation, die sich durch hohe Gewaltaffinität und einen starken direkten ideologischen Bezug auf den NS auszeichnet, gibt. Ganz im Gegenteil werden bei Veranstaltungen wie dem Gedenken an Bellschan-Mildenburg personelle Kontinuitäten und Überschneidungen sichtbar, die den organisierten Rechtsextremismus in Österreich kennzeichnen. Wichtig ist auch die Feststellung, dass solche Szene-Veranstaltungen deutlich werden lassen, dass sich viele der langjährig Aktivist*innen vielleicht oberflächlich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen haben, aber nach wie vor einer neonazistischen Weltanschauung anhängen, sowie weiterhin Kontakte in den organisierten Rechtsextremismus pflegen.