Die Palästina Solidarität Österreich zwischen Antisemitismus, Islamismus und Antiimperialismus. Pro-palästinensische Mobilisierungen seit dem 7. Oktober 2023.

Einleitung

Seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas und anderer militanter palästinensischer Gruppierungen auf Israel und der darauffolgenden militärischen Intervention der israelischen Regierung im Gazastreifen ist Europa zum Schauplatz pro-palästinensischer Massenmobilisierungen mit der regen Beteiligung islamistischer und antisemitischer Akteur*innen geworden. Während der 7. Oktober 2023 für die einen als der größte koordinierte Massenmord an Jüdinnen*Juden seit 1945 in die Geschichte einging, verklärten andere die systematische Ermordung, Schändung, Vergewaltigung und Entführung von jüdischen und nicht-jüdischen Zivilist*innen als „kraftvollen“ Akt des palästinensischen Widerstands.

Anstatt den gezielten Angriff der Terrororganisation Hamas als Ausdruck der von dieser seit ihrer Entstehung propagierten antisemitischen Vernichtungsideologie zu erkennen und bedingungslos zu verurteilen, folgten von vielen bald Relativierungen und Täter-Opfer-Umkehrungen als Rationalisierungsversuche der Verbrechen. Wie es immer der Fall ist, wenn sich der Konflikt im Nahen Osten zuspitzt, brach in den Tagen und Wochen nach dem 7. Oktober auch eine Welle des offen artikulierten Antisemitismus über Europa herein, von der Jüdinnen*Juden real bedroht und betroffen sind – die zahlreichen dokumentierten antisemitischen Äußerungen, Übergriffe und Anschläge auf jüdisches Leben in Europa und auch in Österreich belegen dieses historisch eingeübte Muster.

Wie diese Recherche zeigt, konnten auch bei vielen Schlüsselpersonen der pro-palästinensischen Proteste in Österreich Verharmlosungen und antisemitische Deutungen der Geschehnisse dokumentiert werden. Sie prägen mit ihren Reden, Postings und organisatorischen Funktionen die öffentlichen Veranstaltungen und tragen wesentlich dazu bei, dass diese weniger als glaubwürdige Solidaritätsbewegung mit der palästinensischen Bevölkerung verstanden werden sollten, denn vielmehr den Charakter einer antizionistischen und antisemitischen Mobilisierung angenommen haben. Auch lassen viele der zentralen in Österreich mobilisierenden Akteur*innen eine glaubhafte Distanzierung von der systematischen und auf die Vernichtung Israels gerichteten Gewalt der Hamas vermissen oder befürworten diese gar. Die palästinensische Zivilbevölkerung, die aktuell unter katastrophalen humanitären Bedingungen um ihr Leben kämpft, wird damit einmal mehr zum Spielball ideologischer Verklärung. Selten wird tatsächliche Trauer um die Zivilbevölkerung artikuliert, ohne diese in den Dienst von Hamas-Propaganda zu stellen.

Diese Recherche versteht sich zugleich nicht als Debattenbeitrag zu der Frage, wie und in welcher Form Protest gegen die israelische Regierung und ihre politischen und militärischen Entscheidungen legitim oder auch notwendig ist. In den letzten Jahren sind hunderttausende Israel*innen regelmäßig auf die Straße gegangen, um für den Erhalt der israelischen Demokratie einzustehen und sich gegen die rechtsextreme Regierungskoalition unter Benjamin Netanyahu auszusprechen. Auch in Europa und in Wien haben jüdische Gemeinden und Organisationen zu Solidaritätskundgebungen mit der israelischen Demokratiebewegung aufgerufen und sich deutlich gegen die aktuelle israelische Regierung, die israelische Siedlungspolitik und für einen nachhaltigen Frieden ausgesprochen – ohne dabei dem einzigen jüdischen Staat dieser Welt das Existenzrecht abzusprechen oder dessen Vernichtung zu fordern.

Im Gegensatz dazu ist es auffallend ruhig, wenn es um Proteste aus der palästinensischen Diaspora und den sich mit dem palästinensischen „Volk“ solidarisierenden Gruppen geht, wenn es um eine Kritik an der autoritär-islamistischen Herrschaft der Hamas und deren systematische Unterdrückung und Ausbeutung der palästinensischen Bevölkerung in Gaza geht. Man muss über keine fachkundige Expertise verfügen, um zu erkennen, dass unter der Herrschaft der Hamas alle emanzipatorischen und demokratischen Bestrebungen im Keim erstickt und nicht nur Jüdinnen*Juden, sondern auch selbstbestimmt lebende Frauen, sexuelle Minderheiten sowie säkulare, liberale, sozialistische und um den Frieden bemühte Bewegungen zu erklärten Feinden der islamistischen Sittenwächter erklärt und verfolgt werden. Das zum Gegenstand der Kritik zu machen, wäre eine Minimalbedingung, um glaubhaft vermitteln zu können, dass es um „Frieden“ und „Freiheit“ für alle in der Region lebenden Menschen geht – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Führung der Hamas wiederholt das Angebot eines Waffenstillstands gegen die Befreiung der entführten Geiseln ausgeschlagen hat.

Die vorliegende Recherche verfolgt somit das Ziel, die für den Protest zentralen Personen, Personengruppen und Gruppierungen in Österreich zu benennen, deren ideologischen Hintergründe offenzulegen und auf deren interne Vernetzung hinzuweisen. Wir konzentrieren uns auf jene Akteur*innen, die aufgrund ihrer antisemitischen Aussagen und Kontakte in islamistische, nationalistische und faschistische Milieus problematisiert werden sollten und sind uns darüber bewusst, dass auch andere Initiativen existieren, die sich etwa in universitären Kontexten der palästinensischen Sache verschrieben haben, aber in dieser Recherche keine Erwähnung finden – auch wenn einige von ihnen aufgrund ihrer antizionistischen und antisemitischen Agitation kritikwürdig wären. Wie wir in dieser Recherche zeigen, sind es im Falle Österreichs immer wieder dieselben altbekannten und eng vernetzten Akteur*innen, die unter dem Vorwand der Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung auf die Straße ziehen, um ihre antizionistischen Hassbotschaften zu verbreiten. Wie wir in dieser Recherche ebenfalls zeigen, pflegen einige der Schlüsselpersonen selbst enge Kontakte in islamistische Milieus oder sind diesen zuzurechnen, weisen eine Nähe zu der Hamas und anderen islamistischen Gruppierungen auf und sind auch selbst vom Vorwurf der Verbreitung antisemitischer und islamistischer Propaganda nicht freizusprechen.

Mobilisierung in Österreich

Während aufrichtige und bestürzte Reaktionen auf den 7. Oktober innerhalb der in dieser Recherche diskutierten Milieus bescheiden beziehungsweise in der Regel weitgehend ausblieben, dauerte es nur kurze Zeit, bis die ersten Demonstrationen und Kundgebungen in Österreich ins Leben gerufen wurden, um das Verhalten der Hamas zu rechtfertigen oder in eingeübter Täter-Opfer-Umkehr den „Zionismus“ für das Geschehene verantwortlich zu machen. Bereits am Tag des Massakers rief die in dieser Recherche noch vielfach diskutierte Dachorganisation Palästina Solidarität Österreich (PSÖ) zu einer Kundgebung auf der Wiener Mariahilferstraße auf, an der etwa 40-50 Aktivist*innen teilnahmen. Wie der Presseservice Wien dokumentierte, wurde bei der Kundgebung positiv auf die terroristischen Angriffe der Hamas Bezug genommen und diese als „Befreiungsaktion“ des palästinensischen Volkes verklärt.

Nach Abschluss der Kundgebung versammelten sich einige der Teilnehmer*innen auf und um das Denkmal für Verfolgte der NS-Justiz am Ballhausplatz in Wien und feierten singend und tanzend, die palästinensische Flagge schwingend, den erwachten „Widerstand“ gegen den verhassten zionistischen Feind. Auch am 8. Oktober 2023 versammelte sich eine kleine Gruppe von Aktivist*innen beim Denkmal für Verfolgte der NS-Justiz und verteidigte vehement die Ermordung, Schändung, Vergewaltigung und Entführung von jüdischen und nicht-jüdischen Zivilist*innen als legitimen Akt des palästinensischen „Widerstands“. Unter ihnen auch Personen, die sich, wie schon am Tag zuvor, in den folgenden Wochen aktiv in die Koordination und Organisation der Demonstrationen und Kundgebungen der PSÖ in Wien und Österreich involvieren würden.

Langjähriger BDS-Aktivist mit BDS-Flagge, rechts daneben Nicole Schöndorfer und neben ihr PSÖ-Aktivist und Kampfpsortler Khaled al Makdah.

Es dauerte keine Woche, bis es zur ersten großen Mobilisierung der sich formierenden Bewegung kam. Am 11. Oktober 2023 versammelten sich etwa 500 Personen zu einer behördlich untersagten Kundgebung am Wiener Stephansplatz, zu der die Palästina Solidarität Österreich (PSÖ) und die ihr zuzurechnenden Organisationen und Einzelpersonen aufgerufen hatten. Während zeitgleich die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG) am Ballhausplatz eine Gedenkveranstaltung für die Terroropfer abhielt, kam es unter der Beteiligung von islamistischen Akteur*innen am nur wenige Gehminuten entfernten Stephansplatz zu Gewaltaufrufen und antisemitischen Sprechchören. Die pro-palästinensische Mobilisierung als Reaktion auf den 7. Oktober war damit in Österreich ins Leben gerufen und von den ersten Minuten an bereits durch Terrorverherrlichung und antizionistischem Antisemitismus geprägt. Daran sollte sich auch in den folgenden Wochen wenig ändern.

Seither finden in ganz Österreich wöchentlich Demonstrationen, Kundgebungen, Informationsveranstaltungen und aktivistische Interventionen statt, die sich oberflächlich gegen die israelische Politik, den israelischen Staat und für die palästinensische Bevölkerung bzw. die palästinensische Sache aussprechen. Abgesehen von der Forderung nach einem Waffenstillstand – die sich an Israel und nicht an die Hamas richtet – und der Dämonisierung des „Zionismus“ als „Fremdkörper“ im Nahen Osten, der für alles Leid in der Region verantwortlich sei, haben die äußerst heterogenen Milieus, die sich an den Protesten beteiligen, wenig gemeinsam. Es handelt sich um palästinensische Vereine wie das Koordinationsforum zur Unterstützung Palästinas, offizielle Politiker*innen wie der palästinensische Botschafter Salah Abdel Shafi, islamistische Akteur*innen wie Adel Abdallah Doghman oder Yasser Gowayed, antiimperialistische Kleinstgruppen wie die Antiimperialistische Koordination (AIK) oder die Revolutionär-Kommunistische Organisation zur Befreiung (RKOB), salafistische Prediger wie Khalid Ott, queerfeministische Gruppierungen wie Queers4Palestine, Millî Görüş-nahe türkische Nationalist*innen, lokale Politiker*innen und Parteien wie die UID-nahe SÖZ unter Hakan Gördü, Personen des Reichsbürger*innemilieus wie etwa der Shoah-Leugner Peter Eckhardt und einzelne in der Öffentlichkeit stehenden Personen wie die Anwältin Astrid Wagner oder die muslimische Influencerin Baraa Bolat und einige mehr.

Neben vielen seit Jahren bekannten Akteur*innen haben sich seit dem 7. Oktober graswurzelartig zudem zahlreiche Initiativen gegründet, die versuchen in ihrem Sinne über den Konflikt aufzuklären, zu Protesten zu mobilisieren und regionale sowie überregionale Vernetzungsstrukturen zu schaffen. Auch in den sozialen Medien wurden zahlreiche Kanäle auf TikTok, Instagram und Telegram gegründet, die gegen den „Zionismus“ und für die „palästinensische Sache“ mobilisieren. Mit Blick auf die den Protest tragenden Organisationen wird gleichzeitig schnell klar, dass es sich immer wieder um dieselben handelt, die die Bewegung zusammenhalten und inhaltlich prägen. Die zentrale Dachorganisation hierfür ist die Palästina Solidarität Österreich (PSÖ), auf deren Struktur und Zusammensetzung in dieser Recherche daher vertiefend eingegangen wird.

Die PSÖ – Dachorganisation für propalästinensische Agitation

Die Palästina Solidarität Österreich (PSÖ) besteht in etwa seit dem Jahr 2019 und fungiert auch im Rahmen der aktuellen Mobilisierungswelle als zentrale Dachorganisation für verschiedene Personen und Personengruppen, um gemeinsam öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen im Sinne einer „Sensibilisierung“ für die Situation der palästinensischen Bevölkerung in der Westbank und in Gaza durchzuführen. Es ist davon auszugehen, dass BDS Austria bereits mit dieser Intention gegründet wurde, jedoch nicht in der Lage war, innerhalb des durchaus heterogenen Milieus der in Österreich im Sinne der „palästinensischen Sache“ auftretenden Gruppierungen einen Konsens herzustellen.

Unter dem ideologisch dünnen Mantel der PSÖ organisiert man seit dem 7. Oktober ein- bis zweimal pro Woche Demonstrationen, Kundgebungen und teilweise auch Veranstaltungen in den Landeshauptstädten (Wien, Graz, Salzburg, Innsbruck). Programmatische und inhaltliche Auseinandersetzung abseits eingeübter Allgemeinplätze sucht man mit Blick auf den Dachverband vergebens – die Website der PSÖ wird beinahe ausschließlich zur Bewerbung von eigenen Veranstaltungen genutzt. Als zwei programmatische Bezugspunkte gelten, wie es auf der Website der PSÖ heißt, lediglich die Agitation gegen den „Zionismus, dem jüdisch-ethnozentrischen Nationalismus und seinem ungebrochenen Streben nach einer apartheidförmigen, ethnisch-religiösen Dominanz über das gesamte Land“ und der Widerstand gegen die EU-Politik, die sich bedingungslos solidarisch mit „der israelischen Machtelite und Propaganda“ zeige. Sensibilisierung für die Situation von Palästinenser*innen in Gaza und der Westbank meint vor diesem Hintergrund also in erster Linie eines: die einseitige Agitation gegen Israel unter der systematischen Exklusion innerpalästinensischer Konflikte und den innerhalb dieser vorherrschenden Kräfteverhältnisse.

Leiter Franz Sölkner auf PSÖ-Kundgebung 2020 im Wiener Votivpark.

Online bezeichnet sich die PSÖ als „Plattform“, die gruppenübergreifend „solidarische Parteilichkeit“ demonstriert, um den Aufbau einer „international gut vernetzten Palästina-Solidaritätsbewegung“ zu befördern. Für jede Dependance der PSÖ existiert eine leitende Ansprechperson, während die konkrete Organisation von einem harten Kern – in Wien sprechen wir hier etwa von 10 bis 15 Personen – koordiniert, vorbereitet und durchgeführt wird. Überregionale Koordinationspersonen für Wien sind die Aktivisten der Antiimperialistischen Koordination (AIK) Martin Weinberger und Willi Langthaler, für die Steiermark der Leiter der Steirischen Friedensplattform Franz Sölkner, für Tirol und Vorarlberg der BDS-Aktivist Gerhard Summer, für Salzburg der Junge Linke-Aktivist Simon Macheiner, sowie für Oberösterreich Hafsa Zaki. Auf einige von ihnen werden wir in dieser Recherche noch vertiefend eingehen.

Die personelle Aufstellung spiegelt den Plattform-Gedanken der PSÖ wider, sind hier doch zentrale, langjährige Aktivist*innen des pro-palästinensischen Spektrums vereint. Wesentlich ist zudem der Umstand, dass es sich in der ersten Reihe ausschließlich um Akteur*innen handelt, die nicht direkt der palästinensischen Diaspora entstammen, sondern sich als Teil der internationalen Solidaritätsbewegung mit Palästina verstehen. Wichtig zu betonen ist allerdings, dass bei der Gründung der PSÖ selbst auch die Vereine der palästinensischen Community in Österreich anwesend waren, die über einen vereinsübergreifenden Aktionsausschuss (siehe nächstes Kapitel) maßgeblich in die Organisierung und Koordination der Demonstrationen involviert sind und diese auch personell prägen.

Die PSÖ fungiert so als „Brückenkopf“ zwischen der sich als antiimperialistisch verstehenden palästinensischen Solidaritätsbewegung und den Vereinsstrukturen der palästinensischen Community, wobei sich zweitere hinsichtlich der Anmeldung von Demonstrationen und der offiziellen Vertretung der PSÖ eher im Hintergrund halten, zugleich aber bei den Kundgebungen in der Regel als organisierende Kraft auftreten und mutmaßlich auch bei internen Entscheidungsprozessen gewichtige Stimmen sind. Neben den antiimperialistischen Gruppierungen der PSÖ werden daher auch die palästinensischen Vereine in dieser Recherche behandelt sowie deren Führungspersonen, die sich in vielen Fällen dezidiert antizionistisch und antisemitisch betätigen und auch Kontakte in islamistische Milieus innerhalb und außerhalb der palästinensischen Gruppierungen pflegen.

Wie zentral antizionistischer Antisemitismus als weltanschauliches Element im politischen Kampf der PSÖ ist, lässt sich anhand der Wiener PSÖ-Gruppierung illustrieren: Zumeist wird der israelische Staat und der Zionismus als absoluter und überhistorischer Feind identifiziert. Die Dämonisierung und Delegitimierung Israels und dessen Politiker*innen ist im Online-Diskurs der zentralen PSÖ-Funktionär*innen ubiquitär und äußert sich häufig in der Gleichsetzung Israels mit dem Nationalsozialismus oder dem Islamischen Staat (IS). Auch antisemitische Karikaturen, die Verbreitung antisemitischer Verschwörungsmythen und die Propagierung eines radikalen Vernichtungsantisemitismus lassen sich auf den Social-Media-Seiten einschlägiger Akteur*innen finden. Die Betätigung der PSÖ-Akteur*innen geht weit über die Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung hinaus und äußert sich häufig in antisemitischer Agitation.

So posteten etwa die PSÖ-Aktivist*innen Ghalia Katja Hermannová und ihr Ehemann Ahmad Hilal Todesurkunden des Staats Israels mit der Ankündigung, dass dessen Existenz bald sein Ende findet. Charakteristisch für die medial orchestrierten Hetzkampagnen der PSÖ ist auch die Gleichsetzung Benjamin Netanyahus mit Adolf Hitler, oder gar die wüste Behauptung, das Vorgehen des israelischen Staates würde über die Verbrechen des Nationalsozialismus hinausgehen. In weitverbreiteten Sharepics wird so etwa verkündet, dass die Zahl der täglich in Gaza getöteten Kinder die Zahl der in Auschwitz ermordeten bei Weitem überschreiten würde – die angeblich gezielte Vernichtung palästinensischer Kinder durch die israelische Armee also über den bürokratisch geplanten und industriell vollzogenen Massenmord des NS-Regimes hinausgehen würde.

Zeitgenössisch verpackter Antisemitismus ist dabei auch als vereinendes Element des heterogenen politischen Spektrums zu erachten: Ob hochrangige Mitglieder großer palästinensischer Vereine, antiimperialistische Linke oder postkoloniale Aktivist*innen – die Dämonisierung Israels sowie schockierend offener, wüster Antisemitismus werden medial aufbereitet und mit der Öffentlichkeit geteilt. Kleinere Gruppen wie das Wiener Handala-Kulturforum liefern passende – oftmals wüst antisemitische – Social-Media-Grafiken, die dann zahllose Male repostet und verteilt werden. Dass der verbreitete Antisemitismus auch von einem real-politischen Programm konturiert wird, zeigt ein Blick auf die in der PSÖ aktiven palästinensischen Vereine – ist doch das dort vorherrschende Klima geprägt von Terror-Apologetik.

Die PSÖ-nahen palästinensische Vereine in Wien und deren Akteur*innen auf den Demos der PSÖ.

Neben antiimperialistischen Gruppierungen, die sich pro-palästinensisch betätigen, sind es also Organisationen der palästinensischen Community, die als zentrale Kraft der PSÖ auftreten. Wesentliche Akteur*innen auf Vereinsebene sind dabei die Palästinensische Gemeinde Österreichs (PGÖ), die Palästinensische Ärzte- und Apothekervereinigung (PÄAV), die Demokratische Palästinensische Vereinigung Österreich (DPFÖ), das Handala Kulturforum, das Koordinationsforum für die Unterstützung Palästinas (KFUP) und die Palästinensische Jugend Österreichs (PJÖ). Diese Vereine sind unter sich wiederum im sogenannten Gemeinsamen Palästinensischen Aktionsausschuss (GPA) zusammengeschlossen und entfalten über diesen auch eine gewisse Vormachtstellung innerhalb der PSÖ. Teil des Aktionsausschusses sind Mitglieder des Hamas-nahen KFUP, der Fatah-nahen PGÖ, der nicht definitiv zuordenbaren PÄAV und der DFLP-nahen DPFÖ. Eine detaillierte Analyse der Organisationen folgt im Zuge dieser Recherche.

Der GPA, v. l. n. r.: 3. v. l. Kamal Hachicho, Shadi Abu Daher, Haitham Awartani, Adel Doghman, unbekannt, Imad Samour und Munther Merai.

Dass im GPA die drei zentralen politischen Lager der palästinensischen Politik zumindest strategisch vereint sind, spiegelt die realpolitische Bedeutung des Ausschusses wider – oftmals sind es nämlich innerpalästinensische Konflikte und historisch bedingte Kooperationsschwierigkeiten (Stichwort Hamas-Putsch 2007 sowie die sukzessive Ausschaltung aller progressiven Kräfte in Gaza, unabhängiger Medienagenturen, Journalist*innen, Einführung islamischen Rechts und Sittenwacht usw.), die das pro-palästinensische Milieu in unvereinbare Blöcke zerfallen lässt. Wenn es gegen Israel geht, ist man aber dazu bereit, Konflikte ruhigzustellen, und als geeinter Block nach außen aufzutreten.

Bei der Gründungsveranstaltung der Palästina Solidarität Österreich (PSÖ) traten der GPA als Zusammenschluss der palästinensischen Vereine und die Funktionäre Adel Abdallah Doghman (KFUP) und Haitham Awartani (DPFÖ) als Redner auf. Aufgrund der personellen und organisatorischen Stärke der PGA ist davon auszugehen, dass diese innerhalb der Palästina Solidarität Österreich tonangebend sind und sich nur strategisch im Hintergrund halten – proportional gesehen verfügen die antiimperialistischen Gruppen über keine politische Mehrheit innerhalb des Dachverbandes. Neben den Mitgliedsvereinen der PGA sind für die Beurteilung der internen Strukturen der PSÖ zudem die Palästinensische Jugend Österreich (PJÖ) und der Verein Handala relevant: Bei der PJÖ handelt es sich um eine politisch nicht klar strukturierte Gruppierung, die jedoch – darauf deutet ihr öffentliches Auftreten hin – eine Nähe zu türkisch-nationalistischen Kräften aufweist. Handala wiederum ist für die Öffentlichkeitsarbeit und die Erstellung von Grafiken relevant und stellt teilweise militanten Vernichtungsantisemitismus in lockeren Cartoons und Animationen für die mediale Aufbereitung und Inszenierung bereit.

KFUP-Leiter Adel Doghman (li.) und DPFÖ-Leiter Haitham Awartani auf der Gründungsveranstaltung der PSÖ.

Die PGÖ. Fatah-nahe, übergreifende Community-Organisation.

Die Palästinensische Gemeinde Österreich (PGÖ) ist bei Demonstrationen der PSÖ regelmäßig mit Transparenten und Schildern vertreten, auf denen Israel als „Kindermörder“, faschistischer Staat und Völkermörder oder Benjamin Netanjahu als „Sheytan“ bezeichnet wird. Bei der PGÖ handelt es sich um einen eingetragenen Verein, der über eine große Mitgliederzahl verfügen dürfte und dessen Funktionär*innen regulär gewählt werden. Auf weltanschaulicher bzw. politischer Ebene ist der Verein überwiegend der Fatah und DFLP zuzuordnen, auch wenn Exponenten wie Adel Abdallah Doghman eine Nähe zur Hamas aufweisen. Derzeitiger Präsident der PGÖ ist satzungsgemäß der Allgemeinmediziner Sami Ayad, der regelmäßig als Redner bei Veranstaltungen der PSÖ auftritt und die Gemeinde in der Öffentlichkeit vertritt.

Die Nähe der PGÖ zur Fatah und zur Palästinensischen Autonomiebehörde lässt sich an zwei zentralen Akteuren näher beleuchten: Sowohl der Schriftführer Imad Samour als auch der ehemalige Vorsitzende Munther Merai (auch Abu Zeid genannt) sind regelmäßige Gäste der Palästinensischen Autonomiebehörde und teilen häufig die offiziellen Stellungnahmen der Fatah. Darüber hinaus zeigen Fotos Imad Samour mit Yasser Arafat und Mahmoud Abbas, und auch Merai scheint bei zweiterem zu Gast gewesen zu sein. Die Funktionäre der PGÖ sind also international vernetzt und repräsentieren nicht nur die Anliegen der palästinensischen Community in Österreich, sondern treten auch als Sprachrohr der palästinensischen Politik auf. Imad Samour unterhält zudem enge Beziehungen zu dem rechtsextremen Antisemiten Dr. George Nicola und der PÄAV, auf die im weiteren Verlauf dieser Recherche noch näher eingegangen wird.

Alzaharna bei Aktion von BDS.

Von Relevanz ist ferner der gewählte PGÖ-Funktionär Quasem Alzaharna, der auch als wichtiger Organistor des PSÖ-Auftritts fungiert und Videos sowie Streams für den Social Media-Auftritt der PSÖ anfertigt. Früher war Alzaharna Vorstand der PJÖ – dort forcierte er die enge Kooperation mit BDS Austria und dem KFUP, regelmäßig etwa kam man mit BDS zu Aktionen und Kundgebungen zusammen, während man mit dem KFUP u. a. ein alljährlich stattfindendes Familienfest organisiert. Zur politischen Gesinnung Alzaharnas lässt sich wenig sagen, vor dem Hintergrund der PGÖ wird sicherlich eine gewisse Fatah-Nähe zu konstatieren sein, wenn auch die enge Kooperation mit dem Hamas-nahen KFUP zumindest auf eine mutßmaliche Indifferenz gegenüber der islamistischen Ausrichtung des KFUP hindeuten.

Alzaharna auf dem Lautsprecherwagen, die ersten Reihen der Demonstration koordinierend.

Die DPFÖ. Österreichisch-schweizerischer Ableger der DFLP.

Awartani auf einer Demonstration der PSÖ.

Bei der DPFÖ handelt es sich um eine primär marxistisch-leninistisch sowie maoistisch ausgerichtete Gruppierung, die ideologisch der palästinensischen Terrororganisation DFLP nahesteht. In leitender Funktion dürfte Dr. Haitham Awartani tätig sein, der regelmäßig bei Demonstrationen der PSÖ und des APC anwesend ist und dort auch als Redner auftritt. Awartani agiert jedoch nicht nur als pro-palästinensischer Aktivist: Wie Bilder eines Treffens mit dem libanesischen Präsidenten Michel Aoun vom November 2016 zeigen, scheint Awartani zur Führungsriege der Terrororganisation DFLP selbst zu zählen und Kontakte zu hochrangigen Mitgliedern des Politbüros der DFLP zu unterhalten. Zudem teilt Awartani regelmäßig DFLP-Propaganda auf seinen Social-Media-Seiten.

Zum Hintergrund der DFLP: Einer der Anschläge, für den diese am bekanntesten ist, war das Massaker von Ma’alot im Jahr 1974, bei dem 25 Schulkinder und Lehrer getötet wurden. Bei der Aktion drangen drei als IDF-Soldaten verkleidete DFLP-Kämpfer in Ma’alot ein, töteten eine israelisch-arabische Familie und ihren vierjährigen Sohn, drangen in ein Schulgebäude ein und nahmen 115 Minderjährige als Geiseln, um inhaftierte DFLP- und JRA-Aktivisten (Japanische Rote Armee) freizupressen. Bei einem Befreiungsversuch durch israelische Spezialkräfte ermordeten die DFLP-Kämpfer 21 minderjährige Schüler*innen und 10 weitere Personen und verwundeten 60 schwer.

Das Auftreten Awartanis, aber auch anderer Personen wie der ebenfalls der DPFÖ zuzurechnende Wesam Rafeh, die wie im Falle Awartanis als auch Rafehs in zentralen Funktionspositionen bei Veranstaltungen der PSÖ agieren, bestätigt die Einschätzung, dass es sich bei der PSÖ um ein zwar legalistisch vom antiimperialistischen Spektrum getragenes, aber durchaus von den palästinensischen Vereinen strukturiertes Unternehmen handelt. Wie krude und menschenverachtend das Weltbild der betreffenden Akteur*innen oft ist, zeigt ein Posting von Rafeh, in dem die drei Kämpfer der „Kamal Nasser Einheit“, die für das Massaker von Ma’alot verantwortlich waren, als „rechtschaffene Märtyrer“ und „Helden“ glorifiziert werden. Das sind also unter anderem die zentralen Organisator*innen hinter den Protestmobilisierungen seit dem 7. Oktober und auch im Falle des Angriffs der Hamas verklären sie den gezielten Mordanschlag auf Zivilist*innen als Befreiungsakt.

Rafeh beim Koordinieren von Ordnern auf PSÖ-Demonstration.

Die PÄAV. Antisemitismus, Rechtsextremismus und Salafismus.

Eine mindestens ebenso wichtige organisatorische Rolle in der aktuellen Mobilisierungswelle spielt die Palästinensische Ärzte- und Apothekervereinigung (PÄAV), die bei fast allen Demonstrationen präsent ist. Der offiziell eingetragene Verein setzt sich mutmaßlich aus einigen Angehörigen medizinischer und pharmazeutischer Berufe zusammen und stellt bei den seit dem 7. Oktober stattfindenden Demonstrationen meist ein bis zwei Redner*innen. Die PÄAV ist wie die anderen palästinensischen Vereinigungen seit vielen Jahren eine aktive mobilisierende Kraft, wenn es um Demonstrationen, Kundgebungen und Veranstaltungen gegen Israel und für die palästinensische Sache geht. Er wurde am 12. Jänner 2020 mutmaßlich von dem Internisten Dr. Shadi Abu Daher, der derzeit als Kassier fungiert, und dem bereits erwähnten Dr. Georg Nicola gegründet und hat seinen Vereinssitz in der Kegelgasse 25, 1030 Wien. An dieser Adresse ist laut Vereinsregister auch die PGÖ eingetragen – man teilt sich also die Räumlichkeiten und auch die Gründungsveranstaltung der PSÖ fand an dieser Adresse statt.

Shadi Abu Daher bei Rede auf Demonstration der PSÖ am 09. Dezember 2023 in der Wiener Innenstadt.

Sowohl Abu Daher als auch Nicola fielen und fallen immer wieder durch rabiaten Antisemitismus und Holocaustleugnung auf, im Falle Nicolas auch durch Kontakte ins rechtsextreme und antisemitische Burschenschafts- und Landsmannschaftsmilieus. Schon ein kurzer Blick auf Abu Dahers Facebook-Auftritt zeigt sein von militantem Antisemitismus geprägtes Weltbild: Gleichsetzungen des Staates Israel mit Hitler-Deutschland und Netanjahus mit Hitler sowie die „Feststellung“, der Staat Israel ermorde täglich mehr Kinder als Hitler in Auschwitz, sind an der Tagesordnung. Vergleiche des israelischen Bombardements mit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki sind ebenso zu finden wie die symbolische Darstellung des Staates Israel als Pistole, die Neugeborene hinrichtet. Auffällig scheint auch eine Affinität zur salafistischen Szene: So teile Abu Daher Videos des deutschen Salafi-Predigers Pierre Vogel, der sich wie viele andere Kalifatsakteure des Nahost-Konflikts bedient, um Anhänger*innen für radikalislamistische Ideenwelten anzuwerben. Auch von der PFLP-Terroristin Leila Khaled zeigt sich Abu Daher begeistert: Als Khaled 2016 auf Einladung des OKAZ (Österreichisch-Arabisches Kulturzentrum in Wien) und Handala Wien besuchte und einen Vortrag hielt, war auch Abu Daher unter den zahlreichen Besucher*innen und erschien nachher freundschaftlich verbunden mit Khaled auf einem aufgenommenen Gruppenfoto.

Auffällig ist auch, dass Abu Daher in den sozialen Medien Inhalte des ehemaligen Identitären und nunmehrigen Leiters des Suworow-Instituts, Alexander Markovics, teilt: Markovics, der sich über die Jahre zu einem Anhänger Dugins (Eurasien-Ideologie) entwickelt hat, fällt nicht nur immer wieder durch diverse explizit pro-islamistische Aussagen, sondern vor allem durch offen artikulierten Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus auf. Auch zum Überfall der Hamas auf Israel äußerte sich Markovics am 8. Oktober: Der Hamas-Angriff habe Israel „kalt erwischt“ und sei als militärische Reaktion auf eine „erneute Schändung der al-Aqsa-Moschee“ durch israelische Soldat*innen zu werten. Der „vermeintliche“ Terror gegen Israel sei legitimer Widerstand, da Israel ein Terror- und Apartheidstaat sei, dessen Ziel es sei, einen „schleichenden Genozid“ am palästinensischen Volk durchzuführen. Damit perpetuiert Markovics durchaus das, was auch auf den Veranstaltungen der PSÖ im Allgemeinen ideologisch vertreten wird. Die Tatsache, dass Abu Daher den wenig bekannten Faschisten Markovics zu kennen scheint und dessen Outlets verfolgt, gibt sowohl Aufschluss über die Anschlussfähigkeit der von Markovics propagierten neuen „multipolaren“ Weltordnung – die im Nahen Osten übrigens die Unterstützung des iranischen Regimes bedeutet – als auch über den politisch in allen Spektren grassierenden Antisemitismus, der als Bindeglied zwischen den verschiedenen ideologischen Lagern fungiert.

Die Ansichten Abu Dahers stellen jedoch innerhalb der PÄAV keine Ausnahme, sondern eher die Regel dar. Auch George Nicolas‚ Weltbild ist offensichtlich von antisemitischen Verschwörungsmythen geprägt. So feierte er – wie auch die später behandelte Antiimperialistische Koordination (AIK) – Al-Qaida für den Anschlag vom 11. September 2001, verbreitete die wüste antisemitische Verschwörungstheorie, Israel habe den Anschlag insgeheim gesteuert, um die USA zu manipulieren, glorifizierte den irakischen Diktator Saddam Hussein und unterhielt zumindest in der Vergangenheit beste Kontakte zur rechtsextremen Österreichischen Landsmannschaft (ÖLM). Mit dieser veranstaltete er beispielsweise im Haus der Heimat in Wien Landstraße eine Podiumsdiskussion zum Thema „Von Beneš zu Sharon. Sudetendeutsche und Palästinenser – entrechtet und vertrieben“. Diese Gleichsetzung verdeutlicht einmal mehr die revisionistische Gesinnung Nicolas‘, aber auch der PÄAV und zeigt, wie tief rechtsextreme Denkfiguren das Handeln eines ehemaligen zentralen Funktionärs der Vereinigung prägen.

Auch die derzeitige Vorsitzende der PÄAV, die Notfallmedizinerin Dr. Rula al-Harbi, belegt die Kontinuität rechtsextremen Gedankenguts in der sich neutral und humanitär gebenden Organisation: Ihr öffentliches Auftreten schreckt nicht vor Gleichsetzungen des Staates Israel mit Hitler-Deutschland sowie Dämonisierungen des Staates Israel und der hebräischen Sprache im Allgemeinen zurück. Darüber hinaus identifiziert sich al-Harbi inhaltlich offenbar mit der militanten salafistischen Szene: So teilte sie ein TikTok-Video des salafistischen Predigers Yasin Bala aus Göttingen, der unter dem Pseudonym Yasin al-Hanafi seine „Lehre“ im Internet verbreitet. Al-Hanafi ist Mitglied der norddeutschen Gruppierung Im Auftrag des Islam (IADI), die aus der von Cemaleddin Kaplan (ehemaliger Weggefährte von Necmettin Erbakan) und später von dessen Sohn Metin Kaplan absolutistisch geführten Gruppierung Kalifatstaat Köln hervorgegangen ist. Nach der Verhaftung Metin Kaplans wegen Anstiftung zum Mord und seiner Abschiebung in die Türkei in den 2000er Jahren übernahm die IADI dessen Nachfolge im Geiste Cemaleddin Kaplans (zur IADI und ihrer Geschichte siehe hier). Gefordert wird ein islamisches Kalifat, das absolutistisch von einem Kalifen nach den Gesetzen der Schariʿa regiert wird. Doch worum geht es in dem konkreten Video, das al-Harbi geteilt hat? Al-Hanafi leugnet darin die Möglichkeit eines „islamistischen Antisemitismus“ – denn zum einen seien alle Araber*innen Semiten und zum anderen sei eigentlich der Rassismus der „zionistischen Juden“ antisemitisch, da schließlich vor allem Araber*innen Semiten seien.

Das KFUP. Hamas-Unterstützung und Muslimbruderschaft-Propaganda.

Ein weiterer wichtiger, wenn nicht der zentrale Akteur der PSÖ ist das Koordinationsforum für die Unterstützung Palästinas (KFUP), das bereits in den 2000er Jahren gegründet wurde. Es wird von dem der Hamas und den Muslimbrüdern nahestehenden Aktivisten Adel Abdallah Doghman geleitet. Doghman ist eine national und international in verschiedenen politischen Spektren vernetzte Persönlichkeit. Mitte der 2010er Jahre war er Vorsitzender der Palestinians in Europe Conference (PEC), einer jährlich stattfindenden internationalen Konferenz, die von der europäischen Hamas-Zentrale, dem Palestinian Return Centre (PRC) mit Sitz in London, in verschiedenen europäischen Metropolen organisiert wird und an der regelmäßig internationale Spitzenpolitiker*innen unter anderem aus dem Libanon und Marokko teilnehmen. Nach Ablauf der Legislaturperiode des PEC wurde Doghman von seinem niederländischen Bekannten Amin Abu Rashed abgelöst – Abu Rashed, der wegen Terrorfinanzierung in den Niederlanden inhaftiert ist, ist bis heute offizieller Leiter des PEC. Sowohl Abu Rashed als auch Doghman waren bereits mindestens einmal bei Hamas-Führer Ismail Haniyeh zu Gast – ausgerechnet im November 2012, als die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf Israel intensiviert wurden. Ein weiteres Foto belastet Doghman hinsichtlich seiner Beziehungen zu islamistischen Kreisen: Ebenfalls 2012, mutmaßlich im Rahmen derselben Reise, ist dieser bei einer öffentlichen Veranstaltung mit Haniyeh und dem ägyptisch-österreichischen Muslimbruder und Vertrauten des damaligen ägyptischen Präsidenten Mohamed Mursi, Ayman Ali, zu sehen.

Ali mit Haniyeh und Doghman rechts.

Zentrale Wirkungsstätte Doghmans scheint aber Wien geblieben zu sein: Bereits 2003 meldete das US-Finanzministerium über die Intelligence Community an das damalige BVT (heute DSN), dass der von Adel Abdallah Doghman geleitete Palästinensische Verein in Österreich (PVÖ) über die sogenannte „Union of the Good“ Spendengelder an die Hamas weiterleite. Vermutlich aufgrund des Repressionsdrucks löste sich die PVÖ auf und gründete in der Folge den Palästinensischen Humanitären Verein (PHV), zu dem auch die PGÖ unter Munther Merai enge Kontakte unterhielt. Doghman fungierte nun nicht mehr als offizieller Leiter, sondern der muslimische Religionslehrer Hani Abdelhalim und der ehemalige PVÖ-Funktionär Osameh Atiq übernahmen das Präsidentenamt. Beteiligt waren auch Al Hajj Salih Tartusi, ebenfalls muslimischer Religionslehrer, und Usama Schumriyah. Sowohl Abdelhalim, Tartusi als auch Schumriyah waren zentrale Akteur*innen, die in dem Bericht der US-Geheimdienste identifiziert wurden. Alle drei sollen laut US-Diensten Hamas-Vertreter sein, die Geld für den militanten Kampf gegen den Staat Israel sammeln.

Während diese Verbindungen bei Tartusi und Schumriyah kaum nachweisbar sind, stellt sich die Situation bei Abdelhalim anders dar. Denn Abdelhalim war nicht nur ein enger politischer und ideologischer Weggefährte Doghmans, wie etwa Fotos mit Doghman bei Spendenveranstaltungen im Jahr 2009 belegen, sondern pflegt auch selbst beste Kontakte in militante Muslimbruderschaftskreise. Dies zeigte unter anderem eine Podiumsdiskussion mit dem ehemals hochrangigen militanten ägyptischen Muslimbruder Kamel al-Helbawy an der Universität Graz im Rahmen einer Veranstaltungsreihe 2005-2008, die vom führenden Vertreter der Liga Kultur, Kamel Mahmoud, und der IGGiÖ unter Anas Shakfeh organisiert wurde. Al-Helbawy galt lange Zeit, auch zum Zeitpunkt der Veranstaltung, als führender Kopf der ägyptischen Muslimbruderschaft. Bemerkenswert an der Vita al-Helbawys ist auch, dass er 1988 als Vertreter der ägyptischen Muslimbruderschaft zu Abdallah Azzam nach Peschawar geschickt wurde, um dort den Einfluss der Muslimbruderschaft auf die militante jihadistische Mudschaheddin-Szene der Maktab al-Chadamat um Azzam und Osama bin-Laden zu stärken.

Während lange Zeit weder gegen die Vereine noch gegen die dahinter stehenden Akteure konkrete Beweise für die Weiterleitung von Spenden an indizierte Vereine vorlagen, änderte sich dies im Jahr 2007, da die genannten Wiener Akteure weiterhin im Visier der internationalen Intelligence Community standen und auch das österreichische BVT diesen Personenkreis beobachtete. Im Jahr 2007 ging dann eine Spende von mindestens 40.000 € an das „Al Salah Islamic Committee“, das von einem Mitglied des Politbüros der Hamas, Ahmad al-Kurd, geleitet wird. In der Folge wurden auch die österreichischen Behörden aktiv. Noch 2007 kam es laut Zeit-Bericht zu Hausdurchsuchungen bei Doghman, Abdelhalim und Tartusi. Der Verein löste sich wieder auf – ob es zu Verurteilungen von Abdelhalim, Tartusi, Atiq oder anderen Beteiligten kam, ist unklar. Doghman ging jedoch erneut ungeschoren aus den Ermittlungen hervor. In der Folge scheint er mit zwei weiteren Akteuren, nämlich Bouazizi Tahar und Kamal Hachicho, das KFUP gegründet zu haben, während Osameh Atiq mit Ergün Bilic, dem Funktionär der Islamischen Föderation in Wien (IFW, offizielle Verbandsstruktur von Milli Görüş in Österreich) den Verein Human Help gründete, dem sich diese Recherche zu einem späteren Zeitpunkt noch widmen wird.

Ab Mitte der 2000er Jahre spielte das KFUP eine wichtige politische Rolle innerhalb des pro-palästinensischen Spektrums in Österreich: Es organisierte jährlich kleinere Palästina-Konferenzen analog zur internationalen PEC-Konferenz in Wien, die regelmäßig von hochrangigen Funktionären der Muslimbruderschaft nahestehender Parteien und Organisationen aus dem Maghreb und Europa besucht wurden. In diesem Zusammenhang ist vor allem die 27. Konferenz im Jahr 2016 zu erwähnen, bei der Scheich Abdel Fattah Moroh, der Gründer der der islamistischen Muslimbruderschaft nahestehenden tunesischen Partei Ennahda, Mohamed al-Yatim, der Vorsitzende der ebenfalls diesen nahestehenden marokkanischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, sowie Dr. Mazen Kahel, der Vorsitzende des von mehreren westlichen Staaten als Terrororganisation gelisteten Comité de Bienfaisance et de Secours aux Palestiniens, als Referenten geladen waren. Aber auch in der Vergangenheit traten fragwürdige Gäste auf der Konferenz auf, so z.B. 2013 der der Muslimbruderschaft nahestehende britische Politiker Dr. Azzam al-Tamimy oder 2018 der Mitbegründer des PRC Dr. Majed Alzeer.

Der islamistische Einschlag der Ereignisse ist angesichts der Akteure des KFUP nicht verwunderlich, da neben Doghman auch Hachicho einschlägige islamistische Töne anschlägt: So teilt Hachicho online Hamas-Propaganda, die heroisch zeigt, wie Hamas-Kämpfer Raketen bauen, bekennt sich zum iranischen Mullah-Regime, verbreitet antisemitische Hassbotschaften, relativiert die Shoah und dämonisiert den Staat Israel. Und auch Bouazizi agiert ähnlich: So finden sich Postings des Hizbollah-Gründers Sobhi al-Tufayli, Bewerbungen islamistischer tunesischer Ennahda-Politiker aus dem direkten Umfeld des Ennahda-Führers Rached Ghannoushi oder eine in Wien abgehaltene Veranstaltung mit Abdel Fattah Moro und einem weiteren Ennahda-Politiker zum Thema Arabischer Frühling in seinem Social-Media-Auftritt. Auch in diesen Fällen wird deutlich, dass für die Akteur*innen des KFUP Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung ohne die Affirmation islamistischer Propaganda und antisemitischer Vernichtungsphantasien kaum denkbar ist.

Ob und wie viele weitere Personen im KFUP aktiv sind, ist nicht bekannt – das KFUP führt jedoch regelmäßig öffentliche Veranstaltungen durch, was angesichts der ideologischen Verstrickungen als höchst problematisch anzusehen ist. So organisiert das KFUP neben den jährlichen Konferenzen auch verschiedenste Panels zu diversen Themen, die thematisch bis hin zur Gefährlichkeit des Covid-19-Virus reichen. Darüber hinaus stellt das KFUP ein wichtiges Zugpferd in der österreichischen pro-palästinensischen Protestlandschaft dar: Nahezu jede öffentliche Protestveranstaltung trägt das Logo der KFUP, man ist untereinander gut vernetzt und bis 2020 finden sich regelmäßig Livestreams von PSÖ-Demonstrationen auf der KFUP-Homepage, wofür vor allem Kamal Hachicho verantwortlich sein dürfte.

Doghman mit türkischem Staatspräsidenten Erdoğan.

Dennoch scheint die KFUP grundsätzlich von Doghman abhängig zu sein: Dieser kann als international bedeutende Figur innerhalb der palästinensischen Diaspora angesehen werden, der Kontakte zu diversen Diaspora-Organisationen in Europa, der Türkei und dem Libanon sowie Verbindungen in die Spitzenpolitik Marokkos, Tunesiens, des Libanon, der Türkei, aber auch von EU-Staaten unterhält. Hervorgehoben seien hier nur zwei Fotos: Das erste ist undatiert, zeigt aber Doghman vor einem Parteigebäude der Saadet Partisi mit zwei namentlich genannten Funktionären. Bei Saadet handelt es sich um jenen Teil der Millî-Görüş-Bewegung, der sich aktiv für eine islamistische parteipolitische Ausrichtung entschied, während der zweite Teil der Bewegung unter Cemaleddin Kaplan in einer Kalifatsbewegung aufging. Das zweite Foto zeigt Doghman mit dem AKP-Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan bei einer Gewerkschaftsveranstaltung der palästinensischen Diaspora. Doghman brachte seine Freude über die Unterstützung des türkischen Staatspräsidenten für die Organisation des palästinensischen Widerstands zum Ausdruck.

Abdallah Doghmans Sympathie für Millî-Görüş und Erdoğan kommt nicht von ungefähr: Nicht nur aufgrund ideologischer Gemeinsamkeiten zwischen Millî-Görüş und Hamas-nahen Agitatoren oder der aktiven Unterstützung militanter palästinensischer Gruppen durch Erdoğan und Ali Erbaş‘ Diyanet lässt sich ein Naheverhältnis ableiten – denn gerade in Wien und Österreich gab es immer wieder gute Kontakte zwischen Akteur*innen der Muslimbruderschaft, die sich insbesondere im Liga Kultur Verein sammelten, und der IFW, vor allem im Rahmen der Organisation der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ). Während noch in den 2000er Jahren Akteur*innen aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft die religiös-politische Ausrichtung der IGGiÖ prägten, übernahmen in den 2010er Jahren sukzessive Vertreter der IFW die Führung der IGGiÖ. Die Kontakte bestehen aber weiterhin. Hervorzuheben ist jedoch, dass die Kontakte Doghmans auch hier über die Grenzen Österreichs hinausreichen – denn der Besuch Doghmans bei Millî-Görüş fand offenbar direkt in der Türkei statt, was auf einen direkten Kontakt zu Funktionären des türkischen Staates hindeutet.

Die PJÖ & Rahma. Zwischen KFUP, Antisemitismus und türkischem Nationalismus.

Rede von PJÖ-Funktionär Basel Ayosh am 02. Dezember 2023 auf PSÖ-Demonstration.

Abschließend soll an dieser Stelle noch die Palästinensische Jugend Österreich (PJÖ) angeführt werden, bei der es sich um eine Jugendorganisation handelt, die keinem anderen politischen Dachverband eindeutig zuordenbar ist, innerhalb der aktuellen Mobilisierungen aber eine relevante Stellung einnimmt. Mutmaßlich handelt es sich um einen losen Zusammenhang, der nicht als eingetragenen Verein agiert – lediglich Quasem Alzaharna als ehemaliger Leiter der PJÖ sowie der am 02. Dezember 2023 für die PJÖ als Redner aufgetretene Basel Ayosh lassen sich eindeutig zuzuordnen. Gleichzeitig fällt die PJÖ durch ihre mediale Präsenz und die rege Bewerbung von PSÖ-Veranstaltungen, wie die Nutzung deren Logos auf. Wichtig ist zudem, dass sie aktiv antisemitische Hetze verbreitet: Israel wird so etwa in Social-Media-Postings als Krake symbolisiert, der die türkisch-palästinensische Freedom-Flottilas noch vor ihrer Ankunft vernichtet. Die IDF wird als eine Armee von bestialischen Hunden dargestellt und Israel regelmäßig als Terrorstaat verunglimpft. Immer wieder bewarb die PJÖ auch die Konferenzen der KFUP, an denen – wie bereits dargestellt wurde – namhafte Akteur*innen der Muslimbrudscherschaft und deren Umfeld partizipieren. Wie auch das KFUP verbreitet die PJÖ zudem vielfach Spendenveranstaltungen des Hilfsvereins Rahma, der sich als humanitäre Hilfsorganisation von für in Not geratene muslimische Communitys in Afrika und Asien einsetzt und eine Zweigstelle in Istanbul betreibt.

Der Verein Rahma weist dabei Verbindungen zum Umfeld der KFUP und auch der PGÖ auf. So fungiert der ehemalige PGÖ- und PHV-Funktionär Osameh Atiq als Kassier und war vor einiger Zeit auch Vorsitzender des Vereins. Der PGÖ-Funktionär Hermas Hermas fungiert als stellvertretender Kassier, Hassan Taher als Geschäftsführer, Ömer Batur als Stellvertreter und Ayse Akay als Schriftführerin. Darüber hinaus gibt es Verbindungen von Rahma in islamistische Kreise: So wird in den 2010er-Jahren  regelmäßig mit der Jugend der Kulturliga, der Jugendorganisation des österreichischen Zentralverbandes der Muslimbruderschaft, zusammengearbeitet, um Spendenaufrufe zu bewerben. Mit Osameh Atiq findet sich zudem ein Abdallah Doghman nahestehender Akteur im Verein, der dem Spektrum der Hamas-Unterstützer zuzuordnen ist. Auch zu türkisch-turanistischen Vereinigungen unterhält Rahma rege Beziehungen: So organisierte sie gemeinsam mit der Avrupa Türk Konfederasyon (ATK), die als transnationaler europäischer Dachverband der faschistischen MHP auftritt, und der Avusturya Türk Federasyon (ATF), dem österreichischen Dachverband der turanistischen Ülkücü-Bewegung („Graue Wölfe“), der auch über einen eigenen Moscheeverein bzw. Moscheenverband verfügt, dem 29 Moscheevereine in Österreich angehören, ein gemeinnütziges Fußballturnier auf der Wiener Donauinsel, bei dem Geld-, Kleider- und Lebensmittelspenden gesammelt werden sollten.

Zu der Kleidersammlung auf der Donauinsel hatte auch eine weitere Akteur*in des pro-palästinensischen Spektrums aufgerufen. Es handelt sich um Hanife Adaa, Vorständin von Yetis Bacim Dernegi, einem Verein, der Frauen aus Gewaltbeziehungen helfen soll. Adaa vertritt sowohl privat, als auch mit ihrem Verein regelmäßig undifferenzierte pro-palästinensische, wie auch türkisch-nationalistische Positionen und kooperierte mehrfach mit Rahma. So posierte sie etwa bei einer Veranstaltung des AKP-Lobbyvereins UID, glorifizierte den türkisch gestützten Einmarsch Aserbaidschans in Bergkarabach, nimmt an Empfängen der türkischen Botschaft in Wien teil und verbreitet Propaganda von Erdoğans Leibarzt und parteilosem Gesundheitsminister Fahrettin Koca. Auch bei Demonstrationen der PSÖ war Adaa anwesend, trug Hochtransparente und scheute sich nicht davor zurück, ihren Verein für die Propaganda zu instrumentalisieren.

Die linke Querfront. AIK, RKOB/RCIT, APC und der Kampf gegen den westlichen Imperialismus.

Als sich der Dachverband Palästina Solidarität Österreich im Jahre 2019 in den Räumlichkeiten der PGÖ/PÄAV in der Kegelgasse 25 gründete, waren linke, antiimperialistische Gruppierungen aus Wien erwartungsgemäß rege daran beteiligt. Lokal bekannte, aber darüber hinaus realpolitisch und innerhalb der organisierten Linken irrelevante Funktionär*innen antiimperialistischer Kleinstgruppen, die vor allem durch politische Kooperationen mit islamistischen, meist der Muslimbruderschaft nahestehenden Vereinen und rechtsextremen Akteur*innen, sowie ihrem vulgärmarxistischen Antisemitismus aufgefallen waren, reihten sich in die PSÖ ein und agieren bis heute als primäre Ansprechpersonen des Dachverbands.

Als Kopf der PSÖ tritt zumindest legalistisch der 1969 in Graz geborene Wilhelm Langthaler auf, der Leiter der Antiimperialistischen Koordination (AIK) sowie führender Publizist des zur AIK zugehörigen Magazins Intifada ist.  Blickt man in der Hierarchie der PSÖ etwas weiter nach unten, so finden sich weitere Aktivist*innen der Antiimperialistischen Koordination, der Revolutionär-Kommunistischen Organisation für Befreiung (RKOB) um Michael Pröbsting, der Steirischen Friedensplattform, Personen, die BDS Austria zugerechnet werden können und ein weniger bekannter und in dieser Recherche nachrangig behandelter Aktivist aus dem Umfeld der Jungen Linken und der KPÖ Salzburg, die alle als Ansprechpersonen für die regionalen Ableger der PSÖ agieren.

So unterschiedlich die politischen Positionen der genannten Organisationen auch sein mögen, so eint sie doch ein reduktionistisches und manichäisches Weltbild, das in der Feindbestimmung eines westlichen und von den USA dominierten Imperialismus kulminiert, der die Völker dieser Erde unterdrücken würde und daher bekämpft werden müsse. Unter Berufung auf Lenin, geht man davon aus, dass der „siegreiche Sozialismus […] nicht nur vollständige Gleichberechtigung der Nationen realisieren, sondern auch das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Nationen durchführen, das heißt das Recht auf freie politische Abtrennung anerkennen [muss].“ Die dabei entstehende Verschiebung der Analyse des kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisses als widerspruchsvolle Klassengesellschaft zu einer Geschichte des Kampfes zwischen imperialistischen (moralisiert böse) und als unterdrückt wahrgenommenen (moralisiert guten) Völkern, kritisierte auch Olaf Kistenmacher rezent in der Jungle World: „Das Grundproblem des klassischen Antiimperialismus besteht darin, dass er vornehmlich Nationalstaaten oder Volksgruppen kennt“, und weiter: „1920 einigte sich die Kommunistische Internationale auf seine Forderung, sich nicht nur mit dem Proletariat in jedem Land zu solidarisieren, sondern auch mit ‚unterdrückten Völkern‘. Dass nationale Bewegungen gegen ‚den Imperialismus‘ kämpfen, sollte ausreichen, um sie als Bündnispartnerinnen zu akzeptieren – ganz egal, ob sie ansonsten eine linke Politik verfolgten.“ Aus dieser Widerstandslogik heraus solidarisieren sich diese Gruppen somit häufig mit antikolonialen und um nationale unabhängig bemühte Organisationen, unabhängig deren weltanschaulichen Orientierung und Ausrichtung.

AIK und APC. Rigoroser Antizionismus, Rechtsextremismus und Volkssolidarität.

Und so verwundert es nicht, dass AIK oder RKOB/RCIT auch politische Islamisten, salafistische Dschihadisten und islamistisch regierte Staaten zu ihren Verbündeten erklären und sich dazu hinreißen lassen, verheerende Terroranschläge wie den 11. September 2001 zu antiimperialistischen Widerstandsakten zu verklären. Gegen den überhistorischen „Hauptfeind der Völker“ (AIK), den US-Imperialismus und seine Agenten, ist schließlich alles erlaubt, was den imperialistischen Block als „verwundbar“ markiert. Ob es sich dabei um Terrorakte des salafistischen Dschihadismus handelt, wie sie im Afghanistan der 1980er-Jahre zu beobachten waren, um Anschläge der von eliminatorischen Antisemitismus geprägten al-Qaida oder um die gezielte Tötung von Zivilist*innen durch islamistische Organisationen im Nahen Osten, die mit Terrorkampagnen gegen Israel agitieren, ist zweitrangig – der Zweck ist sakrosankt, die gewählten Mittel sind zweitrangig. Der Staat Israel spielt in diesem dichotomen Weltbild der AIK eine zentrale Rolle: Denn Israel wird als geopolitischer Stellvertreterstaat („Brückenkopf“) des US-Imperialismus, der europäischen Staatengemeinschaft und der NATO betrachtet, der gezielt militärisch hochgerüstet und mit Atomwaffen ausgestattet wird, um die revolutionäre nahöstliche Welt des Trikonts in Schach zu halten und die politische Großwetterlage bzw. die Raumverhältnisse zugunsten des Amerikanismus zu stabilisieren.

Diese angenommene Stellvertreterfunktion erklärt sich für die AIK grundsätzlich aus der historischen Ausprägung des Zionismus selbst: Dieser sei die „historisch offensichtlich […] falsche Antwort“ gewesen, da „diese politische Ideologie von Anfang an Ausgrenzung, Rassismus und Rechtfertigungsideologien des europäischen Kolonialismus auf vielfältige Weise übernommen“ habe. Hier findet sich das für antiimperialistische Organisationen charakteristische Argumentationsmuster, das den Zionismus als direktes Nachfolgeprojekt des europäischen Kolonialismus begreift. So sei auch die Kernannahme des Zionismus, „die Antwort auf den Antisemitismus müsse ein eigener Nationalstaat sein“ falsch gewesen – eine durchaus bemerkenswerte Feststellung vor dem Hintergrund, dass man jedem unterdrückten Volk einen staatlichen organisierten Raum zugesteht. Doch offenbar gilt dies für Jüdinnen*Juden nicht – ein mustergültiges Beispiel für den projektiven Charakter im Umgang mit dem Staat Israel, den der jüdische Widerstandskämpfer und Auschwitz-Überlebende Jean Améry prägnant als „die Aktualisierung des uralten, offensichtlich unausrottbaren, ganz und gar irrationalen Judenhasses von eh und je“ erfasste. Verhärtet hätte sich Israels Funktion als Brückenkopf-Kolonialstaat ferner durch die Staatsgründung 1948: „Die Staatsgründung [Israels, Anm. d. Verf.] hat im Übrigen viel mit den Interessen der europäischen Kolonialstaaten und all derjenigen Staaten zu tun, die sich den Verfolgten gegenüber verschlossen, und kaum etwas mit Schutz und Hilfe.“ Eine dreiste Verdrehung geschichtlicher Tatsachen, die den ideologischen Gestus enthüllt – der antikoloniale Kampf von Jüdinnen*Juden auf dem Gebiet des heutigen Israel um Selbstbestimmung und Sicherheit gegen Großbritannien wird weggeleugnet und just die Rolle der europäischen Kolonialmächte, allen voran Großbritanniens, beinahe in ihr historisches Gegenteil verdreht.

Die Konsequenzen dieser Weltsicht sind freilich gravierend: Wenn Israel als böser Unterdrücker in Erscheinung tritt, der die arabischen Völker an der Kandare hält, dann gilt das Recht auf Widerstand. Denn das stehe jedem unterdrückten Volk von Natur aus zu – und wenn, so die AIK, „friedliche Mittel nichts erreichen, hat eine unterdrückte Nation allerdings auch das Recht, den Befreiungskampf bewaffnet zu führen.“ Damit erklärt sich auch die menschenverachtende Erklärung, die das AIK-Magazin Intifada zum 7. Oktober veröffentlichte: „Der palästinensische Widerstand hat in der Nacht auf heute, dem Jahrestag des Jom-Kippur-Krieges, den größten Angriff seit Jahren gegen die israelische Besatzungsmacht geführt.“ Einen besonders bitteren Beigeschmack bekommt dieses Zitat noch durch ein weiteres, das wiederum von der menschenverachtenden Doppelmoral im Umgang mit Israel, israelischem und jüdischem Leben zeugt – offenbar müssen dort nicht einmal mehr völkerrechtliche Standards eingehalten werden, Gnade vor Recht wird der Zivilbevölkerung verweigert. So steht es in der allgemeinen Grundsatzerklärung der AIK, die auch als Terrorverherrlichung bewertet werden kann: Der bewaffnete Kampf gegen die Repressionsorgane der Unterdrücker muss sich allerdings an die Regeln des Völkerrechts halten. Ist dies nicht der Fall oder halten sich einzelne Akteure des Widerstands nicht an diese Regeln, so erschwert dies die Solidarität, darf aber nicht die grundsätzliche Beurteilung eines kolonialen Konflikts ändern. Terror gegen Zivilbevölkerung lehnen wir klar und eindeutig ab [Hervorhebungen durch die Verf.]“. In Bezug auf Israel fällt die AIK dabei weit hinter ihre eigenen Ansprüche zurück.

Getragen wird die AIK von einer kleinen, eingeschworenen Gruppe sektiererischer Aktivist*innen, die relational zur österreichischen Linken betrachtet verschwindend klein ist und sich auf die Arbeit weniger engagierter Akteur*innen beschränkt. Neben Langthaler, zählen dazu u. a. die PFLP-nahen Leitungspersonen des Arabischen Palästina Clubs (APC) Mohamed Aburous und Malak Bastoni, die als zentrale Annmelder*innen der abendlichen Sonntagskundgebungen in der Wiener Innenstadt fungier(t)en, der tunesische „Linksoppositionelle“ Imad Garbaya, der österreichische Antiimperialist Martin M. Weinberger, der nicht weiter einordenbare Julian al Jafaari, die bekannten antizionistischen Publizist*innen Leo Xavier Gabriel und Hannes Hofbauer sowie die maoistischen Historikerinnen Andrea Komlosy und Irina Vana. Zentrale Aktivitäten der AIK erstrecken sich dabei weitgehend auf die Organisation von antiamerikanistischen und antisemitischen Veranstaltungen, die auf Solidaritätsbekundungen mit unterschiedlichen unterdrückten Völkern und Volksgruppen abzielen. Darunter finden sich Solidarität mit Russland und den Volksrepubliken im Donbass, Leugnung des Genozids von Srebrenica durch bosnisch-serbische Truppen unter Radovan Karadžić, Solidarität mit dem Kriegsverbrecher Karadžić während seines Prozesses in Den Haag, einschließlich der Vergleiche des Internationalen Gerichtshofs mit der NS-Justiz, Solidaritätsbekundungen mit dem serbischen Volk im Rahmen der jugoslawisch-österreichischen Solidaritätsbewegung, Zusammenarbeit mit dem faschistischen Suworow-Institut und dem Nationalbolschewisten Patrick Poppel, Solidaritätsbekundungen mit dem iranischen Regime und volle Unterstützung des palästinensischen „Widerstands“.

Dass man dabei nicht nur vor russischen oder serbischen Nationalist*innen oder Islamist*innen nicht zurückschreckte, sondern auch aktiv mit rechtsextremen Akteur*innen und Gruppierungen kooperierte, zeigen zwei Episoden aus den 2000er Jahren. So unterzeichneten Langthaler und Weinberger 2003 gemeinsam mit französischen Holocaustleugner*innen und italienischen Neofaschist*innen eine Unterstützungserklärung für den „irakischen Widerstand“ gegen den US-Imperialismus. Im Jahr 2007 ging man noch einen Schritt weiter: Gemeinsam mit AfP-Nachwuchskadern, namentlich Martin Sellner und Norbert Bichelhuber, und Helmut Müller, Chefredakteur des rechtsextremen Eckartboten (der in der ÖLM samt Veranstaltungssaal beheimatet ist), organisierten Langthaler und RKOB-Chef Pröbsting eine Solidaritätskundgebung mit dem iranischen Atomwaffenprogramm. Anlass war eine Kundgebung der jüdischen Gemeinde Wiens gegen ebendieses Programm. Wichtig ist hier die Analyse der ideologischen Schnittmengen zwischen islamistischen Akteur*innen und Neonazis, aber auch mit dem linken Antiimperialismus: Oft werden bei ersterem Männerbündelei und Antifeminismus als zentrale Merkmale hervorgehoben, dabei aber jener Faktor übersehen, der auch den schnellen Brückenschlag ins antiimperialistische Milieu ermöglicht (und auf den Volker Weiss bereits ausführlich hingewiesen hat) – nämlich die an Carl Schmitt orientierte Annahme einer imperialistischen „Großraumordnung“ der Welt unter der Ägide des Amerikanismus und des Westens. Diese negierten – mit Schmitt – das seit der „Monroe-Doktrin“ historisch etablierte Gebot, als politisch raumfremde Macht auf fremdem Boden zu intervenieren (zugunsten von Machtgewinn, Ausweitung der politischen Einflusssphäre, Erschließung von Rohstoffquellen usw.).

In der Kritik an Dekadenz, männlicher Verweichlichung, dem Aufstieg von Feminismus und Queerfeminismus, moralischem Verfall, Seinsvergessenheit und der Zerstörung von Heimat und Tradition wenden sich die drei Akteure damit gegen den Westen und den Amerikanismus und sagen – in durchaus unterschiedlichen Theorietraditionen – der amerikanistischen „Homogenisierung“ aller Menschen den Kampf an. Sie alle eint die Sehnsucht nach dem „defensiv-autochthonen Verteidiger der Heimat“, wie Carl Schmitt diesen in seiner Partisanentheorie ausgearbeitet hat. Die vulgärpersonalisierende Elitenkritik, die die kapitalistische Gesellschaftsordnung nicht als historische Entfaltung der kapitalistischen Warenlogik zu ihrem allgemeinen Begriff in Form kapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse begreift, sondern als Verschwörung gieriger Großkapitalisten, kann als strukturell antisemitisch angesehen werden, die auch immer wieder in offenen Antisemitismus umschlägt. Damit wird auch deutlich, wie Antisemitismus und antisemitisch aufgeladener Antiamerikanismus zur Bündnisbildung über politische Lagergrenzen hinweg führen und eine negative Sinnstiftungsfunktion erfüllen.

Langthaler war und ist nicht der einzige AIK- bzw. AIK-nahe Akteur, der durch direkte Kontakte ins rechtsextreme Milieu auffällt – auch der langjährige antiimperialistische Aktivist, Verleger und Publizist Hannes Hofbauer pflegt enge Kontakte ins nationalbolschewistische und verschwörungsideologische Spektrum und ist zudem Anhänger der Wagenknecht-Linken. So veröffentlichte Hofbauer 1994 gemeinsam mit dem heutigen Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer ein Pamphlet zum „Krisenherd Europa“, war zuvor in der Redaktion der direkt von Muammar al-Gaddafi finanzierten MOZ tätig, arbeitete später für den russischen Propagandasender RT und trat mehrfach bei Ken Jebsens Sender Ken FM auf. Für besonderes Aufsehen sorgte Hofbauer, als er 2005 als Geschäftsführer des Wiener Promedia-Verlags die wüste antisemitische Hetzschrift Blumen aus Galiäa von Jören Jermas alias Israel Shamir veröffentlichte. Darüber hinaus vertritt Hofbauer in Anlehnung an Elsässer einen offensiven antisemitischen Antiamerikanismus und folgt dieser Linie auch in seiner Palästina-Position.

Hofbauer bei Rede auf PSÖ Kundgebung am 14. Oktober 2023 in Wien, Favoriten.

Wohl auch deshalb ist Hofbauer ein gern gesehener Gast bei Kundgebungen und Demonstrationen der Palästina Solidarität Österreich oder bei Veranstaltungen des pro-palästinensischen Milieus. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Überschneidung mit dem Corona-Demonstrationsmilieu: Wie Langthaler publiziert Hofbauer regelmäßig im verschwörungsideologischen Medium TKP, wobei es sich zumeist um Putin-affine, NATO-kritische und die Neutralität Österreichs betreffende Artikel handelt. Bezeichnend ist auch, dass Hofbauer mit der AIK-Aktivistin und Historikerin Andrea Komlosy liiert ist. Die Maoistin Komlosy ist für ihren israelbezogenen Antisemitismus bekannt: sie bezeichnete Israel mehrfach als NATO-Brückenkopf, der nur aufgrund der Shoah Legitimität besitze, denn „eigentlich“ sei Israel ein „Fremdkörper“ in der Region. Zudem stellte Komlosy die Staatsgründung Israels in eine Reihe mit der Judenvernichtung des Hitler-Regimes und postulierte, dass mit dem Staat Israel Hitlers Pläne langfristig aufgegangen seien.

In eine ähnliche Kerbe schlägt der Politikwissenschaftler Gabriel: Der sich als Südamerika-Spezialist ausgebende Publizist gilt als glühender Anhänger des Saddam-Ba’athismus und tritt regelmäßig für die Errichtung eines ausschließlich arabisch-palästinensischen Staates „zwischen Jordan und Mittelmeer“ ein. Ebenso ist er ein gern gesehener Gast bei Veranstaltungen der Palästina Solidarität Österreich, wo er sich nicht scheut, seinen israelbezogenen antisemitischen Forderungen öffentlich Nachdruck zu verleihen. Im Jahr 2008 nahm Gabriel an einer antizionistischen Konferenz in Beirut teil, bei der auch hochrangige Vertreter von Hizbollah und Hamas anwesend waren und die Al-Aqsa-Intifada verherrlicht wurde. Wahlweise tritt Gabriel auch als Redner bei Veranstaltungen der PSÖ auf: Dort glorifizierte er u.a. den Terrorangriff der Hamas als Widerstandsakt des palästinensischen Volkes, identifizierte die Bevölkerung von Gaza mit dem Hamas-Terror und der Hamas selbst, rief mehrfach die Parole „from the river to the sea“ und forderte ein Ende des deutsch-österreichischen „Schuldbewusstseins“.

Martin Weinberger ist weniger publizistisch als vielmehr als Aktivist auf der Straße aktiv. Zwar finden sich einige Artikel von ihm auf dem Intifada-Portal, doch hat er es im Gegensatz zu den Vorgenannten nicht zu szeneübergreifender Bekanntheit gebracht. Dennoch ist ein Artikel erwähnenswert, in dem Weinberger nur knapp daran vorbeischrammt, die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan zu feiern. Dort hätte nämlich „das US-Imperium […] eine gewaltige Niederlage erlitten und die Aufständischen […] einen großen, einen schnellen Sieg [errungen] – ohne Rückhalt breiter Bevölkerungsschichten wäre das nicht möglich gewesen“, konstatiert Weinberger dazu. Auffallend ist auch hier, dass Weinberger den Einmarsch der UdSSR mit keinem Wort erwähnt – es habe zwar seit 1978 Krieg gegeben, aber der „eigentliche“ Krieg habe begonnen, als sich die USA als „Weltpolizist“ sahen und sich als führende Weltmacht etablieren wollten. Und auch Weinberger kommt nicht umhin, den islamisch-erzkonservativen Stammesstrukturen, aber auch den islamistischen Milizen seine Solidarität auszusprechen: „Es ist im Westen leicht, mit dem Finger auf das ‚wilde‘, ‚rückständige‘, ‚patriarchalische‘ Stammes-Afghanistan zu zeigen – wenn diese Strukturen vielfach die einzigen sind, die der Bevölkerung Versorgung und Schutz zu bieten vermögen. Es ist leicht, den konservativen Islam der Taliban zu kritisieren, wenn deren religiös legitimiertes Gesetz an vielen Orten das einzige Rechtssystem bietet“.

Weinberger mit Langthaler und al Jaafari bei PSÖ-Kundgebung.

Weinbergers Logik ist fatal – wenn es in den entlegenen Randgebieten Afghanistans kein Rechtssystem außer der Schari’a gibt, dann muss eben die Schari’a für Ordnung sorgen. Und auch das Bekenntnis zu den Stammesstrukturen gibt wesentliche Aufschlüsse über Weinbergers politische Orientierung: Zwar finden sich in ihren Reihen auch Mudschaheddin, die gegen die Taliban agieren und versuchen, das Land zu halten, aber zweifellos auch solche, die – wie übrigens auch im Jemen – islamistischen Akteuren à la Al-Qaida oder den Taliban bereitwillig Deckung und Schutz bieten. Dass es für Weinberger undenkbar erscheint, Solidarität etwa mit Frauenrechtlerinnen und politischen Frauengruppen zu zeigen, ist bezeichnend für das tagespolitische Handeln von AIK-Vertretern, denen die Unterstützung von Feinden Israels und der USA gleich welcher Couleur wichtiger ist als die von echten emanzipatorischen Kräften. Weinberger ist dabei nicht nur ideologisch, sondern gerade in seiner Funktion als Aktivist und Kernakteur sowohl der AIK als auch der PSÖ zu sehen – er ist regelmäßig bei öffentlichen Auftritten präsent, ließ sich sogar aus Protest gemeinsam mit Langthaler kurzzeitig festnehmen und erkennungsdienstlich behandeln, als eine Kundgebung der PSÖ im Wiener Vogelweidpark wegen Parolen wie „From the river to the sea, Palestine will be free“ polizeilich verboten wurde.

Dass durchaus reaktionäre Positionen, solange sie nur irgendwie antiamerikanisch klingen, in der AIK eher die Norm als die Abweichung darstellen, zeigt auch der tunesische Linksoppositionelle Imad Garbaya. 2020 vertrat er die kuriose Ansicht, dass der aktuelle tunesische Präsident Kais Saied, der zu diesem Zeitpunkt gerade das Parlament mehr oder weniger ausgeschaltet hatte, als progressiv zu bewerten sei, da er gegen die herrschende Korruption vorgehe. Was viele Tunesier*innen vor Ort befürchten ließ, dass damit alle Errungenschaften des Arabischen Frühlings zunichte gemacht würden, beunruhigte Garbaya kaum. Auch zu Saieds „sozialen“ Positionen konnte und wollte er sich nicht äußern, da diese angeblich „nicht bekannt“ seien – dass dies nicht stimmt, zeigen öffentliche Äußerungen Saieds, die sich gezielt gegen die Gleichberechtigung der Frau wie auch gegen jede Form diplomatischer Normalisierungsprozesse mit Israel richteten. Und obwohl sich Garbaya zumindest gegen die rechtsislamistische Ennahda-Partei ausspricht, verherrlicht er den islamistischen Terror gegen Israel: So sprach er auf Kundgebungen der PSÖ von der „längsten Besatzung des 20./21. Jahrhunderts“, die seit über 70 Jahren andauere „und die einzige Besatzung [sei], wo, wenn das Volk Widerstand leistet, [dies] als Terror bezeichnet wird“. Garbaya erklärt auch das „palästinensische Volk“ als „an der Front des Kampfes des globalen Südens“ stehend, das „ganz normalen Widerstand“ leiste. Es leide jedoch besonders unter der westlichen, imperialistischen Propaganda, da jede politische Handlung, „auch die Demonstrationen in Jerusalem, in al Quds, […] als Terror bezeichnet“ werde.

Garbaya auf untersagter PSÖ-Kundgebung in Wien, Rudolfsheim.

Abschließend soll im Rahmen der Darstellung der AIK auf Mohamed Aburous und Malak Bastoni eingegangen werden, die die führenden Köpfe der APC sind. Die APC ist personell eine kleine Organisation, die nur über einen bescheidenen Facebook-Auftritt verfügt. Aburous publiziert jedoch regelmäßig in der Intifada, tritt als Redner für den AIK-Ableger Selbstbestimmt Österreich auf, agiert gemeinsam mit Bastoni häufig in organisatorischer Funktion bei Demonstrationen der PSÖ und tritt als Anmelder für die sonntäglichen Kundgebungen des APC in der Wiener Innenstadt auf. Aburous, der ideologisch wohl auch dem antiamerikanistischen Antiimperialismus zuzurechnen ist, etablierte u.a. nach dem Verbot des Slogans „from the river to the sea“ den ideologisch wesentlich eindeutigeren Slogan „Vom Jordan zum Mittelmeer, keinen Zionismus mehr“ – ein Slogan, der gewissermaßen als Leitbild für die politische Rhetorik und Aktivität von Aburous und Bastoni zu verstehen ist. So zierte die antisemitische Terroristin Leila Khaled Transparente der APC oder plakative Parolen à la „Zionismus ist Faschismus“. Ein anderes Mal bezeichnete Aburous den Einmarsch der Hamas als legitime „Demütigung“ der israelischen Armee, die sich nun mit gezielten Massakern an der palästinensischen Bevölkerung rächen wolle, um gnadenlos „Blutrache zu nehmen“ und „um das Abschreckungsmonopol des Westens mit aller Gewalt wiederherzustellen“.

Die Steirische Friedensplattform. Relativierung von Antisemitismus und Terrorapologie.

Die AIK ist jedoch – wie bereits angekündigt – nicht der einzige Akteur des antiimperialistischen Spektrums, der sich organisatorisch und ideologisch in die pro-palästinensische Mobilisierung und Debatte einbringt. Ein weiterer Akteur, der sowohl personell als auch ideologisch der AIK nahesteht, ist die Steirische Friedensplattform (StFP), die mehr oder weniger im Alleingang von Franz Sölkner geführt wird. Sölkner selbst entstammt der ökumenisch offenen christlich-sozialen Organisation Pax Christi und ist in der Vergangenheit als Tier-, Umwelt- und Friedensaktivist in Erscheinung getreten – die Praxis der StFP zielt dabei vor allem auf den Israel-Palästina-Konflikt bzw. dessen einseitige Lösung zugunsten eines wie auch immer gearteten freien Palästina ab. Ideologisch sieht sich Sölkner von einem „Erweckungserlebnis“ geleitet: Bis 1974 sei er israelsolidarisch gewesen, sagt er, doch nach einem Besuch in Israel und Palästina habe er die bittere Realität vor Ort erst richtig begriffen. Nach dem Oslo-Friedensprozess 1993 habe er dann begonnen, sich für Palästina einzusetzen.

Als zentralen Angriffspunkt seines politischen Handelns sieht Sölkner den Kampf gegen die Instrumentalisierung des „realen“ westlichen Antisemitismus durch den israelischen Zionismus, der ersteren nur instrumentalisiere, um mehr jüdische Personen in Israel anzusiedeln. Der Zweck liegt für Sölkner offen zutage: den Siedlerkolonialismus zur Unterdrückung der Palästinenser*innen zu stützen und auszubauen. Die Landnahme Israels erinnert Sölkner an jenes Regime, das in Europa für die Shoah verantwortlich war – eine für das Milieu typische Umdeutung, wird doch der Zionismus geschichtsrevisionistisch als direkter Nachfolger des europäischen Kolonialismus und als Vermächtnis des Nationalsozialismus gesehen. Auch Sölkner sieht Antisemitismus in den meisten Fällen als reines Herrschaftsinstrument des israelischen Staates, um vermeintliche Kritiker*innen zu delegitimieren – auch dieser Argumentation ist hinlänglich bekannt. In ähnlicher Manier meinte beispielsweise ein englischsprachiger jüdischer Antizionist am 9. Dezember 2023 in Wien am Herbert Karajan-Platz, dass es zweifellos antisemitisch sei, wenn Burschenschaften den Akademikerball abhalten, aber ganz sicher nicht antisemitisch, sich für den palästinensischen „Widerstand“ einzusetzen.

Sölkner bei AIK-Kundgebung im Wiener Prater.

Wenig verwunderlich ist es daher, dass Sölkner selbst immer wieder als Gastautor der Intifada in Erscheinung trat – umgekehrt publizierte auch Langthaler im Online-Outlet der StFP: Von besonderer Bedeutung ist vor allem ein Artikel über den in Graz-Karlau zu lebenslanger Haft verurteilten Hamas-Aktivisten Abdelkarim Mohammed Abu Habel. Dieser hatte in der Justizanstalt Graz-Karlau unter anderem Kontakt zu Lorenz K., einem österreichischen IS-Dschihadisten, der von den Behörden bei dem Versuch festgenommen worden war, einen zwölfjährigen Jungen mit einem Selbstmordattentat in Ludwigshafen zu beauftragen und selbst einen Sprengstoffanschlag auf die US-Air Base Ramstein zu verüben. Nachdem K. aufgrund von Terrorplanungen, die er in der Haft mit dem georgischen IS-Terroristen Sergo P. getroffen hatte, in die Justizanstalt Krems Stein überstellt worden war, traf er Abu Habel in der Justizanstalt Karlau. K. übermittelte Abu Habel Bombenbauanleitungen, die dieser an Hamas-Sympathisanten im Westjordanland weiterzugeben versuchte. Für Langthaler und die StFP sind die ganz konkreten Tatsachen und Drohungen, die auf eine ausgeprägte Verbindung Abu Habels zur dschihadistischen Terrorszene hindeuten, jedoch nichts anderes als „Kolonialjustiz“. Besonders unglaubwürdig sei der ganze Fall vor allem deshalb, weil Abu Habel bereits im Alter von 14 Jahren von einem israelischen Gericht wegen Terrorunterstützung verurteilt worden sei – was zeige, dass auch die österreichische Justiz völlig von der israelischen vereinnahmt sei, weshalb es angezeigt sei, das Urteil wegen Befangenheit abzulehnen. Dass in der Zelle von Abu Habel auch Elektronikteile und Patronen gefunden wurden und der IS-Jihadist K. Abu Habel ein Handy besorgt hatte, ist für StFP und Langthaler irrelevant.

Sölkner scheint auch Mitglied des AIK-Ablegers „Selbstbestimmtes Österreich zu sein“.

Realpolitisch spielt die StFP vor allem für das Protestgeschehen in Graz eine wichtige Rolle. Nach Wien finden hier die meisten und am besten besuchten pro-palästinensischen Kundgebungen und Demonstrationen statt. Dabei kommt vor allem Sölkner eine zentrale Rolle zu: Er kann als Vermittler zwischen unterschiedlichen Milieus angesehen werden. So verfügt die StFP über ihre Anbindung an die Friedensbewegung sowohl über Kontakte ins Umfeld der KP/KJ-Graz, zu antisemitisch-antiimperialistischen und geschichtsrevisionistischen Organisationen wie dem Funken, zu christlichen Akteur*innen über Pax Christi und gleichermaßen zu Aktivist*innen der palästinensischen Diaspora und der PSÖ. Sölkner gilt laut AIK-Aussendung auch als Teil des Gründungsgremiums der PSÖ überhaupt, was seine starke Einbindung verdeutlicht. Auffallend ist auch eine weitere Kooperation mit dem wegen Drogenhandels und antisemitischer Hetze verurteilten Rapper und Kampfsportler Yasser Gowayed, der im Internet regelmäßig seine ideologische Nähe zur islamistischen Kalifatsbewegung Hizb ut Tahrir bekundet und Teil der Mobilisierungskampagne Graz4Palestine ist. Auf seine Verstrickungen und Kontakte wird noch näher eingegangen werden. Die StFP und insbesondere Franz Sölkner sowie Helga Suleiman, eine zentrale Aktivistin des steirischen Ablegers der PSÖ, sind aber auch regelmäßig in Wien zu Gast, um dort Reden für das hiesige Demonstrationsgeschehen zu liefern.

Sölkner bei RTV mit Schott und Machl.

Relevant ist auch, dass Sölkner nicht davor zurückschreckt, Kontakte zur verschwörungstheoretischen und rechtsextremen Szene zu knüpfen, um für seine Sache zu werben: So trat Sölkner am 31. Oktober 2023 gemeinsam mit report24.news-Chef Florian Machl bei Nicolas Schotts Sender RTV auf. Schott ist mit seinem Regionalsender RTV seit einiger Zeit regelmäßiger Gast bei rechtsextremen Veranstaltungen des IB-Spektrums sowie der „alternativen Medien“, zuletzt etwa beim rechtsextremen Treffen der Avanti NeoCultura im Castell Aurora in Steyregg oder bei der rechtsextremen Runde der Chefredakteure alternativer Medien am 7. April 2023 gemeinsam mit Michael Scharfmüller, Florian Machl, Philipp Huemer und Stefan Magnet. Machl betreibt gemeinsam mit Edith Brötzner den Sender report24.news, der in enger Kooperation mit AUF1 eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung der Corona-Proteste spielte und gezielt antisemitische und rassistische Verschwörungserzählungen verbreitet. Huemer ist langjähriger Kader der Identitären Bewegung Österreich und fungiert als Chefredakteur des rassistischen Hetzblattes Heimatkurier.

Die RCIT/RKOB: Pro-Islamismus, Militanz und Antisemitismus.

Die RCIT unter der nunmehrigen Leitung des Generalsekretärs Michael Pröbsting ist aus der trotzkistischen Wiener Gruppierung Arbeiterinnenstandpunkt um das Jahr 2011 entstanden, wobei die RCIT eine kleine Splittergruppe darstellt, die – wie Andreas Peham vom DÖW festellt – v. a. von Pröbstings „maßlose[r] Selbstüberschätzung, die ihn im Ausland als relevanten Sprecher relevanter Gruppen erscheinen lassen“, lebt. Neben Pröbsting, der sich selbst auf seiner eigenen Website als „politischen Schriftsteller und Aktivist“ inszeniert, zählen Almedina Gunic und Marek Hangler zur RKOB – als öffentliches Gesicht ist jedoch v. a. Pröbsting selbst präsent. Zu Pröbsting und zur RKOB ist bereits hinlänglich viel bekannt, ihre ideologische Verfassung ist dabei auch von der Politologin Tina Sanders umfassend kritisiert worden. Dennoch seien hier kurz einige besonders gravierende antisemitische bzw. pro-islamistische Vorfälle genannt, um in gebotener Kürze ein Bild der Organisation, v. a. aber von Pröbsting zu malen: Noch als Mitglied des Arbeiter*innenstandpunkts griff er eine Veranstaltung des Café Critique zum iranischen Atomwaffenprogramm mit weiteren Mitgliedern des Arbeiter*innenstandpunkt an, verletzte dabei eine Anwesende tätlich und wurde danach wegen Körperverletzung rechtskräftig verurteilt.

Pröbsting in der Mitte bei untersagter PSÖ-Kundgebung in Wien, Rudolfsheim.

Nach seinem Ausschluss aus der AST forderte Pröbsting die Wiedereinsetzung des Muslimbruders Mohammed Mursi als regulärer Präsident Ägyptens, solidarisierte sich 2012 öffentlich mit dem Wiener IS-Dschihadisten Mohamed Mahmoud, der zusammen mit dem Deutschen Denis Cuspert (alias Rapper Deso Dogg) die Organisation Millatu Ibrahim gründete, um Mitglieder für den IS zu rekrutieren. Gemeinsam mit Cuspert reiste Mahmoud nach Syrien ins „Kalifat“ des IS und starb im Kampf für den IS. Im Jahr 2014 sorgte ein Jugendfunktionär mit antisemitischer Hetze für Aufsehen: Marc H. forderte auf einer Schüler*innendemo Jugendliche und Kinder der jüdisch-sozialistischen Pfadfindergruppe Hashomer Hatzair auf, die Veranstaltung zu verlassen, da sie „Kindermörder“ und „Faschisten“ seien. Im Jahr 2016 liefen Pröbsting und weitere Mitglieder der RKOB bei einer Bleiberechtsdemonstration in Wien Mariahilf mit einem Transparent mit dem Symbol „R4bia“ – dem internationalen Erkennungszeichen der ägyptischen Muslimbruderschaft, aber auch der weltweiten Muslimbruderschaftsbewegung – auf. Auch danach fanden regelmäßig Kundgebungen der RKOB mit anderen migrantischen Organisationen, die der Muslimbruderschaft nahestehen, statt, bei denen das R4bia-Symbol stets zu sehen war. Ebenfalls 2016 reiste Pröbsting zu einer „antiimperialistischen“ Konferenz nach Beirut, die sich mit Amerikanismus und Israel befasste. Mit Beginn der Covid-19-Pandemie machte die RKOB dann – wie u.a. auch die AIK – Stimmung gegen die Maßnahmenpakete und marschierte einmal mehr an der Seite von rechtsextremen Gruppierungen und Anhänger*innen diverser antisemitischer Verschwörungserzählungen. Seit dem 7. Oktober ist Pröbsting auf nahezu jeder Kundgebung zu finden, die den Israel-Gaza-Krieg thematisiert – oft scheint Pröbsting auch ein Auto zur Verfügung zu stellen, das als Soundmobil genutzt wird, ebenso häufig tritt er als Redner sowohl bei Kundgebungen der PSÖ als auch der APC auf.

Die GÖAB. Antiimperialistischer Diktatorenkult und Intifada-Glorifizierung.

Ein weiterer seit Jahren wichtiger Akteur im Rahmen diverser pro-palästinensischer Organisationen ist der Antiimperialist Fritz Edlinger, der als Präsident der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen tätig ist. Über Edlingers Aktivitäten ist vor allem durch die kritischen Artikel von Karl Pfeifer und Thomas Schmidinger bereits viel bekannt – hier soll nur exemplarisch auf die wichtigsten Erkenntnisse zu Edlinger hingewiesen werden. Mediale Berühmtheit erlangte der ehemalige SP-Vertreter in der Sozialistischen Internationale und als Vertrauter Karl Blechas im Zuge der internationalen Aufdeckung der klandestinen Schmiergeldpolitik des irakischen Diktators Saddam Hussein. Saddam hatte Edlinger nämlich über das nur scheinbar humanitäre Hilfsprogramm Oil for Food über Scheinfirmen privat 100.000 € zukommen lassen. Zuvor hatte sich Edlinger – einmal mehr unter dem Deckmantel des geopolitischen Antiamerikanismus – bemüht, Saddam als fortschrittlichen Widerstandspolitiker darzustellen, da sich das Saddam-Regime schließlich gegen den US-Imperialismus zur Wehr gesetzt habe.

Edlinger bei Rede auf PSÖ-Demonstration am 13. Jänner 2024.

Auch zum Nahostkonflikt bezieht Edlinger spätestens seit 1982 klar Stellung: Israel sei nichts anderes als ein zionistischer Siedlerstaat, dessen politisch-soziales Ziel die Unterdrückung der arabischen Welt sei. 1982 – im Zuge des Libanonkrieges – warf er dem österreichischen Staat vor, „billige und oberflächliche Appelle an das schlechte Gewissen beziehungsweise die Verpflichtung zur Wiedergutmachung an die österreichische […] Bevölkerung” zu richten – ein Diskursstrang, der auch heute immer wieder auftaucht und den Edlinger unter anderem in seiner Rede bei einer Kundgebung der PSÖ am 13. Jänner 2024 am Platz der Menschenrechte einmal mehr präsentierte. Im Jahr 2005 war Edlinger gemeinsam mit Hannes Hofbauer zentral an der Herausgabe der antisemitischen Hetzschrift von Israel Shamir (siehe oben) beteiligt – nach Kritik an der Herausgabe äußerte sich Edlinger dahingehend, dass Antisemitismus in Shamirs Werk „hineininterpretiert“ werde, um Kritik an der Politik Israels zu verunmöglichen.

Edlinger wickelte 2012 über die GÖAB mit dem Bundesheer einen humanitären Einsatz in Libyen ab. © Gunther Putsch

Edlinger ist auch als Journalist, Autor und Kulturmanager tätig, der sich mittlerweile sowohl im Bereich der AIK als auch der palästinensischen Vereine bewegt – seine Publikationen erscheinen gesammelt im Promedia Verlag. Edlinger tritt auch als Redner bei öffentlichen Protestveranstaltungen und als Organisator von Kundgebungen auf. So etwa bei einer Demonstration im Juni 2010, bei der Edlinger und der SP-Politiker Omar al Rawi Reden hielten, während im Publikum Transparente gezeigt wurden, auf denen etwa der Davidstern mit dem Hakenkreuz gleichgesetzt wurde, obskure Vergleiche Israels mit Hitler-Deutschland gezogen und Hamas-Fahnen geschwenkt wurden. Auch im Rahmen der pro-palästinensischen Mobilisierung 2021 trat Edlinger als Organisator in Erscheinung: Die Kundgebung in der Wiener Innenstadt am 21. Mai 2021 wurde jedoch aufgrund der massiven antisemitischen Hetze der vorangegangenen Demonstrationen verboten – zuvor war etwa auf der Mariahilfer Straße „Chaibar, Chaibar, ya yahud, dschaisch Mohammed saya’ud!“ gerufen worden und im Publikum befanden sich neben IS-Sympathisant*innen auch Anhänger*innen der Muslimbruderschaft sowie Vertreter*innen der ATF/ATK.

Edlinger mit PRC-Funktionär Dr. Ali Huweidi bei DaJ-Vortrag.

2021 trat Edlinger bei einer Kundgebung der PSÖ auf, wo er verkündete, Israel und die Israelis seien nichts anderes als brutale Schlächter, die sich nicht für Menschenrechte interessierten und mit Menschen nicht anders umzugehen wüssten, als sie zu unterdrücken. 2022 erklärte er, Palästina habe wie die Ukraine das Recht auf uneingeschränkte Selbstverteidigung und Widerstand und auch bei der aktuellen Mobilisierungswelle der PSÖ ist Edinger regelmäßig zu Gast. Dort attackiert er vor allem die politische Haltung Österreichs zum israelischen Gaza-Krieg und die erodierende Neutralität des österreichischen Staates, die durch die israelsolidarische Haltung zugunsten der Unterstützung des genozidalen kolonialistischen Siedlerstaates Israel völlig verloren gegangen sei. Darüber hinaus betreibt Edlinger seit kurzem ein eigenes Youtube-Format und äußert sich regelmäßig auf dem Verschwörungstheorieportal Nachdenkseiten zu verschiedensten geopolitischen Themen. Relevant ist auch, dass Edlinger 2022 als Organisator des palästinensischen Kanaan Filmfestivals auftrat, das von der Stadt Wien offiziell gefördert wurde.

BDS und Dar al Janub – linker Antisemitismus im scheinbar progressiven Gewand.

Wichtige Akteur*innen der pro-palästinensischen Aufmärsche stellen auch die internationale BDS-Bewegung sowie der – seiner Zeichens nach „antirassistische“ – Verein Dar al Janub (DaJ) dar. Zu beiden Vereinigungen ist bereits viel geschrieben worden, erst kürzlich veröffentlichte die Dokumentationsstelle Politischer Islam (DPI) einen kurzen Bericht zur Genese von DaJ. Wie im Falle der RKOB wollen wir hier nur zentrale Akteur*innen sowie zentrale Aktivitäten schlaglichtartig erwähnen. Wir behandeln BDS und DaJ gemeinsam, da sich die Akteur*innen stark überschneiden und mit Oliver Farid Hashemizadeh, der sowohl bei BDS als auch bei DaJ zentrale Positionen innehatte und als politisch-ideologisches Zugpferd gilt, eine elementare Schnittmenge besteht.

BDS-Akteur*innen auf PSÖ-Demonstration.

Bislang sind sowohl BDS als auch das DaJ wichtige Akteure pro-palästinensischer Organisierung in Österreich – während das DaJ vor allem ideologische und gemeinschaftsorientierte Arbeit leistet, zeichnet sich BDS durch den Versuch einer populär inszenierten, medienwirksamen und spektakulären Agitation aus: Neben regelmäßigen Kundgebungen gehören auch Flashmobs, sogenannte „Die-Ins“ und Protesttheateraufführungen, die die israelische „Apartheidpolitik“ symbolisieren sollen, sowie Scheinhinrichtungen palästinensischer Geiseln durch israelische Soldat*innen zum Repertoire des österreichischen Ablegers. Dabei ist man stets bemüht, sich als antiimperialistisch-antikapitalistische Grassroots-Initiative zu inszenieren, die sich zivilgesellschaftlich-übergreifend für die Rechte des palästinensischen Volkes einsetzt. Die tatsächliche Geschichte der BDS-Entwicklung weist diese Darstellung allerdings als schlichte ideologische Verzerrung aus: Nicht nur baute man mit der Idee des sozioökonomischen Boykotts Israels sowie israelischer und jüdischer Konzerne auf antisemitische Boykott-Traditionen der Arabischen Liga zwischen 1963 und 1993 auf, unter den unterzeichnenden Organisationen des Gründungsaufrufes des „zivilgesellschaftlichen“ BDS National Committee fanden sich ferner auch sämtliche Terrororganisationen des palästinensischen Raumes (Islamic Jihad, Hamas, PFLP, Fatah und weitere) sowie weitere anti-israelische Kräfte des Nahen Ostens – also eindeutig politisch-militärische Akteure und beileibe keine ziviligesellschaftlichen. Wichtiger Akteur sowohl des DaJ als auch von BDS Austria war und ist bis dato Oliver Farid Hashemizadeh – jener Aktivist, der auch bei Ismail Haniyeh zu Gast war.

Der Anführer des Angriffs auf das Novemberpogromgedenken 2003.

Hashemizadeh war vermutlich bereits Mitglied des Vorgängervereins von DaJ, Sedunia. Sedunia geriet in die Schlagzeilen, als eine Truppe von Vereinsmitgliedern eine Gedenkveranstaltung zum Novemberpogrom 2003 störte und tätlich angriff (was u.a. von österreichischen Neonazis wohlwollend aufgenommen wurde). Interessant ist auch, dass der GÖAB-Vorsitzende Fritz Edlinger regelmäßiger Gast bei Sedunia war und diese unterstützte. Das DaJ wurde drei Jahre vor der Auflösung von Sedunia 2003 gegründet, Sedunia selbst war zumindest legalistisch noch bis 2006 aktiv. BDS etablierte sich erst mehr als zehn Jahre nach der Gründung des DaJ als österreichischer Ableger des Palestininian BDS National Committee – auch hier dürfte Hashemizadeh stark involviert gewesen sein. Auf genaue Ausführungen zur ideologischen Positionierung von BDS wird an dieser Stelle verzichtet, da dazu bereits an anderer Stelle ausführlich gearbeitet wurde (exemplarisch sei hier auf die Studie von Feuerherdt und Markl, erschienen 2020, verwiesen), zu DaJ kann auf die oben verlinkte Studie des DPI verwiesen werden.

Im Falle des DaJ sind nur nur zwei Personen eindeutig zuzuordnen, nämlich der Vereinsvorsitzende Peter Leidenmühler sowie Manuel Dede – Leidenmühler galt in den 2000er Jahren zusammen mit Hashemizadeh als Redaktionsleiter der Perspektive Süd, der Vereinszeitung von Sedunia. Diese hatte ihre Redaktionsräumlichkeiten ab 2003 in denenen des DaJ, ferner hostete Sedunia die Webpage des DaJ – die Domain lief damals auf die Sedunia-Aktivistin Sabine Bacher. Wie engmaschig die Kooperation von Sedunia und DaJ ablief, verdeutlicht auch, dass sie gemeinsam Veranstaltungen organisierten und Ausstellungen wie etwa „Aidun – Wir kehren zurück“ kuratierten. Über Dede, den Schriftführer und Finanzreferenten des DaJ, ist nichts weiter bekannt. Gegenteilig verhält es sich im Falle von BDS, das von einigen wenigen Aktivist*innen betrieben wird: Neben Hashemizadeh sind dies Nicole Schöndorfer, Iman Elghonemi, Marco van Jura, Gerhard Summer, Salih Degerli und Mario Motelli (der auch bei DaJ aktiv ist), gute Kontakte bestehen auch zum Gründungsmitglied von Boycott from Within, Ronnie Barkan.

Schöndorfers ideologische Position ist hinlänglich bekannt, auch hier verweisen wir auf die DPI-Studie, wollen aber zugleich eine neue Stufe der Radikalisierung feststellen: Am 16. Dezember postete Schöndorfer vor einem Bild von Lenin die Aussage, dass seine Feinde (in diesem Fall Israel) „ontologically evil“ seien und es gegenüber diesen keine Handlung gäbe, die falsch bzw. moralisch unvertretbar wäre. Israel gilt Schöndorfer als „absoluter“ Feind, der das ontisch Böse verkörpert, gegenüber dem keine noch so grausame Gewalttat ein negatives Werturteil zulässt – man kann hier durchaus von einem Vernichtungsantisemitismus sprechen, der den Staat Israel als das absolut Böse, als das Gegenteil von Sittlichkeit und Moral imaginiert. Auch dieses krude Bild, das historisch auf dem antisemitischen Diskurs vom Judentum als „Gegenrasse“ fußt, macht deutlich, wie tief Schöndorfer bereits in ihrer Radikalisierungsspirale steckt. Dass damit natürlich auch die Terrorakte der Hamas legitimiert und quasi als Notwendigkeit, als Abwehr des Bösen glorifiziert werden, liegt auf der Hand.

Mit ihrem ausgeprägten Pro-Islamismus ist Schöndorfer allerdings nicht allein: Auch der DaJ- und BDS-Aktivist Mario Motelli gibt sich als antiamerikanistischer Antiimperialist, der nahezu jede Gewalttat, die sich gegen die Aktivitäten Israels und der USA richtet, positiv bewertet. So äußerte er noch vor der Eroberung Kabuls durch die Taliban die Hoffnung auf einen baldigen Sieg der Islamisten, verherrlichte Hamas-Kämpfer wie Abu Obaida, zeigte sich verärgert über die Verhaftung eines Militanten des Islamischen Dschihad, postete Bilder des Hamas-Vordenkers Ahmad Yasin und erklärte Ulrike Meinhof kurzerhand zur „Schahid“. Israelsolidarische Linke, die gegen ein Protesttheater von BDS demonstrierten (gespielt wurden Scheinhinrichtungen von Palästinenser*innen durch die IDF), verglich er bildlich mit Reichsführer SS Heinrich Himmler und bezeichnete sie als „Israel-Identitäre“.

Marco van Jura, Gerhard Summer sowie Iman Elghonemi bedienen dagegen etwas weniger offen pro-islamistische Diskurse, agieren aber in typischer BDS-Manier: Alle treten regelmäßig als Redner*innen für BDS Austria auf, Israel wird als rassistischer Apartheidstaat und US-Brückenkopf dargestellt, den es zu blockieren und in seiner Arbeit zu behindern gilt. Dabei wird unter anderem die Hamas als Widerstandsorganisation verklärt und Terror gegen Israel legitimiert. Van Jura postete beispielsweise ein Video, auf dem Jugendliche mit Hamas-Fahnen eine israelische Flagge verbrennen, und machte sich über die europäischen „Snowflakes“ lustig, die sich über diese antiisraelische Hetze aufregen würden, während das Leid der Palästinenser*innen niemanden interessiere. Summer soll auch eine größere Rolle bei der Mobilisierung der PSÖ in Westösterreich spielen: Er ist als Ansprechpartner der PSÖ für Tirol und Vorarlberg gelistet – und scheint dort auch der vornehmliche Agitator und Organisator pro-palästinensischer Aktivitäten zu sein.

Von Relevanz für die Mobilisierung in Wien ist auch der Hamas-nahe Islamist Salih Degerli: Der tritt in der Öffentlichkeit relativ offen islamistisch auf, teilt Botschaften des Hamas-Sprechers Abu Obaida, Propaganda der vom Iran unterstützten jemenitischen Ansar-Allah-Bewegung („Huthi-Rebellen“), militärische Propaganda der Hezbollah zur Aufrüstung des Südlibanon an der Grenze zu Israel und vergleicht liberale Kritik an israelbezogenen Antisemitismus mit der Propaganda Hitler-Deutschlands. Er dürfte sowohl bei BDS als auch DaJ aktiv sein, ferner scheint er auch über einen guten Draht zur PGÖ zur verfügen, trat Degerli doch mindestens einmal als Redner für die PGÖ auf.

Das salafistische Milieu rund um die PSÖ.

Neben verschiedenen palästinensischen Vereinen, der Muslimbruderschaft nahestehenden Akteuren und linken antiimperialistischen Gruppierungen sind jedoch auch salafistisch einzuordnende Personen im Umfeld und bei Veranstaltungen der PSÖ anzutreffen. Ein diesbezüglicher Höhepunkt war zweifellos die Demonstration in Wien am 25. November 2023, bei der mit Wilhelm „Willi“/“Khalid“ Ott und Yasser „El Masry“ Gowayed zwei bekannte und bekennende Islamisten und Gewalttäter Reden hielten. Es war jedoch nicht das einzige Mal, dass islamistisch-salafistische Akteure bei Kundgebungen der PSÖ auftraten: Zu Beginn der pro-palästinensischen Mobilisierungen konnten beispielsweise zwei Männer mit einer kalligrafischen Schahada, die dem Logo der Hizb ut Tahrir ähnelte, beobachtet werden, und auch eine junge Erwachsene, die – mittlerweile verurteilte – IS-Sympathisantin Sarah M. (siehe Instagram-Posting von Kollektiv Negativ), trat bis Jänner 2024 regelmäßig als Ordnerin auf den Kundgebungen der PSÖ auf.

Zentral für die pro-palästinensische Mobilisierung aus dem salafistischen Milieu in Österreich sind zweifellos die beiden Kampfsportler Ott und Gowayed. Über Ott wurde bereits mehrfach berichtet – der wegen schwerster Gewalttaten bereits zu insgesamt zehn Jahren Haft verurteilte Ott wurde im Gefängnis durch Da’wah-Aktivitäten zum muslimischen Konvertiten. Während er einige Zeit in Indonesien lebte und dort Kontakte zu dortigen Salafisten und MCs pflegte, kehrte er 2022/23 aufgrund einer Privatinsolvenz nach Österreich zurück. Nun ist Ott wieder im St. Pöltner Instinct Gym als Headcoach aktiv und betreibt darüber hinaus die Jugendkampfsportveranstaltung Smash Time, die nicht nur wegen des islamistischen Settings, sondern auch wegen der akuten Gewaltverherrlichung als jugendgefährdend einzustufen ist (Mobilisierungsvideos für die unseriöse Veranstaltung zeigen etwa Boxkämpfe von Minderjährigen in Parks, bei denen auf Betonboden im Vollkontakt gekämpft wird).

Erst kürzlich gab Ott bekannt, dass er gemeinsam mit anderen Gläubigen Spenden für den Erwerb eines eigenen Moscheegebäudes in St. Pölten sammelt – ein für die Öffentlichkeit höchst gefährliches Unterfangen, da Ott mittlerweile in die Nähe einschlägiger Prediger der salafistischen DMG Braunschweig gerückt werden kann: So teilt er regelmäßig die TikTok-Predigten des Salafisten Ahmad Armih alias Abul Baraa (zu Armih siehe hier), indoktriniert Jugendliche mit seiner salafistischen Koranauslegung im Instinct Gym (Gebetssitzungen während des Trainings) und bekennt sich öffentlich zur Schari’a als Gegenentwurf zu Demokratie und Rechtsstaat. Dass eine solche Ideologie bei Veranstaltungen der PSÖ unkommentiert hofiert wird, zeugt von der weitgehenden Akzeptanz vieler Akteur*innen gegenüber dem Islamismus und insbesondere dem Salafismus, teilweise dürfte Otts Gedankengut auch auf aktive Zustimmung stoßen. Dass sich daran nicht einmal (queer-)feministische Gruppen stören, muss allerdings obskur erscheinen – Frauenrechte oder gar Rechte für homosexuelle oder queere Menschen duldet Ott in keiner Weise. In seinem Weltbild haben Frauen Hijab und wahlweise Niqab zu tragen und werden privat, beruflich und gesellschaftlich auf die Organisation des häuslichen Bereichs sowie das Kinderkriegen und -erziehen reduziert.

Von besonderer Relevanz ist auch ein Ott sehr nahestehende Rapper und Aktivist: Der gebürtige Ägypter Yasser Gowayed stammt aus der Grazer OK-Szene, in der sich auch Ott zeitweise bewegte (siehe unsere Recherche hier). Yasser trat auch als Rapper in Erscheinung, wo er unter anderem gemeinsam mit dem Rapper Ozman im Song „An meine Brüder“ den Staat Israel wüst beschimpfte, das Judentum als „gottlose Rasse“ bezeichnete, in einem anderen Song „im Jihad sterben will“ und in einem weiteren den Verkauf und Vertrieb von Suchtmitteln verherrlichte. Bereits der Drogenhandel hatte Gowayed ein Jahr Haft eingebracht, weitere elf Monate kamen wegen Verhetzung gegen Israel durch die Texte seiner Rapsongs hinzu – unter anderem berichtete die Grazer Annenpost darüber. Mit dem Terrorangriff der Hamas und dem darauffolgenden Krieg in Gaza wurde Yasser – wie auch Ott – rasch aktiv: Mit Bekannten und Verbündeten gründete er Graz4Palestine und trat als Redner bei PSÖ-Veranstaltungen sowie bei Demonstrationen des Funken Graz auf. Online radikalisiert sich Yasser zusehends: Neben Aufrufen zur Vernichtung des Staates Israel teilt Gowayed vermehrt Posts aus den Outlets der Hizb ut Tahrir, die den Gazakrieg instrumentalisieren und emotional aufladen, um vor allem Jugendliche via Instagram und TikTok für die Kalifatsbewegung zu begeistern sollen.

Auch die Figur Gowayeds passt gut in das manipulative Diskursschema: Wie Ott gibt er sich geläutert, er habe Drogen, Rap und dem lasterhaften, kriminellen Leben den Rücken gekehrt, nun lebe auch er nach den Regeln der Sunna – so suggeriert Gowayeds Auftreten, es sei eine Frage religiöser und moralischer Prinzipien, sich mit aller Kraft für Palästina einzusetzen, den Zionismus, Israel und all seine Bürger*innen radikal zu bekämpfen und auf der Seite der palästinensischen Muslim*innen und der Umma zu stehen. Ob dies auch für Gowayed – wie im Falle der Hizb ut Tahrir – nur ein praktischer und propagandistisch verwertbarer Zwischenschritt auf dem Weg zum globalen Kalifat ist, kann nicht abschließend beantwortet werden. In jedem Fall handelt es sich um einen potenziell gewalttätigen, mehrfach wegen Antisemitismus auffällig gewordenen Akteur mit einem Bekenntnis zu fundamentalistischen Glaubensvorstellungen und einer Nähe zu salafistischen Akteur*innen.

Neben Gowayed und Ott ist zumindest ein weiterer medienwirksamer islamischer Fundamentalist, der unter anderem auch von Ott online beworben wird, regelmäßig auf öffentlichen Veranstaltungen der PSÖ und anderer pro-palästinensischer Organisationen zu sehen: der Instgram- und TikTok-Prediger Omar Elattar, der im regulären Berufsleben als Social-Media- und Marketing-Spezialist tätig ist. Elattar hat nach eigenen Angaben einen BA-Abschluss in islamischer Theologie an der Universität Wien und agiert – wie viele andere fundamentalistische oder islamistische Online-Prediger -, indem er Fragen, die User*innen stellen können, beantwortet oder selbst zentrale Konzepte des Islam präsentiert, meist in einer stark fundamentalistischen Auslegung. So empfiehlt er Frauen, den Hijab zu tragen, um ein würdiges und moralisches Leben zu führen, schlägt Kindern, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, ein Gespräch mit einem Imam als Konfliktlösung vor, warnt aber davor, dass Kinder ihren Eltern den Gehorsam verweigern könnten, postet Interviews mit Konvertiten, die den Übertritt zum Islam als Allheilmittel für diverse Schwierigkeiten im eigenen Leben propagieren, bezeichnet den Islam als die einzig wahre Religion und Allah als den einzig wahren Gott oder gibt in Moscheen Seminare zur psychischen Gesundheit auf der Grundlage des Koranstudiums.

Elattar in der zweiten Reihe, 3. v. r.

Von Bedeutung ist zumindest auch eine Moschee, in der Elattar am 20. Dezember 2023 ein Seminar abgehalten hat: Dieses fand nämlich in der Hauptmoschee der IFW, der Mescid-i Aksa Moschee, der österreichischen Sektion der Milli-Görüş-Bewegung, statt. Dies ist nicht verwunderlich, da die IFW durchaus gute Kontakte zu den genannten palästinensischen Vereinen pflegt, wie auch über die IGGiÖ. Darüber hinaus dürfte Elattar auch regelmäßiger Gast bei Info- und Podiumsveranstaltungen aus dem Spektrum der PSÖ, DaJ, BDS sowie der AIK sein, wie Live-Videomitschnitte aus den Veranstaltungsräumen der PSÖ in der Rögergasse, 1090 Wien, zeigen. Dennoch bezieht Elattar jegliche Form politischer Praxis auf seine Auslegung des Korans und eines gottesfürchtigen Lebens: Palästina-Aktivismus steht für Elattar im Zeichen der Umma, also der Gemeinschaft aller Muslim*innen der Welt, alles Handeln ist am Koran orientiert. Dennoch bleibt unklar, ob Elattar als islamistisch oder „nur“ als fundamentalistisch beschrieben werden kann – denn er fordert Muslim*innen durchaus auf, sich in die westliche Industriegesellschaft einzugliedern, Berufe zu erlernen und erfolgreich zu sein, um letztlich als Gläubige Präsenz in der Gesellschaft zu erlangen. Ob diesem Plan in gewisser Weise ein langfristiger Islamisierungsprozess ideologisch zugrunde liegt, ist schwer zu beantworten, aber nicht auszuschließen.

Es muss nicht betont werden, wie gefährlich die Situation einzuschätzen ist, wenn bekennende Antisemiten, Islamisten, Gewalttäter (mit sportlicher Kompetenz im MMA-Bereich) und religiöse Fundamentalisten als ganz zentrale Akteure öffentlicher Veranstaltungen auftreten und dabei auch noch von linken Organisationen hofiert werden. Das Radikalisierungspotenzial, das von Akteuren wie Ott, Gowayed oder Elattar ausgeht, dürfte schon immer hoch gewesen sein, sich aber mit der Zunahme pro-palästinensischer Agitation nach dem 7. Oktober noch vervielfacht haben. Vor allem die Akzeptanz von Gowayed und Ott könnte u.a. dafür sorgen, dass sich gerade islamistische Akteur*innen bei Veranstaltungen u.a. der PSÖ willkommen fühlen und somit ein gezielter Anknüpfungspunkt geschaffen wird: Darauf deutet u.a. die Anbindung der IS-Anhängerin Sarah M. hin, über die u.a. „Kollektiv Negativ“ auf Instagram berichtete. Die junge IS-Anhängerin trat regelmäßig am Lautsprecherwagen der PSÖ sowie als Ordnerin in Graz (im Rahmen von Gowayeds Initiative Graz4Palestina) und Wien auf. Mittlerweile wurde sie laut Eigenaussage allerdings der Demonstrationen verwiesen und aus dem Organisationsteam ausgeschlossen. Aus welchen Gründen das geschehen ist, bleibt unklar.

Sarah M. am Lautsprecherwagen beim Durchgeben von Parolen.

Reichsbürger*innen und Verschwörungsmedien. Hamas-Propaganda, Anti-Amerikanismus und Täter-Opfer-Umkehr.

Die letzte Gruppierung, auf die wir in der vorliegenden Darstellung eingehen wollen, ist eine Hand voll Akteur*innen, die aus dem Reichsbürger*innenmilieu sowie verschwörungsideologischen Medienprojekten stammen. Sie partizipieren regelmäßig und in hoher Frequenz an den öffentlichen Veranstaltungen der PSÖ, reproduzieren auf ihren Kanälen die Propaganda der PSÖ, teils auch unmittelbar der Hamas‘ und sehen in Israel den Feind und Besatzer, der alleinig für das Leid der Palästinenser*innen Schuld hat. Dabei entstammen alle im Folgenden genannten dem Milieu der Corona-Demonstrationen rund um Martin Rutter und Fairdenken, sind dort auch noch immer aktiv und verbreiten parallel strukturell antisemitische Verschwörungserzählungen rund um das Covid-19-Virus wie auch die Covid-Impfung.

Primär involviert sind dabei die beiden Portale Freiland FM sowie Babenberg Agency International – ersteres wird von Leo Klinke geleitete, der auch schon als Redner bei PSÖ-Veranstaltungen aufgetreten ist; letzteres wird von Martin Strobl betrieben, der wahlweise auch für Freiland FM arbeitet. Während man bei Freiland  noch ein einigermaßen „seriöses“ Image wahrt, ist der Anspruch bei Babenberg und Strobl völlig absent – neben Wahlwerbung für die FPÖ, Interviews mit Hannes Brejcha und Fotos mit FPÖ-Funktionären bewirbt Strobl auch die Österreichisch-Abchasische Gesellschaft. Relevant ist das deshalb, weil Leiter der Gesellschaft der Suworow-Funktionär Patrick Poppel ist – jener nationalbolschewistische pro-Putin-Agitator, der auch mit dem AIK eng kooperiert.

Martin Strobl von Freiland FM und der Babenberg Agency. ©Theo Winkler

Freiland FM dagegen geriert sich als seriöses Blatt, das regulären Journalismus betreiben würde – thematisch bewegt man sich in den für das Milieu typologischen Rahmen: Corona- und Corona-Impfverschwörungen, Anti-Lockdown-Rhetorik, „Klima-Hysterie“ und pro-russische Propaganda strukturieren den publizistischen Output des verschwörungslastigen Mediums. Von Bedeutung für den hiesigen Kontext ist jedoch,  dass auf der Frontpage Hamas-Propaganda, ja sogar ein ganzes Hamas-Statement affirmierend reproduziert wird, inder die Terror-Operation „Al Aqsa-Flut [… zum] natürliche[n] Schritt im Rahmen der Abschaffung der Besatzung“ verklärt wird. Israel und die USA dagegen seien die  wahren Bösen, die USA sei ferner „mitschuldig“ an den „israelischen Massakern an Zivilisten in Gaza“. Bezeichnend ist, dass der erste Artikel zum Thema Palästina, am 09. Oktober 2023 erschien, also zwei Tage nach dem Hamas-Angriff auf Israel. Die Hamas wird dabei als „palästinensische Gruppe“ dargestellt, die Raketen und Angriffe auf die „israelische Besatung“ durchgeführt habe, von den Gräueln und barbarischen Morden durch die islamistische Miliz findet sich kein Wort. Und so verwundert es auch nicht, dass Freiland regelmäßig Überblicke über palästina-„solidarische“ Veranstaltungen in Wien publiziert und aktiv aufruft, an diesen teilzunehmen.

Leo Klinke bei einer Rede auf einer PSÖ-Kundgebung in Wien, Favoriten.

Neben den beiden Medien finden sich ferner auch einige wenige, bekannte Reichsbürger*innen in den Reihen der PSÖ-Aufmärsche: So der v. a. bei Corona-Demonstrationen sehr aktive Peter Eckhardt, der dort stets mit Reichsflagge auftauchte und April 2023 wegen Holocaustleugnung nach §3g Verbotsgesetz angeklagt und verurteilt wurde, ferner ein Fairdenken-Aktivist, der zumeist mit Trommel unterwegs ist und dies auch bei der PSÖ zusammen mit dem PSÖ-Aktivisten Faris Rida tut, sowie ein Reichsbürger, der u. a. bei Kundgebungen der Corona Querfront in Eisenstadt gesichtet worden war. Die Motivation hinter ihrer Anwesenheit kann nicht vollends geklärt werden, dennoch liegt die Mutmaßung nahe, dass gerade Personen, die Reichsbürger-Ideologie stark verinnerlicht haben, strukturell bis offen antisemitische Weltbilder kultivieren. Angenommene Elitenverschwörungen, die zumeist die USA, Israel und das Judentum als Feindbild bedienen ermöglichen so eine rasche Anbindung an das – ebenso von wüstem Antisemitismus geprägte – prop-palästinensische Umfeld der PSÖ.

Ausblick.

In dieser Recherche haben wir uns auf die Identifizierung der zentralen Akteur*innen konzentriert, die seit dem 7. Oktober das pro-palästinensische Protestgeschehen organisieren, prägen und dabei dargestellt, warum diese aufgrund ihres Antisemitismus, sowie der Nähe zu islamistischen Organisationen zu problematisieren sind. Es ist außerordentlich bedenklich, dass islamistische Akteur*innen, diverse Terror-Apologet*innen, unterschiedlichste Hamas-Unterstützer*innen, linke antiimperialistische Politsekten und verschwörungsideologische Personengruppen ihren Antisemitismus und Menschnverachtung weitgehend unkommentiert, öffentlich, in hoher Frequenz, unverhohlen zur Schau stellen können. Insbesondere, da die dramatische und hochkomplexe Situation im Nahen Osten viele Menschen aus unterschiedlichen Motiven emotional tief ergreift und gerade auch Jugendliche in sozialen Medien mit völlig einseitiger Propaganda konfrontiert werden, stellt die völlig einseitige, Hamas-verherrlichende Darstellung sowie die ideologische Indienstnahme des Israel-Gaza-Krieges durch die PSÖ ein akut bedrohliches Szenario dar. Denn die besprochenen Akteur*innen besitzen weitgehende Deutungshoheit innerhalb des sich Palästina-solidarisch gerierenden Lagers und erreichen mit ihrem verkürzten und zumeist von antisemitischen und islamistischen Motiven geprägten Botschaften eine große Anzahl an Personen. Insbesondere für in Österreich lebende Jüdinnen*Juden stellen diese Entwicklungen eine reale Gefahr dar: Der enorme Anstieg dokumentierter antisemitischer Übergriffe seit dem 7. Oktober 2023 verdeutlicht diesen Umstand. Antifaschistische Praxis muss bedeuten, unabhängig von politischer Ideologie menschenverachtende Umtriebe als solche kenntlich zu machen, zu kritisieren, zu verurteilen und dagegen aktiv zu werden. Im Falle der aktuellen pro-palästinensischen Mobilisierungen in Österreich soll diese Recherche dahingehend einen Beitrag leisten.

Das Octagon-Netzwerk in Europa – Rechtsextreme Kommerzialisierung des Kampfsports.

Im Mai 2022, vor rund einem Jahr, wurde in der Kalvarienberggasse 35 in Wien, Hernals der erste Octagon-Store und damit die erste österreichische Dependance des mittlerweile europaweit agierenden Franchise-Unternehmens Octagon eröffnet. Bei Octagon handelt es sich zunächst um eine Marke, die sich auf Fightwear im Kampfsportbereich spezialisiert hat. Zusätzlich fällt das Unternehmen aber durch seine Nähe zu diversen gewaltorientierten Hooligan-Milieus Zentral- und Osteuropas und den mit diesen verbundenen Streetfighting- und Bareknuckleszenen auf. Neben konventionellen Kampfsportartikeln der Eigenmarke Octagon wie etwa Thaibox- und MMA-Shorts, Boxhandschuhen, Kickpads und Boxpratzen findet man im Sortiment der Marke auch Streetfighting-Artikel wie Balaclavas mit Hooligan-Symbolen, Baseballschläger und Schlauchschals mit einschlägigen Motiven.

Der gezielte Verkauf von Szene-Artikeln für gewaltorientierte Hooligan-Milieus ist mit Blick hinter die Kulissen der Marke nicht weiter verwunderlich, stammen die führenden Köpfe des Unternehmens doch selbst aus der rechtsextremen Hooligan- und Kampfsportszene Polens. Der erste Octagon-Store wurde 2010 in der polnischen Kreisstadt Zawiercie von dem rechtsoffenen Kampfsportler, Amateurfußballer, Fußballfan und Unternehmer Radosław Szumliński gegründet. Wie wir in dieser Recherche zeigen wollen, hat Szumliński mit seinem Franchise ein transnationales Kampfsport-Geschäftsnetzwerk aufgebaut, das als lukratives und zunehmend erfolgreiches Unternehmensmodell gelten darf, in das zahlreiche rechtsextreme Akteur*innen und Strukturen aus den jeweiligen europäischen Ableger-Staaten rege eingebunden sind.

Den Wiener Octagon-Store führt so etwa Julius Bukaí, ein slowakischer Neonazi und Full Member des Hells Angels Vienna-Charter, dem wir uns als Erstes in dieser Recherche widmen, bevor wir das gesamteuropäische Octagon-Unternehmensnetzwerk beleuchten. Bukaí ist Kampfsportler und trainiert seit vielen Jahren in Wien, unter anderem im „Boxteam Riders Vienna“ und zuletzt im vom Eisern Wien-Exponenten Henry Bannert geleiteten Fox Gym. Erst kürzlich trat Bukaí bei der Octagon-Veranstaltung Way of Warrior-Gala im tschechischen Hodonín im Boxen an – ohne ersichtliches Bemühen, die große tätowierte schwarze Sonne auf seinem linken Oberarm zu kaschieren.

Wie wir in dieser Recherche zeigen wollen, ist das „Geschäftsmodell Octagon“ besonders alarmierend, weil das Franchise kein subkulturelles Nischendasein pflegt, sondern eine zunehmend kommerziell erfolgreiche Marke im Kampfsport-Bereich darstellt. Während Octagon in Tschechien, der Slowakei und Polen schon längere Zeit etabliert ist, tritt auch der österreichische Ableger „Octagon AT“ mittlerweile bei renommierten Kampfsportveranstaltungen wie „Boxen in der Südstadt“ und auch bei zahlreichen kleineren Veranstaltungen als Sponsor auf und finanziert darüber hinaus einige Kampfsportler*innen, die teilweise auch aus extrem rechten Hooligan-Milieus und deren Umfeld stammen.

Octagon AT: Julius Bukaí und die Eröffnung des ersten Octagon-Stores in Österreich.

Das Octagon-Netzwerk ist mit Julius Bukaí in Österreich angekommen. Ein Blick auf Bukaís Biografie verdeutlicht dessen langjährige Einbindung in militante und neonazistische Hooligan-Milieus vor allem in der Slowakei: Der aus Trnava stammende rechtsextreme Kampfsportler sozialisierte sich in seinen Jugendjahren in der organisierten Ultraszene des slowakischen Fußballvereins Spartak Trnava und fühlt sich mit dieser bis heute verbunden. Bis Mitte der 2010er Jahre teilte Bukaí regelmäßig das mediale Outlet der Kurve von Trnava „Bíli Adeli“ sowie Fotos der großen Fangruppierung „Ultras Spartak“ in den sozialen Medien. Fotos von ihm mit anderen Skinheads auf den Straßen Trnavas legen ferner nahe, dass Bukaí vor allem seit seiner Jugend in einer kleineren, jüngeren neonazistischen Skinhead-Subgruppe der Ultras Spartak organisiert war. Ebenso dürfte Bukaí im Umfeld der Ultras Spartak mit dem lokalen Charter der Hells Angels in Kontakt gekommen sein – Fotos, datierend auf die Anfänge der 2010er Jahre, zeigen ihn mit anderen Skinheads in den Supporter-Shirts der Hells Angels.

Neben Bukaís Einbindung in das organisierte Hooligan-Milieu geben seine Social-Media-Kanäle auch einen tiefen Einblick in seine Geisteshaltung: Seiner Timeline lassen sich etwa Bilder und Zitate von Adolf Hitler und Gewaltfantasien gegenüber BPoC sowie Jüdinnen*Juden entnehmen. Auch teilt der slowakische Kampfsportler Songs neonazistischer Rechtsrockbands wie Krátky Proces und befeuert antiziganistische Ressentiments. Als Profilbild hatte Bukaí zeitweise das Bild eines Hooligans mit Balaclava – mutmaßlich Bukaí selbst –, der einen Hitlergruß im Stadion zeigt, eingestellt. Besonders verstörend mutet auch ein geteiltes Video an, dass den Oktober 2013 in Nitra stattgefundenen Angriff neonazistischer Skinheads des Walhala Clubs auf die gegenüber liegende „Mariatchi Bar“ und seine Gäste in Nitra zeigt. Neonazis aus dem Spektrum des Národní Odpor, der L’SNS und der Slovenská Pospolitost prügelten dabei ihre Opfer zu Boden und traten mit Springerstiefeln wild auf die Schädel der Opfer ein. Der zu einem Justizskandal führende Vorfall (siehe summarischer Bericht hier) schien dabei in einer geschlossenen Facebook-Gruppe, in der die führenden Köpfe der genannten rechtsextremen Organisationen Admin-Fuktionen bekleideten, koordiniert worden zu sein: Dabei wies die Facebook-Gruppe als Logo zwei Skinheads, eine slowakische Nationalflagge und das Logo von Combat 18 auf. Die CCTV-Aufnahmen kommentierte Bukaí so affirmativ wie verachtend mit „Die richtigen Typen aufmarschieren lassen“ – so viel zum Weltbild eines zunehmend relevanten Geschäftsmanns im österreichischen Kampfsport mit Verbindungen in die gesamte Szene.

Mitte bis Ende der 2010er-Jahre dürfte Bukaí in weiterer Folge zum Full-Member bei den Hells Angels aufgestiegen sein – er trug nun die Kutte des Nové Zamky-Charters und Fotos zeigen ihn häufig mit den Mitgliedern des Bratislava-Charters. Teile der alten Skinhead-Crew, wie etwa Michal Varga, dürften den Integrationsprozess in die Angels-Strukturen mit Bukaí gemeinsam absolviert haben, einige mehr scheinen sich noch aus ihrer Zeit bei Spartak Trnava zu kennen. Bald darauf dürften auch die ersten Teilnahmen an Kampfsport-Turnieren stattgefunden haben – im Juni 2017 posiert Bukaí noch als Prospect mit weiteren Hells Angels-Members bei einer Kampfsportveranstaltung in der Slowakei im Ring. Wenige Zeit danach, wahrscheinlich um das Jahr 2018, dürfte Bukaí sowohl zum Full Member aufgestiegen und auch nach Wien verzogen sein. Es lässt sich nur darüber spekulieren, ob Bukaí mittels Weisung, oder aus freien Stücken nach Wien übersiedelt ist, doch es ist belegbar, dass er den Wechsel vom Nové Zamky-Charter ins Vienna-Charter der Angels in dieser Zeit vollzogen hat.

In Wien angekommen trainierte Bukaí zuerst im Gym des Boxteam Vienna in der Richard Neutra-Gasse in Wien, Floridsdorf. Das arrivierte Gym richtet neben den Trainings auch Veranstaltungen mit Titelkämpfen aus und Bukaí brachte sich mittels seiner Funktion als Angels-Member in die Bewerbung der Events ein: So postete er etwa Support-Bekundungen für einen Titelkampf von Eva Voraberger, verlinkte sie unmittelbar im Beitrag und fügte dem Posting die obligaten Hashtags der Hells Angels hinzu. Auch sporttechnisch ist Bukaí mit dem Boxteam Vienna verbunden – im Juli 2019 etwa trat er in einem Vorkampf eines Matches von Eva Voraberger  in Znojmo für das Gym an – die schwarze Sonne als explizit neonazistisches Symbol oder das Logo der Hells Angels schienen beim Boxteam Vienna niemanden gestört zu haben.

Zu Bukaí und den Hells Angels kann angenommen werden, dass dieser keine allzu niedrige Stellung in den hierarchischen Strukturen des Wiener Charters einnimmt. Das legt seine Involvierung in den Support 81-Store nahe, der zwar in der Tomschlikgasse 8/4, Wien, Donaustadt gemeldet ist, dessen Produkte aber auch im hiesigen Octagon-Store vertrieben werden. Im Firmenbuch der Support 81 Vienna & Streetwear e.U. scheint Bukaí außerdem als offizieller Betreiber auf. Zum Hintergrund der Stores: in diesen wird Merchandise der Hells Angels vertrieben – wer sich ihnen nahe fühlt, von ihren Geschäften profitiert oder von diesen gesponsert wird, zeigt sich häufig als Ehrenbekundung gegenüber den regulären Charter-Mitgliedern in den Support-Shirts. Eine symbolische Praxis, die innerhalb des Milieus einen hohen Stellenwert genießt.

Im Mai 2022 eröffnete Bukaí schließlich den für diese Recherche zentralen Franchise-Ableger des polnischen Octagon-Stores: zuerst in Wien-Hernals, dann in der Steinbauergasse 34 in Wien-Meidling. In diesem Kontext muss betont werden, dass es sich bei der Adresse um keinen Zufall handelt, denn in der Steinbauergasse befindet sich auch das MC-Lokal The Other Place, das unter der Schirmherrschaft der Wiener Hells Angels steht. Bei dem Lokal The Other Place handelt es sich um einen Hotspot der 1%er- Szene: Bei Veranstaltungen und Feiern kommen regelmäßig die verschiedenen 1%-MCs zusammen und demonstrieren ihre Stärke als Outlaw-Community. In einer vorangegangenen Recherche haben wir bereits auf die Verstrickungen der Wiener Hells Angels mit anderen MCs, lokaler Kampfsportszene, Hooligans der Wiener Clubs und organisierten Neonazis hingewiesen – auch Octagon ist in diesem Milieu beheimatet, rekrutiert in der Szene und stattet das Milieu mit seiner Street- und Fightwear aus. Die Kommerzialisierung des rechtsextremen Kampfsports schreitet auch in Österreich voran.

Neben der Person Julius Bukaí und dessen Geschäften lohnt es sich auch, die Verbindungen des rechtsextremen Kampfsportlers und Octagons in die österreichische MC-/Kampfsport- und Hooligan-Szene etwas konkreter zu beleuchten. Denn diese verdeutlichen die enge Einbindung und Vernetzung des transnationalen Octagon-Franchise in Österreich. Schon kurz nach der Eröffnung des Octagon-Stores kam es zu den ersten Sponsorings und Kooperationen: Jakob Berger, der President des Wiener Red Dogs-Chapter, der mit den Wiener Hells Angels bestens vernetzt ist, machte Bukaí seine Aufwartung und vertreibt nun Streetwear-Artikel des Red Dogs-Labels Radaubruder in dem Octagon-Store. Als Begleitung von Berger kam auch der Neonazi und Rapid-Hooligan Christian Lhotan, der selbst MMA unter anderem bei Dorian Pridal und mit Henry Bannert trainiert hat und mit beiden auch freundschaftlich verbunden zu sein scheint. Man kennt sich und macht Geschäfte miteinander – trotz oder gerade wegen der rechtsextrem bis neonazistischen Gesinnung.

Kurz nach der Gründung von Octagon AT folgte so dann auch ein Sponsoring-Vertrag mit Ahmet „Ronin“ Simsek, einem bestens in das MC-Milieu und vor allem in das Umfeld der Wiener Hells Angels vernetzten Kampfsportler. Auch zu ihm haben wir bereits in einer Recherche berichtet – der beim Bundesheer angestellte Simsek leitet aktuell das Training im „Garage Combat Gym“ in Wien-Landstraße, in dem unter anderem auch der IB-Kader Laurenz Grossmann Kickboxen trainiert. Außerdem hält Simsek Trainings in der Wiener Neustädter MMA-Academy von Christian Draxler ab, in dem mehrfach Neonazi-Hooligans von Unsterblich Wien, sowie der IB-Faschist Julian Hofer gesichtet wurden. Sowohl Grossmann als auch Hofer standen erst in jüngster Vergangenheit mit Unterstützung von Simsek und Draxler bei der „WKF Fight-Gala“ in Eichgraben, Niederösterreich im Ring – ein Umstand, der auch medial für Aufsehen sorgte.

Dass die Expansion Octagons allerdings auch in weit weniger politisch auffälligen Milieus zügig voranschreitet, verdeutlichen Sponsoring-Verträge mit Events und Veranstaltungen: Als Beispiel kann an dieser Stelle das Boxmanagement und Promoting-Unternehmen Simbasports Management angeführt werden, das jährlich mit anderen Partnern das renommierte „Boxen in der Südstadt“ ausrichtet, bei dem dieses Jahr am 24. März 2023 um den IBO Continental Light Heavyweight-Titel sowie um die österreichische Meisterschaft im Weltergewicht geboxt wurde. Octagon AT war hierbei nicht nur Werbepartner, sondern auch offizieller und einziger Ausrüstungspartner. Die normierten Boxhandschuhe wurden von Octagon gesponsert und Bukaí posierte im Vorfeld mit den Kämpfenden und dem Organisationsteam des Events – ein in die organisierte Kriminalität vernetzter Neonazi mit Gewaltfantasien Hand in Hand mit dem Who’s who des österreichischen Kampfsports.

 

Um das Ausmaß der Etablierung von Kampfsportveranstaltungen dieser Art zu verdeutlichen, muss erwähnt werden, dass das Boxen in der Südstadt mittels Live-Berichterstattung von ORFSport+ sowohl online als auch per TV-Format ausgestrahlt wurde. Ein Sponsoring-Vertrag von Octagon bei einem Event dieser Größenordnung kann somit als kommerzieller Meilenstein des transnational agierenden Franchise-Unternehmens rechtsextremer Prägung angesehen werden. Es ist als außerordentlich problematisch zu beurteilen, dass ein Neonazi mit unmittelbaren Verbindungen in die organisierte Kriminalität einen so prestigeträchtigen Auftrag lukrieren konnte und von der österreichischen Kampfsport-Szene die Möglichkeit erhält, symbolisches Kapital dieser Größenordnung zu akkumulieren. Dass keinerlei Background-Check seitens des Organisationsteams durchgeführt wurde bzw. man trotz des Wissens über die Hintergründe des Unternehmens umfassende Sponsoring-Verträge mit diesem eingeht, kann als maximales Versagen bewertet werden und bestätigt die allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber rechtsextremen Strukturen im österreichischen Kampfsport.

Sponsoring auch durch STB (1. Reihe Sponsoring, 4. v. l.).

Zugleich ist Octagon nicht das einzige politisch auffällig Unternehmen, dass bei dem Event vertreten war: Auch STB-Bau, das Bauunternehmen des Sportgemeinschaft Noricum (SGN)-Fullmembers Robert Burger schien als Sponsor auf den Plakaten von Simbasports auf. Burgers Unternehmen gilt als finanzielle Basisstruktur der SGN: Die Vermietung des Noricum-Clubhauses in der Klosterneuburger Straße in Wien-Brigittenau läuft über Burgers Firma und auch das Fox Gym, diverse Charity-Veranstaltungen aus dem MC- und Ultra-Bereich, sowie Henry Bannert selbst werden durch das Unternehmen unterstützt. Burger hat ausgezeichnete Kontakte ins MC-Milieu – vor allem zum Wiener Hells Angels Charter und dessen Umfeld. Auch hier fehlt jede kritische Beurteilung der Person und auch hier hofiert man einen Rechtsextremen, der Teil eines rechtsextremen Kampfsportbundes ist und dessen Mitglieder eine lange Vergangenheit in die militante Neonazi-Szene Wiens aufweisen.

2. Reihe 2. v. l. Octagon, letzte Reihe 1. v. r. STB-Bau.

Neben Großevents wie dem Boxen in der Südstadt ist Octagon zusätzlich in kleinere Veranstaltungen des Kampfsport-Milieus als Sponsor involviert, wie etwa in das von Henry Bannert und Fadi Merza im Juni 2023 organisierte Branchenboxen in den Wiener Sofiensälen. Wenig verwunderlich trat auch STB-Bau neben Ottakringer und Kattus als einer der Hauptsponsoren bei dem Event auf. Das Catering wurde von „Lugeck Alm“ und „von franz“ gestellt – keines dieser großen Unternehmen hatte offenbar ein Problem damit, bei einem durch einen Rechtsextremisten organisierten Event an der Seite von einem als rechtsextrem zu bewertenden Sponsoren aufzutreten. Nicht nur innerhalb der Kampfsport-Szene und den bei den Veranstaltungen tätigen Firmen, sondern auch vonseiten renommierter Medienhäuser herrscht weitgehende Ahnungslosigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber der rechtsextremen Einflussnahme und Unterwanderung des österreichischen Kampfsports. So wurde auch die Kronen Zeitung, das auflagenstärksten Boulevardblatt Österreichs, offensiv auf der Fight Card des Events beworben und Krone Plus stellte ihren Abonnenten einen Live-Stream der Veranstaltung zur Verfügung.

Octagon PL – der Beginn: Das polnische Franchise.

Nach der Rekonstruktion der zentralen Personen rund um den Ableger von Octagon in Österreich und deren Netzwerke sollte evident sein, dass es sich bei dem Franchise-Unternehmen um ein rechtsextremes Phänomen handelt, das im kommerziellen Kampfsport Fuß gefasst hat. In Österreich wiederholt sich aber bloß die bereits in anderen Ländern Europas eingeübte Strategie der Unterwanderung und Vereinnahmung des Kampfsport-Bereichs durch die Marke Octagon. Bevor Octagon sich in Österreich etablierte, florierte nämlich bereits das Geschäft des Franchise-Unternehmens in Polen, der Slowakei und Tschechien und auch hier sind Personen und Organisationen aus dem militanten Neonazismus tonangebend. Nach der Ersteröffnung in Polen – wo mittlerweile 23 Stores existieren und eine eigene Produktionsstätte im monetären Gegenwert von rund 2.23 Millionen Euro eingerichtet wird – expandierte man rasch in die Slowakei und Tschechien.

Das Sortiment der Läden im Osten unterscheidet sich durchaus von den Produkten, die im österreichischen Shop erhältlich sind: So findet man politisch explizitere Druck-Motive auf Sport- und Streetwear, wie etwa in den slowakischen Shops Shirts in Nationalfarben mit dem Kolowrat als Aufdruck, oder auch eindeutig an das regionale Hooligan-Milieu angelehnte Symbole lokal- und regionalpatriotischer Prägung. Besonders stark vertreten sind die Subbrands des polnischen Franchise, die mutmaßlich durch den Octagon-Gründer parallel vertrieben werden und exklusiv in den Octagon-Stores erhältlich sind. Es handelt sich dabei um die Marken Ofensywa Polska und Public Enemy – vor allem Ofensywa fällt durch aggressiv-nationalistisches und rechtskatholisches Branding auf. Von Bedeutung ist ferner die alte Vertriebsstruktur und ehemalige Eigenmarke odziez-uliczna.pl: Diese hatte noch vor der Gründung von Octagon Hooligan- und Kampfsport-Artikel über einen Webstore vertrieben. Nun wird auch odziez-uliczna.pl via die regulären Octagon-Salesstrukturen verkauft, laut öffentlicher Beschreibung auf Instagram fungiert odziez-uliczna allerdings weiterhin als legalistische Distributionsplattform von Octagon, Ofensywa und Public Enemy. Auch im Bekleidungssortiment von odziez-uliczna fanden sich wiederum – wenig überraschend – insbesondere in der Sektion „Patriotyczna“ stark nationalistische und auch hier rechtsktaholische Motive.

Ofensywa und Public Enemy scheinen dabei ursprünglich von dem Octagon-Urheber Radosław „Radman“ Szumliński im Verbund mit mindestens drei weiteren Personen gegründet worden zu sein, die nun auch für Octagon PL sowohl als öffentliche Brand-Ambassadors tätig, aber vermutlich auch in das operative Geschäft eingebunden sind. Namentlich handelt es sich hierbei vorrangig um Sebastian KonsekSzymon Nowowiejski und Maciej Korzym – während ersterer aus der polnischen Hooligan-Szene stammen dürfte und regelmäßig Kampfsport zu betreiben scheint, können die anderen zwei Akteure etwas genauer in den für Octagon einschlägigen Milieus zugeordnet werden. Nowowiejski ist Member des Bad Company MC Poland, der in Gdansk und Olsztyn Chapter unterhält, sowie über zwei Prospect-Chapter in Płock und Wrocław und ein Nomads-Chapter im Süden Polens verfügt. Der MC tritt offen radikal-nationalistisch auf und nahm sowohl am rechtsextremen Marsch zum polnischen Unabhängigkeitstag, als auch am Gedenken an die polnischen Inhaftierten des NS-Regimes und die „Armia Krajowa“ („Heimatarmee“) teil. Bei der Gedenkprozession am 23. Juni 2019 marschierte der MC straff formiert in Kutten martialisch in das KZ Auschwitz ein, um den polnischen und nur den polnischen Opfern zu gedenken.

Der BCMC in voller Montur am Eingangstor des KZ Auschwitz.

Wie selektiv das von nationalem Chauvinismus geprägte Gedenken des MCs ist, kann an einem Beispiel illustriert werden: Kaum ein Jahr nach der Gedenkveranstaltung wurde der medial bekannte polnische Rechtsextremist und ehemalige Kampfsportler Marcin „Różal“ Różalski in den MC aufgenommen. Bekannt ist Różalski vor allem wegen seiner menschenverachtenden Aussagen, insbesondere gegenüber geflüchteten Menschen und LGBTIAQ*-Personen. Regelmäßig posiert Różalski im neonazistichen Thor Steinar-Look, nimmt an Schießtrainings teil und verkehrt mit anderen rechtsextremen Kampfsportlern wie etwa dem Boxer Artur Szpilka, der mittlerweile international erfolgreicher Profiboxer ist, jedoch früher in der Hooligan-Szene von Wisła Kraków aktiv war und auch in den lokalen Drogenhandel involviert gewesen sein soll. Wie der Rechtsextremismusforscher Przemysław Witkowski in einem Aufsatz zur polnischen Rechten und dem Kampfsport festgestellt hat, ist Różalski weiters eng mit dem aktiven Neonazi, Kampfsportler und Bodybuilder Patrycjusz „Patrex“ Wróblewski vernetzt. Wróblewskis Kontakte gehen dabei weit in die militante Neonazi-Szene Polens und Russlands hinein: Er gilt als Teil der sehr aktiven polnischen B&H-/C18-Sektion.

Der BCMC scheint jedes Jahr am extrem rechten Unabhängigkeitsmarsch in voller Personenstärke teilzunehmen.

Maciej Korzym hingegen entstammt der organisierten Ultraszene des Warschauer Klubs Korona Kielce, genauer dem Fanklub „Zjednoczona Korona“. Korzym trainiert außerdem regelmäßig im „Fight House Nowy Sacz“ und tritt bei K1-Kämpfen an. Obgleich er zwar nationalistische Tattoos zur Schau trägt und auch sein Fanklub patriotisch-nationalistische Tendenzen aufweist, kann unseres Erachtens auf kein geschlossen rechtsextremes Weltbild aus dem vorhanden Material geschlossen werden. Dennoch komplettiert er das Milieu, in dem sich Octagon und seine Submarken bewegen: rechte Hooligan- und Ultra-Szenen, rechte MCs, organisierter Rechtsextremismus und Neonazismus, sowie Kampfsport-Milieus jeder Art. In diesem Zusammenhang sticht eine Verbindung besonders ins Auge: Octagon Polen ist über den Bad Company MC eng mit dem internationalen Neonazi-Netzwerk von Blood & Honor vernetzt. Wie zusätzlich festgestellt werden kann, beschränken sich Octagons Kontakte zu B&H nicht auf Polen. Auch in der Slowakei und in Tschechien findet Austausch zwischen Octagon und militanten Neonazi-Kreisen statt und auch die Sponsorings der Marke reichen unmittelbar in das internationale B&H-Netzwerk.

Im Falle des polnischen Franchise spielt der bereits erwähnte Bad Company MC, in dem Octagon-Akteur Nowowiejski Full Member ist, eine zentrale Rolle. Denn der MC ist bestens mit Rechtsrock-Größen und Mitgliedern der polnischen B&H-Sektion vernetzt und regelmäßig kommt es zu Zusammenkünften und Teilnahmen des MCs an internationalen Neonazi-Vernetzungstreffen. Dass der Konnex des MC zu B&H Poland keinesfalls verwunderlich ist, zeigt ein Blick in die Geschichte der Sektion: Hooliganismus, Rotlicht-Business und Draht zur organisierten Kriminalität durchziehen die Geschäftsfelder der polnischen B&H-Gruppierung. Zwar scheint die Organisation von Rechtsrock-Konzerten und Produktion von RAC-Tonträgern immer noch zentraler ökonomischer Angelpunkt der Neonazis zu sein, dennoch sind die anderen Geschäftsbeziehungen und zunehmend auch das Geschäft mit dem Kampfsport keinesfalls als nebensächlich zu erachten.

Zum Hintergrund: Laut dem Rechtsextremismusforscher Przemysław Witkowski existierten in Polen historisch zwei Strukturen, die dem internationalen Blood & Honour- bzw. C18-Netzwerk zuzurechnen sind. Die erste Struktur formierte sich in den späten 2000er-Jahren rund um Andrzej „Szubert“ P. und war für eine Website verantwortlich, die Feindeslisten von politischen Gegner*innen inklusive deren persönliche Daten veröffentlichte. Auf die Veröffentlichung der Daten folgten Drohungen, Übergriffe und ein Mord an einem polnischen Anarchisten. Als Reaktion griffen die polnischen Behörden ein, sperrten die Website und verurteilten 2010 P. und zwei weitere Personen zu einer Haftstrafe. Nach diesem Einschnitt in die Neonazi-Strukturen gründete sich die bis dato aktive und in dieser Recherche relevante B&H/C18-Fraktion in Polen, deren Akteure gänzlich aus dem Kraft- und Kampfsport-Umfeld stammen und gute Verbindungen in die organisierte Kriminalität und rechte Hooligan-Szenen unterhalten.

Laut Witkowskis Recherchen zählen zu dem neuen vornehmlich im südpolnischen Raum aktiven Netzwerk wesentlich Grzegorz „Jastrząb“ Jastrzębski (Sänger der Neonazi-Band Legion Twierdzy Wrocław), Marek Bialy (Zuhälter und Rotlichtlokalbetreiber in Wrocław), Piotr „Dziki“ Gierczak (zentrale Führungsfigur der Division), Grzegorz „Śledziu” Horodko (u. a. Hooligan bei Lechia Gdansk), Krzystof „Słowik“ Słowínski (neben Gierczak eine international ebenso gut vernetzte Führungsfigur) und Robert „Kadi“ Orsolinsz (Leadsänger der Rechtsrockband Obled). Mehreren Berichten durch Witkowski sowie den Fachjournalisten Jacek Harłukowicz zufolge, ist die polnische Division von B&H/C18 gut strukturiert und organisiert: Das Netzwerk konnte bereits zahlreiche internationale Konzerte in Polen ausrichten und verfügt über ein etabliertes internationales Netzwerk in andere Neonazi-Strukturen.

Jastrzębski als Leadsänger von LTW.

2017 besuchten der prominente Akteur der internationalen Neonazi-Szene Marko Gottschalk und dessen Band Oidoxie auf deren Initiative Polen und sollten neben LTW, Obled, Terrorsphära und anderen für das einschlägige Publikum spielen. Für die Beurteilung des Grads an Vernetzung sind zusätzlich auch die B&H/C18-internen Kontakte zu dem deutschen C18-Exponenten Michael Hein aus Frankfurt a. d. Oder zu erwähnen, der die Gruppe immer wieder in Polen besuchte. Am Back to the Roots-Festival in Mücka März 2019 traf die polnische LTW-Crew zudem Thorsten Heise und Michael Hein, wo – wie EXIF berichtete – parallel zum Back to the Roots-Konzert ein konspiratives C18-Treffen samt Oidoxie-Konzert stattfand.

Neben der Vernetzung nach Deutschland pflegen die B&H-Mitglieder zudem Kontakte nach Frankreich, Russland und Finnland. So nahm Gierczak mit anderen Neonazis am 20. März 2017 an dem von den Hammerskins Lorraine organisierten Hammerfest teil. Auch zwischen B&H Polen und der russischen militant-neonazistischen Gruppe PPDM („Po programme Dedushki Moroza“ oder auch „Father Frost Program“), die von den Neonazi-Kampfsportlern Maxim Savelyev und Konstantin „Truvor“ Brjuchanow gegründet wurde, findet reger Austausch statt. Mehrmals besuchten die beiden B&H-Mitglieder Wróblewski und Jastrzębski​​​​​​​ ihre Kameraden in Russland und auch Brjuchanow war mehrmals nach Polen gekommen, um sich mit der Neonazi-Szene zu vernetzen.

Im Jahr 2019 unterbanden die Behörden die Bemühungen grenzüberschreitender Vernetzung, wiesen Brjuchanow aus Polen aus und belegten ihn mit einem Einreiseverbot weil von einer Gefährdung der nationalen Sicherheit ausgegangen wurde. Der zentrale Verbindungsmann zur finnischen Neonazi-Szene ist der MMA-Kämpfer Niko Puhakka, der mehrmals nach Polen reiste um sich mit Mitgliedern der polnischen B&H-Sektion zu vernetzen, Seminare abzuhalten und an Kämpfen teilzunehmen – man sieht an Beispielen wie diesen, dass ähnlich dem Phänomen Rechtsrock auch Kampfsport nicht nur als subkulturelles Betätigungsfeld genutzt wird, sondern zugleich auch als Möglichkeit der transnationalen Vernetzung wahrgenommen wird. Bei Niko Puhakka dürfte es sich um einen besonders gut in die neonazistische Kampfsport- und Hooliganszene vernetzen Akteur handeln – das belegen etwa seine Kontakte zum Pro Patria Fightclub in Athen, für den er bereits Seminare abhielt. Was aber hat die B&H-Sektion Polen nun genau mit Octagon zu tun?

Der Punkt ist: Die militanten Neonazis von B&H Polen pflegen nicht nur rege Kontakte in den international vernetzten Neonazi-Milieu, sondern verfügen auch über enge Verbindungen in die polnische MC-Landschaft und insbesondere zum Bad Company MC und damit auch zu den Hintermännern von Octagon Polen: Vor allem Robert Orsolinsz, der Leadsänger der Neonazi-Band Obled und der langjährige Lechia Gdánsk-Hooligan Grzegorz Horodko sind mit den Full Members des MCs gut vernetzt und teilen sich die selben Betätigungsfelder: Sowohl die polnischen B&H-Exponenten wie auch die Member des Bad Company MC sind aktiv in die Förderung von polnischen MMA-Kämpfern involviert. So treten etwa die B&H-Akteure und Obled-Mitglieder Orsolinsz und Wojciech Emer als Unterstützer des MMA-Fighters Robert Parzęczewski auf, der im Übrigen auch mit dem B&H-Führungskader Gierczak verkehrt. Dasselbe Geschäftsfeld bespielt auch der Bad Company MC, der nicht nur über eigene Trainingsräumlichkeiten für Members wie Nowowiejski verfügt, der an Bareknuckle-Events wie Wotore oder Gromda teilnahm, sondern auch öffentlich Kämpfer wie den Hooligan und Bareknuckle-Fighter Daniel „Hunter“ Więcławski fördert. Das Event Wotore wird im übrigen wenig überraschend von Octagon offiziell gesponsert und das Fightwear der Marke wird häufig von Fightern und Ringrichtern getragen – Octagon, Bad Company MC und Kampfsport in Polen lassen sich kaum voneinander trennen und B&H Polen mischt auch kräftig mit.

Mit Blick auf die polnische Kampfsportlandschaft kann festgestellt werden, dass Octagon Polen kein subkulturelles Nischenphänomen, sondern ein etabliertes und einflussreiches Unternehmen ist. Octagon organisiert eigene Kampfsportevents wie die No Mercy Gala, sponsert zahlreiche Kampfsport-Zentren, viele polnische Kampfsportler*innen tragen die Fightwear der Marke Octagon und in den sozialen Medien trendet der Hashtag #octagonfightwear. Jede größere Stadt Polens verfügt über einen Octagon-Store, die mittlerweile über ein breites Sortiment bis hin zu eigenen Nahrungsergänzungsmittel verfügen – der österreichische Ableger verkauft im übrigen Mineralwasser mit Octagon-Branding. Trotz der Kommerzialisierung des Unternehmens inszeniert sich dieses nach wie vor in subkultureller Hooligan-Ästhetik und unterstützt und fördert aktiv rechtsextreme sowie neonazistische Akteur*innen und Strukturen aus dem Milieu. Vielleicht ist der Erfolg des Unternehmens auch gerade dadurch zu erklären, dass es sich als aus der gewaltaffinen Subkultur von Schlägern und „Outlaws“ kommend inszeniert und dieses vermeintlich authentische Alleinstellungsmerkmal geschickt kulturindustriell vermarktet.

Förderung von rechten polnischen Hooligan- und Neonazigruppierungen.

So unterstützt und sponsert Octagon Polen etwa die rechtsextreme Hooligan-Gruppierung Bielskie Zagłębie des Vereins Zagłębie Sosnowiec: Das vereinseigene Gym Sportowe Zagłębie wird mit Fightwear von Octagon, Sporttaschen, Shirts, die im Fanshop von Zagłębie verkauft werden, bishin zu Getränke-Kühlschränken ausgestattet und beim hauseigenen Octagon-MMA-Event No Mercy verpflichtete man Mitglieder von Zagłębie, wie unlängst etwa Adrian Dudek, der Ende Mai 2023 bei dem Event antrat. Bei Bielskie Zagłębie handelt es sich um eine Fangruppe, die mit Bannern im Stil von Blood & Honour mit den Aufschriften „Hier war immer reines Land und das wird es auch auf Ewigkeit bleiben“ und „Weiße Menschen, die wir kennen, werden immer gegen den Kommunismus kämpfen“ posieren. Neben der Referenzierung von Blood & Honour verfügt der Fanclub außerdem über Kontakte in das militante NS-Milieu: Fotos zeigen zwei Mitglieder von Bielskie Zagłębie in T-Shirts von B&H mit den B&H-Neonazis Horodko und Orsolinsz sowie weiteren Personen im Rahmen einer nicht näher bekannten Festivität.

Der Fanclub Zagłębie ist allerdings nur ein Beispiel für die Verstrickungen von Octagon Polen in das rechtsextreme Hooligan-Milieu Polens. Auch im vom polnischen Neonazi Radosław „Wolf“ Brzuszczyński geführten Fight Club Fanga, das als internes Gym der autonomen Nationalisten von Autonom.PL und Nacjonalista.PL fungiert, wird von Octagon gesponsert. Brzuszczyński sowie viele andere aus dem Fanga-Gym stammen aus dem Hooligan-Umfeld der „Żyleta“ („Rasierklinge“), der berüchtigten Nordkurve von Legia Warszawa – dass man sich der Kurve zugehörig fühlt, verdeutlichen die Klubfarben an den Wänden des Gyms sowie das aufgemalte Emblem von Legia. Dass die Kurve selbst als „berüchtigt“ gilt, darf mittlerweile vor allem einer extrem rechten, großen Gruppierung zugeschrieben werden: der neonazistischen Fangruppe Teddy Boys ’95, die im Übrigen auch mit den extrem rechten Fans von Zagłębie befreundet ist. Die Teddy Boys zeigen Hitlergrüße und Keltenkreuze, schmücken ihre Kurve mit antikommunistischen Anti-Antifa-Bannern, zeigten öffentliche Bekenntnisse zum islamistischen Jihad gegen Israel, fallen regelmäßig mit rassistischen Gesängen auf und gelten als extrem gewalttätig.

Der Octagon-Kooperationspartner und Leiter des Fanga-Gyms Brzuszczyński selbst macht aus seiner Weltanschauung ebenso keinen Hehl – Kolowrat, Perun, Nationalflagge, nazistische Slogans und Bekleidung der neonazistischen Kampfsportmarke White Rex prägen seinen Social-Media-Auftritt und in den Räumen des Gyms fand 2017 ein Kampfsport-Workshop unter dem einschlägigen Titel „Polska dla Polek“ („Polen den Polen“) statt. Um das General-Sponsoring zu beschließen, bemühte sich der Octagon-Chef Szumliński sogar persönlich in das Gym: Gemeinsam mit Brzuszczyński, der sein Octagon-Shirt zur Schau trug und seit dem Sponsoring auf fast allen Fotos im Octagon-Branding zu sehen ist, posierte man und stellte die neue Partnerschaft entschlossen zur Schau. Und um das Agreement noch zu toppen, kündigte Octagon Anfang September 2023 an, die Nordkurve der Legia mit Sportswear und Kampfsportequipment auszustatten: So finanziert Octagon nicht nur ein Gym, dass einschlägig dem organisierten Neonazismus zuzurechnen ist und aus dem gewalttätigen Hooligan-Milieu Polens stammt, sondern auch noch die erlebnisorientierte Hooliganfraktion im Hintergrund.

Wie sehr man dabei dem – ohnehin als schwer gewalttätig geltenden – polnischen Hooliganismus verpflichtet ist, verdeutlicht auch das Sponsoring des polnischen Ablegers der Team Fighting Championship: Das 2014 erstmals in Riga ausgerichtete Event brachte  internationale Hooligan-Gruppierungen in einem KO-Turnier zusammen, wo jeweils fünf gegen fünf Fighter in einer Lagerhalle auf einer rudimentär abgegrenzten Matte in einem Less-Rules-Fight antraten (nicht erlaubt waren lediglich Beißen und Augenstechen, sowie Tritte/Schläge in die Genitalregion). Als Preisgeld wurden 5.000€ ausgezahlt – organisiert wurde das Ganze von einem Hongkonger Businessmann, der neben der TFC mutmaßlich noch weitere private Fightingleagues betrieb. Um 2020 dürfte sich dann das polnische Pendant Hooligans Team Fights Challenge gegründet haben. Hauptunterschied bestand lediglich darin, dass bei der polnischen TFC lediglich polnische Hooligans antraten – das Setting war das gleiche. Dem vorherrschenden polnischen Hooliganbild entsprechend wurde auch bei der polnischen TFC der Armija Krajowa gehuldigt, rechtskatholische Symbolik und mittelalterliche Bezüge eingesetzt. Noch 2020 dürfte dann auch Octagon seine Unterstützung zugesagt haben – schon im Juni hatte man Shirts im Verkauf und die Bewerbung der polnischen TFC lief an. Das erste Event, das noch 2020 hätte stattfinden sollen, musste allerdings auf 2021 verschoben werden – die Gründe dafür verbleiben im Dunkeln. Wie auch bei der internationalen TFC ist die Website des polnischen Pendants momentan down, der Social Media-Auftritt allerdings noch belebt, was durchaus darauf hindeutet, dass die polnische TFC ihre tatsächlichen Fight-Events abseits der Öffentlichkeit durchführt.

Dass Octagon die polnische TFC unterstützt verdeutlicht hierbei nur die strategisch-politische Linie, die das Unternehmen Octagon fährt – die gezielte Förderung von Strukturen und Akteur*innen, die sich an der Schnittstelle von Fußballfanszenen, Kampfsport und extremer Rechter bewegen lässt sich dabei als Muster begreifen, das sich bei den anderen Octagon-Franchise-Unternehmen außerhalb Polens wiederholt.

Octagon SK – der Vormarsch von Octagon: Das Franchise in der Slowakei am rechten Rand.

Neben Polen haben sich in den letzten Jahren Tschechien und die Slowakei zu zentralen Geschäftsfeldern des Octagon-Franchise entwickelt. So lassen sich Octagon-Stores bereits in Ostrava (CZ), Bratislava (SK) und Žilina (SK) finden. Hinter den Ablegern stehen Martin Majovsky in der Slowakei und Daniel Švarc in Tschechien.

In der Slowakei führt das Octagon-Netzwerk direkt in die Strukturen des lokalen Club 28. Dabei handelt es sich um ein v. a. in Osteuropa verbreitetes Neubranding von Blood & Honour- und Combat 18-Netzwerken, deren  Aktivitäten allerdings auf das moderne Kampf- und Kraftsportbusiness erweitert wurden. Die Neonazis des Club 28 trainieren in von Octagon gesponserten Gyms, treten regelmäßig bei von Octagon organisierten oder unterstützten Kampfsportveranstaltungen an und repräsentieren die Marke Octagon, durch die Zurschaustellung des Franchise auf Social Media. In der Gesamtheit kann daher festgestellt werden: Octagon, Kampfsport, Rechtsextremismus und Hooliganismus sind auch in der Slowakei kaum voneinander zu trennen.

Der extrem rechte Konnex von Octagon nach Žilina.

Die Verbindungen von Octagon-Slowakei in den militanten Rechtsextremismus führen zunächst in das Wolf Pride Gym in Žilina, im Norden der Slowakei nahe der polnischen und tschechischen Grenze. Obwohl das Kampfsportzentrum formal unabhängig agiert, wird es von Octagon-SK ausgestattet und bei der Bewerbung von Kampfsportevents sowie der Förderung von Kämpfer*innen unterstützt. Die Trainings im Wolf Pride Gym werden von dem bereits erwähnten Bareknuckle- und MMA-Fighter Tomáš „Bolo“ Meliš angeleitet. Bei seinen Kämpfen und in den sozialen Medien trägt der Kampfsportler meist Octagon in nationalistischer und hooliganistischer Ästhetik, oder einschlägigere rechtsextremen Szene-Marken wie Beloyar – Pagan Company, eine russische Marke, die für ihr „Svarozhich“-Kreuz bekannt ist, in dessen Mitte ein Hakenkreuz platziert ist.

Zusätzlich inszeniert sich Meliš nicht nur öffentlich als rechtsoffener Kampfsportler, sondern verfügt über gute Kontakte in das militante Neonazi-Milieu der Slowakei. So zeigen ihn etwa Fotos Arm in Arm mit Kubko Kondelcik im Wolf Pride Gym – einem in Žilina wohnhaften Neonazi, der dem Spektrum des slowakischen Club 28 und der lokalen B&H-Sektion zugerechnet werden kann und auf seinem Oberarm sowohl ein Kolowrat als auch ein großes Hakenkreuz tätowiert hat. Kondelciks Gesinnung kann auch seinen Social-Media-Postings entnommen werden, etwa wenn er ein Bild der Einfahrtstore des KZ Auschwitz mit der darüber platzierten Überschrift „Refugees Welcome“ postet. Barbora Almášiová, die Partnerin von Kondelcik, wiederum besitzt ein Tattoo-Studio namens White Tattoo in Rimavská Sobota, einem weiteren für den Club 28 in der Slowakei relevanten geographischen Knotenpunkt und posiert selbst vorzugsweise in einschlägigen Runen-Shirts. Die wechselseitig amikalen Kommentare, Likes und Interaktionen belegen, dass die Kontakte zwischen Meliš und Kondelcik keinesfalls zufällig sind und der Gym-Betreiber sich im Netzwerk des slowakischen Club 28 bewegt.

Tomáš Meliš verfügt aber nicht nur über Kontakte in das slowakische Neonazi-Milieu, sondern ist auch international in den militanten Neonazismus vernetzt. Wie es scheint, hat Meliš vor Kurzem mit Hilfe von Octagon eigene Shirts mit dem klingenden Namen „Meliš Army“ kreiert. Während dieser Umstand lediglich erneut die Verbindungen des rechtsextremen Kampfsportlers zu dem Octagon-Franchise verdeutlicht, wollen wir an dieser Stelle auf ein Detail am Rande hinweisen: Der Athener Kampfsportler und Neonazi Konstantinos Kandiliotis posierte kurze Zeit später in dem Octagon-Shirt von Meliš in den sozialen Medien und bedankte sich bei diesem für die private Zusendung. Warum ist das relevant? Kandiliotis ist jener Neonazi, der als einer der Zahlungsabwickler der diesjährigen European Fight Night, einem der größten transnationalen Kampfsportevents des organisierten Neonazismus Europas, auftrat. Die Bestellung der Karten über die mutmaßlich von Tomasz Szkatulsky betreute Mail-Adresse der EFN lief wenig klandestin über das Paypal-Konto von Kandiliotis. Ob Konstantinos Kandiliotis in das in Athen operierende Kamfsportnetzwerk Pro Patria Fight Club eingebunden bzw. Teil der diesen umgebenden B&H/C18-Strukturen der neonazistischen Chrysi Avgi ist, bleibt unklar – es wäre in jedem Fall nicht verwunderlich.

Neben Kondelcik und Kandiliotis wollen wir abschließend noch auf eine letzte Bekanntschaft von Meliš hinweisen: Im Ring des Králi Ulice II posierte er mit Zdeněk „Gauny“ Pernica, einem tschechischen neonazistischen Hooligan, der früher als Kader der Cheeky Boys galt, der Jugendorganisation der gewaltorientierten und rechten Johny Kentus Gang (JKG) des FC Zbrojovka Brno. Pernica war außerdem Gründungsmitglied der Slušny lidé (in etwa „Anständige Menschen“), die unter anderem an klerikalfaschistischen Aufmärschen und Angriffen wie etwa auf eine Theateraufführung 2018 in Brno teilnahm. Gegründet hatte Pernica die Gruppe mit Martin Korc, dem ehemaligen Gründer der Bohemian Hammer Skinheads, dem damaligen (schon länger aufgelösten) tschechischen Chapter der Hammerskin Nation (vgl. hier den Text der antifa.cz). Pernica trat u. a. schon in der BKFC 46 an, ist überdies seit längerem Trainingspartner von Petr „Bery“ Beránek, einem bekannten Neonazi-Hooligan und Gewalttäter der JKG, der auch Teil des White Rex Czech Fight Team ist – dazu später noch mehr.

Die Ultras von Slovan Pressburg.

Auch wenn Tomáš „Bolo“ Meliš für die Verbindungen Octagons in das militante Neonazi-Milieu der Slowakei relevant ist, beschränken sich diese nicht auf ihn. Im Jahr 2020 verkündete Octagon, man würde nun für die Hooligan-Abteilung der neonazistischen Ultras von Slovan Pressburg maßgeschneidertes Fightwear produzieren – unter anderem Trainingshosen, Sportoberteile und Mützen. Dazu muss man wissen: Die Hooligans von Slovan Pressburg sind international für ihre Gewalttätigkeit und ihre Einbindung in rechtsextreme Fußballmilieus bekannt. Unter ihren Mitgliedern finden sich mehrfach international bekannte Neonazis, die auch politisch aktiv sind. Dies trifft etwa auf den Kampfsportler, WRC-Mitglied und KOTS-Kämpfer Michal „Panzer“ Petriš sowie auf Milan „Punky“ Panač zu. Auch Panač ist Teil des WRC, trug auf seinem Bauch bis vor Kurzem den Treueschwur der SS als Tätowierung und nahm mehrfach an einschlägigen Kampfsport-Events wie dem 2014 veranstalteten Tana delle Trigri in Rom teil, das alljährlich in den Räumlichkeiten von CasaPound Italia ausgerichtet wird. Panač trat außerdem auch bei Events wie dem Králi Ulice II, oder bei KOTS an – zu zweiteren war er gemeinsam mit Michael Petriš und Simon Jusko angereist, die regelmäßig zusammen trainieren und wohl auch freundschaftlich verbunden sind.

Panač mit Zahradník – beide dürften gut miteinander befreudet seien.

Panač ist für diese Recherche zusätzlich relevant, weil er über gute Kontakte zum slowakischen Club 28 pflegt – vor allem zu dem Neonazi, Kampfsportler und Hooligan Michal Zahradník, der Teil der Gemer Division – Ultras Rimavská Sobota des „MŠK Rimavská Sobota“ ist. Die Intensität der Verbindungen kann zum Einen dadurch belegt werden, dass Zahradník Panač als „Brother in arms“ bezeichnet und zwischen der Gemer Division und den Ultras Slovan eine enge Fanfreundschaft besteht. Regelmäßig besuchen sich die Fangruppierungen bei Spielen, oft hängen die „Fetzen“ der beiden Gruppen in den Stadien unmittelbar nebeneinander. Das ist also das Milieu, mit dem das Octagon Slowakei-Franchise freundschaftlich und geschäftlich verbunden ist.

Die Gemer Division – Ultras Rimavská Sobota und der Club 28.

Zahradník selbst stammt aus Rimavská Sobota und trainiert im dort ansässigen Combat Club RS diverse Kampfsportarten. Seine Relevanz für die europäische Neonazi-Szene verdeutlichen etwa seine Teilnahme an der European Fight Night in Ungarn, Csókakö in diesem Jahr. Angetreten war Zahradník für das Panzer Tattoo Crew-Team, das von Michal Petriš geleitet wird. Zahradník dürfte außerdem mit Petriš und Zdenko Laudar, einem rechtsextremen Bauunternehmer, der ebenso in Rimavská Sobota wohnt, nach Budapest zur EFN angereist sein. Vor Ort in Csokakö posierte Zahradník u. a. mit Dávid Németh, einem Kampfsportler und Aktivisten der Légió Hungaria und Michaël Biolley (der sich mittlerweile „Mischa Biolet“ nennt), der bis 2012 den Schweizer Hammerskins angehörte, dann nach Tschechien, České Budějovice, verzog und – wie EXIF Recherche berichtete – beim SK Boxing z. s. České Budějovice trainiert. Er scheint ferner Teil der Ackermatch-Gruppe von „Dynamo České Budějovice“ zu sein, nahm am neonazistischen Box-Turnier Virtus et Honor II in Brno teil, das von der Neonazigruppe Nacionalisté ausgerichtet worden war, die u. a. am neonazistischen Lukovmarsch Februar 2023 in Sofia teilnahm – bei Virtus et Honor II waren im Übrigen auch die österreichischen Neonazis von alpen-donau.info, wie etwa der Grazer Neonazi Richard Pfingstl, vertreten.

Zahradníks Trainingsgruppe. Vorne v. l. n. r.: Unbekannt, Michaela Oštromová, Johny Koreny, Lukáš Koóš, Rišo Lengyel, Stefan Molnar. Hinten: Zahradník, Patrik, Roman Kucej, Ondrej Tomko, Dominik Kucej, Marek Majlo Beňo.

Neben Zahradník  als Person ist auch dessen soziales Umfeld in Rimavská Sobota, der Gemer Division und im Combat Club RS auffällig: Es handelt sich um einen größeren befreundeten Kreis an Männern, die Kampfsport betreiben, gemeinsam ins Stadion und zum Ice-Hockey gehen, aus ihrer rechtsextremen Gesinnung keinen Hehl machen und sehr gerne Fightwear von Octagon tragen. Die offizielle Facebook-Seite Gemer Rascals bewirbt Kämpfe von Zahradník, u. a. beim Králi Ulice II Ende Juni 2023, wo er gegen Pavol Tajboš in den „Ring“ stieg, der selbst auch eine Kolowrat auf der Brust tättowiert hat. Begleitet wird Zahradník des Öfteren von den befreundeten Kampfsportlern Miloš Siminsky (der ihn etwa in den Ring des Králi Ulice II brachte) und Janicko Tabacek: Siminsky trainiert u. a. im Wolf Pride Gym in Žilina bei Tomáš Meliš – der Kreis schließt sich hier also: Auch hier zeigt sich, dass Octagon Teil eines rechtsextrem bis neonazistischen Netzwerkes von gewaltorientierten Kampfsportlern und Hooligans ist.

Zur Veranschaulichung der Dichte extrem rechter Akteure in der Gemer Division seien noch weitere Beispiele angeführt: Da wäre noch der Gemer-Hooligan Ondrej Tomko, der ebenso Teil des genannten Freundeskreises ist, der sich gerne zur European Brotherhood bekennt, T-Shirts der Neonazi-Marke Ansgar Aryan trägt und über gute Kontakte in das Netzwerk des Club 28 verfügt. Weiters sind auch Roman und Dominik Kucej in die Trainingsgruppe von Zahradník involviert – auch sie gehören der Gemer Division an. Online posieren die zwei mit der rechtsextremen Parole „White Lives Matter“ und „Defend Europa“ sowie mit einschlägig bekannten neonazistischen Szenecodes und -symbolen wie „88“, Keltenkreuzen und der schwarzen Sonne. Ferner scheinen sie sich in der extrem rechten L’SNS politisch zu betätigen. Hierbei handelt es sich nur um einige Beispiele, die das Milieu illustrieren sollen, in dem sich das slowakische Octagon-Franchise bewegt.

Im folgenden Absatz wollen wir in gebotener Kürze auf das slowakische Netzwerk des Club 28 eingehen. Da dieses als unmittelbares, militantes Nachfolgenetzwerk von B&H/C18-Slovakia gilt, erscheint dies für den vorliegenden Text insofern relevant, als Akteure, die mit Octagon verbunden sind, entweder Teil des Club 28 oder aber – wie im Falle von Tomaš Meliš – unmittelbar mit Akteuren des Clubs freundschaftlich verbunden sind.

Der Club 28 als Nachfolger der alten B&H-/C18-Division Slovakia.

Blickt man auf die Geschichte der B&H-/C18-Organisierung in der Slowakei, fällt v. a. auf, dass es eine gewisse Diskontinuität zu geben scheint: Etwa von 1994 bis mindestens Anfang der 2010er-Jahre scheint es mehrere Sektionen von B&H/C18-Slovakia gegeben zu haben. Slowakische Behörden konzedierten etwa 2004, dass sie mehrere Sektionen des Neonazi-Netzwerks in der Slowakei beobachten würden: die B&H Division Slovakia (Bratislava), B&H Division Tatras Slovakia (Prešov), B&H Division Engerau Slovakia (Bratislava-Petržalka), B&H Division Cassovia (Košice) sowie eine lokale, slowakische Combat 18-Division. Die einzelnen Sektionen wie auch der lokale C18-Ableger dürften nun aber schon länger nicht mehr bestehen – ein letzter Hinweis auf eine Assoziierung von neonazistische Netzwerken mit dem C18-Organisationsmodell findet sich bei dem weiter oben erwähnten Vorfall 2013 in Nitra – doch auch hier wurden die beteiligten Neonazis schlussendlich zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Nun scheinen seit 2020 erneut slowakische Neonazis – vornehmlich aus der Süd- und Westslowakei – unter einem abgewandelten B&H-Label aufzutreten, mit dem auch eine veränderte Priorisierung von politischen Betätigungsfeldern einhergegangen ist: Denn für die aktuell als B&H-Sektion auftretenden slowakischen Akteure steht nicht die Organisation von RAC im Vordergrund, sondern Kampfsport – sowohl in ideologisch aufgeladener Selbstausübung, in Verbindung mit organisierten Fußball-Fanszenen, zum Zwecke transnationaler neonazistischer Vernetzung wie auch aus ökonomischen Gründen. Eine Entwicklung, die auch durch die Förderpolitik von internationalen Sponsoren wie Octagon verstärkt wird, da Kampfsport sowohl für Ausrichter*innen wie auch für Fighter*innen immer rentabler wird und auch abseits des rechten Lagers großen Widerhall erfährt. Dennoch weist die Club 28-Slovakia-Struktur Merkmale älterer typologischer B&H-Organisierung auf: Es handelt sich großteils um einen Freundeskreis, der wohl teils zellenartig agiert und nach außen hin gegen Einblick und staatliche Überwachung abgeschirmt ist; man rekrutiert über Ultra- und Hooliganszenen und bezieht in den Kurven durchaus aktiv Position (v. a. von Relevanz Rimavská Sobota, Trnava und Nitra); alle betreiben in den gleichen Räumen und Gyms Kampfsport (RS Combat, Wolf Pride, Kickbox Fight Club Sparta); alle Mitglieder weisen ein geschlossen neonazistisches Weltbild auf, das auch politischen Aktivismus inkludiert. Konzediert werden muss allerdings, dass es bei dem momentanen Wissensstand nicht zur Gänz geklärt werden kann, ob und inwiefern der Club 28-Slovakia eine völlig konzise Gruppierung darstellt oder doch lose Enden aufweist, die sich um einen aktiven Gruppenkern (Kondelcik, Zahradník) positionieren.

Wir wollen an dieser Stelle in Kürze einige Personen, die dem momentanen Club 28 zuzurechnen sind aufführen, um die oben angestellte Darstelleung zu konkretisieren: So etwa dürfte Tomáš Brozman zum Club 28 zählen, der mit „Defend Europe“-Branding, Thorhammer, Triskelen und Runen posiert und ebenso Gemer-Hooligan ist. Fotos zeigen ihn gemeinsam mit Zaradník und weiteren Personen, die regelmäßig in den gleichen Konstellationen mit einschlägigem Ausdruck zu sehen sind: der deutsch-slowakische Neonazi Norbert Kirchhoff, den Gemer-Hooligans Ondrej Tomko und Rišo Lengyel, der wiederum ebenso zur Trainingsgruppe von Zahradník zählt, sowie Johny Koreny, der einen Hitlergruß zeigt und ebenso mit Zahradník trainiert. An anderer Stelle posiert Tomko mit Zahradník, Miššulko Sojka und Dominik Farkaš bei einem Ausflug nach Budapest unter dem extrem rechten Hooligan-Motto „Budapest Defend Europe“.

Farkaš scheint ein integrales Mitglied des Club 28 zu sein – so zeigt ihn ein Foto mit Kondelcik und einem Mitglied der B&H-/C18-Sektion Bulgaria bei einer szeneinternen Festivität (siehe oben). Auch Števko „Pampúx“ Gabera sowie eine Person, die auf den Rufnamen „Embrio“ hört, zählen zum Umkreis von Zahradník, Kondelcik und Meliš: Bei Gabera handelt es sich um einen Spartak Trnava-Hooligan, der Landser- und Thor Steinar-Shirts trägt, Content von Marian Kotleba teilt, und mehrfach Rechtsrockkonzerten beigewohnt hat; so etwa erst letztes Jahr am 22. August 2022 in Zbehy nördlich von Nitra bei einem Solokonzert von Ondrej Ďurica, dem Leadsänger der bekannten slowakischen Rechtsrockband Biely Odpor.

Bei der unbekannten Person mit Rufnamen „Embrio“ hingegen handelt es sich um einen MMA-Kämpfer, der u. a. mit Kondelcik zusammen im Kickbox Fight Club Sparta in Nitra trainiert und auch mit Tomáš Meliš freundschaftlich verbunden sein dürfte. Auch den Kickbox Fight Club Sparta scheint Octagon zumindest partiell zu sponsern, worauf Octagon-Tafeln im Gym sowie Bewerbung von reinen Octagon-Veranstaltungen (Way of Warrior Fight Night in Hodonín) schließen lassen. Neben eindeutigen Symboliken, die er zur Schau stellt, betätigt sich der Neonazi auch rege am Verkauf und Erwerb von nationalsozialistischen Devotionalien. So etwa versucht er den wüst antisemitischen Text „Der Giftpilz“ des nationalsozialistischen Autors Ernst Hiemer zu erstehen, bietet für 22€ ein „Arbeitsbuch“ der DAF an wie auch weitere NS-Plaketten.

Kontakt des slowakischen Club 28 zu Betyársereg.

Von Interesse ist noch eine weitere Person des slowakischen Club 28: Zusammen mit Zahradník und Kondelcik posiert auch mindestens einmal ein Neonazi namens Erik (Nachname ist der Redaktion an an dieser Stelle unbekannt, sie Foto oben) im Club 28-Shirt, der ursprünglich aus Ungarn stammen dürfte. Er scheint der Hooligan-Szene von „Ferencváros Budapest“ zu entstammen, ist selbst Kraftsportler und arbeitet als Security für die ominöse Security-Firma Gladiator Security, die von Janko Nemcok geleitet wird. Da diese in der Slowakei ihren Standort hat, ist davon auszugehen, dass Erik aus Ungarn verzogen ist und nunmehr voll und ganz in der Slowakei politisch wie auch arbeitstechnisch seinen Lebensmittelpunkt hat. Von Bedeutung ist allerdings seine politische Laufbahn – denn in Budapest war Erik bei der neonazistischen Betyársereg aktiv. Diese ist wie ein MC organisiert, vergibt an Full Member Kutten mit Patches und ist straff hierarchisch organisiert – Betyársereg gilt als militanter (siehe u. a. Bericht hier) Sammelpunkt für ehemalige Angehörige der Sicherheitskräfte, Polizei und Militär, die ein geschlossen rechtsextremes Weltbild vertreten.

Auffällig ist in Eriks Vita eine zeitliche Korrelation: Zur selben Zeit, als Erik bei Betyársereg aktiv war, dürfte er bereits Kontakte zum slowakischen Club 28 gepflegt haben, was nahelegt, dass die militante ungarische Organisation durchaus Kontakte zum slowakischen B&H/C18-Ableger haben. Die Verbindung von Betyársereg mit B&H-/C18-Slovakia ist offenkundig in höchstem Maße bedrohlich, verbindet sich doch militante neonazistische Akteure transnational, die darüber hinaus u. a. mit Octagon noch über gut ausgebauten finanziellen Rückhalt verfügen. Doch Eriks Kontakte hören hier noch nicht auf: Schon früher scheint M. Mitglied des ungarischen Filleck Knights MC gewesen zu sein, zumindest bis 2022 zeigte er sich noch in der Kutte des MCs. Die scheinbar im Norden Ungarns, nahe der slowakischen Grenze beheimateten Filleck Knights, die auf Ausfahrten des Öfteren auch ins slowakische Nachbarland zu kommen scheinen, dürften auch für Kontakt zum Hells Angels-Prospect-Charter Zvolen gesorgt haben. Aufrufe zur entsprechenden Support-Runs für die Hells Angels-Slovakia teilte M. mehrfach in den sozialen Medien, v. a. jene des Zvolener Prospect-Charters. Im Übrigen jenes Charter, zu dem auch der österreichische Octagon-Leiter Bukaí beste Kontakte hat – zusammen mit Zvolener Prospects und Angels des Bratislava-Charters war Bukaí Februar 2022 auf Urlaub nach Ibiza gefahren.

Was verdeutlicht der Exkurs zum militanten Club 28-Netzwerk? Dass Octagon an beinahe jeder Ecke des Netzwerkes in Erscheinung tritt, entweder durch Förderung der entsprechenden Gyms, durch Sponsoring von Einzelpersonen, die dem Netzwerk nahestehen oder aber der materiellen Unterstützung solcher Gruppierungen, die aktiv neonazistische Kader hervorbringen. Besonders die akute Nähe zu B&H-/C18-nahen politischen Akteuren muss hervorgehoben werden – denn diese Nähe setzt sich auch im Falle des tschechischen Franchise fort.

Octagon CZ: zwischen White Rex und Breitensport.

Wie auch in der Slowakei, ist Octagon in Tschechien mittlerweile stark in das dortige Kampfsportmilieu involviert – und erneut wird neben breit aufgestelltem Sponsoring die extreme tschechische Rechte aus dem organisierten Hooligan-, aber auch einschlägig politischem Neonazi-Milieu mit Sportswear ausgestattet. Auch für den tschechischen Raum rekonstruieren wir daher das Netzwerk von Octagon, um den Grad der Verstrickung der Marke in gewaltorientierte, rechtsextreme Kreise zu belegen.

In Tschechien werden drei Gyms in größerem Umfang von Octagon gefördert: der Fight Club Ostrava, das Draculino Ostrava, sowie das Hodonín Vagabund Gym. Zusätzlich werden von Octagon auch Veranstaltungen organisiert und unterstützt – hier ist vor allem die Way of Warrior Fight Night (WoW) hervorzuheben, die im Hodonín Vagabund Gym stattfindet und exklusiv von Octagon organisiert wird, oder auch das panslawistische Event Noc Slovanských Bojovníků (NSB) in Jablonec nad Nisou, das von Octagon unterstützt wird. Bei der WoW handelt es sich nicht um eine dezidiert rechtsextreme Veranstaltung: Sowohl Hooligans slowakischer und tschechischer Vereine, rechtsextreme Kampfsportler*innen aus unterschiedlichen Ländern, als auch nicht weiter politisch auffällige Kämpfer*innen treten bei den Events an. Bei dem Event finden auch Meisterschaften verschiedener Disziplinen statt, ein Umstand, der die Schlüsselfunktion von Octagon zwischen organisiertem Rechtsextremismus und Mainstream unterstreicht.

Anders ist das bei dem Event NSB (übersetzt bedeutet das in etwa „Nacht der slawischen Krieger“), das bereits im Logo ein schwarzes Kolowrat bewirbt. Die offiziellen Dressen der Veranstaltung stammen von Octagon und weisen ebenso das schwarze Kolowrat vor dem Hintergrund der tschechischen Nationalfarben auf. Bei dem Event treten außerdem dezidiert rechtsextreme Unternehmen als Sponsoren auf, so etwa der Might is Right-Store, der von tschechischen Neonazis betrieben wird und Szene-Marken wie Greifvogel, Svastone, Beloyar, White Rex oder Pride France vertreibt – mehr dazu in der Recherche der antifa.cz.

Neben MMA-Kämpfen werden auch Mittelalter-LARP Schwertkämpfe bei der NSB abgehalten, man posiert mit Falknern und gezähmten Greifvögeln, mittelalterlichen Kriegsäxten und beinahe überall sind die slawischen Nationalfarben und panslawistische Sprüche anzutreffen. Die Kämpfer*innen ziehen in Hooligan-Ästhetik in den Ring: muskulöse mit Hooligan-Balaclavas der Marke Octagon vermummte Männer treten mit Pyrotechnik auf und inszenieren sich martialisch – die Kämpfe werden zudem auf einschlägigen Portalen wie „Hooligans.cz“ beworben. Es ist eine rohe Männlichkeit, die sich für den Erhalt der eigenen Rasse und Nation einsetzt, die hier zelebriert wird. Die Schwert- und Axtkämpfe verdeutlichen die Mentalität des Milieus, das sich in der Tradition des ritterlichen Zweikampfes sieht und bis zum bitteren Ende dazu bereit ist, für die Gemeinschaft zu kämpfen und gegebenenfalls zu sterben.

Es ist kein Zufall, dass Octagon CZ rechtsextreme Events wie die NSB unterstützt. Vor kurzem kündigte das Franchise einen neuen Logo-Entwurf für die Slavia Hooligans, also die Hooligan-Sektion des SK Slavia Praha an. Auch das zugehörige Slavia Gym Praha wird mit eigens kreiertem Fightwear beliefert. Blickt man in die Geschichte der Fanszene des SK Slavia Praha, so muss festgestellt werden, dass diese in den letzten Jahren deutlich gegen die neonazistischen Umtriebe in der Kurve vorgegangen sind und neonazistische Mitglieder der Tribuna Sever, der Sešívaná-Jugend und der Ultras Slavia zwar noch in der Kurve anwesend sind, aber nicht mehr so offen für ihre Sache agitieren können.

Gleichwohl war die Kurve von Slavia Praha jahrelang wegen ihres militanten Rassismus und ihrer hohen Gewaltbereitschaft bekannt – die Fanszene trat so häufig organisiert bei rechtsextremen Aufmärschen auf, verübte Angriffe auf linke Kulturzentren und war in Form einzelner Mitglieder auch in schwere physische Angriffe wie etwa am 23. Juli 2021 auf Rom*nja in Sokolov beteiligt. Zu den Mitgliedern der Slavia-Hooligans zählen Aktivist*innen der Autonomen Nationalisten Praha oder des rechtsextremen Medienportals Pro-Vlast wie etwa Tadeáš Svoboda oder Jan Králik. Auch der führende Exponent des neonazistischen Kampfsportverbundes White Rex Czech Fight Team Lukáš Rod entstammt der Kurve von Slavia und trainierte in dem Gym der Fanszene.

Das White Rex Czech Fight Team (WRC) ist für die anliegende Recherche von weiterer Relevanz, denn: Octagon sponsert den Neonazi und MMA-Kämpfer Vít Mrákota, einen der zentralen Akteure der Neonazi-Gruppe. Auf dem Sponsoring-Shirt von Mrákota finden sich so unter dem angedeuteten Kopf und Flügel des Skrewdriver-Emblems nicht nur die rechtsextremen tschechischen Labels Black Arrows und HateCore, Sebastian Raacks Greifvogel Wear und Denis Kapustins White Rex, sondern auch das Octagon-Logo. Um keinen Zweifel an der Gesinnung des WRC-Kämpfers zu lassen: dieser ersetzt das „o“ in seinem Namen gerne mit einem Keltenkreuz und schmückt seinen Namen in den sozialen Medien mit „28“ – den Insignien von Blood & Honour.

Wie tschechische Antifaschist*innen, aber auch Runter von der Matte berichteten, ist Mrákota langjähriger Kader des WRC. Neben Rod und Mrákota zählen auch die Neonazis Petr „Bery“ Beránek, Pavel Koleček, Marek Henzl, Matús Juráček (ebenso aus der Hooligan-Szene von Slavia stammend, zeitweise wegen Gewalttaten mit Stadionverbot belegt), Tomáš Dubský, Martin Tuček, der Sparta Praha-Hooligan Jiří „Jihik“ Smola und Tomáš Kužela zum Kern von WRC. Die Neonazis des WRC sind auch international gut vernetzt. So berichteten tschechische Antifaschist*innen etwa, dass eine Abordnung des WRC 2014 am bereits erwähnten neofaschistischen Kampfsportevent Tana delle Tigri, das von CasaPound Italia ausgerichtet wird, teilgenommen haben. Im gleichen Jahr nahm die Delegation auch am neonazistischen Event Spirit of Warrior in Lyon teil, das von Pride France und White Rex, also von Szkatulski und Kapustin ausgerichtet wurde. Auch am 2018 in Ostritz stattfindenden Kampf der Nibelungen und 2019 bei dem Pro Patria Fest in Athen nahm das Team des WRC teil.

Dass Octagon auch in Tschechien neonazistische und rechtsextreme Akteur*innen gezielt fördert und dadurch ein militantes und potenziell gefährliches Umfeld mitfinanziert und kostenlos ausrüstet, vervollständigt das Bild von Octagon im Dreiländereck. Nicht nur die gute Vernetzung von Octagon mit rechten Hooligan- und Ackerkampf-Szenen wird dadurch deutlich, sondern auch der Konnex zu neonazistischen Gruppierungen wie etwa lokalen B&H/C18-Strukturen oder aber mit solchen assoziierten bzw. dezidierten Support-Gruppierungen. Denn auch für Tschechien kann festgestellt werden, dass das WRC im Umfeld von B&H-nahen Strukturen zu verorten beziehungsweise mit solchen aus den Nachbarländern eng verbunden ist.

Octagon UK: die polnische Diaspora und der Nationalismus.

Seit etwa 2020 hat sich das Octagon-Franchise auch in Großbritannien niedergelassen und verfügt über zwei Stores in Crewe und Sheffield. Offizieller Betreiber ist die Extreme Adventure Group LLG, deren Geschäftsführer Marcin Pawel Borowski ist. Zentraler Anknüpfungspunkt für das Octagon-Netzwerk scheint dabei die zahlenmäßig große polnische Diaspora in Großbritannien und in diesem Zusammenhang auch polnische Migrant*innen aus dem Ultra- und Hooliganmilieu zu sein. Hierfür sinnbildlich dürfen die beiden primär in der Öffentlichkeit als „Brand Ambassador“ stehenden Hauptakteure des UK-Franchise Marcin Jerzak (Brand Ambassador des Franchise in Crewe) und Lukasz Parobiec (Brand Ambassador des Franchise in Sheffield) gelten: Jerzak etwa entstammt der Ultraszene von Lech Poznań, ist aber mittlerweile in die Fan-Strukturen von Manchester United integriert.

In den Stores von Octagon UK wird neben den polnischen Submarken auch das ausschließlich in Großbritannien erhältliche Branding „Patrioci UK“ vertrieben, das durch sein nationalistisches bis rechtsextremes Branding auffällt. Neben typischer Hooligan-Bekleidung finden sich zahlreiche Motive mit dem Nationalwappen oder den Nationalfarben Polens, aber auch dezidiert rechtsextreme Codes wie etwa ein Poloshirt, welches das mit einer roten Linie durchgestrichene Icon einer knienden Person zeigt – eine Referenz auf den Bürgerrechtler und San Francisco 49ers-Quarterback Colin Kaepernick, dessen Geste zum Symbol antirassistischer sozialer Kämpfe in den USA wurde und dessen Bestrebungen Octagon UK offensichtlich ablehnt.

Weiters finden sich in dem Sortiment des Octagon Subbrandings auch Produkte mit dem Wappen der ehemaligen rechtsextremen und antisemitischen Widerstandsorganisation „Organizacja Wojskowa Związek Jaszczurczy“ – jene militärische Fraktion des bis heute in unterschiedlichen Formierungen existierenden Obóz Narodowo-Radykalny, das unter anderem auch den jährlich stattfindenden rechtsextremen Unabhängigkeitsmarsch in Polen mitorganisiert, bei dem dann wiederum zahlreiche Ultra- und Hooligan-Gruppierungen in einem eigenen Block mitlaufen und relativ geschlossen auftreten.

Das aktuelle Sponsoring von Octagon UK umfasst ein breites Spektrum an Personen aus verschiedene Kampfsportarten, Bareknucklefighting, Armwrestling, Powerlifting und dem Kraftsport. Auch die beiden Octagon UK-Brand Ambassadors betätigen sich selbst als Kraft- und Kampfsportler und organisieren ganze Events unter dem Deckmantel von Octagon: So organisierten Jerzak und Parobiec am 25. Juni 2023 in Sheffield etwa das Street Fighters UK-Tournament, das als Octagon-Event gelabelt wurde. Dabei wurde das Event bilingual (Polnisch – Englisch) beworben, wobei beinahe ein größerer Teil der externen Kommunikation auf Polnisch gehalten wurde – offenbar wollte man vorzugsweise in der eigenen Diaspora mobilisieren, wohingegen man im Rahmen von Octagon durchaus auch britische Kampfsportler*innen fördert.

Auffällig ist ferner, dass sich der mutmaßliche Octagon Sheffield-Akteur Parobiec in jenen Hooligan-Kreisen bewegt, die regelmäßig bei brutalen Bareknuckle- und No-Rule-Fightclubs antreten: So ist Parobiec unter dem Kampfnamen „Goat“ regelmäßig bei dem polnischen Bareknuckle Event Gromda zu Gast, bei dem auch KOTS-Kämpfer wie der New Gen Brondby-Hooligan Simon Henriksson oder Wotore-Kämpfer wie der Octagon Polen-Akteur Simon Nowowiejski angetreten sind. Bei Wotore handelt es sich um ein MMA-Event mit erweitertem Regelset, das etwa Bareknuckle MMA-Fights zulässt, oder auch Tritte gegen einen am Boden liegenden Kopf. Schon die Bewerbung von Wotore verdeutlicht die bizarre Fetischisierung nackter Gewalt: In den martialischen Pre-Fight-Bewerbungsvideos reiben die Kämpfer in einem unterbelichteten Raum ihre um die Fäuste gewickelten Seilbandagen martialisch in Glasscherben. Bei Veranstaltungen dieser Art geht es um die enthemmte Affirmation der Gewalt und den Kampf bis zum absoluten Ende. Der Gegner muss nicht übertrumpft, sondern gebrochen und zerstört werden.

Doch auch abseits der hauseigenen Kämpfer, die sich auf einschlägigen Kampfsportveranstaltungen des Hooligan-Milieus bewegen, ist das britische Octagon-Franchise in reguläre Kampfsport-Events involviert. Octagon UK tritt etwa bei der Almighty Fighting Championship in Barnsley als Sponsor auf. In der Gesamtheit ist der britische Ableger Octagons aber zumindest aktuell deutlich weniger in den kommerziellen Kampfsport integriert als es die Ableger in den anderen Ländern sind. Auch die engen Kontakte in den organisierten Rechtsextremismus lassen sich im Falle von Octagon UK nicht in der Intensität feststellen, wie es etwa in Polen, Tschechien und der Slowakei der Fall ist. Ob sich der Einfluss auf den Kampfsportbereich und die Kontakte in einschlägige Milieus mit dem Verlauf der Zeit intensivieren werden, bleibt offen. Die Problematik der zunehmenden Popularisierung einer ritualisierten Gewaltkultur in Kombination mit der Vermarktung eines nationalistischen und rechtsextremen Lifestyles verdeutlichen aber, dass auch Octagon UK Teil des äußerst problematischen transnationalen Franchise-Unternehmens ist.

Octagon international. Die neuen Franchises Octagon.ro, Octagon.bg und Octagon.ir und: Octagon – das größte Fightwear-Franchise in Europa?

Wir haben bisher die zentralen Ableger des Octagon-Franchise dargestellt und auf deren Verbindungen in den organisierten Rechtsextremismus sowie auf die Problematik der Kommerzialisierung einer ritualisierten Gewaltkultur nationalistischer und rechtsextremer Prägung durch das Unternehmen hingewiesen. Dadurch, dass Octagon in den jeweiligen Ländern zu einem relevanten Player der Kampfsportlandschaft geworden ist, prägt es die Kampfsportszene und die in dieser vorherrschenden Kultur mit und kann keinesfalls mehr als Nischenphänomen betrachtet werden. Die engen Kontakte in die unterschiedlichen Milieus der Szene, die Möglichkeit gezielter Unterstützung von Kampfsportgyms und einzelnen Kämpfer*innen sowie die erfolgreiche Marketingstrategie des Unternehmens haben dazu geführt, dass Octagon erfolgreiche eine Brückenfunktion zwischen gewaltorientierten, rechtsextremen Hooligan-Strukturen und der Welt des kommerzialisierten Kampfsportes eingenommen hat. Durch diese Funktion trägt Octagon wesentlich zu einer rechtsextremen Diskursverschiebung innerhalb der Kultur des Kampfsportes bei und hilft rechtsextremen Akteur*innen und Organisationen innerhalb der internationalen Sportcommunity Fuß zu fassen und sich finanziell abzusichern.

Und: Octagon expandiert. In den letzten Jahren hat sich das Unternehmensnetzwerk in Rumänien, Bulgarien, Irland und wie bereits dargestellt auch in Österreich niedergelassen. Es wird sich zeigen, ob sich das Muster Octagons auch in Rumänien und Irland wiederholen wird – es wäre in jedem Fall nicht verwunderlich. In der Bilanz ist Octagon mit 2023 in sieben europäischen Staaten vertreten, wobei vor allem das Unternehmen in den Viségrad-Staaten über Prestige und Einfluss verfügt. Ein Blick auf die Vertriebsstrukturen von Octagon zeichnet ein deutliches Bild: wie eine polnische Lokalzeitung berichtete, handelt es sich bei Octagon um einen der größten Fightwear-Retailer, der in Europa seine Produkte produziert. Der stattfindende Aufbau einer neuen Produktionsstätte im Wert von etwa 10 Mio. Złoty verdeutlicht die Produktionskapazitäten des Unternehmens.

Ausblick: Der Siegeszug des hooliganistischen Kampfsportes, die militante Rechte und die Gesellschaft des Spektakels.

Octagon hat seinen Erfolg nicht nur dem gekonnten Management der jeweiligen Ländergruppen zu verdanken, sondern muss als Produkt einer sich zunehmend wandelnden Kampfsportszene verstanden werden, die entgegen konventioneller Sportbereiche auf brutale Formen der ritualisierten und martialischen Gewaltanwendung setzt. In den letzten Jahren lässt sich der Siegeszug neuer „hooliganistischer“ Kampfsportformate beobachten, die zur blinden Affirmation schonungsloser Gewaltanwendung einladen und eine archaische Kultur des Kampfes um Sieg oder Vernichtung transportieren. Es ist nicht verwunderlich, dass aufgrund der weltanschaulichen Anknüpfungspunkte und der Amplifizierung des Kampfes als existenzielle Kategorie, Kampfsportformate dieser Art ein attraktives Betätigungsfeld für rechtsextreme Akteur*innen sind.

Personell rekrutiert sich diese zunehmend auch kommerziell erfolgreiche Szene großteils aus – häufig rechtsextremen – „Hooligan-Firms“, deren Kämpfer*innen ihre Gruppe im Ring repräsentieren und auch abseits der Kampfsportevents sich der Gewalt gegen den „Feind“ verschrieben haben. Neben den involvierten Personen simuliert auch das Regelwerk dieser Events den für die teilnehmenden Kämpfer*innen bereits bekannten Kampf auf der Straße: Bareknuckleformate, „No Rules Fights“, „Less Rules-Fights“ oder Auseinandersetzungen zwischen Hooligan-Fraktionen im Ring nehmen nicht nur schwere Verletzungen der Teilnehmenden in Kauf, sondern glorifizieren eine bellizistische Lebensphilosophie, die archaische Männlichkeitsformen, brachiale Gewaltanwendung, sippenhafte Gruppenmentalitäten und den Kampf bis zur Vernichtung des Gegenübers kultiviert.

Events wie Králi Ulice, Wotore, Gromda, Valhalla Fighting oder KOTS eint zudem, dass diese von professionellen Video- und Kamerateams aufgezeichnet werden und die Endprodukte sowie deren mediale Bewerbung durchaus mit kommerziell etablierten Formaten in ihrer Qualität mithalten können. Bei den Veranstaltungen werden Moderator*innen eingesetzt, professionelle Models fungieren häufig als „Ringgirls“, die Videos werden gegen eine Gebühr für die eingeschweißte Community live zur Verfügung gestellt und zu einem späteren Zeitpunkt auf dem jeweiligen YouTube-Kanal veröffentlicht und erhalten dort Aufrufe im Millionenbereich. Kommerziell besonders erfolgreiche Formate wie KOTS verfügen mittlerweile sogar über ein eigenes Wettportal im DeepWeb-Bereich. Man wird kaum eine für Kampfsport interessierte Person in Europa finden, die nicht zumindest eines der Videos des erfolgreichen Gewaltformats gesehen hat und reichweitenstarke Kampfsport-Influencer tragen durch breitenwirksame „Reaction-Videos“ zu dem Hype des Phänomens bei. Aktuell können wir die Kommerzialisierung einer ehemals im Untergrund gelebten Kultur beobachten, die mit zunehmenden kulturindustriellen Erfolg auch an Einfluss auf ihre oft sehr jungen Rezipient*innen gewinnt.

Während die UFC und andere professionelle MMA-Tournaments, die im UFC Fight Pass enthalten und somit global konsumierbar sind, die Grenzen der Brutalität sukzessive verschoben und statt des sportlichen Olympia-Gedanken des Miteinander-Messens zunehmend eine performativ inszenierte Kultur des Gegeneinanders etabliert haben, überbieten die in dieser Recherche thematisierten Formate diese im Ringen um einen Platz am Markt und tragen zur weiteren Verschiebung dessen, was möglich ist bei. Die aus der Funktionslogik der Warenwelt folgende „Gesellschaft des Spektakels“ verlangt auch mit Blick auf das Geschäft mit dem Kampfsport nach ständiger Überbietung, in der die ursprünglich sozial geächteten „Underdogs“ zum Projektionsobjekt einer sich zunehmend bewusstlos erlebenden und nach scheinbar authentischen Reizen sehenden Gesellschaft werden. Wer Zusehende will, muss etwas Neues bieten, muss Innovation schaffen und das ist im Falle des Kampfsportes ohne Zweifel die Erhöhung des Gehalts an offener, brutal ausgelebter und authentisch wirkender Gewalt.

Die kulturindustriell im Hooligan-Kampfsport vermittelte Lebenshaltung bietet außerdem eine auf den ersten Blick rebellierende, zugleich aber an die spätkapitalistische Mentalität anknüpfungsfähige Kultur, die im Sinne einer „konformistischen Rebellion“ nicht die Überwindung, sondern die Verewigung und Übersteigerung derselben zeitigt. In dem Spektakel der Gewalt wird der sozialdarwinistische Wesenskern neoliberaler Marktwirtschaftsapologetik zur archaisch inszenierten Mimikry: Im Kampf gewinnt der Stärkere, der so lange auf den am Boden Liegenden einzuprügeln hat, bis dieser sich nicht mehr regen kann. Auch in dieser Dimension sind sich Rechtsextremismus und inszenierte Hooligan-Kultur nahe, vertritt doch der Kämpfende oft das Kollektiv der Gruppe und trägt so den Kampf der Einzelnen verschoben auf Ebene der Gemeinschaft aus. Die spätkapitalistische Gesellschaft wird so zur Schicksalsgemeinschaft einer eingeschworenen Clique, die nur mittels der Feindschaft und Gewalt gegen eine Exteriorität ihre Gruppenidentität herzustellen und sich ihrer Stärke zu versichern vermag. Der Einzelne ist nur so lange etwas wert, insofern er sich für die Gemeinschaft opfert und dazu bereit ist, sich erhebliche physische Schäden zufügen zu lassen oder diese dem Gegner zufügt.

Während die Besucher*innenzahlen bei hooliganistischen Events im Vergleich zu Großformaten wie der UFC oder ONE weitaus niedriger sind, erhalten die Videos hooliganistischer Kämpfe auf Plattformen wie YouTube Views im Millionenbereich. Der virtuelle Raum ermöglicht den Organisator*innen hooliganistischer Formate ihre Zielgruppen zu erreichen und ihre „Unique Selling Points“ zu verwerten: mehr Gewalt, mehr Risiko, mehr Verletzungsgefahr und vor allem: mehr Realitätswirkung. Den Konsument*innen soll vermittelt werden, dass es sich nicht um ein inszeniertes und kommerzialisiertes Marketingspektakel handelt, sondern um Auseinandersetzungen zwischen realitätserprobten Kämpfer*innen, die Streetfights wie im echten Leben vor der Kamera ohne Erbarmen austragen. Die Konsument*innen bekommen Kämpfe ohne Handschuhe und ohne sichernde Bodenmatten, wahlweise auch auf blankem Beton geboten. Knietritte und vertikale Tritte gegen den auf dem Boden fixierten Kopf, sogenannte „Elfmeter“ – wuchtige Kicks, die an die Motorik des Strafstoßes im Fußball angelehnt sind und auf den Kopf des am Boden liegenden Kontrahenten zielen – sind erlaubt und kommen systematisch zum Einsatz.

Die gegenkulturelle Inszenierung der Szene darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Organisator*innen mit den Formaten gezielt versuchen, Marktlücken zu kapitalisieren, um aus der brutalen und ritualisierten Gewalt Klickzahlen zu akkumulieren. Insgesamt kann zwischen der performativen Selbstinszenierung und dem realen Verhalten des Milieus eine drastische Diskrepanz festgestellt werden. Gerne gibt man sich „respektvoll“ und „ehrenhaft“ und betont den ritterlichen Kampfgeist zwischen den zwei gegeneinander antretenden Kontrahent*innen. Mit Beginn des Kampfes werden aber alle Hemmungen abgelegt und der Gegner als entmenschlichtes Objekt zur Zielscheibe jeder verfügbaren Form der Gewaltanwendung. Auch wenn der Gegner bereits regungslos am Boden liegt, versuchen viele Kämpfer*innen diesem noch einen möglichst großen Schaden zuzufügen und müssen von den Ringrichter*innen teilweise mit Gewalt von ihrem in Strömen blutenden Kontrahenten entfernt werden. Es ist nicht die Qualität der Kämpfe, die diese Formate so erfolgreich macht, sondern die spektakuläre und enttabuisierte Bildproduktion von roher Gewalt, die unter spätkapitalistischen Vorzeichen zum breitenwirksamen Spektakel wird.

Diese gesteigerte Künstlichkeit, die die anonym agierende Hype Crew ihren Settings angedeihen lässt, verleiht dem Event allerdings auch die Möglichkeit, aus den Antretenden alles rauszuholen, um möglichst „realitätsnahe“ Kämpfe zu garantieren. In einem Reportageformat des Hessischen Rundfunkes berichtet etwa der „Brigade Nassau“-Hooligan mit dem Rufnamen „Goscha“, dass es verboten sei, bei KOTS Vaseline zu verwenden – denn dort wolle man wirklich „das Blut spritzen sehen“. Das dumpfe Aufschlagen der Fingerknöchel auf dem Körper des Gegenüber erfülle bei Fights die ganze Halle, die Begleitpersonen betrachteten die Fighter beinahe andächtig, es sei kein Mucks zu hören. Erst wenn das Blut spritzt oder ein Kämpfer krachend auf den Betonboden knallt und der Opponent noch auf dem Schädel des Fallenden rastlos herumtritt, wird das erzeugte Bildmaterial für den Onlinemarkt als genügend befunden.

Dass faschistoide Akteur*innen solche Räume für sich nutzen, ist zwar einer Professionalisierung und stark überzeichneten Inszenierung eines hypermaskulinen Subjektverständnisses geschuldet, aber auch der politischen Agenda, via den Konsum solcher Bilder die Rhetorik der Gewalt voranzutreiben. Die immer fortschreitende Verrohung der kulturindustriellen Zerstreuungsindustrie, die das isolierte, vereinzelte Individuum mit ubiquitärer Vergnügung am Funktionieren halten muss, ist für die extreme Rechte ein Stein im Brett ihrer politischen Propaganda: Denn die kann in den spätkapitalistischen Konsumräumen ihre politischen Inhalte ästhetisch getarnt vermitteln. Und ohnehin: Die Apologetik des „natürlich“ Stärkeren wird in hoher Frequenz und ohne Umschweife auch in der allgegenwärtigen Kulturindustrie als Ideologem reproduziert. Wenn völlig kommerzialisierter Kampfsport, der den Aspekt des Gewaltvollen und intersubjektiven Verletzens ohnehin schon als primäre Marketingstrategie setzt, nicht mehr ausreicht, muss etwas noch Extremeres her, das dem spätkapitalistischen Subjekt das verächtliche Lächeln kulturindustrieller Befriedigung ins Gesicht zaubert: Adornos weitsichtige, viel zitierte Sentenz, dass „Fun […] ein Stahlbad“ sei, wird so in ihrer Drastik von KOTS beinahe noch übertroffen. Und so muss subsumiert werden: KOTS ist per se weniger ein faschistoides Format, als ein Grenzprodukt, das die Limitationen der Vergnügungsindustrie ausreizt. Die ständig voranschreitende Ästhetisierung von Gewalt zum Zwecke der besseren Konsumierbarkeit ist dabei für faschistische Akteur*innen ein wohltrabendes Steckenpferd: Denn die Rezeptionsästhetik lässt die rezipierenden Individuen ja nicht kalt, im Gegenteil, das Bewusstsein des der Abnehmer*innen verroht und stumpft ab.

Dass ästhetisch entpolitisierter Raum potenziell politisch beeinflussbarer Raum für die extreme Rechte ist, ist keine neue Erkenntnis: Denn natürlich ist es als politischer Sachverhalt zu bewerten, wenn Neonazis und Islamisten bei KOTS in den Ring steigen. Das lässt sich an folgendem Beispiel verdeutlichen: Anfang 2023 gab Tomasz Szkatulsky dem bulgarischen mma.bg Kampfsportportal ein Interview in seiner Funktion als KOTS-Fighter, weil die angekündigten Fragen „apolitische“ seien. Doch selbstverständlich macht Szaktulsky im scheinbar „apolitischen“ Interview keinen Hehl aus seinem neonazistischen Weltbild und kruden Rassenwahn – besonders prekär ist, dass er sein Dasein als Kampfsportler mit seiner Ideologie rechtfertigen kann, ohne auch nur eine einzige kritische Gegenfrage gestellt zu bekommen. Und so können Neonazis wie Szkatulsky, Petriš, Panač, Beranek oder Maxime „Orsu Corsu“ Bellamy über die reichweitenstarke Kollektivrezeption der KOTS-Plattform ohne Einschränkung ihre neonazistischen Symbole zur Schau stellen, ihre politische Message schon allein durch ihre Präsenz verbreiten und ferner auch soziopolitischen Raumgewinn – sowohl virtuell wie reell – erzielen, denn: Je mehr extrem rechte oder eindeutig neonazistische Kampfsportler bei KOTS teilnehmen, desto eindeutiger ist die Plattform auch gelabelt, ob der Hype Crew das passt oder nicht. Und die dabei produzierten Gewaltakte, die virtuell hunderttausende Zuseher*innen erreichen, werden als Medium für politisch-kulturelle Agitation verwendet: Might is right, oder: Recht hat der, der stärker und hemmungsloser dabei ist, dem Gegenüber schwere Verletzungen zuzuführen.

Als Gesellschaft werden wir die Frage, wie mit solchen Kampfsportformaten und v. a. Akteur*innen wie Octagon, die sowohl hooliganistische als auch gängige Breitensportformate bedienen, umzugehen ist, bald beantworten müssen: Die Zeit drängt, da die extreme Rechte gezielt Deutungshegemonie gerade über großen medialen Verteilerstrukturen anstrebt bzw. bereits partiell erreicht und abgesichert hat. Politische Apathie, Stillschweigen oder affirmierende Beschwichtigung gegenüber der Problematik helfen nur der Rechten, Pauschalverurteilungen (der entgegengesetzte Fall), tragen keineswegs zum Verständnis des Problemfelds bei. Denn nicht nur ist Kampfsport – gerade auch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen – beliebter denn je, was zu stetig steigenden Zuschauer*innenzahlen führt, auch die Einflussnahme von islamistischen und neonazistischen Kräften auf diesem Feld ist groß und etabliert. Unternehmen wie Octagon, die extrem rechten Kampfsport- und Hooligan-Milieus hofieren wie jeder anderen x-beliebigen Kampfsportgala, verschärfen diese Raumnahme noch in einem verstärkten Maße und erzeugen so eine scheinbare Normalität, die die extreme Rechte zu einem regulären Teil des Kampfsportbetriebes macht.

Walter Gerhard Piranty und das Wehrdorf Szőce: Ein militanter Neonazi zwischen Rotlichtkriminalität, organisiertem Betrug und völkischer Landnahme.

Am 25. April 2021 erblickte der mit neonazistischen Inhalten befüllte Telegram-Kanal „Wehrdorf Szőce“ das Licht der Welt, dessen Name bereits die Programmatik des dahinterliegenden Projekts illustriert: Wir sprechen von der zunehmend praktizierten Strategie der völkischen Landnahme durch neonazistische Akteur*innen in ganz Europa, die versuchen abseits der Großstädte völkisch-rassistische Gegenkulturen zu etablieren und Einfluss auf die dort lebende Landbevölkerung zu gewinnen. In dem konkreten Fall verbirgt sich hinter dem Kanal ein rund 30.000m² großes Anwesen in Szőce, einem kleinen Ort mitten im Nirgendwo im ungarischen Landkreis Körmed, etwa eine halbe Stunde von der österreichischen und rund eine Stunde von der slowenischen und kroatischen Grenze entfernt. Das Wehrdorf-Projekt reiht sich damit in einen aktuellen Trend innerhalb der extremen Rechten in Europa ein, vermehrt Siedlungsprojekte in der ungarischen Peripherie – aber nicht nur dort – zu gründen, um dort abseits zivilgesellschaftlicher und behördlicher Sanktionierung „alternative Lebensräume“ zu erschließen. Der Akteur hinter dem besagten Telegram-Kanal und mutmaßlicher Eigentümer des Anwesens in Ungarn ist der aus dem direkten Umfeld von Gottfried Küssel und mit diesem bis zum heutigen Tag in intensivem Kontakt stehende Walter Gerhard Piranty: ein im Rotlichtmilieu tätiger und in seinem Leben immer wieder in verschiedene Betrugsmaschen involvierter Neonazi aus Wien, der in den letzten Jahren auch neben der „Rotlichtlegende“ Peter Konstantin Laskaris in der ATV-Sendung „NachtGschicht“ zu sehen war.

Der ideologischen Ausrichtung und dem Milieu Walter Gerhard Pirantys entsprechend gestaltet sich auch der öffentliche Auftritt dessen Wehrdorf-Kanals, auf dem die Propaganda von neonazistischen Parteien und Organisationen wie die der NPD, des III. Weges, der Légió Hungaria oder der Wotanjugend neben verkitschter Siedlungsromantik rege verbreitet wird. Auch antisemitische Verschwörungsmythen, nazistische Runen, Merchandise-Artikel rechtsextremer Versandhäuser wie Runic Storm und downloadbare Anastasia-Bände sowie die Turner Diaries – die inoffizielle Bibel des Rechtsterrorismus – finden sich auf dem Kanal. Das „Wehrdorf“ selbst befindet sich aktuell noch im Aufbau, soll aber ab 2025 als Rückzugsort abseits der österreichischen Gesellschaft und der hiesigen Politik dienen. Wie bereits erwähnt und in dieser Recherche ausführlich behandelt, fungiert Ungarn aufgrund der fest verankerten parlamentarischen Rechten, der florierenden rechtsextremen Szene und nicht zuletzt auch deshalb, weil bei rechtsextremen Aktivitäten kaum mit staatlicher Repression zu rechnen ist, innerhalb vieler rechtsextremer Milieus in Europa und so auch für Walter Gerhard Piranty als ideologische Projektionsfläche, Sehnsuchtsort und Reisedestination.

Piranty macht auch abseits seines Telegram-Kanals keinen Hehl aus seinen politischen Ansichten – besonders deutlich wurde dies in den letzten Jahren auf den von ihm unter Pseudonymen betriebenen Social-Media-Kanälen: „Ernst Johann Heurteur“, „Ernst Heurteur“, „Ernst Hofer“ oder „Maria Polzer“ (wie u. a. auch FPÖ-Fails 2021 postete). Auf diesen leugnete er die Shoah, verherrlichte und verharmloste die Waffen-SS, artikulierte schwerste Gewaltandrohungen gegenüber muslimischen Migrant*innen, hetzte gegen die LGBTIAQ*-Community, solidarisierte sich mit Gottfried Küssel nach dessen Verurteilung zu einer neunjährigen Haftstrafe und postete Songs der neonazistischen Bands Lunikoff Verschwörung und Landser. Doch auch unter Klarnamen verbreitet der Neonazi aus Wien ohne Hemmungen nazistisches Gedankengut: So teilt er auf seinem Pinterest-Account einen ganzen Ordner strafrechtlich relevanter Glorifizierungen der Waffen-SS, Hakenkreuzfahnen, Sig-Runen, SS-Uniformen, SS-Dolche samt SS-Treueschwur, Wehrmachtpropaganda und militanten Antisemitismus in Form von NS-Hetzplakaten gegen Jüdinnen*Juden.

Dass die propagandistische Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts bei Piranty durchaus System hat, zeigt auch seine öffentliche Reproduktion antisemitischer Verschwörungserzählungen. Diese Narrative scheinen durchaus internalisiert und auch handlungsleitend: So sorgte Piranty unter anderem für kleinere Schlagzeilen in den Boulevardmedien, als er eine Blockade der Klimaaktivist*innen der „Letzten Generation“ in Wien, Nähe Wien-Hauptbahnhof wüst beschimpfte, mit Anderen deren Transparent entwendete, die Aktivist*innen filmte und cholerisch herumschrie, man solle die „Arbeitslosen“ einfach überfahren. Auf den sozialen Medien des Neonazis erhält man dann die Erklärung zu seinem Hass auf jegliche Form des linken Aktivismus: Der menschengemachte Klimawandel wäre die Erfindung einer finsteren globalen Elite, die schon seit Jahrzehnten auch über ethnische Waffen verfügen würde, um diese zur Zerstörung der „natürlich starken“ Völker (heißt: Zerstörung der „weißen Völker“) einzusetzen. Auch der Covid-19-Virus wäre die Erfindung einer „globalistischen Elite“ gewesen, deren Ziel die Erzeugung multipler Krisen wäre, um die Bevölkerungen zu unterwerfen und den Plan der „Umvolkung“ voranzutreiben.

Wäre dies nicht schon besorgniserregend genug, verstärkt sich die Gefährdungslage, da Piranty während seiner Hasstiraden oft rund um seine Wohnung in der Herta Firnberg-Straße 16/10 im 10. Wiener Gemeindebezirk spaziert und als von ihm „ausländisch“ wahrgenommene Personen währenddessen filmt und rassistisch beleidigt – hinzukommt seine Gewaltaffinität und der durchaus (laut Eigenaussage sowie belegt durch Ermittlungen der Behörden nach §50 des Waffengesetzes) vertraute Umgang mit (Schuss-)Waffen.

Das Vorhaben des Aufbaus einer völkischen Siedlung und die Verbreitung militant-nazistischer Inhalte durch einen in den organisierten Rechtsextremismus bestens vernetzten Neonazi wären bereits Grund genug, um über das sogenannte Wehrdorf zu berichten. Nun kommt aber hinzu, dass das Anwesen in Szőce eine gewisse historische Bedeutung für den österreichischen Rechtsterrorismus der 1990er-Jahre hat: Ehemaliger Eigentümer des Objekts war zu dieser Zeit Franz Radl sen., der Vater des später im Briefbombenprozess angeklagten und bis heute im organisierten Neonazismus aktiven Franz Radl jun. Radl sen. siedelte 1991 seine Chemie-Firma Biochemie KFT (in den Unterlagen der Behörden teilweise auch „Biotechnika“ genannt) von Fürstenfeld nach Szőce und betrieb diese dort bis 1993. Der Sohn Franz Radl jun., der zeitweise in der Firma des Vaters tätig war und auch plante, diese zu übernehmen, hatte sich im ungarischen Residuum einen kleinen versperrten Arbeitsraum eingerichtet, indem er sich gelegentlich aufhielt, um ungeklärten Betätigungen nachzugehen. Dies führte dazu, dass in der Nacht des 14. Dezember 1993 die österreichische Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT) gemeinsam mit ungarischen Behörden das Firmengelände stürmte und durchsuchte. Grund dafür waren die damals laufenden Ermittlungen im Kontext der Briefbombenanschläge des Franz Fuchs und der Verdacht der Behörden, es könnte sich belastendes Material z.B. für den Bau der Briefbomben an dem Ort befinden – dazu später mehr.

Die lange rechtsextreme Kontinuität in Bezug auf das ehemalige Firmengelände in Ungarn wirft so einige Fragen auf und gibt Anlass dazu, einen genaueren Blick auf das Netzwerk von Walter Gerhard Piranty und dessen Verwicklungen in den organisierten Neonazismus in Österreich seit den 1980er-Jahren zu werfen. Ferner legt die rege Involvierung Pirantys in dubiose Kryptowährungsgeschäfte sowie seine aktiven Kontakte zu Gottfried Küssel und weiteren Exponenten der Corona-Querfront und der Ferialverbindung Imperia die Frage nahe, ob die organisierte NS-Szene in Österreich sowohl in dessen Geschäfte, als auch in das anliegende Siedlungsprojekt auf die eine oder andere Art involviert ist. Auch wenn die Frage, wie und wann das Gebäude des Franz Radl sen. in den Besitz von Piranty gelangte, nicht mit Sicherheit beantwortet werden kann, gibt die bis heute anhaltende Beziehung Pirantys unter anderem auch zu Franz Radl jun., – der in den sozialen Medien im Übrigen fast jeden Beitrag Pirantys teilt – Anlass zu der Annahme, dass hinter dem „Wehrdorf“ mehr als nur Pirantys privates Vergnügen, sondern auch die Involvierung breiterer politischer Strukturen steht und so die Gefahr der Etablierung eins Siedlungsprojekts des besonders militanten Arms des österreichischen Neonazismus in naher Zukunft durchaus plausibel ist. Um Walter Gerhard Piranty politisch einzuordnen, dessen Geschäfte offenzulegen und um die lang anhaltenden Beziehungen desselben zu zentralen Akteur*innen der extremen Rechten zu belegen, wird in weiterer Folge auf dessen Biografie, Geschäfte und Netzwerke systematisch eingegangen, um daran anschließend das Phänomen der völkischen Landnahme Ungarns als breites gesellschaftliches Problemfeld zu diskutieren.

Walter Gerhard Pirantys langjährige Involvierung in den Neonazismus und die organisierte Kriminalität

Walter Gerhard Piranty wurde am 1. April 1965 in Frankfurt am Main als Sohn eines österreichischen Handelsvertreters geboren, wuchs jedoch schon kurz nach seiner Geburt mit seinen Eltern und seiner Großmutter in Wien auf. Für die anliegende Recherche wird seine Biografie etwa Mitte der 1980er-Jahre interessant, denn: als sich Piranty 1982 für das österreichische Bundesheer verpflichtete, knüpfte er dort auch erste Kontakte in das Rotlicht-, Türsteher- und Glücksspielmilieu sowie in den organisierten Rechtsextremismus. Pirantys kriminelle Karriere begann als „Aufpasser“ bei Hinterzimmer-Kartenspielen und in Glücksspielhallen, aber auch als Zuhälter im Bereich der illegalen Straßenprostitution – letzteres eine Funktion, die er ausweitete und mit Unterbrechung in legalisierter Form auch heute noch ausübt. Einige Jahre nach seinem Eintritt in das Bundesheer trat Piranty dann mit Robert Rudolph, Eric Pasiecznik und Thomas Reisinger, drei weiteren jungen Männern der Wiener Neonazi-Szene, das erste Mal politisch in Erscheinung: Sie hatten 1988 gemeinsam die Nationalsozialistische Freiheitsfront (NSFF) gegründet, vielfach öffentlich Nazi-Parolen gerufen sowie mehrfach Hakenkreuze in der Öffentlichkeit angebracht. Im Zuge von Hausdurchsuchungen wurden bei den jungen Neonazis und auch bei Piranty selbst NS-Devotionalien gefunden, die ihm eine bedingte Haftstrafe von zehn Monaten einbrachten.

Um das politische Milieu, in dem sich Walter Gerhard Piranty in seinen Jugendjahren bewegte, einordnen zu können, müssen die damals breit stattfindenden Reorganisationsprozesse innerhalb der österreichischen Neonazi-Szene beachtet werden. Bei der NSFF handelte es sich nämlich nur um eine von vielen kleinen neonazistischen Splittergruppen des zunehmend militant auftretenden und durch Konsolidierungsversuche gekennzeichneten NS-Milieus Österreichs. So trat Piranty neben seinen Aktivitäten in der NSFF am 26. August 1988 auch der österreichischen Sektion der neonazistischen Nationalistischen Front (NF) bei, in der Franz Radl jun. eine leitende Funktion innehatte. Wie an dieser Stelle gesehen werden kann, handelt es sich bei der anliegenden Rekonstruktion also nicht um ein bloß zeitgeschichtliches Interesse für die zum damaligen Zeitpunkt sich formierende rechtsextreme Szene, sondern verdeutlicht die personellen Kontinuitäten innerhalb der extremen Rechten, die auch heute noch für die Beurteilung des Gegenstandsbereichs Rechtsextremismus von Relevanz sind – und oft sind es auch heute noch kaum bekannte und etwa durch finanzielle Unterstützungen im Hintergrund operierende Personen aus den „alten Tagen“, die für die aktuelle Analyse rechtsextremer Zusammenhänge von Bedeutung sind und kaum Beachtung finden.

Nachdem die Nationalistische Front am 16. November 1985 als deutschlandweite nazistische Parteiorganisation in Bielefeld gegründet wurde, pochten schon kurz danach führende österreichische Neonazi-Kader darauf, auch in der „Ostmark“ eine Unterorganisation selbiger zu gründen. Diesem Gründungsimpetus stand jedoch entgegen, dass Gerd Honsik bereits 1984 die namentlich leicht zu verwechselnde und das Sektierertum der extremen Rechten illustrierende Nationale Front auszurufen versuchte, die faktische Gründung jedoch an einer unmittelbaren Untersagung seitens des österreichischen Innenministeriums scheiterte. Erst 1987 schien die Führungsriege des späteren NF-Ablegers in Österreich nach mehreren Jahren des Wartens nichts mehr davon abzuhalten, nun auch „offiziell“ als Nationalistische Front aufzutreten. Trotz der direkten programmatischen Ausrichtung an der NSDAP hielt man sich dennoch weiterhin bedeckt, um nicht als Nachfolgeorganisation der von Honsik angestrebten Nationalen Front in den Fokus der Behörden zu rücken.

Unter dem Schirm hochrangiger NF-Mitglieder wie etwa Herbert Schweiger oder Lisbeth Grolitsch schlossen sich vorwiegend junge gewaltbereite Neonazis in der Volkstreuen Jugend Offensive (VJO), der Jugendorganisation der Nationalistischen Front, zusammen – ein Gründungsmoment, den die Führung der NF in Deutschland als ersten Meilenstein der NF-Aktivitäten in der „Ostmark“ verbuchte. Im April 1988 folgten dann mit der neuen Organisierung verbundene Publikationstätigkeiten – zuerst Gerd Honsiks Hetzpostille „HALT“ und in weiterer Folge die vom damaligen VJO-Führungskader Franz Radl jun. herausgegebene Zeitung der österreichischen NF mit dem Namen „Gäck“, beides Blätter voller militantem Rassismus, der systematischen Leugnung der Shoah und der Verherrlichung des NS-Regimes. Nicht nur Franz Radl jun. und Walter Gerhard Piranty, sondern einige auch heute noch aktive und einflussreiche Rechtsextreme sozialisierten sich politisch im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in der NF-Jugendsektion. So etwa Heinrich Sickl (ehem. FPÖ-Gemeinderat, IB-Mäzen und alter Herr der pB! Tigurina zu Feldkirchen in Kärnten) Andreas Thierry (ehemals bei der NPD aktiv), Helmut Adolf Schatzmayr (ebenso alter Herr und Schriftführer der pB! Tigurina zu Feldkirchen in Kärnten) sowie Markus Adam, Ewald Friesacher, Georg Lobnig und viele mehr.

Die jungen Neonazis wurden in die streng hierarchisch strukturierte Organisationen nach Vorbild der NSDAP unter der Verpflichtung des bedingungslosen Gehorsams integriert und von einflussreichen Altnazis rund um die zentrale NF-Führungsfigur Herbert Schweiger, dem ehemaligen SS-Untersturmführer der SS-Division Leibstandarte SS Adolf Hitler, protegiert und gefördert. Auch die Verbindung zu den politischen Tätigkeiten der Kameradschaft IV war für die Jungnazis der VJO von prägender Bedeutung – denn der politische Kampf der K IV um die Rehabilitierung der alt-nazistischen Idole in ihrer Funktion als „Zeitzeug*innen“ gehörte ebenso zum integralen Bestandteil der Agitation der nachkommenden Generation rund um die VJO (nähere Informationen zu dieser Verbindung sind in unserer letzten Recherche zum Begräbnis des Waffen-SS-Veteranen Herbert Bellschan-Mildenburg zu finden).

Gedenkgesteck an die vier ermordeten Roma Erwin Horvath, Karl Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon in Oberwart Februar 1995.

In der Frühphase der NF stießen neben den bereits genannten Kernakteur*innen zahlreiche weitere Neonazis zur österreichischen Sektion hinzu. Als finanzielle Unterstützer*innen oder einfache Mitglieder traten neben Walter Gerhard Piranty vor allem im Jahre 1988 zahlreiche später für die VAPO-Gauorganisation relevanten Akteur*innen wie auch Neonazis anderer politischer Spektren in die NF ein. So finden sich etwa Kurt Hofinger („Gaubeauftragter“ für Wien), Reinhold Kovar („Kameradschaftsführer“ Wien I), Markus Ullmann („Kameradschaftsführer“ Stv. Wien II), Franz Propst („Kameradschaftsführer“ Linz), Rene Lang („Kreisleiter“ Innviertel), Günther Reinthaler („Kameradschaftsführer“ Salzburg), Christian Wilhelm Anderle (späterer technischer Leiter des alpen-donau.info-Projekts), Jürgen Hatzenbichler (zuerst stv. „Bereichsleiter“ der NF-Kärnten, danach neurechter Publizist) und Andreas Zepke (neonazistischer Wiener Hooligan, jetzt SGN-Mitglied näher beleuchtet hier: Rechtsextremer Kampfsport, Biker-Kriminalität (MC) und neonazistische Vernetzungen) auf der Liste der NF-Zugehörigen.

Pirantys Mitgliedschaft in der NF gibt auch Aufschluss darüber, warum er sich nicht von der ohnehin milden Verurteilung abschrecken ließ: Zu tief war er schon in das Neonazi-Netzwerk integriert und noch tiefer schien er dazu bereit, in dieses einzusteigen: Wie einer Liste sämtlicher Mitglieder und finanzieller Unterstützer*innen der Volkstreuen außerparlamentarische Opposition (VAPO) entnommen werden kann, war Piranty auch Teil von Gottfried Küssels Sektion „Ostmark“ der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF). Gleichzeitig muss für die Beurteilung von Pirantys Involvierung in die österreichische extreme Rechte der 1990er-Jahre davon ausgegangen werden, dass dieser innerhalb der VAPO-Strukturen keinerlei leitende Funktion eingenommen hatte. Wie etwa aus den umfangreichen Ermittlungsakten und der Liste der geladenen Zeug*innen im Zuge der Anklage gegen Peter Binder, Franz Radl jun. und Alexander Wolfert 1993 im Zuge der Briefbombenermittlungen hervorgeht, scheint Walter Gerhard Piranty an keiner Stelle prominent auf und auch sonst gibt es keinen Hinweis darauf, dass dieser führende Positionen innerhalb des sich neuformierenden „dritten“ Lagers innehatte.

Einstieg ins Rotlichtmilieu und illegale Prostitution

Die Abwesenheit des Namens Walter Gerhard Piranty in den betreffenden Unterlagen lässt sich teilweise mit Blick auf seine Biografie erklären. Ab etwa 1991 übersiedelte Piranty auf die Philippinen und arbeitete und lebte dort bis 1993 – eine Zeit, in der er wohl auch erstmals seinen kompletten Lebensunterhalt durch Zuhälterei bestritt. Mit seiner Rückkehr nach Wien im Jahr 1993 wurde neben der Zuhälterei nun auch der professionelle Kreditkartenbetrug zu einer seiner Haupteinnahmequellen, auch wenn die Betrugsmasche bereits Ende 1993 eine Verurteilung zu fünf Jahren unbedingter Haft nach sich zog. Aus der Haft entlassen folgte der Wiedereinstieg ins Rotlichtmilieu in einem Gürtellokal eines berüchtigten Wiener Zuhälters, auch wenn bereits kurze Zeit später eine weitere Verurteilung zu drei Jahren Haft wegen Anstiftung zum Betrug folgte. Pirantys Erzählungen aus der Haftzeit illustrieren die Gewaltaffinität des kriminellen Neonazis, der gerne heroisch von mehreren brutalen Angriffen auf einen Mithäftling vor den Augen der Justizwache berichtet. Auch sonst macht Piranty keinen Hehl daraus, Probleme mit Gewalt zu lösen und auch vor dem Gebrauch von Schusswaffen nicht zurückzuschrecken.

Nach Ende der zweiten Haftzeit erfolgte nun der Aufstieg im Rotlichtmilieu. Zunächst erwarb Piranty 2004 eine Immobilie in der Wiener Leopoldstadt und betrieb dort mehrere Jahre eine „Zimmervermietung“ im damals für das Straßenprostitutionsgewerbe berüchtigten Stuwerviertel. Berüchtigt war das Viertel nicht nur aufgrund des großen Straßenstrichs, sondern auch deshalb, weil Zuhälter und später Etablissements wie das Pirantys keine Scheu zeigten, auch minderjährige Frauen auf den Strich zu schicken bzw. keinerlei Kontrollen vornahmen, wer sich für 10 Euro die halbe Stunde in die heruntergekommen Zimmer einmietete, um dort den Käuferverkehr abzuwickeln. So entwickelte sich unter der Protektion österreichischer Zuhälter und späterer „Immobilienbesitzer“ in der Wendezeit eine Szene an minderjährigen Prostituierten, die vor allem aus den östlichen Nachbarländern Österreichs, dem Balkan und Baltikum stammten. Mit dem Wachstum des Milieus entwickelte sich auch eine zunehmend aggressiv und gewalttätig auftretende Käufer-Szene im Viertel, die auf der Suche nach „verfügbaren“ Frauen durch das Viertel zogen und dabei oftmals auch nicht davor zurückschreckten, wahllos Frauen und Mädchen auf der Straße und im direkten Umfeld von Schulen sexuell zu belästigen – wie mehrfach Medienberichte dieser Zeit belegen.

Medienberichte der 2000er-Jahre geben auch einen Einblick in die für die Entwicklungen im Stuwerviertel konstitutive Funktion Walter Gerhard Pirantys: Er sei einer der ersten Zuhälter gewesen, der das Format der billigen Zimmervermietung umgesetzt hätte und so eine neue Variante zum typischen Bordell (Einmietung der Prostituierten gegen hohe Mieten mit längerer Laufzeit der Verträge) geschaffen habe. Vor allem Boulevardmedien protokollierten die stetig zunehmende Etablierung des Viertels als Wiener Rotlichthotspot: Im Zentrum der Berichte stehen jedoch zumeist die „gewitzten“ und „frechen“ Versuche der dort aktiven Zuhälter, den Eingriffen und Kontrollen staatlicher Behörden zu entgehen – ein in Österreich gängiger Diskurs der Heroisierung und Exotisierung der „Unterwelt“ der „Strizzis“ und „Ganoven“, bei gleichzeitiger Ausblendung der mit dem Geschäft verbundenen Gewalt und Ausbeutung strukturell Benachteiligter. Auch hierfür ist Pirantys geschäftige Umtriebigkeit und seine ans Querulantentum grenzende Bereitschaft, sich mittels rechtlicher Schlupflöcher staatlicher Kontrolle zu entziehen, „stilbildend“: So gründete der Neonazi-Zuhälter u. a. die „Partei für die freie Liebe“, später umbenannt in „Partei gegen Rassismus“, um seine Laufhäuser als „Parteiheime“ anzumelden, wodurch diese vor Eingriffen polizeilicher Organe geschützt werden sollten. Aber auch Piranty konnte sich, so gerne er es gewollt hätte, nicht der staatlichen Sanktionsgewalt entziehen und wurde im März 2007 wegen illegaler Prostitution angezeigt und vorübergehend inhaftiert, wie zum damaligen Zeitpunkt die Zeitung „Österreich“ berichtete – dem vorausgegangen war die viermalige behördliche Schließung des „Stundenhotels“ aufgrund illegaler Prostitution. Im März 2007 war es mit der „Zimmervermietung“ im Stuwerviertel dann für Piranty endgültig vorbei. Diese  und mehr solcher „Strizzi-Geschichten“ beschreibt Piranty in seinem, u.a. im Falter-Shop erhältlichen, Buch.

Walter Gerhard Piranty im Café Singletreff.

Der durch polizeiliche Maßnahmen forcierte Rückzug des Rotlichtmilieus aus dem Stuwerviertel und den damit verbundenen Strafen führten bei Walter Gerhard Piranty allerdings keineswegs zu einem Umdenken. Mittels eines Privatkonkurses gelang es ihm, seine Verschuldung von mehreren hunderttausend Euro aufgrund vermeintlicher Uneinbringbarkeit aufzulösen. Wenige Jahre später folgte prompt die Eröffnung des auch heute noch existierenden Lokals „Café Single Treff“ am Wiedner Gürtel nahe dem Wiener Hauptbahnhof. Der Erfolg des „Single-Treffs“ wie auch sein medialer Bekanntheitsgrad dürften Piranty wohl auch mit anderen Wiener Rotlicht-Größen in Verbindung gebracht haben. Auffallend ist hierbei vor allem seine Freundschaft zum berüchtigten Bordellbetreiber Peter Konstantin Laskaris. Der mehrfach unter anderem wegen Stalking und Sachbeschädigung vorbestrafte Zuhälter Laskaris gehört zu den bekanntesten der Wiener Rotlichtszene, ist trotz Millionenpleite nach wie vor im Geschäft aktiv und wird seit Neuestem auch von ATV gehostet – zusammen mit Walter Gerhard Piranty, dessen militant neonazistisches Weltbild weder für Laskaris noch für den Privatsender ein Problem zu sein scheint. Die verherrlichende sowie verharmlosende Darstellung des „Wiener Strizzis“ auf die Spitze bringend, widmet sich ATV voll der Glorifizierung des Rotlichtmilieus aus unhinterfragter Perspektive der Zuhälter und unter Ausklammerung der mit dem Geschäft verbundenen Ausbeutung und Gewalt. Dass man bei ATV auch bereitwillig einem verurteilten Neonazi wie Walter Gerhard Piranty eine für ihn hochwillkommene Bühne bietet, löst vor dem Hintergrund dieser Ideologieproduktion leider keine Verwunderung mehr aus.

Das (wiederholte) Geschäft mit der Hoffnung

Mitte bis Ende der 2010er-Jahre entdeckte der bereits mehrfach wegen Betruges verurteilte Piranty neben dem Rotlichtmilieu einen weiteren Erwerbsbereich: Den „Handel“ mit Kryptowährungen in sogenannten Ponzi-Systemen (Schneeballsystemen). In einschlägigen Internetforen der Krypto-Szene ist der Name Piranty geläufig und es wird mehrfach vor seinen Praktiken gewarnt. Beteiligt dürfte Piranty an mehreren solcher Systeme gewesen sein – so unter anderem an Questra und PlusToken, Advert International Marketing (AIM) und seit neustem auch Metronix. Um einen Einblick in diese halb-legalen bis illegalen Geschäftsmodelle zu geben, gehen wir an dieser Stelle exemplarisch auf zwei nachweislich mit Piranty verbundene Projekte ein – auch wenn auf eine detailliertere Darstellung aufgrund des Schwerpunkts dieser Recherche auf das Problemfeld Rechtsextremismus verzichtet wird.

Ein von Walter Gerhard Piranty vielfach beworbener Krypto-Dienst war etwa die Mitte 2015 mit Sitz in Spanien gegründete Questra Holding (später auch Questra World Holding) mit späteren Verbindungen nach Russland und Kasachstan. Bereits im Oktober 2016 sprach die österreichische Finanzmarktaufsicht eine Warnung gegen das Unternehmen aus. Einerseits fehlte dem Unternehmen die Lizenz, Banktransaktionen durchzuführen, andererseits widersprachen die Kreditvergaberichtlinien Questras geltendem österreichischen Recht. Etwa 2017 ging es mit Questra dann den Bach hinab und es kam zu massiven Problemen bei der Auszahlung von Kund*innengeldern. Piranty hatte in das System laut Eigenaussage rund 40.000 € investiert, wie viel Gewinn er abschöpfen konnte und inwieweit er von dem drohenden Zahlungsausfall wusste, bleibt unklar. Fakt ist: Piranty machte bis zum bitteren Ende Werbung für das System und versuchte skeptisch gewordene Kund*innen mittels seiner YouTube-Videos zu beschwichtigen und im System zu halten. Seine späteren Vermittlungsversuche von Geschädigten an einen Anwalt erscheinen vor diesem Hintergrund mehr als unglaubwürdig. Und: Mit PlusToken fand sich für Piranty rasch eine Alternative. Auch bei PlusToken handelte es sich um ein Ponzi-System, das primär im asiatischen Raum beworben wurde. Interessant ist hierbei, dass die Hintermänner des Questra-Betruges allesamt auch bei dem „neuen“ Krypto-Dienst vertreten waren. Das Geschäftsmodell hinter den monatlichen Zahlungen von PlusToken war dabei eine Bot-basierte Kryptowährungsarbitrage sowie der Handel mit und das Mining von Kryptowährungen. Mit der Verhaftung von sechs Hauptfiguren des PlusToken-Systems Juni 2019 auf Vanuatu kollabierte jedoch auch dieses System. Die Verluste beliefen sich laut u.a. dem Bundesministerium für Inneres auf 2,9 Milliarden Dollar. Während Piranty zwar keiner der internationalen Köpfe dieser Systeme war, deuten doch Forderungen von Geschädigten und sein Status als „Big Family“-Member an, dass er im deutschsprachigen Raum ein relevanter Akteur innerhalb dieser Systeme gewesen war. Chancen auf Seiten der Geschädigten bezüglich Wiedergutmachung von Schäden sind bei Betrugsmaschen dieser Art allerdings meistens juristisch nicht durchsetzbar und Pirantys Selbstinszenierung als „Mann des Volkes“, der „ja“ auch verloren hätte, tut ihr Übriges.

Doch auch damit schien es Piranty nicht zu genügen: Nach dem Untergang von PlusToken stieg Piranty in das nächste Schneeballsystem ein – Advert International Marketing. Während Questra und PlusToken klar im Kryptowährungsbereich zu verorten sind, präsentiert sich AIM selbst als Marketingunternehmen. In verkürzter Darstellungsweise funktioniert AIM wie folgt: ein Unternehmen will online Werbung schalten und kauft sich deshalb ein Promotion-Package bei AIM. Damit einher geht die Verpflichtung, sich täglich eine vordefinierte Anzahl an Werbungen anderer AIM-Partner*innen anzusehen. Dafür bekommt man die eigenen Werbekosten erstattet, plus einen Gewinn von 10 bis 40% über einen vordefinierten Zeitraum. Laufzeitverlängerungen und Reinvestitionen innerhalb von AIM sind jederzeit möglich. Mit diesem Modell sind weitere Bonussysteme verbunden, die das Anwerben neuer „Partner*innen“ attraktiv machen sollen und nach der Logik von Pyramidensystemen funktionieren: Hat man ausreichend Partner*innen angeworben, die in das System investieren, verdient man mittels Provisionen an deren Tätigkeiten mit. Je weiter oben eine Person in dem System steht, desto mehr verdient diese auch.

Um neue Investor*innen anzuwerben, werden in diesem Geschäft oftmals virtuelle oder reelle Stammtische organisiert, die dazu dienen, interessierte Personen dazu zu bringen, ihr Geld in die jeweiligen Systeme einzuzahlen. Auch Walter Gerhard Piranty organisierte Stammtische dieser Art – zunächst am Wiedner Gürtel 46, 1040 Wien, danach in der Zentagasse 33, 1050 Wien und später im Café Frey in der Favoritenstraße 44, 1040 Wien (dazu später noch mehr) und verteilte dort etwas höher bepreiste Werbegeschenke wie AirPods und Poloshirts, um einen bleibenden Eindruck bei den hoffnungsvollen Teilnehmer*innen der Stammtische zu hinterlassen. Die hier dargestellte Masche ist eine gängige Betrugsform im Krypto-Bereich: Durch ständige Reinvestitionen bleibt letztlich sämtliches Geldkapital innerhalb des virtuell abgeschlossenen Kreislaufs, wodurch die Betreiber*innen meist nur geringe Beträge auszahlen müssen. Sobald eine wie auch immer geartete externe Unsicherheit die Stabilität des System bedroht, folgt meist der sogenannte „Exit-Scam“: Investor*innen erhalten keine Auszahlungen mehr und bleiben auf ihren Kosten sitzen, während die Organisator*innen des Betrugs das gesamte Investment abschöpfen und untertauchen.

Mutmaßliche Opfer Pirantys Betrugs fordern eine Rückerstattung ihrer Investments.

Aktuell bewirbt Piranty mit dem Tradingdienst Metronix ein weiteres Krypto-System, dieses Mal jedoch de facto in führender Rolle – schon 2019 stieg er mit 25% anteilsmäßig bei Metronix ein. Auch hier kommt das altbekannte Verkaufsmuster zum Einsatz: AirPod-Geschenke, Stammtische, Trading-Sessions; alles „seriös und gedeckt“, wie Piranty nicht müde wird zu betonen – immerhin handle es sich bei Metronix auch um ein österreichisches Unternehmen, was wesentlich mehr Sicherheit garantiere. Als Gründer von Metronix tritt Michael Eder auf, ehemaliger Geschäftsführer des nicht minder dubiosen Marketing- und IT-Dienstleistungsunternehmens EdJoWa GmbH mit Sitz in Ansfelden. Metronix hingegen ist als automatisierte Trading-Software konzipiert, die direkt in Kryptobörsen wie „Binance“ integriert ist und mit diesen interagieren kann. Dazu bietet Eder über die von ihm gegründete Big Deal Company – eine Krypto-Coaching-Plattform – die für das Buying-Schema von Metronix passenden Tradingkurse mit einer Kursgebühr zwischen 300 und 3.000€ an. Dass Piranty bei Metronix wesentlich zentraler involviert ist als bei den global organisierten Ponzi-Systemen und Exit-Scams, ist durch dessen enge Verbindung mit Eder belegbar: Nicht nur teilt Piranty permanent Einführungsvideos Eders auf seinen Online-Kanälen, auch war Eder schon Gast in Pirantys Geschäftsräumen in der Wiener Innenstadt. Dort wartete man mit Sekt, Kanapees & Werbegeschenken auf und war bereit, neue Kundschaft zu empfangen – brisant daran auch: Mit anwesend war auch der seit den 1970er-Jahren aktive Neonazi Harald A. Schmidt, doch dazu im nächsten Teil mehr. Bis dato bewirbt Piranty Metronix aggressiv und umfassend, feierte Ende 2022 das mehr als dreijährige Bestehen und kündigte weitere rege Betriebsamkeit für das System an.

Im Dezember 2019, also nur wenige Monate nach dem Einstieg bei Metronix, schien sich Piranty auch wieder auf stabilem finanziellen Fuß befunden zu haben: So kaufte er in der Wielandgasse 1, 1100 Wien, ein ebenerdiges Objekt just gegenüber des Ernst-Kirchweger-Hauses und baute es zum „Mona Lisa Club“ um, wie auch das Single Treff als „Kontaktlokal“ gedacht. Doch dann schlugen Piranty März 2020 die Covid-19-Maßnahmenpakete und Lockdowns ein Schnippchen – er musste seine Lokalitäten wie alle anderen Gewerbe vorübergehend schließen, Corona-Hilfen seitens des Staates konnte er für den neu eröffneten Club jedoch nicht beantragen, da das Lokal aufgrund der erst kurz zuvor vonstatten gegangenen Eröffnung nicht unter den Coronahilfe-Schirm fiel  – so blieb Piranty wiederum auf mehreren zehntausend Euro Schulden sitzen und das Lokal steht bis dato unter der Telefonnummer +436606304039 zur Vermietung frei.

Zur aktuellen Vernetzung Pirantys in den organisierten Neonazismus

Wir widmen uns in dieser Recherche Walter Gerhard Pirantys Vergangenheit sowie dessen Geschäften deshalb so detailliert, weil hierdurch belegt werden kann, dass dieser zum einen seit den 1980er-Jahren intensive Kontakte in den organisierten Neonazismus pflegt und zum anderen sowohl im Bereich des organisierten Betruges als auch der Rotlicht-Kriminalität tätig war bzw. – wenn auch mittlerweile auf halb-legaler Basis – noch immer ist. Für den Gegenstandsbereich Rechtsextremismus ist allerdings nicht nur Pirantys ehemalige Involvierung in den militanten Neonazismus von Relevanz, sondern auch der Umstand, dass auch heute noch sowohl politische wie auch geschäftliche Beziehungen zwischen ihm und mehreren Exponenten der extremen Rechten bestehen.

Fotoaufnahmen vom 12. Oktober 2019 belegen in diesem Kontext die Zusammenkunft von Walter Gerhard Piranty mit dem Neonazi Paul Blang und mutmaßlich auch Thomas Cibulka. Diese waren an dem Tag zu einem „Heldengedenken“ am Grab des Holocaustleugners Gerd Honsik in der Marktgemeinde Königsstetten zusammengekommen. Traditionsbewusst legte man auf dem Grab ein Gesteck in Reichskriegsfarben und den Aufschriften „Schillerbund – Imperia“ und „Knut-Hamsun-Gesellschaft“ nieder. Auf dem zweiten Band des Gestecks fand sich zusätzlich eine Referenz auf den Treuespruch der SS: „Deine Ehre – unsere Treue.“ Zur Erklärung: Die auf dem Gesteck genannten Organisationen können dem österreichischen Neonazismus zugerechnet werden. Während die Ferialverbindung Imperia den Nachfolgeverein der noch zu VAPO-Zeiten gegründeten Ferialverbindung Reich darstellt und vom ehemaligen VAPO-Mitglied Lucas Tuma nach wie vor legalistisch geleitet wird, ist außerdem interessant, dass auch die 1983 von Gerd Honsik ins Leben gerufene Knut Hamsun-Gesellschaft offenbar bis heute noch aktiv ist beziehungsweise sich Personen des neonazistischen Spektrums selbiger zumindest zuzuordnen scheinen.

Unklar bleibt der dem Imperia-Schriftzug vorangestellte „Schillerbund“: Der 1906 von dem militanten Antisemiten Adolf Bartels (tätig als Schriftsteller und Journalist) ins Leben gerufene Deutsche Schillerbund verzeichnete als völkisch-nationalistisches Kulturorgan schon weit vor der Machtergreifung des NS eine einschlägige Geschichte: So agitierte Bartels – der während des NS-Regimes im Übrigen zu einer wichtigen Figur der nationalsozialistischen Literatur- und Kulturpolitik werden sollte – bereits unmittelbar nach der Gründung des Bundes für eine Ausrichtung an den antisemitischen Wagner-Festspielen in Bayreuth, lediglich umgemünzt auf die Dramatik Schillers. Dass dann auf dem Grab des antisemitischen „Dichters“ Honsik ein Gesteck mit einer Referenz auf den für die NS-Kulturpolitik vielleicht wichtigsten deutschen Dichter liegt, verwundert also nicht – offen und zu klären bleibt allenfalls, ob sich hinter dem Schillerbund eine reelle Organisation von nazistischen Akteur*innen verbirgt.

Gruppenfoto des Gedenktreffens zu Ehren Norbert Burgers.

Rund ein Jahr später fand am 26. September 2020 ein weiteres „Heldengedenken“ in Kirchberg am Wechsel statt. Erneut kamen in diesem Zusammenhang Walter Gerhard Piranty, Paul Blang, Thomas Cibulka und dieses Mal auch Richard Fiebicher und Herbert Fritz zusammen, um dem verurteilten BAS-Terroristen und ehemaligen NDP-Vorsitzenden Norbert Burger zu gedenken. Bei Fiebicher handelt es sich um einen ehemaligen VAPO-Militanten mit ehemals guten Kontakten etwa zu dem Vandalen und Vordenker des Rechtsterrorismus Bendix Wendt oder dem ehemaligen stv. Vorsitzenden der Nationalen Alternative Alexander Dietze. Fiebicher ist seit Jahrzehnten integral in die hochgradig militante, um Gottfried Küssel organisierte Neonazi-Szene eingebunden und konnte über die Jahre in beinahe allen wichtigen Organisierungsversuchen dieses Milieus beobachtet werden (als Gottfried Küssel in Haft war, etwa des Öfteren an der Seite von Karin Küssel, z. B. im Rahmen von Kundgebungen der neonazistischen Partei des Volkes oder beim Neonazi-Aufmarsch in Spielfeld). Jüngst fiel Fiebicher v. a. im Rahmen von CQ stets an der Seite von Gottfried Küssel auf und sorgte zuletzt medial für größeres Aufsehen, da er als offizieller Security für den freiheitlichen Präsidentschaftskandidaten Walter Rosenkranz, aber auch für den amtierenden Bundespräsidenten Alexander van der Bellen tätig war. Herbert Fritz wiederum ist noch länger als Fiebicher in der neonazistischen  Szene Österreichs aktiv: Fritz ist alter Herr der aB! Olympia, war als militanter Südtirol-Aktivist, Gründungsmitglied der NDP und späterer Landessprecher der Wiener-Sektion ein Intimus von Norbert Burger, aber auch von Gerd Honsik, den er laut Eigenaussage im Gefängnis 1961 (im Rahmen der Südtirol-Prozesse Anfang der 1960er-Jahre) kennenlernte und auf den er etwa auch 2018 bei der „Gerd Honsik Feier“ des Gedächtnisstätte e.V. in Guthmannshausen, Thüringen eine Laudatio nach Honsiks Abeleben in Sopron hielt (Honsik wiederum widmete Fritz 2009 ein Gedicht). Bis heute ist Fritz neonazistisch engagiert – sein zahlreichen Aktivitäten können in der hier verlinkten Publikation des DÖW nachgelesen werden.

Der Umstand, dass Piranty zusammen mit zentralen Akteuren der österreichischen Neonazi-Szene an szeneinternen, klandestinen Gedenkveranstaltungen und Vernetzungstreffen dieser Art teilnimmt, verdeutlicht also dessen politische Einbindung in das Milieu und seine noch immer guten Kontakte.

Mit dem Erstarken der Corona-Proteste in Wien nahm Piranty zudem sowohl als regulärer Teilnehmer, als auch im Gleichschritt mit CQ rund um Gottfried Küssel regelmäßig an den Demonstrationen teil. Aufnahmen vom 20. März 2021 zeigen ihn so etwa inmitten der CQ-Neonazis Gottfried Küssel, Karin Küssel, Mario Aulabauer, Marco Helfenbein, Lucas Tuma und anderen. Mindestens zweimal nahm Piranty außerdem an den Demonstrationen der Corona-Querfront in Eisenstadt teil und ließ es sich nicht nehmen, sich gemeinsam anlässlich des Besuches von Sebastian Kurz mit Gottfried Küssel, Lucas Tuma und Franz Radl im Schweizerhaus im Wiener Prater aufzuhalten (er postete ein Live-Video von Küssel, der lautstark mit Tuma skandierte), um die Veranstaltung zu stören. Auch an einer von Walter Gerhard Piranty im kleinen Kreis ausgerichteten Feier in einem Bordell anlässlich dessen Geburtstag nahm Gottfried Küssel teil, um mit Piranty zu feiern. Dass Piranty durchaus enge Kontakte zu Küssel pflegt, belegt des Weiteren eine skurrile Begebenheit: Nachdem eine Razzia im Siga Siga in Ternitz stattgefunden hatte (siehe dazu unsere Recherche zu CQ), kontaktierte Piranty Küssel privat, um sich bei ihm zu erkundigen, ob er tatsächlich verhaftet worden sei. Küssel antwortete scherzhaft, dass er davon nichts wüsste, er ihm aber danke, dass Piranty ihn von seiner eigenen Verhaftung wissen lasse. Darauf folgte eine amüsierte Nachricht Küssels mit dem Bild eines Cobra-Beamten mit Schutzschild und dem Text „Vermummter erstürmt Kühlschrank.“

Neben den privaten Kontakten zu Gottfried Küssel pflegt Piranty auch Kontakte zu weiteren alteingesessenen Persönlichkeiten der österreichischen Neonazi-Szene. Interessant ist hierbei vor allem die Beziehung zu dem seit den 1970er-Jahren aktiven Neonazi Harald A. Schmidt, der sich offenbar für mehrere Jahre mit Piranty Büroräume teilte: ein zweistöckiges Büro in der Johannesgasse 21, 1010 Wien, laut Eigenaussage ein Büro im Hotel Imperial am Opernring, 1010 Wien und zuletzt ein Büro in der Mommsengasse 33/5, 1040 Wien. Fotografien, die in den Büroräumlichkeiten in der Johannesgasse aufgenommen wurden, geben Hinweise auf die geschäftliche Verstrickung der beiden Neonazis: Dort sind Schmidt und Piranty etwa zusammen zu sehen, als sie gemeinsam mit einem unbekannten Dritten das Büro eröffnen und noch einmal zu einem späteren Zeitpunkt mit dem bereits genannten Michael Eder, Gründer von Metronix. Es sind Verbindungen dieser Art, die den begründeten Verdacht nahe legen, dass auch andere rechtsextreme Akteur*innen in die geschäftlichen Machenschaften Pirantys involviert sind. Am Rande: Der Geschäftsmann Michael Eder hat scheinbar kein Problem damit, seine wirtschaftlichen Aktivitäten in Kooperation mit langjährig kriminellen und militanten Neonazis abzuwickeln, die aus ihrer Gesinnung keinen Hehl machen.

Auch in Trumau scheinen Schmidt und Piranty geschäftlich aktiv zu sein.

Bei Walter Gerhard Pirantys Unternehmungen fallen zusätzlich nicht nur dessen Kontakte in die österreichische Neonazi-Szene, sondern auch relevante geografische Überschneidungen mit dieser auf. Seit 2020 organisieren Piranty und Schmidt regelmäßig Metronix-Stammtische im Café Frey auf der Favoritenstraße 44, dem Lokal, in dem über einen längeren Zeitraum bis mindestens 2020 auch Stammtische der Ferialverbindung Imperia stattfanden. Vor dem Hintergrund von Pirantys Kontakten zu Mitgliedern der Imperia und der geografischen Überschneidung mit deren Stammlokal stellt sich zum einen also die Frage, ob auch Piranty innerhalb der Ferialverbindung politisch organisiert ist und zum anderen, ob zwischen der Ferialverbindung Imperia und Walter Gerhard Piranty Gelder geflossen sind. Piranty könnte vor dem Hintergrund seiner ideologischen Überzeugungen als Finanzier neonazistischer Organisationen und Akteur*innen aufgetreten sein, oder diesen mittels seines Ponzi-Systems Investitionsmöglichkeiten abseits staatlicher Kontrolle z.B. gegen Bargeld angeboten haben. Auch wenn auf der Grundlage des aktuellen Informationsstands keine Belege dafür existieren, ist es dennoch notwendig, auf mögliche Finanzierungsstrukturen in diesem Zusammenhang aufmerksam zu machen.

Das Wehrdorf und die Expansion ins heile Ungarn

Abschließend muss der Aufbau von Pirantys völkischer Siedlung im Kontext allgemeiner Trends innerhalb der westeuropäischen extremen Rechten gesehen werden – denn in den letzten Jahren entwickelte sich Ungarn zunehmend zu einer beliebten Destination für rechtsextreme Akteur*innen, die den von ihnen als degeneriert und fremdgesteuert wahrgenommenen westeuropäischen Gesellschaften den Rücken zukehren und versuchen alternative Lebensräume im Osten zu erschließen.

Kommen wir aber zunächst zum Ausgangspunkt dieser Recherche zurück: Bei Walter Gerhard Piranty handelt es sich um einen betrugsaffinen Neonazi mit ausgezeichneten Kontakten in den organisierten Rechtsextremismus, der ein für den österreichischen Rechtsterrorismus historisch relevantes Grundstück in Ungarn mit dem Ziel des Aufbaus einer völkischen Siedlung besitzt. Walter Gerhard Piranty, der auch über Kontakte in die organisierte Kriminalität verfügt, musste sich selbst schon mehrmals in seinem Leben wegen illegalen Waffenbesitzes, Körperverletzung, Betrugsmaschen, illegaler Prostitution und weiteren Delikten vor Gericht verantworten und verbreitet auch heute noch militant-rassistische und militant-antisemitische Inhalte sowie neonazistische Propaganda über seine Social-Media-Kanäle und ist nach wie vor in dubiose Geschäfte verwickelt.

Wir wollen an dieser Stelle vertiefend auf die Hausdurchsuchungen im Jahre 1993 im Zuge der Briefbombenermittlungen und die Rolle Franz Radls eingehen, da eine mögliche Involvierung Pirantys auch schon zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann – zumindest hielt dieser sich zu dieser Zeit wieder in Wien auf und bestritt mittels organisierter Betrugsmaschen seinen Unterhalt in der Wiener Unterwelt. Das zukünftige „Wehrdorf“ von Piranty wurde wie bereits erwähnt in der Nacht vom 14. Dezember 1993 im Rahmen einer groß angelegten Razzia rund vier Stunden lang in Koordination mit den ungarischen Behörden von österreichischen Beamt*innen der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT) durchsucht. Der Aktion war bereits eine fünfstündige Hausdurchsuchung des EBT bei Franz Radl jun. und Johannes Pammer in der Laurenzgasse 6/14, 1050 Wien samt Haftbefehl gegen Radl vorausgegangen. Im Zuge der Durchsuchungen wurden sämtliche Materialien sichergestellt, die in Verbindung mit den Ermittlungen rund um die Anklage gegenüber Peter Binder, Franz Radl und Alexander Wolfert wegen der möglichen Urheberschaft der zum damaligen Zeitpunkt getätigten Briefbombenserien standen. Neben rechtsextremer Propaganda, Disketten, sowie Adress- und Namensverzeichnissen und rechtsextremer Literatur wurden von der Einsatzgruppe auch unterschiedliche Chemikalien zur näheren Untersuchung sichergestellt. Am Grundstück in Szőce blieb man allerdings weitgehend erfolglos – lediglich Honsiks Postille HALT und Druckwerke der Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AfP) wurden von den Ermittler*innen konfisziert.

Im Rahmen der diesen Fall betreffenden Gerichtsverhandlungen wurden alle drei Beschuldigten aufgrund mangelnder Beweislast freigesprochen – trotz der vielfachen Aussagen von Zeug*innen und erdrückender Indizienlage. Wofür und inwieweit das Anwesen in Szőce in weiterer Folge genutzt wurde, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht rekonstruieren. Einige Jahre später (2020/2021) begann Walter Gerhard Piranty allerdings die ersten aufwendigen Umbau- und Renovierungsarbeiten – vor dem Hintergrund der Verfasstheit der Bausubstanz und der großflächigen Verwilderung des etwa 30.000 m² großen Grundstückes kann durchaus angenommen werden, dass dieses über einen längeren Zeitraum nicht genutzt wurde. Auffällig bei den Renovierungsarbeiten ist, dass diese mutmaßlich in zwei Phasen stattgefunden hat. Während das Grundstück nördlich an ein breites Wald- und Moorgebiet grenzt, das Teil des Őrség Nationalpark ist, grenzt der östliche Teil des Grundstücks an die vom Schwertransit geprägte E65 und westlich an Gehöfte des Ortes Szőce. Der nördliche nach dem Wald gehende und nur von diesem aus einsichtige Teil erscheint dabei gut gepflegt und aufgeräumt und wurde im Winter 2022/23 auch weiterhin schon vorangeschrittenen Bauarbeiten unterzogen, während der restliche Teil des Grundstücks erneut verwildert, obwohl Piranty dort bereits mehrfach umfangreiche Gartenarbeiten durchgeführt hatte. Ebenso auffällig ist die breit angelegte Kameraüberwachung des großen, zweistöckigen Hauptgebäudes, in dem in den 1990er-Jahren das Zimmer von Franz Radl angesiedelt war, sowie die im umliegenden Wald zu findenden Spuren der Benutzung, wie etwa in der Umgebung am Boden verteilte, im ungarischen Landkreis nicht erhältliche österreichische Bierdosen, die nahe legen, dass auch die das Grundstück umliegenden Wälder inklusive der schmalen Trampelpfade für die bedenklichen Aktivitäten von Walter Gerhard Piranty und dessen Geschäftspartner*innen bzw. Kamerad*innen genutzt wurden.

Die Historie des Grundstücks, dessen Besitzer sowie die Kontakte desselben geben also Anlass, das „Wehrdorf“-Projekt als potenzielle neonazistische Gefährdung zu betrachten – und auch in Bezug auf das Prostitutionsgewerbe kritisch zu beurteilen. Sollte Piranty seine Pläne tatsächlich umsetzen und in Szőce bis 2025 in der ungarisch-österreichisch-slowenisch-kroatischen Grenzregion ein völkisches Siedlungsprojekt auf mehr als 30.000 m² Land aufziehen, ist durchaus zu befürchten, dass im Schutz provinzieller Abgeschiedenheit und öffentlicher Gleichgültigkeit gegenüber neonazistischen Aktivitäten ein Rückzugs- und Schulungsraum für militante österreichische und ungarische Neonazis sowie auch ein für dessen dubiose Geschäfte attraktiver Netzwerkknoten entstehen könnte – mit transnationalem rechtsterroristischem Potenzial. Anleitungen zum Terrorismus verbreitet Piranty wie schon dargestellt bereits auf seinem Wehrdorf-Kanal und die Gewaltaffinität haben dieser und sein Umfeld mehrfach bewiesen. Es ist außerdem bekannt, dass die österreichisch-ungarische Landesgrenze schon seit Anfang der 1990er-Jahre als Vernetzungsraum der militanten Neonazi-Szene fungiert – man denke etwa an Gottfried Küssels Verbindungen zu dem wegen Mordes verurteilten Neonazi István Györkös sen., der ebenso einen Familienlandsitz nahe Györ bis zu seiner Verhaftung und Inhaftierung 2016 betrieben hatte und in dessen Zusammenhang paramilitärische Trainings der Magyar Nemzeti Arcvonal (MNA) mit österreichischen Neonazis immer wieder Gegenstand medialer Berichterstattung waren. Zu den geschilderten Entwicklung kommt hinzu, dass Piranty neben dem Objekt in Szőce noch weitere Immobilien in Ungarn besitzt, die in Zukunft als Laufhäuser genutzt werden sollen: In Sopron besitzt der militante Neonazi einen Bungalow, den er noch bis Mai 2023 als weiteres „Stundenhotel“ betreiben will, in Mosonmagyarovar existiert außerdem eine Immobilie, deren Nutzung bis dato noch unklar ist.

Das Siedlungsprojekt und der Immobilienankauf Pirantys in Ungarn mag zwar aufgrund dessen intensiver Kontakte in den militanten Neonazismus besonders besorgniserregend sein, steht zugleich aber für eine Entwicklung, die innerhalb der breiten Öffentlichkeit und auch bei Behörden viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Denn hinter Pirantys Ansiedelung steht nicht nur der für den Euroraum günstige Wechselkurs, sondern auch die ideologisch geprägte Imagination Ungarns als noch heile, ethnisch homogene und intakte Gesellschaft, in der im Gegensatz zum westlichen Europa noch wahre Patrioten und Nationalisten an der Macht sind. Diese Vorstellung teilt Piranty mit vielen anderen rechtsextremen Akteur*innen, die sich seit etwa 2014 nicht nur ideologisch, sondern auch geografisch zunehmend in Richtung Ungarn orientieren. So ist bekannt, dass sich die britischen Neonazis der Kinghts Templar International Nick Griffin und James Dowson nach Ungarn abgesetzt haben. Auch den schwedischen und international bekannten Neonazi Daniel Friberg, den US-Neonazi und „Männerrechtler“ Matt Forney, den deutschen Rechtsextremist und Waffenhändler Mario Rönsch sowie den deutschen Shoah-Leugner Horst Mahler, den österreichischen Shoah-Leugner Gerd Honsik (bis zu seinem Tod in Sopron 2018) und den Schweizer Rechtsextremisten und Pegida-Schweiz Gründer Ignaz Bearth sowie einige mehr hat es in den letzten Jahren nach Ungarn verschlagen. Viele andere beschränken sich darauf, Ungarn regelmäßig bei Neonazi-Events zu besuchen oder in Solidarität mit der nationalen Bewegung in Ungarn auf die Revolution in ihrem eigenen Land zu warten.

Gerade Ignaz Bearth versinnbildlicht eine zunehmend bemerkbare Aufbruchsstimmung, die innerhalb einschlägiger Kreise seit der Covid-19-Krise herrscht. Dieser lancierte zeitgleich mit dem Anstieg der Corona-Proteste im deutschsprachigen Raum ein Auswanderungsprogramm für „Patrioten“ und emigrierte mit einer Handvoll Pensionist*innen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich in eine kleine Ortschaft am ungarischen Balaton – eine Region, die seit Jahrzehnten ein beliebtes Reiseziel deutscher und österreichischer Tourist*innen und seit 2014 auch Treffpunkt internationaler Neonazi-Größen ist. In einem Artikel des NZZ-Magazins wurde in diesem Zusammenhang etwa von einer Migrationsbewegung „rechter Rentner“ gesprochen, der Bayerische Rundfunk berichtete davon, dass die meisten dieser Auswanderer aus rassistischen Motiven ihr Land verlassen und daher Ungarn als Zufluchtsort gegen die „Überfremdung im eigenen Land“ auserkoren haben. Einflussreiche Influencer wie Bearth mobilisieren erfolgreich auf ihren Social-Media-Kanälen mit tausenden Mitgliedern für die Auswanderung nach Ungarn und bieten Info-Materialien an, um möglichst rasch in Ungarn Fuß fassen zu können. Mittlerweile existieren etwa 20 intakte und besiedelte „deutschsprachige Stützpunkte“ in Ungarn, zwei Drittel dieser sind rund um den Balaton angesiedelt – 10 weitere wären bereits in Planung. Angetrieben von antisemitischen Verschwörungsmythen, die unter den Begriffen „Great Reset“, „Umvolkung“, „Großer Austausch“ und „Globalisten“ zunehmend aggressiv artikuliert und verbreitet werden, verschlägt es also immer mehr rechtsextreme Akteur*innen in das von Viktor Orbán autoritär geführte Ungarn – dass hierzu kaum öffentlicher Handlungsbedarf seitens Politik und Zivilgesellschaft gesehen wird, ist in diesem Zusammenhang besonders besorgniserregend und garantiert neonazistischen Strukturen weiterhin freie Hand vor Ort.

Resümee

Der Fall Walter Gerhard Piranty verdeutlicht exemplarisch zunehmend relevant werdende Entwicklungen innerhalb des militant neonazistischen Lagers im deutschsprachigen Raum seit den 1990er-Jahren: Gewaltaffine neonazistische Milieus vernetzen sich rege mit Strukturen der organisierten Kriminalität. Die Kontakte rechtsextremer Akteur*innen in das Rotlichtmilieu, den organisierten Drogen- und Waffenhandel, aber auch in den Bereich des organisierten Betruges sind mittlerweile vielfach belegt. Zu diesem Schluss kommt auch eine neue empirische Studie des Counter Extremism Project, die sich in ihrem europaweiten Bericht der Vernetzung rechtsextremer Milieus in Europa mit der organisierten Kriminalität widmet. Oftmals entstehen durch kriminelle Aktivitäten überregionale und transnationale Netzwerkstrukturen, deren Infrastruktur auch für politische Zwecke genutzt werden – etwa durch unregistrierte Cashflows, mittels derer die politische Praxis und der Lebensunterhalt rechtsextremer Gruppen und Einzelpersonen finanziert werden kann.

Die durch die organisierte Kriminalität generierten Gelder fließen so abseits staatlicher Kontrolle in unterschiedliche Aktivitätsbereiche der extremen Rechten: In die Unterstützung von untergetauchten oder inhaftierten Kameraden, die Finanzierung politischer Arbeit, die Bereitstellung von Räumlichkeiten sowie die Produktion von Schulungs- und Propagandamaterialien, den Ankauf von Waffen und Sprengstoff und nicht zuletzt auch in die Finanzierung des Lebens der meist abseits konventioneller Arbeitsverhältnisse agierenden Aktivist*innen der Szene. Fälle wie die des Objekt 21, der Bruderschaft Thüringen (Turonen), der Steeler Jungs und diverse Waffenschieber-Ringe in den letzten Jahren in Deutschland und Österreich verdeutlichen, dass die in der organisierten Kriminalität agierenden Personen und Gruppen der extremen Rechten nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auf der Grundlage eines militant-nazistischen Weltbildes agieren und eine gewisse Affinität zu rechtsterroristischen Strukturen aufweisen. Während manche Personen sich stärker dem politischen Aktivismus zuwenden, bewegen sich andere vertiefend in der organisierten Kriminalität – die gemeinsame weltanschauliche Basis dient jedoch zugleich als Fundament für geschäftliche und politische Beziehungen.

Die Person Walter Gerhard Piranty illustriert diese Interaktionsdynamik zwischen Rechtsextremismus und organisierter Kriminalität: Das rechtsextreme Weltbild sowie die Kontakte in das NS-Milieu prägten ihn trotz der Verlagerung seiner Aktivitäten in die organisierte Kriminalität seit seinem Einstieg in die neonazistischen Subkulturen der 1980er-Jahre. Auch wenn Piranty seit seiner Zeit als Aktivist nicht mehr als relevanter Akteur der extremen Rechten in Österreich wahrgenommen wurde, blieb dieser doch der Szene erhalten. Der Umstand, dass Piranty seit 2020 den Aufbau einer völkischen Siedlung verfolgt und zunehmend engagiert an Aktivitäten der extremen Rechten partizipiert, verdeutlicht dessen Relevanz für den Gegenstandsbereich Rechtsextremismus – und die Relevanz krimineller oder halb-krimineller Strukturen für die extreme Rechte im Allgemeinen. Die finanziell lukrativen Geschäfte Pirantys bei gleichzeitig regem Kontakt zu rechtsextremen Kadern verstärken das Verdachtsmoment, dass dieser für die Szene kaum nachvollziehbare Investitionsmöglichkeiten geschaffen hat. Seit dem 7. April 2023 geht Piranty nun außerdem einem weiteren „Geschäftsmodell“ nach: die inoffizielle Prostitutionsvermittlung via Telegram-Kanal im Raum Wien, Niederösterreich und Burgenland – es ist davon auszugehen, dass die Gelder unter anderem in sein völkisches Siedlungsprojekt fließen werden.

​​​​​​Ein Blick in Gottfried Küssels Vita verdeutlicht außerdem, dass dieser und die ihn umgebenden Personen immer schon Kontakt zu multikriminellen Milieus gesucht haben. Ein prominentes Beispiel sind etwa die Kontakte zu dem 1997 wegen der brutalen Hinrichtung an der Prostituierten Petra K. verurteilten Zuhälter Georg W., mit dem man sich unter anderem zu gemeinsamen Schießübungen traf. Auch der Rückzug aufs Land an die Ränder kleiner, abgelegener Dorfstrukturen ist für Küssel kein Novum. Nach seiner Haft erstand dieser eine ganze Kellergasse bei Poysdorf und wie wir erst kürzlich dargestellt haben ein Objekt in Purbach am See, das CQ-Kader nutzten und in dem eine Hausdurchsuchung des DSN und Spezialeinheiten der Polizei wegen des Verdachts einer illegalen bewaffneten Gruppierung stattfand. Das wesentlich größere und deutlich abgelegenere Gehöft in Szőce gibt vor diesem Hintergrund noch mehr Grund zur Sorge.

Der Umstand, dass die Überschneidung von rechtsextremen Strukturen mit der organisierten Kriminalität sowie die zunehmend praktizierte Strategie der völkischen Landnahme ein zurzeit umfassendes Problem darstellen, ist evident. Dennoch scheint es in Österreich bis dato kaum einen staatlichen noch zivilgesellschaftlich-politischen Umgang mit diesem Phänomen zu geben. Dass dieses Milieu aber vor allem abseits gesellschaftlicher Beobachtung und Sanktionierung gedeiht,  liegt in der Natur der Sache und erfordert daher gezielte Gegenmaßnahmen. Es ist daher von zentraler Bedeutung dort Aufklärung und Licht zu schaffen, wo sich diese Milieus keines wünschen – denn erst durch die Offenlegung der verdeckten Netzwerke der extremen Rechten wird öffentliche Intervention gegen diese möglich.

Einer der letzten Zeugen der SS: Transnationale rechtsextreme Vernetzung bei Herbert Bellschan-Mildenburgs Bestattung in Celovec/Klagenfurt

Das Begräbnis von Herbert Bellschan-Mildenburg in Celovec/Klagenfurt

Am 12. November 2022 fand am Klagenfurter Friedhof Annabichl das Begräbnis des Waffen-SS-Veteranen Herbert Bellschan-Mildenburg statt. Abseits einer kleinen Traueranzeige in der Kleinen Zeitung Kärnten, erfuhr man in der breiten Öffentlichkeit nichts über die rechtsextreme Gedenkveranstaltung. Die europäische extreme Rechte vermied es, zum Gedenken an ihren Mitstreiter und Helden aufzurufen und sendete klandestin Einladungen zur Bestattung des Veteranen an einen ausgewählten Personenkreis aus. Dem Aufruf folgten zahlreiche rechtsextreme Akteur*innen aus dem In- und Ausland, um sich kurz vor 12 Uhr vor der großen Zeremonienhalle des Friedhof Annabichl einzufinden. Nach einer musikalischen Einleitung folgten die Trauerreden von Angehörigen Bellschans und Vertretern der österreichischen Kameradschaftsszene, vermutlich jenen der Kameradschaft IV, deren offizielles Mitglied der verstorbene Waffen-SS-Veteran war. Die Rede des Vertreters der Kameradschaft stand ganz im Zeichen einer Lobeshymne auf das unverzagte, mutige und tapfere Leben des Herbert Bellschan-Mildenburg – gespickt mit Revisionismus gegen die „Geschichtsverdrehung“ der Feinde des deutschen Volkes, gegen die der Verstorbene zeitlebens angekämpft hatte.

Auffällig bei der Trauerrede war der Umstand, dass der Redner trotz seiner Verachtung für die etablierte Geschichtsschreibung, seine revisionistischen Positionen hinsichtlich des NS-Regimes an manchen Stellen schon fast übertrieben vorsichtig zum Ausdruck brachte. So formulierte dieser verklausuliert, dass der verstorbene Bellschan-Mildenburg nach seiner Zeit beim Wandervogel zu einem Jugendbund ging, „der den Namen des damaligen Reichskanzlers“ trug – also die Hitlerjugend. Warum der Redner es vermied, den Namen Adolf Hitlers auszusprechen, bleibt unklar, folgte darauf doch in revisionistischer Manier die Charakterisierung des Überfalls auf Polen am 1. September 1939 durch die deutsche Wehrmacht „als Antwort auf permanente Übergriffe auf das Reichsgebiet der polnischen Kavallerie“ sowie die Verklärung der Kriegs-einleitenden Worte Hitlers „Ab heute wird zurückgeschossen“ als einen „unglücklichen Ausspruch“, der als „diplomatischer Fehler“ zu betrachten sei. Diesen diplomatischen Fehler hätten die Sieger des Ersten Weltkriegs instrumentalisiert, um Deutschland ein zweites Versailles zu bescheren.

Im Anschluss daran folgte eine Lobpreisung der deutschen Jugend der 1920er und 30er-Jahre, die vor dem Hintergrund von Bellschans Biografie zugleich als Rehabilitierung der Hitlerjugend und der SS-Junkerschulen zu verstehen ist, in welchen der Führungsnachwuchs für den nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug herangezogen wurde und in die Bellschan-Mildenburg maßgeblich involviert war:

Was Dichter und Musiker in das Wort Deutschland hineingelegt haben, hat diese Jugend hineingelebt. Der Schlüssel zum Verständnis jener Jugend liegt nicht bei analytischer Rationalität, sondern im sehnlichen Erlebnis. Volk und Heimat, Deutschland und Vaterland wurden von dieser Jugend konkret erfahren und erlebt, ganz im Sinne Goethes, dessen Geistigkeit sich die Jugend zum Vorbild gemacht hat.

Als paradigmatisch zu betrachten, ist der Rekurs auf und die Affirmation des triebhaften Irrationalismus, im Sinne einer Befreiung von Geist und Körper durch die erneuerte lebensphilosophische Bindung an die vitalisierende Kraft des ursprungsmythologisch gedachten Bodens – nur in der Heimat, im Vaterland würde die Jugend dazu in der Lage sein, den Status quo zu überwinden und an dessen Stelle die deutsche Volksgemeinschaft als Schicksals- und Blutsgemeinschaft zu etablieren. Das in der Rede hervorgehobene „Sehnen“ der Jugend bezieht sich auf den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich – der Überlebenskampf gegen „den Schandvertrag von Versailles“ wirkte daher kraftvoll als „eine Art Ersatzreligion gegen den materiellen Zeitgeist“ resümierte der Redner mit weltanschaulichem Pathos und fügte dem heroisch hinzu, es sei beinahe unbegreiflich „in welcher Liebe zur Heimat und in welcher Opferbereitschaft damals die Jugend war.“

In diesem Duktus setzte sich die Rede des Kameradschaftsvertreters fort, der in seiner Erzählung die Biografie Herbert Bellschan-Mildenburgs stellvertretend für die willensstarke deutsche Jugend Revue passieren ließ: Von der Hitlerjugend über die Waffen-SS bis hin zum Widerstand gegen das Meinungsdiktat der „sogenannten Elite“ wäre er dazu bereit gewesen, für Deutschland sein Leben zu lassen. Als einer der wenigen wäre er nicht davor zurückgeschreckt, dem dominanten Geschichtsnarrativ zu widersprechen und stattdessen die „Wahrheit“ an die neuen Generationen weiterzugeben:

Das war mit der Grund, warum Herbert gegen diese offizielle, von den Siegern diktierte Geschichtsschreibung, wo sie unredlich seiner Meinung nach war, aufgetreten […] ist. Das ist doch ein wichtiges, für einen Patrioten wichtiges, Anliegen. 2012 konnte Herbert die Festansprache auf dem Ulrichsberg halten. Er nutzte diese Festansprache für eine offene Diskussionsmöglichkeit, damit die Geschichte zur Sprache komme. Herbert erwähnte das Menschnrechtskomitee in Genf, das 2011 beschlossen hat und zwar sagte er wörtlich am Ulrichsberg: ‚Wir alten Soldaten anerkennen nämlich voll die derzeit geltenden Gesetze und respektieren diese auch.‘ Obwohl wir nicht ganz verstehen können, warum die Republik Österreich nicht gemeinsam mit den Staaten der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und der Schweiz schon im Juli 2011 in Genf beim UN-Menschenrechtskomitee verbindlich und verpflichtend eine Konvention geschrieben haben, wonach gesetzlich zur Meinungsfreiheit der Ausdruck einer irrtümlich gemeinten und unrichtigen Interpretation vergangener Geschehnisse völkerrechtlich [Anm. d. Verf.: zu ergänzen ‚erlaubt ist‘] und somit nicht bestraft werden darf.‘ Und weiter: ‚Wo aber noch immer und seit vielen Jahren Personen im Gefängnis sitzen, weil sie ihre Wahrheit verkündet haben.‘

Der Verweis auf die Menschenrechte, Meinungsfreiheit und die besagte UN-Konvention sind dabei ganz in der Tradition eines gängigen Argumentationsmusters neonazistischer Akteur*innen nach 1945. Es handelt sich um die bewusste Instrumentalisierung und Verkehrung demokratischer Werte in ihr Gegenteil – die Wehrhaftigkeit der Demokratie gegen jene, die sie zugunsten einer auf Abstammung basierenden Gemeinschaft ersetzen wollen, wird als „Meinungsdiktat“ der „Scheindemokratie“ umgedeutet und die wegen Holocaustleugnung inhaftierten Szene-Ikonen wie Ursula Haverbeck, Horst Mahler, Richard Melisch und viele mehr zu „Freiheitskämpfer*innen“ verklärt. Ein „widerständiger“ Geist wie Bellschan hätte allerdings gewusst, dass „die Geschichtsschreibung nicht der Wahrheit entsprach“ und sich dagegen eingesetzt, dass jene, die für das deutsche Volk kämpften, kriminalisiert und die „Waffen-SS als verbrecherisch“ verleumdet wird.

Auf die Beschwörung der Vergangenheit folgte dann die Darstellung von Bellschans Vision eines zukünftigen „Europas der Völker“, ganz nach dem Vorbild des Europakonzepts der Waffen-SS, in dessen Zentrum kein politisches Gemeinwesen im Sinne einer Assoziation freier Menschen, sondern die Volksgemeinschaft als rassisches Abstammungskollektiv steht: Hinter den in der Rede durchaus subtil gewählten Begriffen steht vor dem Hintergrund von Bellschan-Mildenburgs Biografie kein auf liberalen Werten basierendes Europa-Konzept, sondern die ideologische Internationalisierung des nationalsozialistischen Vernichtungsprojekts durch die SS und Waffen-SS, die als Reaktion auf die Imagination eines global agierenden und daher auch auf selber Ebene zu bekämpfenden Judentums zu verstehen ist. Auch heute noch beziehen sich große Teile des internationalen Neonazi-Milieus auf die Vision eines Zusammenschlusses der vom „Weltjudentum“ unterdrückten „Herrenrassen“ und streben einen gemeinsamen Feldzug gegen den wahnhaft imaginierten, übermächtigen und im Verborgenen agierenden Feind an – also gegen jenen Feind, der mittlerweile schon salonfähig unter dem Begriff des „Globalismus“ Einzug in die breite Öffentlichkeit erhalten hat und letztlich die popularisierte Form der alten antisemitischen Weltverschwörungstheorie darstellt, der Bellschan und seine Kameraden anhängen.

Vor dem Hintergrund dieser internationalisierten Ideologie ist es auch nicht verwunderlich, dass Neonazis aus verschiedenen europäischen Staaten angereist waren, um gemeinsam einem verstorbenen Kameraden zu gedenken – der zeitgenössische Neonazismus ist lokal verankert, international ausgerichtet und transnational vernetzt, was sich nicht zuletzt auch an Zusammenkünften wie diesen zeigt. Die Rede abschließend wendete sich der Kamerad des verstorbenen Waffen-SS-Veteranen, an die zum Gedenken Angereisten und schwor diese auf den Kampf ein, den Bellschan-Mildenburg sein Leben lang geführt hatte. Das Vermächtnis Bellschans sei es, „der Wahrheit zu dienen […] und unserem Volk die Treue zu halten und nie die Worte Friedrich Schillers zu vergessen: ‚Denn wenn kein Mensch mehr die Wahrheit sucht und verbreiten wird, dann verkommt alles Bestehende auf der Erde, denn nur in der Wahrheit sind Gerechtigkeit, Frieden und Leben.'“ Mit dem abgewandelten SS-Treueschwur „Seine Ehre hieß Treue“ beendete der Redner schlussendlich andächtig die Ansprache.

K IV und KAB bilden ein gemeinsames Ehrenspalier beim Hinaustragen der Urne Bellschan-Mildenburgs.

Nach dem Zeremoniell folgte ein Trauerzug zum Familiengrab der Bellschan-Mildenburgs, bei dem unterschiedliche Vertreter rechtsextremer Organisationen aus Österreich, Deutschland, Ungarn und Italien kondolierten und Kränze im Gedenken an den „Kameraden“ niederlegten. Zahlreiche Besucher*innen ließen es sich außerdem nicht nehmen, einige Meter von Bellschan-Mildenburgs Grab entfernt einem weiteren „Ehemaligen“ Ehrenbekundungen zu bezeugen, der jedoch eine deutlich höhere Funktion im nationalsozialistischen Staat innehatte. Die Rede ist von Friedrich Rainer, dem ehemaligen NS-Gauleiter von Salzburg und Kärnten, dessen „Ruhestätte“ eine große Elhaz-Rune und ein Ausspruch Adolf Hitlers „ziert“. Auch dort legte die Kameradschaft IV eine Grabkerze zum Gedenken ab – danach verharrte eine größere Gruppe Grazer, Wiener und Kärntner Neonazis an dem Grab, bevor sie als letzte Gruppe zurück in Richtung Ausgang marschierte. Der Leichenschmaus fand, an das Gedenken anschließend, im nahegelegenen Gasthof Krall statt, bei dem sich auch viele der österreichischen Neonazis einfanden. Das Milieu, welches am Begräbnis des Waffen-SS-Veteranen teilnahm, setzte sich dabei hauptsächlich aus langjährig organisierten Neonazis sowie Gruppierungen, die vornehmlich der österreichischen Kameradschaftsszene zuzurechnen sind, zusammen. Neben der Kameradschaft IV war auch der Kärntner Abwehrkämpferbund (KAB) mit einigen Mitgliedern, sowie die Kameradschaft der ehemaligen Angehörigen des Gebirgsjäger Regiments 139, einer Wehrmachtskameradschaft, die Teil des Kärntner Kameradschaftsbundes und damit auch Teil des Österreichischen Kameradschaftsbundes (ÖKB) ist, vertreten – nicht zu vergessen der Ulrichsbergveteran und aB! Tauriska zu Klagenfurt Burschenschafter Peter Mussi.

Neben der Kameradschaftsszene fanden sich im Gleichschritt mit Gottfried Küssel und Franz Radl ein Skinhead der Gruppe Sozialismus Jetzt (SoJ) und der Corona Querfront (CQ), einschlägige Neonazis aus dem ehemaligen alpen-donau.info Umfeld Wiens und mit Christoph Schober auch ein Exponent der Grazer Szene rund um alpen-donau.info ein. Küssel samt Anhang marschierten nach der Trauerbekundung direkt zum Grab von Friedrich Rainer: Geleitet wurde die Gruppe neben Küssel von Erika Hannesschläger, der Tochter Friedrich Rainers, die ebenso als „Zeitzeugin“ agiert, aktuell in Klagenfurt wohnhaft ist und das Grab ihres Vaters betreut – ein Umstand, der ihr im Übrigen schon eine Anzeige nach dem Verbotsgesetz eingebracht hat. Weiters nahmen die obersteirischen Neonazis Hans Ploderer und Martin Ploderer, die der in den 2010er-Jahren aktiven neonazistischen Vereinigung Skinheads Steiermark zuzurechnen sind, teil. Auffällig war die Präsenz der Familie Larisch, also Nils Larisch und Conny Larisch samt beider Kinder – Nils Larisch stammt aus dem neonazistischen Hooligan-Umfeld von Lokomotive Leipzig und der lokalen Leipziger NPD-Szene. Mit Peter Dingsleder schaffte es auch ein Aktivist aus dem Umfeld der steirischen Identitären Bewegung (IB) zum Szenetreff in Klagenfurt Annabichl. Dingsleder ist langjähriger Aktivist der Identitären Bewegung, sowie Alter Herr der deutschnationalen Burschenschaft aB! Cheruskia Graz. Auch Tobias Faethe, ein aus München stammenden Neonazi aus dem Umfeld der deutschnationalen Burschenschaft Danubia München, der nun schon seit einigen Jahren in der Steiermark lebt und über gute Kontakte in die völkische und neonazistische Szene verfügt, war angereist. Obgleich die ungarischen und italienischen Kameraden nicht identifiziert werden konnten, zeugten deren Kränze und Symbole von deren Anwesenheit. In dieser Recherche wird auf die unterschiedlichen zu dem Gedenken angereisten Milieus und deren Vernetzung noch vertiefend eingegangen. Für das Verständnis der Zusammenkunft am 12. November ist es aber zunächst notwendig, einen Blick auf Herbert Bellschan-Mildenburgs Biografie zu werfen und seine Funktion innerhalb der europäischen Neonazi-Szene nach 1945 zu beleuchten.

Biografische Skizze Herbert Bellschan-Mildenburgs

Bellschan-Mildenburg mit dem Dortmunder Neonazi Michael Brück, der mittlerweile nach Chemnitz verzogen ist.

Herbert Bellschan-Mildenburg wurde am 24. Juni 1923 als Sohn des Hermann Bellschan von Mildenburg und der Fini Schüst geboren. Er entsprang dem Adelsgeschlecht Bellschan von Mildenburg, das vor allem durch die gefeierte Mahler- und Wagner-Sopranistin Anna von Mildenburg Bekanntheit erlangte. Wie aus der Rede eines Kondolenten zu entnehmen ist, dürfte Herbert Bellschan-Mildenburg schon in seiner frühen Jugend in den österreichischen Wandervogel eingetreten sein, der, wie der Historiker Peter Dudek feststellt, als 1911 gegründeter Ableger des deutschen Wandervogels ideologisch besonders „bewusst deutsch-national und antisemitisch“ auftrat, auch wenn dieser später entgegen der historischen Quellenlage als Opposition zur späteren Hitlerjugend (HJ) und dem Bund Deutscher Mädel (BDM) dargestellt und damit gewissermaßen rehabilitiert wurde. Gerade im Falle Österreichs muss diese historische Einschätzung zurückgewiesen werden. Der Wandervogel wurde zwar auch in Österreich 1938 verboten, legte zugleich aber in Form der völkischen Gesinnung, des Körperkults und der Fixierung auf das Primat des Natürlichen die ideologischen Grundsteine für die Jugend- und Nachwuchsorganisationen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Die nahtlose Integration völkischer Sozialisierung von den Wandervögeln in die Strukturen des NS-Regimes wird auch in der Biografie Bellschan-Mildenburgs sichtbar, dessen frühe ideologische Prägung ihn sein ganzes Leben lang begleitete.

Bevor Bellschan-Mildenburg mit 17 freiwillig in die Waffen-SS eintrat, war er bereits aktives Mitglied des Deutschen Jungvolk (DJ) sowie der Hitlerjugend. Laut eigenen Angaben, die seiner im Dezember im rechtsextremen Nation und Wissen Verlag erschienenen Biografie zu entnehmen sind, sei er (auch schon in der Illegalität) maßgeblich für den Aufbau und die Führung der Klagenfurter HJ-Ortsgruppe mitverantwortlich gewesen – ob dies den historischen Tatsachen entspricht, kann nicht bestätigt werden, zeugt aber von Bellschan-Mildenburgs klarem Bekenntnis zum Hitlerismus, von dem er sich nie loslöste. Im Jahre 1941 wurde Bellschan in den aktiven Dienst der Waffen-SS einberufen und in die 6. SS-Gebirgsdivision „Nord“ eingegliedert, die an der „Finnlandfront“ in Karelien kämpfte und sich ursprünglich aus der 6., 7. und 9. SS-Totenkopfstandarte zusammensetzte. Der Eintritt in den militärischen Verband wäre das Schicksal von Bellschan-Mildenburg gewesen, wie er in einem Interview festhält: „Meine vorangegangenen Jahre, die Erziehung und das Erleben war gar nicht anders möglich, als dass man als Freiwilliger zur Waffen-SS gegangen ist.“ Bellschan selbst brachte es in dem Regiment bis zum SS-Untersturmführer, verbrachte die letzten Kriegsmonate als Lehroffizier an der SS-Junkerschule in Bad Tölz und wurde nach dem Sieg der Alliierten in Kriegsgefangenschaft genommen und nach Hallein überstellt. Die Urkunde der Beförderung zum Untersturmführer, signiert durch den Reichsführer SS Heinrich Himmler höchstpersönlich, bewahrte Bellschan laut Angaben des Rechercheportals Blick nach Rechts bis zumindest 2005 neben anderen Devotionalien in seiner Wohnung als Andenken auf.

Nach der Kriegsgefangenschaft begann für Bellschan-Mildenburg das, wofür er innerhalb rechtsextremer Milieus in ganz Europa und darüber hinaus bekannt werden sollte: Seine Lebensmission bestand darin, die Waffen-SS als vierten Teil der Wehrmacht zu verharmlosen und die von dem nationalsozialistischen Terror-Regime begangenen Verbrechen öffentlich zu leugnen oder zu relativieren. Nachdem er 1947 als unter einem Pseudonym Studierender der Universität Wien vom US-amerikanischen Geheimdienst als entflohener SS-Kriegsverbrecher enttarnt wurde, floh Bellschan ins Ausland. Über zahlreiche Umwege und Langzeitaufenthalte erreichte er 1986 laut der Gazette abc Paraguay, wo er sich, wie so viele andere Kriegsverbrecher auf dem südamerikanischen Kontinent, niederließ und ein Landstück von 1.000 Hektar erstand. Während er zwar sein Haus in Klagenfurt in der Aichelburg-Labia-Straße 18 bis zu seinem Tod besaß, lebte Bellschan-Mildenburg bis etwa 2017 in der Provinz Ciudad del Este in Paraguay, besuchte Europa mehrmals aus geschäftlichen Gründen, oder um Shoah-Leugnern wie Ernst Zündel vor Gericht beizustehen.

In Paraguay wurde Bellschan – wie mutmaßlich auch in anderen Ländern – durchaus ambitioniert als Geschäftsmann tätig: Er erlangte die Stellung eines Vertreters des staatlichen Bahnbetriebes Cooperativa Ferroviaria, Pdte. Carlos A. López, für europäische Belange. Im Auftrag der Coop. Ferroviaria und der staatlichen Bahngesellschaft Ferrocarriles del Paraguay (Fepasa) verhandelte er unter anderem mit Schweizer Investment-Firmen um den Ausbau und die Neu-Erschließung staatlicher Eisenbahn-Linien ausgehend von der Hauptstadt Asunción – das Verhandlungsvolumen betrug mutmaßlich zwischen 600 und 800 Millionen US-Dollar. Als Geschäftspartner führte Bellschan in einem Interview 2014 den Ingenieur sowie RFJ-, FPÖ– und späteren BZÖ-Politiker Karlheinz Klement an, also jenen wüsten Antisemiten, der auch im EA-Komplex (Europäische Aktion) eine nicht geringe Rolle einnahm, da er 2010 das erste Treffen der EA in Österreich mit führenden NVP-Kadern und Bernhard Schaub ausrichtete. Interessant ist die Beteiligung Klements an den Geschäften Bellschan-Mildenburgs alleine schon deshalb, weil Bellschan wohl zeitnah zur Gründung der Europäischen Aktion auf die Idee kam, in Paraguay einen Millionendeal mit Schweizer Partnern zu realisieren und aktiv für den Bau der Bahnstrecke von Ascunión bis Encarnación zu lobbyieren. Als dieser Plan zu scheitern drohte, schickte Bellschan im ersten Quartal des Jahres 2014 Klement nach Asunción, um das Geschäftsmodell mit Fepasa und der Coop. Ferroviaria zu besprechen. Es ist also anzunehmen, dass Klement schon vor der öffentlichen Bekanntgabe durch Bellschan dessen Geschäftspartner war – warum auch sollte Bellschan wahllos einen Bekannten nach Asunción schicken, um einen Millionendeal auszuhandeln. Schlussendlich dürfte der Deal jedoch gescheitert sein, auch wenn Bellschan noch bis 2017 versuchte, die staatlichen Betriebe in Paraguay vom Gegenteil zu überzeugen. Auch wenn in diesem Komplex viele Fragen offen bleiben, so sind die geschäftlichen Tätigkeiten von Bellschan-Mildenburg in Paraguay auch für den Gegenstandsbereich Rechtsextremismus von potenziellem Interesse, steht doch zur Disposition, ob Gelder aus Bellschans Tätigkeiten in die Finanzierung rechtsextremer Strukturen geflossen sind. Auch wenn Finanzierungsmodelle dieser Art aktuell nicht nachgewiesen werden können, ist es dennoch wichtig auf die Möglichkeit hinzuweisen.

Klement bei einer Gedenkveranstaltung des KAB. Oft in seiner Funktion als Chorleiter der Sängerrunde Emmersdorf.

Rückzug nach Europa, Österreich, Klagenfurt

Um das Jahr 2017 kehrte Bellschan dann, womöglich auch auf Grund gescheiterter Geschäfte, wieder nach Europa zurück und dürfte sich von diesem Zeitpunkt an in Österreich, Ungarn und Deutschland aufgehalten haben. Schon vor seiner permanenten Rückkehr war der Waffen-SS-Veteran gelegentlich nach Europa gereist, so zum Beispiel 2012 und 2016, um am Ulrichsbergtreffen eine Festrede zu halten und auch 2016 am Vortag des Treffens an einer klandestin organisierten Zusammenkunft der Kameraschaft IV in Krumpendorf teilzunehmen, bei der er als Szenegröße hofiert und gefeiert wurde. Auch die bayrische Sektion der neonazistischen Partei Der III. Weg lud Bellschan-Mildenburg 2017 nach München ein, wo er im Gasthof Flügelrad vor versammelten Publikum die Hauptrede des Abends hielt. Ebenso 2017 hielt Bellschan einen Vortrag bei der neonazistischen, vom thüringischen Staatsschutz überwachten Burschenschaft Normannia zu Jena, die der Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG) angehörte, in der sogenannten Wilhelmsburg tagte wie auch im Braunen Haus in Alt-Lobeda, das auch im Kontext des NSU-Komplexes eine wichtige Rolle spielte. 2019 dann erschien Bellschan auf Einladung der langjährigen Unterstützer*innen rund um die Partei Die Rechte in Dortmund, um dort bei der revisionistischen Vortragsreihe „Soldaten berichten“ als „Zeitzeuge“ aufzutreten – eine Delegation von Die Rechte Rhein-Erft hatte im Übrigen bereits 2016 am sogenannten „Kärntner Abend“ der Kameradschaft IV teilgenommen, an der auch Bellschan-Mildenburg anwesend war und partizipierte am darauffolgenden Ulrichsberggedenken, an dem Bellschan eine Festrede hielt.

Bellschan-Mildenburg war über seine Vortragsreihen hinaus mit Altnazi-Szenegrößen vernetzt, die als intergenerationeller Kitt und ideologische Stichwortgeber der europäischen extremen Rechten fungierten und teilweise immer noch fungieren. So sprach sich Bellschan-Mildenburg etwa mehrfach für den wegen Wiederbetätigung verurteilten und 2021 verstorbenen Shoah-Leugner Wolfgang Fröhlich aus, erschien bei dessen Haftentlassung und lies sich mit ihm gemeinsam vor der Justizanstalt Stein in Krems ablichten. Auch mit dem Altnazi, Auschwitz-Leugner und Szeneanwalt Herbert Schaller war Bellschan-Mildenburg befreundet und pflegte außerdem Kontakte zu Akteur*innen der militanten ungarischen Neonazi-Szene. Darüber hinaus verfügte die K IV über gute Kontakte zur nicht mehr existenten ungarischen MNA (Magyar Nemzeti Arcvonal) unter der Leitung von Györkös István snr., wo sie auch an „Heldengedenken“ in Dég teilgenommen hatte.

Bellschan-Mildenburg vor der JV Krems nach der Haftentlassung von Wolfgang Fröhlich.

Die Vernetzung zu europäischen Neonazi-Gruppen bzw. Personen des rechtsextremen Spektrums Europas, sowie Bellschans Ansehen innerhalb der NS-Szene Europas spiegelt sich auch in den vor seinem Grab niedergelegten Kränzen wieder: Ungarische Kameraden widmeten dem Waffen-SS-Soldaten letzte Grußworte und zeigten sich überzeugt, man würde sich in „Valhalla“ wiedersehen, die Familie Larisch widmete Bellschan einen Kranz in den Farben der Reichskriegsfahne und auch die italienischen Neonazis sowie die Vertreter der Kameradschaft IV und die aus Graz und Wien angereisten Neonazis ließen es sich nicht nehmen, dem Kameraden letzte Worte mitzugeben. Auch online mangelte es nicht an einschlägigen Szenebekundungen: Sowohl Die Rechte, Der III. Weg sowie kuruc.info, das antisemitische Portal des Jobbik-Politikers Novák Előd, bezeugten Kondolenz.

SS-Zeugen zwischen Szenekult und Integrationsfunktion

Bellschan-Mildenburgs Wirken reiht sich in eine Tradition der revisionistischen Zeitzeug*innen ein, die für die nach 1945 agierende extreme Rechten in Europa integral gewesen ist. Er war einer von vielen Überlebenden des Weltkriegs, die nach der Kriegsniederlage ihr Leben ungebrochen der Agitation für den Wiederaufbau der NSDAP widmeten und dem „Ruf des Werwolfs“ folgten. Sie nahmen und nehmen innerhalb der extremen Rechten eine wichtige Scharnierfunktion zwischen der Generation, die den Nationalsozialismus noch erlebte und jenen, die erst nach 1945 politisch aktiv wurden, ein und stehen mit ihrer Biografie und ihren Erfahrungen innerhalb der Szene für die unverfälschte Weitergabe der „wahren“ Geschichte. Vortragende wie Bellschan-Mildenburg konnten über den Nationalsozialismus aus erster Hand berichten, Wissen und Kontakte vermitteln und auf bereits etablierte Netzwerke zurückgreifen, die für die Szene von Relevanz waren – von den gesuchten SS-Männern und anderen hochrangigen Mitgliedern der NSDAP, der Gestapo und des Reichssicherheitshauptamtes über die rechtsterroristischen Werwolf-Gruppen bis hinein in die staatlichen Institutionen der neuen Demokratien.

Symbolisch steht für diesen intergenerationellen Schulterschluss die im vom Antifaschistischen Autorenkollektiv in ihrem Standardwerk zur rechtsextremen Organisierung in Deutschland und Österreich enthaltene Abbildung des schwedischen Altnazis Per Engdahl, der kaum mehr fähig zu gehen, sich auf seinem Stock abstützend, die Hand eines stramm stehenden jungen Neonazis schüttelt mit der Unterschrift, Engdahl würde „Vermögen und Kontakte an die ‚Enkelgeneration'“ weitergeben. Das Modell Engdahl wurde in Europa nach 1945, von vielen ehemaligen Spitzenfunktionär*innen wie Otto Skorzeny, Himmlers Tochter Gudrun Burwitz, dem ehemaligen Kommandeur des Wach-Battalions Großdeutschland Otto-Ernst Remer, dem SS-Untersturmführer der Leibstandarte Adolf Hitler Herbert Schweiger oder dem SS-Sonderführer Thies Christophersen praktiziert – sie alle haben die Formierung des organisierten Neonazismus nach 1945 personell und ideologisch geprägt und mit ihren biografischen Erzählungen zur Etablierung der revisionistischen Gegenerzählung beigetragen. Das Antifaschistische Autorenkollektiv charakterisiert diese Riege an Altnazis als „Kartell“, das über legale und illegale Kommunikationsformate verfügte und sowohl den legalen politischen Kampf als auch die klandestine Organisation von NS-Terrorzellen förderte. Zu diesem weit verzweigten Netzwerk an „Ehemaligen“ dürfte auch Bellschan-Mildenburg gezählt haben, der zugleich aber im Vergleich zu anderen Exponenten relativ wenig wahrgenommen wurde. In dem zitierten Band wird sein Name etwa gar nicht erwähnt, was vermutlich auch dem Umstand geschuldet ist, dass er sich lange Zeit im außereuropäischen Ausland aufgehalten hat. Die Erkenntnis über Bellschan-Mildenburgs Involvierung in millionenschwere Geschäfte bei gleichzeitiger bestehender Vernetzung in die Neonazi-Szene Europas wirft allerdings neues Licht auf diesen Sachverhalt und wirft die Frage auf, ob es sich bei ihm um einen Geldgeber beziehungsweise finanziellen Vermittler der rechtsextremen Szene gehandelt hat.

Fest steht in jedem Fall, dass Bellschan-Mildenburg Teil des engen Netzwerkes an „Ehemaligen“ war. In Österreich war der Waffen-SS-Veteran in der Kameradschaft IV organisiert, die als radikalere Schwesterorganisation der deutschen Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS (HIAG) eingestuft werden kann und zu einem späteren Zeitpunkt in dieser Recherche noch im Detail vorgestellt wird. Über die Kameradschaft war Bellschan mit dem bekannten Oberleutnant der Wehrmacht und Szeneanwalt Herbert Schaller eng verunden, sowie mit dem Shoah-Leuner Ernst Zündel. Auch mit dem etwas jüngeren Shoah-Leugner Wolfgang Fröhlich verband Bellschan-Mildenburg eine freundschaftliche Beziehung. Sowohl Fröhlich, als auch Schaller waren im Umfeld beziehungsweise auch als Redner des rechtsextremen Medienkartells Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) aktiv, das als zentrales Medium der militanten rechtsextremen Szene Deutschlands und Österreichs galt. Die Gesellschaft gab die Zeitschrift Das freie Forum heraus, vergab den sogenannten Ulrich-von-Hutten-Preis und wurde von dem aus Heidelberg stammenden Neonazi Peter Dehoust geleitet. Die GfP selbst ging aus der Organisation Deutsches Kulturwerk des europäischen Geistes hervor, die von dem „SA-Barden“ Herbert Böhme gegründet worden war. Der in Österreich gegründete Ableger der DKEG war vordergründig in Kärnten aktiv und wurde von Otto Scrinzi sowie der FPÖ-Politikerin Gerhild Mattuschka geleitet, wobei auch Getraud und Manfred Roeder unterstützende Tätigkeiten übernahmen.

Es ist daher auch alles andere als zufällig, dass die militanten neonazistischen Aktivitäten der neuen Generationen in Deutschland und Österreich auf diesen bereits etablierten Strukturen aufbauten. Die Kameradschaft IV beziehungsweise die darin organisierten Waffen-SS-Veteranen galten als Vorbilder der jungen Neonazis und zogen die Mitglieder des österreichischen Ablegers der Nationalen Front (NF), namentlich Franz Radl jun., Helmut Adolf Schatzmayr, Andreas Thierry, Markus Adam, Georg Lobnig jr. und Ewald Friesacher an, die mittels programmatischen Flugblättern wie „Die Wahrheit über die Waffen-SS“ für die gemeinsame Sache kämpften. In diesen Flugblättern hieß es dann etwa: „Der Helden-Ruhm der Waffen-SS wird auch in den Zeiten der geistigen Leichenschänder überdauern, gleichgültig, was die ewig Heutigen, die Menschenjäger auch versuchen“. Jene jungen Neonazis, die sich im Kampf für die „Wahrheit“  besonders hervortaten, wurden dann zu den Tagungen der alten Generation geladen, konnten dort als Securitys tätig sein oder andere Hilfstätigkeiten ausführen. Bei den, für die internationale Neonazi-Szene wichtigen Gästewochen der DKG, die unter der Führung von Lisbeth Grolitsch, der Grazer Leitern des Freundeskreises Ulrich von Hutten zahlreiche bedeutende rechtsextreme Organisationen Europas an einen Tisch holte, ware somit auch der Nachwuchs in Form von Franz Radl. jr., Helmut Adolf Schatzmayr und Georg Lobnig jr. vertreten.

Doch wichtig zu betonen ist, dass das Versterben der alten Nazi-Größen die Szene durchaus trifft und potenziell schwächt, da mit ihnen zentrale ideologische Bezugspunkte und wichtige Projektionsflächen wegbrechen, die für die identitätspolitische Selbstbestätigung der Szene eine zentrale Schlüsselfunktion eingenommen haben. Dies verdeutlicht sich auch in einem Statement der Redaktion von N.S. Heute, Nr. 19 aus dem November/Dezember 2019, das direkt auf Bellschan-Mildenburg und das Ulrichsberg-Treffen Bezug nimmt und die Leerstelle beklagt, die die „Erlebnisgeneration“ hinterlässt:

Der November ist traditionell der Monat des Gedenkens und des Erinnerns. Am Volkstrauertag gedenken wir all jenen, die während und nach den Weltkriegen für Deutschland starben, und am Totensonntag besuchen wir die Gräber unserer verstorbenen Angehörigen und Freunde. Noch leben auch einige Kameraden, die die Zeit des großen Völkerringens aktiv miterlebt haben – doch es werden leider immer weniger, erst vor wenigen Wochen starb unser lieber Kamerad Karl Münter aus Nordstemmen (Niedersachsen) im Alter von 97 Jahren. Unsere Gastautoren Alex, Christoph und Micha waren für uns beim diesjährigen Ulrichsberg-Gedenken in Kärnten, wo sie auf den letzten noch lebenden Lehroffizier der SS-Junkerschule Bad Tölz, Herbert Bellschan von Mildenburg, trafen.

Der Ahnenkult der extremen Rechten und das inszenierte Märtyrertum derer, die für das NS-Regime ihr Leben gelassen haben, verlangt gewissermaßen nach als authentisch wahrgenommenen Bezugspersonen wie Bellschan-Mildenburg, die der Lüge über den Nationalsozialismus durch ihren väterlich-autoritären Gestus erst den Schein von Wahrheit verleihen können. Zugleich stellt sich mit dem sukzessiven Versterben der Kriegsgeneration die Frage, wie die extreme Rechte diese stark integrierende Funktion der Ehemaligen zu füllen versuchen wird. Hinsichtlich der materiellen Dimension ist damit zu rechnen, dass überzeugte, auch noch nach 1945 für die deutsche Volksgemeinschaft kämpfende Akteur*innen ihr Erbe in der Szene verteilt haben und verteilen werden. Gerade jene, wie Gottfried Küssel oder Franz Radl jr., die sich seit vielen Jahrzehnten dem Kampf für die Wiedererrichtung des Deutschen Reiches einsetzen, dürften als geeignet betrachtet werden, das Vermächtnis der Alten weiterzuführen – auch wenn diese mittlerweile selbst gewissermaßen aus der Zeit gefallen sind. Ob die zweite Generation an Überzeugungstäter*innen über die gleiche politische Strahlkraft verfügt, wie ihre Vorbilder der Kriegsgeneration, wird sich erst zeigen, lässt sich aber doch bezweifeln.

Der KAB, die Kameradschaft der ehemaligen Angehörigen des Gebirgsjäger Regiments 139 (K 139) und die Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes (OdR)

KAB und K 139 bilden die eine Seite des Ehrenspaliers.

Wie bei dem alljährlichen rechtsextremen Treffen am Ulrichsberg waren auch zu Bellschan-Mildenburgs Begräbnis Kameradschaftsgruppen anwesend, die sowohl dem Österreichischen Kameradschaftsbund (ÖKB) als auch dem Kärntner Abwehrkämpferbund (KAB) zuzurechnen sind. Während sich sowohl der ÖKB als auch der KAB traditionell von rechtsextremen Aktivitäten distanzieren und behaupten, sie würden lediglich Gedenk- und Betreuungsarbeit für ihre älteren Kameraden leisten, bestätigt ihre Anwesenheit beim Ulrichsbergtreffen und ihre aktive Rolle bei dem Begräbnis des Waffen-SS-Veteranen Bellschan-Mildenburg, dass es sich um Verbände handelt, die aktiv am rechtsextremen Geschehen Österreichs partizipieren. In vollem Prunk, mit Fahne und Tracht marschierte der KAB unter der Leitung von Wilhelm Überfellner bei dem Gedenken auf, um das Zeremoniell nach den Trauerreden standesgemäß über die Bühne zu bringen. Schon in der Trauerhalle hatten es sich KAB, K 139 und K IV nicht nehmen lassen, neben der Urne im Appell zu stehen und Bellschan-Mildenburg die letzte Ehre zu erweisen und ihm Kränze zu spenden. Anwesend war Peter Stockner, der Obmann der K 139, sowie Thomas Schinnerl, der Schriftführer der Kameradschaft. Die K 139 ist ein aus ehemaligen Wehrmachtssoldaten bestehender Verband, der wie auch Bellschan an der Finnlandfront eingesetzt wurde und zentral in der Schlacht um Narvik aktiv war. Sie ist Teil der ÖKB-Sektion Kärnten und gut mit dem KAB und anderen Akteur*innen, die regelmäßig am rechtsextremen Ulrichsbergtreffen teilnehmen, vernetzt – so auch mit Peter Mussi, dem alten Herrn der aB! Tauriska zu Klagenfurt, der auch am rechtsextremen und mittlerweile verbotenen Ustaša-Gedenken in Bleiburg/Pliberk teilgenommen hatte und wie bereits erwähnt ebenso dem Begräbnis Bellschans beiwohnte.

Neben den beiden österreichischen Kameradschaften und der Kameradschaft IV nahm eine weitere elitäre NS-Ehrenkameradschaft, die Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes an dem Gedenken teil. Die im Jahr 1954 vom Generaloberst der deutschen Luftwaffe Alfred Keller gegründete Vereinigung besteht nur aus solchen Soldaten der Wehrmacht, Luftwaffe oder Marine, welchen das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes, sowie höhere Auszeichnungen, verliehen wurden. Die Orden wurden von Adolf Hitler persönlich ausgehändigt und die Ehrenträger firmierten als Propagandaidole und nahmen an öffentlichen Auftritten, Schulbesuchen und Veranstaltungen der Hitlerjugend teil – manche der Würdenträger besaßen sogar eigene Autogrammkarten. Die Ordensgemeinschaft ist als neonazistisch zu klassifizieren, die in ihren Statuten jene Personen hervorhebt, die sich in besonders großem Ausmaß an der Front für den Nationalsozialismus eingesetzt, oder als Propagandisten der Sache gedient haben. Delegationen der Ordensgemeinschaft nahmen regelmäßig am Ulrichsbergtreffen teil – ihr Erscheinen bei dem Begräbnis von Bellschan-Mildenburg verdeutlicht das hohe symbolische Kapital, über das dieser innerhalb der NS-Szene verfügt haben muss. Im Kontext der Ordensgemeinschaft muss zur Vollständigkeit hinzugefügt werden, dass bis zumindest 2022 der in St. Pölten ansässige Andreas Cesanka der erste stellvertretende Vorsitzende der Ordensgemeinschaft war, dann aber offenbar nicht mehr bestellt wurde und nun als reguläres Mitglied tätig ist. Mit den anderen Kameradschaften gemeinsam trat auch die Kameradschaft IV auf, deren Mitglied Bellschan-Mildenburg war.

Die K IV – rechtsextreme Kameradschaft und Schwesterorganisation der HIAG

Die K IV im Spalier gegenüber von KAB und K 139 am Vorplatz.

Bei dem Bundesverband der Kameradschaft IV handelte es sich um eine 1954 gegründete rechtsextreme Veteranenorganisation ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS, die sich in der Nachkriegszeit vor allem durch ihren Revisionismus und die Relativierung und Rechtfertigung der Taten und der Rolle der Waffen-SS im NS-System hervortat. Entgegen der Klassifizierung der Waffen-SS als verbrecherische Organisation durch den Internationalen Militärgerichtshof (IMG) im Rahmen der Nürnberger Prozesse, hielten die Repräsentanten und Mitglieder der K IV daran fest, es hätte sich bei den militärischen Verbänden der Waffen-SS neben Heer, Luftwaffe und Marine bloß um einen vierten Teil der Wehrmacht gehandelt – ein Rehabilitierungsversuch, der nicht nur hinsichtlich der Verharmlosung der Waffen-SS historisch falsch ist, sondern in doppelter Verleugnung außerdem die Beteiligung der deutschen Wehrmacht an der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten in deutsch-österreichischer Tradition zur Disposition stellte. Wie Anna Giulia Fink unter Verweis auf die historischen Primärquellen belegt, warnte bereits 1955 der Kärntner Friedensrat in einem Rundschreiben davor, dass „es sich bei diesem SS-Verband nicht um eine österreichische Kameradschaftsgruppe handeln kann, sondern um eine Gruppe zur Fortführung der großdeutschen Hitlertraditionen“ – eine Einschätzung, die sich auch heute noch bestätigt.

Trotz der Warnungen etablierte sich unter anderem durch die rege Unterstützung des Kameradschaft vom Edelweiß Mitglieds Balsius Scheicher, dem ehemaliger Vizebürgermeister von Klagenfurt und Mitbegründer der Ulrichsberggemeinschaft, die Kameradschaft IV als erfolgreicher Kameradschaftsverband in Österreich, der über eine hohe Zahl an Mitgliedern, die in relativ autonomen Ortsgruppen und Landesverbänden organisiert waren, verfügte. Als zentrales Publikationsorgan der K IV fungierte die von Günther M. K. Glotz herausgegebene und 2005 eingestellte Zeitschrift Die Kameradschaft, deren Inhalte im Rahmen einer Analyse durch das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) als rechtsextrem bis neonazistisch eingestuft und die Kameradschaft daher auch 1992 wegen der Überschreitung der Vereinsstatuten und rechtsextremer Tätigkeiten angezeigt wurde – eine Einschätzung, die im Übrigen der damals amtierenden Innenminister Franz Löschnak bestätigte, in dem er der Kameradschaft IV die Verharmlosung des NS-Regimes und die Glorifizierung der SS attestierte und eine vereinsrechtliche Überprüfung initiierte.

Auch wenn bezüglich dieser Charakterisierung der K IV weitgehend Einigkeit herrschte, wurde der Herausgeber von Die Kameradschaft, Günther Glotz, freigesprochen und ein Vereinsverbotsverfahren in Folge ruhig gestellt. Das Innenministerium versicherte vor diesem Hintergrund, die Kameradschaft weiterhin zu beobachten und bei neuen Indizien erneut gegen diese vorzugehen. Ein weiteres Vorgehen gegen die legalen Bundesstrukturen erübrigte sich aber insofern, als es im Oktober 1995 zu freiwilligen Selbstauflösung des Bundesverbandes kam. Für die Organisationsentwicklung des österreichischen Rechtsextremismus nach 1945 war infolge dieser Auflösung allerdings von Bedeutung, dass mit dem offiziellen Ende des Bundesverbandes nicht automatisch die Auflösung der relativ autonomen Landesverbände der Kameradschaft IV einherging.

Der politische Charakter der Kameradschaft IV zeigte sich auch an dem Umstand, dass diese entgegen der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS (HIAG), dem deutschen Pendant der K IV, nicht nur als Veteranenorganisation auftrat, sondern auch aktiv Mitglieder für den Verband rekrutierte, die nicht Teil der Kriegsgeneration waren. Dieser Erhaltungsanspruch führte 1991 durch eine Initiative des Landesverbandes Steiermark und Südburgenland auch zu einer Änderung der Vereinsstatuten, sodass neben ehemaligen Soldaten der Weltkriege nun insgesamt „ehemalige und aktive Soldaten“ Mitglieder werden konnten. Trotz dieser großflächigen Öffnung der Kameradschaft IV, nahmen über die Jahre die Mitgliedszahlen doch stark ab, sodass ab den 1990er-Jahren die Landesverbände sukzessive aufgelöst wurden: 1994 der Landesverband Tirol, 2005 der in Wien, 2008 der Landesverband Salzburg. Die einzige Ausnahme bildete der Landesverband Steiermark und Südburgenland, der bis heute besteht und Drehscheibe und Netzwerkknoten des organisierten Rechtsextremismus in Österreich und insbesondere in der Steiermark ist.

Die Kameradschaft IV Landesgruppe Steiermark-Südburgenland

Der K IV Landesverband Steiermark-Südburgenland nimmt innerhalb der Geschichte der Kameradschaft IV eine zentrale Rolle ein, handelte es sich doch stets um den aktivsten und mitgliederstärksten Landesverband der Kameradschaft IV, der mit dem oberösterreichischen Landesverband auch über die meisten Ortsgruppen verfügte. Der Landesverband Steiermark-Südburgenland war entgegen dem Bundesverband außerdem auch vor 1991 statutarisch für Mitglieder geöffnet, die nicht in den Weltkriegen dienten. In den Statuten des Verbandes werden Ziel und Zweck dabei in Paragraph 2 wie folgt bestimmt:

Förderung des traditionellen Kameradschafts, Vaterlands, Heimat und Kulturgedankens unter den ehemaligen Angehörigen aller Wehrmachtsteile der deutschen Wehrmacht und den Teilnehmern des I. Weltkrieges, sowie deren Angehörigen und Nachkommen, den Angehörigen und ehemalig Angehörigen des österreichischen Bundesheeres, Pflege der Kameradschaft unter den Mitgliedern, Zusammenarbeit mit Organisationen die der EuropaIdee dienen, sowie anderen Kameradschaften der Teilnehmer am I. und II. Weltkrieg, sowie am Kärntner Abwehrkampf.

Gerhard Kurzmann mit dem Neonazi und ehemaligen FPÖ-Lokalpolitiker Hans Ploderer.

Hinsichtlich der Mitglieder sind (neben dem derzeitigen statutarischen Leitungsgremium, bestehend aus: Ludwig Wagner (Vorsitzender), Walter Vortisch (Stv. Obmann) und Gustav Bayer (Stv. Obmann)) prominente Personen aus dem FPÖ-Umfeld wie der ehemalige FP-Landesparteiobmann Gerhard Kurzmann, oder der FPÖ-Gemeinderat und bürgerwehr-affine ehemalige Bundesheeroberst, Teutone und Publizist Helge Endres, vertreten. Gerade Gerhard Kurzmann wird uns in dieser Recherche noch an anderer Stelle begegnen, stellte er sich wiederholt schützend vor rechtsextreme und neonazistische Akteur*innen des steirischen Neonazi-Milieus und nahm stets eine zentrale Vermittlerrolle an der Schnittstelle der steirischen FPÖ zum organisierten außerparlamentarischen Rechtsextremismus ein.

Hans Ploderer mit „Skinheads Steiermark“-Shirt in der Silvana-Bar 2010.

Dass es sich gerade bei dem steirisch-südburgenländischen Ableger der Kameradschaft IV um einen intergenerationellen Verband handelt, in den relevante Akteur*innen der rechtsextremen Szene Österreichs eingebunden sind, die die revisionistische Tradition ihrer an der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie partizipierenden „Kameraden“ bis heute fortsetzen, konnte bei dem Gedenken an Bellschan gut beobachtet werden. Während die Gedenkstätte selbst mit den Wappen und Fahnen der Kameradschaft IV geschmückt war, salutierten neben den älteren Kameradschaftsmitgliedern auch zwei bekannte rechtsextreme Akteure, die fester Teil des in Österreich organisierten Neonazismus sind. Wenn sie nicht Mitglieder des revisionistischen Verbandes sind, so stehen sie doch zumindest in einem eindeutigen Naheverhältnis zu diesem: Hans Ploderer und Thobias Faethe.

Die Obersteiermark-Connection

 

Bei Hans Ploderer handelt sich um einen der führenden Köpfe der obersteirischen Neonazi-Szene und einen ehemaligen FPÖ-Funktionär, der bereits in den 2010er-Jahren wegen seines offenen Bekenntnisses zum Nationalsozialismus mediale Aufmerksamkeit erhielt. Die späten 2000er-Jahre waren in der Steiermark insgesamt durch das zunehmend militante und neonazistische Auftreten einiger RFJ-Mitglieder und Funktionäre sowie durch deren Kontakte in das subkulturelle Neonazi-Milieu geprägt, deren Aktivitäten von der damaligen FPÖ-Führungsriege rund um Gerhard Kurzmann, wenn nicht sogar geschützt, so doch eindeutig geduldet wurden – einige der zum Teil außerordentlich gewalttätigen Aktionen werden in dieser Recherche noch thematisiert werden, weil die damaligen Aktivisten heute noch Teil des organisierten Rechtsextremismus sind und bei dem Gedenken an Bellschan teilweise auch personell vertreten waren.

Zwei Exemplare der „Sammlung“ Ploderers.

In der Obersteiermark galt Mariazell zu dieser Zeit und inbesondere die von Silvana Wallmann, der damaligen Jugendreferentin der FP-Ortsgruppe Mariazell, geführte „Silvanabar“ als beliebter Szenetreffpunkt der regionalen Neonazi-Szene. Auf der Facebook-Seite der Bar konnte man Fotos von feiernden Skinheads mit T-Shirts der rechtsextremen Bands „Landser“, „Skrewdriver“ und auch „Faustrecht“ sehen. Einige der Neonazis wurden auch bei dem Zeigen des Hitlergrußes abgebildet. Von einem 2007 in der Silvanabar stattgefundenen Konzert der Neonazi-Band „Agiator“ tauchten weiters Fotos auf, die unter anderem Hans Ploderer zeigten, der in dieser Zeit auch als FP-Spitzenkandidat von St. Sebastian im Bezirk Bruck an der Mur kanditierte. Auf einem der Fotos war Ploderer in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Skinheads Steiermark“, dem steirischen Wappen und einem SS-Totenkopf zu sehen, die durch Recherchen von Grazer Antifaschist*innen an die Öffentlichkeit gelangten. In selbigen Recherchen wurde auch publik gemacht, dass Dominik Ungerböck, der Schriftführer der FPÖ-Ortsgruppe auf der Seite der FPÖ-Ortsgruppe selbst in einer Jacke mit Lorbeerkranz und der neonazistischen Zahlenkombination 88 („Heil Hitler“) posierte.

Lange Freundschaften prägen das obersteirische Neonazi-Milieu. V.l.n.r.: Ungerböck, Ploderer, Tobias Weissensteiner (siehe unten).

Bei den Skinheads Steiermark handelte es sich um eine konspirativ organisierte Gruppe nach dem Vorbild von Blood & Honour, die in der Steiermark und Umgebung Rechtsrock-Konzerte veranstaltete und sowohl im In- als auch Ausland an Szeneveranstaltungen teilnahm. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Hans Ploderer tonangebend in die Gruppe involviert war, tauchte sein Name in vielen Zusammenhängen, unter anderem auch im Rahmen eines Hacking-Angriffs, im Verzeichnis eines internationalen B&H-Forums auf. Ein weiterer Akteur der obersteirischen NS-Szene, der ebenfalls bei dem Gedenken an Bellschan neben Küssel und Konsorten teilnahm und in den letzten Jahren bei internationalen Neonazi-Vernetzungstreffen wie dem Tag der Ehre in Budapest im Gleichschritt mit Andreas Linhart identifiziert wurde, ist Martin Ploderer, der mutmaßliche Bruder von Hans Ploderer. Auch wenn die Obersteiermark vor allem in den 2010er-Jahren durch eine aktive Neonazi-Szene aufgefallen ist, belegt die Anwesenheit der Ploderer-Brüder, dass diese nach wie vor Teil der NS-Szene sind, auch wenn sie vorsichtiger geworden sind und nach außen hin nicht mehr mit derselben Militanz auftreten wie in ihren Jugendjahren.

Martin Ploderer (rote Jacke) neben Andreas Linhart 2020 beim Beginn des Ausbruchsmarsches.

Die Teilnahme an der Gedenkveranstaltung, internationalen Vernetzungstreffen der Neonazi-Szene und die Partizipation an Demonstrationen belegen, dass die obersteirische Zelle nach wie vor aktiv ist und auch gute Kontakte zu den „Ehemaligen“ pflegt – Hans Ploderer hat sich mehrmals mit Bellschan selbst ablichten lassen und fühlt sich offenbar dazu verpflichtet, sich in die revisionistische Tradition der „Erlebnisgeneration“ zu stellen. Neben den Kontakten zum Kameradschafts-Milieu sind die Ploderer-Brüder außerdem eng über obersteirische Kameraden aus der Jugendzeit mit neonazistischen Hooligans der Alten Garde (AG) des SK Rapids vernetzt. Dabei dürfte der Kontakt primär über drei Kameraden laufen, die – wie die Ploderer Brüder – aus der Obersteiermark stammen und wohl dem Skinhead-Milieu der Silvana-Bar zugerechnet werden können: Andreas Durchlaufer und eine Person, die unter dem Spitznamen „Zrissl“ bekannt ist, sowie Mario Schliber, der wohl nicht als Mitglied der AG aktiv ist, sich aber in deren Umfeld bewegt.

Während die obersteirischen Kameraden ihre Gesinnung mittlerweile nicht mehr mit der gleichen Aggressivität nach außen tragen wie in ihren Jugendjahren, besteht dennoch kein Zweifel hinsichtlich ihrer rechtsextremen Weltanschauung. Neben der Selbstbeschreibung als „Kategorie C“ und der Vernetzung in das rechtsextreme Hooligan-Milieu treffen sich die alten Kameraden auch gerne für Bergwanderungen oder Leistungsmärsche in den obersteirischen Wildalpen oder auch in Ungarn: Einem Foto kann etwa entnommen werden, dass Martin Ploderer, „Zrissl“ und Schliber im Rahmen der neonazistischen Festivitäten rund um den „Tag der Ehre“ am 10. Februar gemeinsam einen 60 Kilometer langen „Aufbruchsmarsch“ bestritten haben – gemeinsam mit dem ebenso aus Mariazell stammenden Neonazi Tobias Weissensteiner und dem hinlänglich bekannten Wiener Neonazi Wolfgang Lechner, der sich seit vielen Jahren im direkten Umfeld Gottfried Küssels bewegt. Die obersteirische Zelle rund um die Ploderers hat sich also keineswegs aus dem organisierten Rechtsextremismus zurückgezogen, sondern partizipiert weiterhin aktiv an neonazistischen Events und ist bestens in den organisierten Rechtsextremismus vernetzt.

V.l.n.r.: Schliber, Weissensteiner, „Zrissl“, Ploderer, Lechner.

Von der Danubia in die Ostmark

Die zweite Person, die neben Hans Ploderer mit den alten Mitgliedern der Kameradschaft IV bei der Gedenkveranstaltung für Bellschan salutierte, war Tobias Faethe, ein aus Deutschland stammender Neonazi, der nun schon seit einigen Jahren in der Steiermark lebt und in die dort ansässige völkische NS-Szene involviert ist. Faethe wurde in den letzten Jahren bei Veranstaltungen der Identitären Bewegung (IB), wie etwa der Demonstration am 16.11.2015 gemeinsam mit dem ehemaligen Grazer FP-Vizebürgermeister Mario Eustacchio, dem Identitären Peter Dingsleder und dem Grazer FP-Gemeinderat mit intensiven Kontakten in das neofaschistische Milieu Heinrich Sickl in Spielberg gesehen. Auch am bereits erwähnten Tag der Ehre im Jahr 2020 marschierte Tobias Faethe mit anderen österreichischen Neonazis wie Richard Pfingstl, Christoph Schober und Benni Wolf uniformiert und im Gleichschritt mit hunderten Neonazis aus ganz Europa durch Budapest. Für die Einordnung von Tobias Faethe ist weiters wichtig zu wissen, dass der als Entwicklungsingenieur bei Siemens Graz (mutmaßlich in der Suspensionsabteilung) tätige Aktivist bereits vor seinem Umzug nach Österreich in Deutschland rege in die organisierte extreme Rechte eingebunden war.

Vorne Faethe, rechts dahinter Schober, verdeckt hinter Schober, Wolf, mit Brille links hinter Schober Pfingstl beim Tag der Ehre 2020.

Faethe war Sprecher der Burschenschaft Danubia München, in der viele Rechtsextreme Kader wie Walter Post, Karl Richter, Michael Vogt und Hans-Ulrich Kopp Mitglieder waren bzw. sind. Die Burschenschaft Danubia wird vom bayrischen Verfassungschutz als „rechtsextremistische Organisation“ eingestuft und tat sich in der Vergangenheit nicht nur durch die rechtsextreme bis neonazistische Weltanschauung ihrer Mitglieder, sondern auch ihre Verbindungen zu rechtsterroristischen Akteur*innen hervor. Der im Jänner 2001 stattgefundene rassistische Mordversuch von 18 rechtsextremen Schlägern an dem Griechen Artemios T. ging etwa von Gästen einer gemeinsamen Feier des Danubia-Burschenschafters Reiner Mehr und dem Rechtsterroristen Martin Wiese aus. Auch der zu 6 Jahren Haft verurteilte Neonazi Christoph Schulte konnte sich im Haus der Danubia verstecken, bevor er sich in den Niederlanden absetzte um den deutschen Behörden zu entkommen. Dass Tobias Faethe Sprecher der Danubia war und nun in Österreich in die neonazistische Szene involviert ist, ist also alles andere als ein Zufall, sondern bestärkt die Einschätzung, dass es sich bei ihm um einen hochideologisierten und potenziell gefährlichen Neonazi mit guten Verbindungen nach Deutschland handelt.

Neben seiner Tätigkeit für die Burschenschaft Danubia München war Faethe außerdem laut der Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (a.i.d.a.) in der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) aktiv, einem neonazistischen Jugendverband der militärische Sommerlager für Kinder und Jugendliche abhielt und im März 2009 behördlich verboten wurde. Vor diesem Hintergrund ist es auch wenig verwunderlich, dass Faethe in Österreich Kontakte zu alteingesessenen Neonazis wie Gottfried Küssel und Franz Radl, aber auch jüngeren Aktivisten der NS-Szene wie Richard Pfingstl pflegt, die bereits als Jugendliche bei den Sommerlagern des 2007 aufgelösten Bund Freier Jugend (BfJ) teilnahmen – das österreichsiche Äquivalent zur HDJ und die Jugendorganisation der Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AFP), eine der zentralen Drehscheiben des organisierten Rechtsextremismus in Österreich nach 1945. Schon in der Zeit vor den behördlichen Vereinsverboten bestanden grenzübergeifende Kontakte zwischen den beiden neonazistischen Jugendorganisationen. Im Falle der in dieser Recherche behandelten Akteur*innen, bestehen diese auch heute noch.

Alpen-donau.info Graz und Wien – Abwesenheit mit Ausnahmen

Dass auch Neonazis aus der Organisationsriege von alpen-donau.info beim Begräbnis von Bellschan-Mildenburg Präsenz zeigen würden, war durchaus erwartbar – hervorgehoben werden sollte aber eher die auffallende Abwesenheit vieler amtsbekannter Akteur*innen aus diesem Umfeld. Dass es sich weder Gottfried Küssel noch Franz Radl jr. nehmen lassen würden, beim Heldengedenken teilzunehmen und gemeinsam mit dem jungen Neonazi, der aus den Reihen von SoJ und CQ stammt, aus Wien in Küssels Dacia anzureisen, liegt auf der Hand. Küssels Auftritt lässt ferner ahnen, dass er sich weiterhin als Führer des österreichischen Neonazismus fühlt und inszeniert und Radl nach wie vor in der ihm seit jeher zugeteilten Rolle des „Leibfuchs des Küssel“ agiert – wie es in alten Ermittlungsakten hieß. Dennoch ist im Falle Wiens auffällig, dass zahlreiche langjährig aktive Kader absent waren: So etwa Wolfgang Lechner, Andreas Linhart, Paul Blang, Thomas Cibulka sowie diverse deutschnational-nazistische Burschenschafter, die sich im Umfeld Küssels bewegt haben. Womöglich versuchen die genannten Personen nicht allzu auffällig am Szene-Geschehen mitzumischen, stehen sie doch aktuell am Radar der Behörden und müssen beziehungsweise mussten sich vor dem Gericht verantworten.

Entgegen der Abwesenheit vieler amtsbekannter Neonazis war der ebenso bereits seit vielen Jahren als rechtsextremer Aktivist bekannte Christoph Schober aus Graz-Umgebung angereist, dessen politische Aktivitäten so wie die der obersteirischen Neonazis rund um Hans Ploderer in den 2010er Jahren das erste mal dokumentiert wurden. Der am 30. März 1990 in Graz geborene und aktuell als Stahlbautechniker in Gratwein arbeitende Christoph Schober bewegte sich in seinen Jugendjahren im Umfeld der steirischen Neonazi-Aktivisten von Alpen-Donau.info und war maßgeblich an den brutalen Attacken im Rahmen einer Geburtstagsfeier am 30. Jänner 2010 in dem Grazer Lokal Zeppelin und den Übergriffen bei einem Public-Viewing-Event im Rahmen des WM-Spiels Deutschland gegen Ghana am 23. Juni 2010 in der Grazer Innenstadt beteiligt. Schon im Mai 2009 waren RFJ-Mitglieder in Bomberjacken am Grazer Hauptplatz bei einer FPÖ-Kundgebung mit Hitlergrüßen aufgefallen, bevor sie mit dem vielfach erwähnten FP-Landesobmann Gerhard Kurzmann Bier trinken gingen. Obwohl Kurzmann während der Kundgebung neben den RFJ-Nazis fotografiert wurde, wollte er auf Medienanfragen nichts über die Hitlergrüße seiner jungen Kameraden wissen – ein altbekanntes Muster.

Zu den Attacken unter Schobers beteiligung selbst: Gemeinsam mit u.A. dem ehemaligen RFJ-Mitglied und amtsbekannten Neonazi Richard Pfingstl, dem ehemaligen Obmann der RFJ-Deutschlandsberg, Burschenschafter und mittlerweile im Umfeld der Identitären Bewegung angekommenen Stefan Juritz, seinem ebenso korporierten Bruder Christian Juritz und dem Neonazi-Kickboxer Gerhard Taschner attackierte Schober am Abend des 30. Jänner 2010 mehrere Personen, die sich bei einer Geburtstagsfeier in dem Grazer Lokal Zeppelin zusammengefunden hatten. Als Reaktion darauf, dass die Geburtstagsgäste den Anti-Nazi-Song „Schrei nach Liebe“ abspielten, positionierten sich die halbuniformierten Neonazis mit gehobenem Arm in dem Lokal und antworteten mit dem verbotenen Horst Wessel Lied und Heil-Hitler-Rufen. Daran anschließend griffen die Neonazis die Partygäste an und fügten diesen durch gezielte Faustschläge und Tritte gegen den Kopf und Oberkörper schwere Verletzungen zu. Das Resultat der brutalen Attacke: Nasenbeinbruch, der Bruch beider Augenhöhlen, der mehrfache Bruch des Nasenbeines, Prellungen und Blutergüsse bei einem der Opfer sowie zahlreiche Prellungen und Blutergüsse bei den anderen und schwere psychische Folgeschäden bei den Attackierten bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung.

Auch hier herrschen lange Bekanntschaften vor: Ganz rechts Taschner neben dem jungen Pfingstl, im braunen Hemd Küssel und neben ihm Budin bei einem Sommerlager des BfJ 2010.

Dass es sich bei diesem Übergriff um keinen spontanen Raufhandel handelte, sondern um die vorsätzliche politische Gewalt militanter Neonazis belegt der Umstand, dass einige der Beteiligten inklusive Richard Pfingstl und Christoph Schober bereits am 23. Juni 2010 bei einem Public-Viewing-Event erneut zuschlugen. Die Parolen „SS-SA die Wehrmacht ist da“, „SS-SA wir sind wieder da“ rufend attackierten die Neonazis einen Zuseher bei dem Event und fügten ihm unter Todesdrohung eine schwere Körperverletzung zu. Seit den Attacken sind 12 Jahre vergangen und doch sind einige der damals militant auftretenden Aktivisten nach wie vor aktiv. Christoph Schober wurde etwa gemeinsam mit Richard Pfingstl und dem Neonazi-Nachwuchs der Roten Armee Graz (RAG) rund um Benni Wolf, einem großteils rechtsextremen Fanclubs des Grazer GAKs, in alpen-donau.info-Shirt beim Schild und Schwert-Festival im April 2018 in Ostritz gesehen (auch wenn Schober selbst eine Jacke über seinem T-Shirt trägt, ist davon auszugehen, dass er ebenso den alpen-donau.info-Aufdruck trug, hatten alle anderen angereisten Kameraden doch dasselbe T-Shirt an). Wäre dies nicht ohnehin Beweis genug, reiste Schober mit Pfingstl und Wolf zum „Ausbruchsmarsch“ während der „Feierlichkeiten“ rund um den Tag der Ehre 2020 nach Budapest, um die 60 Kilometer in paramilitärischer Kleidung zu bestreiten. Auch Christoph Schober ist also ein alter Bekannter, der nach wie vor im rechtsextremen Milieu mitmischt und an internationalen Großevents der Neonazi-Szene und klandestinen Gedenken wie der an den Waffen-SS-Veteranen Bellschan-Mildenburg partizipiert.

Hier besser sichtbar: Wolf neben Pfingstl, davor wieder Schober und Faethe.

Neben Christoph Schober war ein weiterer rechtsextremer Aktivist aus Graz beziehungsweise Graz-Umgebung bei dem Gedenken an Bellschan-Mildenburg anwesend: Peter Dingsleder. Wie die Kolleg*innen von Recherche Graz bereits aufgearbeitet haben, bewegte sich Peter Dingsleder seit ihrer Gründung 2012 in den Strukturen der steirischen Identitären Bewegung. Dingsleder nahm bei so gut wie allen Aktionen der IB in der Steiermark teil und wurde wegen der Besetzung der Grünen Parteizentrale auch im Rahmen der IB-Prozesse angezeigt. Er agierte als Kassier des identitären Verein für nachhaltige Völkerverständigung und Jugendarbeit und nahm innerhalb der IB Steiermark eine zentrale Rolle ein. Entgegen den meisten rechtsextremen Akteur*innen aus der Steiermark war/ist Dingsleder nicht innerhalb der RAG des GAKs organisiert, auch wenn er mit deren Umfeld über den organisierten Neonazismus Kontakt hat, sondern kommt aus dem Umfeld der Leibnitzer SK Sturm Fan-Szene (SWS), wurde aber schon seit längerem nicht mehr im Stadion beziehungsweise in Fußballzusammenhängen gesehen.

Stockner nach dem Gespräch mit Dingsleder, direkt hinter der Gruppe um Küssel.

Neonazismus aus Leipzig: Familie Larisch und Bellschan-Mildenburg

Dass die alpen-donau.info-Kerngruppe aus Wien Kontakte nach Deutschland hat, ist bekannt. Im gegenständlichen Fall beschäftigt uns konkret jene Connection von Gottfried Küssel nach Leipzig, die schon oft zu Zusammenkünften am Ulrichsberg führte: Zentraler Knotenpunkt ist der Leipziger Neonazi Riccardo Sturm, der neben Küssel auch Hans-Jörg Schimanek jr. zu seinen Bekannten zählt. Schimanek jr., der schon seit seiner vorzeitigen Haftentlassung 1999 in Sachsen wohnhaft ist, betreibt eine Baufirma in Leipzig Lindenthal, ist aber seit seinem letzten Auftritt am Ulrichsberg kaum mehr öffentlich zu sehen. Die Genese Sturms sparen wir hier aus, wollen aber auf die zahlreichen Artikel im AIB zur Person Sturms verweisen – wichtig ist für die vorliegende Analyse seine Begleitung am Ulrichsberg 2017: Dort erschien er u. a. mit dem Leipziger NPD-Langtagsabgeordneten Nils Larisch und dessen Ehefrau Conny Larisch.

Larisch ist im Raum Sachsen durchaus als Szenegröße zu begreifen und sein neonazistischer Werdegang lang: politischer Ursprung in der neonazistischen Hooligangruppierung Blue Caps Lok, darüber hinaus Mitbegründer von Lokomotive Leipzig, über die Szene Kontakt zum Blue Caps-Capo Enrico Böhm. Auch Böhm ist in der NPD aktiv, genauer in der Odermannstraße 8, saß für die NPD im Leipziger Stadtrat und betreibt den nazistischen Buchversand Der Schelm. 2014 dann tritt Larisch mit dem Leipziger Neonazi Mirko Beier als Organisator eines Lunikoff Verschwörung-Konzerts in Zobes, Sachsen, auf – er wickelt den Kartenvorverkauf selbstständig ab, während die Rechte das Konzert offiziell ausrichtete. Dass Larisch mit der Band mehr als nur die Organisation dieses Events verbinded, beweist seine Leitung des in Leipzig ansäßigen Hermannsland-Versandes: Offizielle angemeldet hat das Label zwar ex-Spreegeschwader-Mitgründer Alexander Gast, der nun mit Michael Regener bei Lunikoff Verschörung spielt, im Impressum allerdings wird als Betreiber Nils Larisch und die Odermannstraße 8 genannt – Larisch dürfte so eine durchaus zentrale Rolle im Vertriebsnetzwerk von Regener einnehmen.

Dass Larisch seine politische Agitation offenbar auch auf das Unterstützen von bedeutenden Altnazis ausdehnt, zeigt u. a. die Lancierung einer Kampagne für den Kriegsverbrecher und ehemaligen SS-Hauptsturmführer Erich Priebke: Im Rahmen einer Reihe von „Zeitzeugen“-Vorträgen in der Odermannstraße 8 präsentierte Larisch die Kampagne „Freiheit für Erich Priebke“, bewarb u. a. Solidaritäts-Shirts und einen eigens etikettierten Wein, der sich – besonders originell – „Erich Priebke Wein“ nannte. Larischs Kampagne endete unfreiwillig erfolglos, als Priebke 2013 verstarb. In diesen Rahmen passt auch die Beziehung der Familie Larisch zu Bellschan-Mildenburg: Auffälig ist, dass Larisch beim Verlassen der Zeremonienhall weint – als einziger (und Nicht-Familienanghöriger, wie etwa Elke Bellschan-Mildenburg). Schon 2017 hatte Larisch fröhlich zusammen mit Bellschan-Mildenburg und Sturm am Ulrichsberg posiert – offenbar waren die Verbindungen Larischs zu Bellschan ausführlich und gut. Das verdeutlicht auch der Kranz, den die Familie eigens spendete, in den Farben der Reichskriegsfahne und mit letzten Wünschen von „Nils und Conny“.

Nachbetrachtung und Ausblick

Was bleibt vom Begräbnis des einflussreichen „Zeitzeugen“ der Waffen-SS ist zweifelsohne die Bestätigung, wie intergenerationell und transnational vernetzt die rechtsextreme Szene Österreichs ist und dass es weiterhin wenige Bruchlinien zwischen Kameradschaften von Ehemaligen, neonazistischen Aktivist*innen, die sich schon seit den Anfängen der transnationalen Organisation rund um die NSDAP-AO nazistisch betätigen und einer jungen Generation, die sich durch hohe Gewaltaffinität und einen starken direkten ideologischen Bezug auf den NS auszeichnet, gibt. Ganz im Gegenteil werden bei Veranstaltungen wie dem Gedenken an Bellschan-Mildenburg personelle Kontinuitäten und Überschneidungen sichtbar, die den organisierten Rechtsextremismus in Österreich kennzeichnen. Wichtig ist auch die Feststellung, dass solche Szene-Veranstaltungen deutlich werden lassen, dass sich viele der langjährig Aktivist*innen vielleicht oberflächlich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen haben, aber nach wie vor einer neonazistischen Weltanschauung anhängen, sowie weiterhin Kontakte in den organisierten Rechtsextremismus pflegen.

Der Fall Rudolf Prinesdomu – ein neonazistischer Bombenbauer und sein Netzwerk

Erschienen in der neue mahnruf 2022.

Donnerstag, 31. März 2022, an einem regnerischen Morgen in Eisenstadt: Im Saal 1 des Landesgerichtes wird der Fall des 78-jährigen Rudolf Prinesdomu an nur einem Prozesstag, der insgesamt mehr als zwölf Stunden in Anspruch nehmen wird, verhandelt. Angeklagt war Prinesdomu aufgrund mehrerer schwerwiegender Straftatbestände: nach dem Verbotsgesetz und wegen Wiederbetätigung (§3g VbtG), dem Suchmittelgesetz (§28b SMG), wegen Verhetzung (§283 Abs. 1 Z 1 StGB), nach dem Waffengesetz (§17 Abs. 1 Z 3-4 WaffG) sowie wegen der Vorbereitung eines Sprengmitteldelikts (§175 Abs. 1 StGB). Mitangeklagt war darüber hinaus auch Prinesdomus Sohn Timotheus M., der im Rahmen des Suchtmittelkomplexes als Mittäter geführt worden ist. Konkret ging es im SMG-Komplex um den Anbau von Cannabis in Form einer eigenen Plantage, um den Eigenbedarf (Prinesdomu nahm regelmäßig Cannabis zu sich, ebenso M.) als auch den Bedarf von Bekannten und Kameraden zu decken. Im Raum stand auch, dass Prinesdomu damit aktiv Profit erwirtschaften wollte – was jedoch nicht bewiesen werden konnte.Schon die Verlesung der Anklage machte deutlich, dass das bis zum Exzess bemühte Bild des Einzeltäters, der aus eigenen Stücken und ohne Hilfsnetzwerk agiert, erneut in Stellung gebracht wird: Prinesdomu sei zwar eindeutig neonazistisch, jedoch „lediglich“ ein vereinsamter Pensionist, ein sich auf den falschen Weg begeben habender Eigenbrötler, der abgeschottet mit seiner Frau in seinem Haus im Bezirk Eisenstadt-Umgebung lebt. Wieder einmal überführt die StA Rechtsextremismus in ein losgelöstes Vakuum, das abseits der Gesellschaft und ihrer Verfasstheit existieren und um jeden Preis nichts mit vorhandenen rechtsextremen Strukturen in Österreich zu tun haben soll. Dass das in keiner Weise der Fall gewesen war, zeigten jedoch die Zeug*innenaussagen, im Besonderen aber die Ermittlungen des burgenländischen LVT, die auf Prinesdomu überhaupt erst aufmerksam geworden waren, weil sie die Social-Media-Kanäle der „Identitären Bewegung“ (IB) und deren Tarnorganisationen beobachteten.

Die biografische Geschichte des Angeklagten, die die StA nur sehr bedingt aufgearbeitet hatte, birgt dabei zahllose Beweise wie Indizien, dass Prinesdomu alles andere als schlecht vernetzt gewesen ist in der rechtsextremen Szene Österreichs. Einigermaßen rekonstruiert werden kann der Lebensweg des Angeklagten ab dem Jahr 2007, wo er als FPÖ-Ortsparteichef fungierte. Damals fiel Prinesdomu erstmals medial auf, weil er wegen Besitzes und Weitergabe von Kinderpornografie sowie wegen Besitzes einer illegalen halbautomatischen Waffe angeklagt und verurteilt worden war (die Strafe war juristisch irrelevant, da schon verjährt). Danach – Zeitraum unbekannt – tauchte Prinesdomu als Kassier bei der neonazistischen „Nationalen Volkspartei“ (NVP) auf: Kontakt hatte er v. a. zum oberösterreichischen Neonazi und NVP-Vorstandsmitglied Stefan Schmalnauer, der bis April 2011 als Bundeskassier bei der NVP tätig gewesen war. Stefan Schmalnauer (momentan in Haft in der JV Wels) war jedoch nicht der einzige NVP-Angehörige, zu dem der Angeklagte regelmäßigen Kontakt pflegte. Die mehrwöchige Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) der beiden Angeklagten durch das LKA und LVT ergaben darüber hinaus intensiveren Kontakt zum langjährigen NVP- und JNVP-Aktivisten Mario Aulabauer, der erst November 2020 erneut zu einer vierjährigen Haftstrafe wegen Wiederbetätigung verurteilt worden ist, die er immer noch nicht angetreten zu haben scheint. Diesen hatte der Angeklagte auch privat in Wr. Neustadt besucht, wo – laut Aussage von M. – Mario Aulabauer ihm u. a. Cannabis abgenommen haben soll, zum Teil auch in größeren Mengen (unbewiesen).

Wird das Social Web von Prinesdomu näher beleuchtet, das dieser sowohl für Recherchen als auch rechtsextreme, verhetzende Propaganda oftmals und intensiv nutzte, findet sich auch Interaktion mit dem ebenso im NVP-Vorstand aktiven Wolfgang B. (in den Freund*innenlisten des Profils finden sich mehrfach NVP-Kader). B. ist seit Jahrzehnten in neonazistischen und rechtsterroristischen Kreisen aktiv: Schon 1968 war er an der „4. Phase“ des sogenannten „Südtirol-Terrorismus“ beteiligt und hatte direkten Kontakt zu Georg Klotz, einem Führungsmitglied des „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS). B. hatte 1968 mit zwei (unterschiedlichen) Mittätern versucht, eine Telefonleitung sowie Oberleitungen der Bahn in Südtirol zu sprengen – nach der Verurteilung von B. zu einem Jahr „schwerem Kerker“, führte B. sein rechtsextremes Treiben ungehindert weiter. Dass Verbindungen nach Südtirol bestanden haben, bestätigte Prinesdomu auch selbst: Er hatte laut seiner Aussage Kontakt zu dort ehemals aktiven „Freiheitskämpfern“, hatte von diesen auch Devotionalien und weitere Objekte (nicht näher ausgeführt) übernommen.

Im Kontext der NVP ist auch die Zeit, die der Angeklagte in Ungarn verbracht hat, von besonderer Bedeutung. Weder die StA, das LVT, noch der Angeklagte selbst konnten angeben, in welchem exakten Zeitraum respektive wie lange Prinesdomu dort tatsächlich gelebt hat. Prinesdomu selbst machte konfuse Aussagen, entzog sich jeder Konkretisierung und mimte den vergesslichen Pensionisten. Dass Prinesdomu ein gekonntes performatives Spiel inszenierte, wurde spätestens nach der ersten Unterbrechung des Prozesses deutlich: Abseits der Geschworenen, StA und Richterin scherzte er mit seiner Rechtsanwältin, verhielt sich locker und teils jovial – kaum auf der Anklagebank, wurde ein gebrechlicher Pensionist offenbar, der in Tränen ausbrach, als er an seinen Vater, der im 2. Weltkrieg fiel, dachte und sich am Tisch entlang in den Zeug*innenstand hievte. Dennoch erzählte Prinesdomu schlussendlich, dass er in Ungarn mit zehn weiteren deutschsprachigen Personen kommunal gelebt hätte. Der Zeitraum, den Prinesdomu dann dennoch auf Nachfrage der StA als Schätzung preisgab, belief sich auf 2017 bis 2019, danach kehrte er zurück nach Österreich. In weiteren Kontext gesetzt: 2017 war auch der greise Neonazi Gerd Honsik nach Sopron gezogen, Horst Mahler taucht dort etwa zur gleichen Zeit auf. Der Angeklagte selbst bezeichnete während seiner Aussage zumindest einen seiner Nachbar*innen in Ungarn als „richtigen Rechtsextremen“. Dieser Nachbar betrieb laut Aussage von Prinesdomu auch eine kleine „Serverfarm“, mit der er „seine Ideologien“ [Anm.: gemeint die des Nachbarn] verbreitete. Die NVP wiederum zeichnete sich v. a. auch dadurch aus, dass sie vehement gegen das Verbotsgesetz agitierte und eine Solidaritätskampagne für Gerd Honsik lancierte – Prinesdomu teilte darüber hinaus auch des Öfteren Reime, Verse und Sprüche auf seinem Facebook-Profil, die er von Honsiks ehemaliger Website „radio-honsik.info“ (man beachte die strukturelle Analogie zur „alpen-donau.info“-Domain) kopierte.

Wieder in Österreich angekommen, orientierte sich Prinesdomu – die NVP hatte ihre Bedeutung ja schon Anfang der 2010er-Jahre rapide eingebüßt, Honsik war verstorben, Gottfried Küssel noch in Haft – neu: Schnell knüpfte er Kontakte zur Identitären Bewegung, vor allem zum steirischen Projekt „Kulturfestung“. Obmann des „Kulturvereins Kreidfeuer“, der die „Kulturfestung“ legalistisch betreibt, ist der langjährige IB-Aktivist Erik Freischütz Dieser war mindestens drei Mal bei Prinesdomu zu Hause, einmal hatte er nachweislich (entging mittels Diversion einer Verurteilung) die abgesägte Pumpgun, die Prinesdomu illegal nebst anderen Waffen besaß, in der Hand. F., der auch als Zeuge im Prozess geladen war, spielte ebenso – wenn auch wesentlich weniger glaubwürdig – den Unwissenden: Er könne sich an Nichts mehr erinnern, weder wie oft er den Angeklagten bei diesem zu Hause besucht, noch ob er die Waffe tatsächlich in der Hand gehalten hatte. Durch die bei der Hausdurchsuchung sichergestellten Materialien und die TKÜ ist jedoch klar: Es bestand enger privater und politischer Kontakt zwischen dem Angeklagten und Freischütz; aber auch zwischen dem Angeklagten und Harald Peter Wiedner, ebenso ein langjähriger Kader der IB Steiermark (und gleichermaßen in der „Kulturfestung“ aktiv). Des Weiteren belegten die TKÜ und Aussagen von M. auch, dass Prinesdomu mit seiner Frau mehrmals zu Veranstaltungen der Kulturfestung reiste, um dort u.a. „die alten Lieder“ zu singen; darüber hinaus war Prinesdomu laut StA auch bei Kundgebungen und Demonstrationen der IB mitanwesend.

Doch Prinesdomu ging es um mehr, als den teils stark von Symbolaktionen abhängigen Rechtsextremismus der IB: Neben den Waffen und Materialien zum Rohrbombenbau fanden sich zahllose NS-Devotionalien, ein digitaler Ordner mit 1.038 Hitler-Bildern und -Videos, sowie gerahmte Portraits der Rechtsterrorist*innen Franz Fuchs, Beate Zschäpe und Anders Breivik. Darüber hinaus fanden Ermittler*innen eine minutiös zusammengestellte manifestartige Ordnerstruktur: „Nationale Wehrkraft“ lautete der Titel. Dieses sei als eine Art Handbuch „für den rechten Aktivisten“ konzipiert: In der Einleitung appellierte er an die „viribus unitis“ der Rechten und warnte Nachahmer*innen vor Risiken; im Hauptteil fanden sich dann Anleitungen zum sicheren Arbeiten an Terrorakten und Anschlägen, Vorsichtsmaßnahmen gegenüber staatlicher Überwachung, Anleitungen zur sauberen Durchführung von Bombendrohungen, zur Rohrbomben- und Handgranatenherstellung, Herstellung von Zündern und Sprengstoff, Erzeugung simpler biologischer Kampfstoffe, Manipulation von Alltagsgegenständen, um Personen zu schaden oder zu ermorden. Das LVT kam in den Ermittlungen zum Schluss, dass der dringende Verdacht bestehe, dass es sich hierbei um ein ideologisches Analogon zur „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ (BBA) im Fall Franz Fuchs handle – also einen Überbau für neonazistischen Terror. Dass der Angeklagte Prinesdomu nicht nur hypothetisch über neonazistischen Terror sinniert hat, zeigte sich anhand einer von ihm im nämlichen Ort in Ungarn durchgeführten Probesprengung: Der Tötungsradius der Rohrbombe – gefertigt nach den Anleitungen, die in der „Nationalen Wehrkraft“ abgebildet waren – beträgt laut Gutachten eines*r Sachverständigen 15 Meter. Obgleich Prinesdomu zweifelsfrei zur Tat schreiten wollte, müssen die Behauptungen, er habe einen konkreten Anschlag in Wien geplant, zumindest aus der Kenntnis des Prozesses zurückgewiesen und als falsche Effekthascherei kritisiert werden. Doch dies macht Prinesdomu nicht weniger gefährlich – gerade seine multiplen Vernetzungen beweisen, wie verwoben rechtsextreme Netzwerke in Österreich sind und wie klandestin sie oftmals in den ländlichen Gebieten agieren.

Aktuelle Trends und Entwicklungen innerhalb der österreichischen Kampfsport-Szene

Im Jänner 2022 fanden die diesjährigen IMMAF World Championships in Abu Dhabi statt, die jährlich von einer der größten internationalen Dachorganisationen des Mixed Martial Arts Sports, der International Mixed Martial Arts Federation veranstaltet werden. Auch das österreichische MMA-Nationalteam (AUTMMAF) reiste mit seinem Kader an, um in der Zayed Sports City in den Vereinigten Arabischen Emiraten an den Wettkämpfen teilzunehmen. Einer der Kämpfer des österreichischen Teams war der 31-jährige Daniel Schordje, der bei der IMMAF-Weltmeisterschaft in der MMA-Leichtgewichtsklasse antrat. Bei Schordje handelt es sich nicht nur um einen ambitionierten Kampfsportler, der von seinen Haupttrainern, den Ettl-Brüdern aus Graz, für seinen baldigen Wechsel in den Profi-Status unterstützt wird, sondern außerdem um einen seit vielen Jahren in die neofaschistische Szene Österreichs involvierten Aktivisten. Schordje war bereits 2015 der mittlerweile formal nicht mehr existierenden „Identitären Bewegung Österreich“ (IBÖ) in Wiener Neustadt beigetreten und pflegte zudem über seine rechtsextremen IB-Kameraden intensive Kontakte zur Führungsriege der neonazistischen Hooligan-Gruppe „Unsterblich Wien“ des FK Austria Wien, worüber die Kolleg*innen von Recherche Wien berichtet haben.

In unserer ursprünglichen Recherche zu rechtsextremen Kampfsport, Biker-Kriminalität (MC) und neonazistischen Vernetzungen in Österreich, haben wir auf Daniel Schordje und die breite Akzeptanz rechtsextremer Akteur*innen im österreichischen Amateur*innen- und Profikampfsport hingewiesen. Obwohl Kampfsport seit jeher und mittlerweile zunehmend breitenwirksam von rechtsextremen Akteur*innen unterschiedlicher Couleur genutzt wird, um sich auf den politischen Kampf auf der Straße vorzubereiten, politische Aktivitäten und Strukturen zu finanzieren und als Rekrutierungsbecken für „erlebnisorientierte“ Jugendliche wie auch junge Erwachsene zu nutzen, weigern sich bis heute große Teile der österreichischen Kampfsport-Szene etwas gegen diese Dynamik zu tun. Kommerzielle Interessen gepaart mit Gleichgültigkeit und mangelndem politischen Bewusstsein führen so dazu, dass der österreichische Amateur*innen- und Profikampfsport zunehmend von rechtsextremen Akteur*innen unterwandert wird. Seit unserer initialen Recherche hat sich an diesem Umstand leider Nichts geändert: Immer noch können sämtliche von uns publik gemachten Rechtsextremist*innen oder jene, die rechtsextreme Kampfsportler*innen hofieren und unterstützen, weiterhin öffentlich auftreten – und das teilweise international. Der folgende Bericht ist weniger als Recherche, denn als Update zu verstehen, in dem wir aktuelle Entwicklungen im österreichischen Kampfsport beleuchten und erneut auf die Verquickungen des Kampfsport-Milieus mit dem organisierten Rechtsextremismus hinweisen wollen. Neben einer Einordnung Daniel Schordjes vor dem Hintergrund seines politischen Werdegangs werden weitere Kampfsportler*innen aus dem Umfeld der Identitären Bewegung und dem neonazistischen Hooligan-Milieu Österreichs, sowie die innerhalb des Kampfsports maßgeblich für diese Entwicklung verantwortlichen Akteur*innen diskutiert.

Daniel Schordje – Neofaschist am Sprung in den Pro-MMA-Status

Daniel Schordje betreibt nun mindestens seit 2013/2014 MMA und dürfte sein Training in Kampfsport-Zentren im Raum Wiener Neustadt begonnen haben. Seit mindestens 2015 war er zugleich in der Identitären Bewegung Österreich aktiv und kann als einer der am stärksten in die IB integrierten Personen aus der rechtsextremen Szene Wiener Neustadts angesehen werden. Bereits 2016 wechselte er für das MMA-Training in das einschlägig bekannte „Gym 23“ in Wien Liesing, in dem unter anderem die Mitglieder des neonazistischen „Blood & Honour Wien“ Netzwerkes Isabella Kordas und Petar Helmer trainiert hatten. Die beiden Aktivist*innen der österreichischen Neonazi-Szene pflegten beste Kontakte zum oberösterreichischen „Objekt 21“ und hielten im sogenannten „Gasthof zur Alm“ in Wien Leopoldstadt Rechtsrock-Events ab, um sich unter anderem mit dem wegen Mordes verurteilten Neonazi Jürgen Kasamas zu solidarisieren. Kasamas trainierte im Übrigen gemeinsam mit André Herold, B&H Vienna-Exponent und zeitweiliger Chef des besagten Gasthofs zur Alm im Kampfsport-Zentrum „Bulls Gym“ in Wien Donaustadt – ein Umstand, der die Kontinuität der Verstrickung rechtsextremer Akteur*innen in den Kampfsportbereich illustriert.

Der rechtsextreme MMA-Kämpfer Daniel Schordje partizipierte seit seinem Einstieg in die Identitäre Bewegung an fast allen öffentlichen Aktionen und Demonstrationen dieser im Zeitraum von 2015 bis 2019 und nahm so auch an der Störung der „Refugees Welcome“-Demonstration 2015 in Traiskirchen, dem gewalttätigen Überfall auf die Inszenierung von Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ durch geflüchtete Menschen im Audimax der Universität Wien 2016 sowie als Ordner auf mehreren Demos der Identitären Bewegung teil. Gleichzeitig scherte die IB-Sektion Wiener Neustadt, in die Schordje maßgeblich involviert war, von Anfang an aufgrund ihres militanten Auftretens und ihrer Gewaltbereitschaft aus dem nach außen hin zivilgesellschaftlich inszenierten Aktionismus (2015-2020) der Sellner-Brüder aus. Die Klientel des Wiener Neustädter Ablegers entsprach nicht dem klassischen Milieu, in der die IB Wien rund um Martin Sellner rekrutierte: Schon die Gründungsfiguren in Wiener Neustadt waren allesamt in rechte Hooligan-Szenen vernetzt und standen gewissermaßen im Widerspruch zu dem gehobenen, elitären Auftreten gut bemittelter, rechtsextremer Burschenschafter und Studierender in Wien.

Daniel Schordje, sein Bruder Philipp Schordje und der Viola Fanatics-Hooligan Mario Weiß sowie der SC Wiener Neustadt-Hooligan Johnny Mühlmann fielen von Anfang an mit ihrem aggressiven und radikal-nationalistischen Habitus auf. Typische Neonazi-Tattoos waren in diesem Milieu immer noch Standard, martialisches Auftreten und Fokus auf Kampfsport keine Seltenheit. Erst kürzlich fiel Johnny Mühlmann wieder auf, weil er linke Sticker mit Keltenkreuz-Klebern, die denen im neonazistischen Unwiderstehlich-Design stark ähneln, überklebte und diese „Aktion“ online teilte. Daniel Schordje partizipierte mit Mario Weiß und Johnny Mühlmann außerdem nicht nur an Aktionen der IB, sondern scheute sich auch nicht davor zurück, 2019 etwa bei einem Aufmarsch der neonazistischen Kleinstpartei „Die Stimme“ rund um den ehemaligen RFS-Funktionär und Neonazi Markus Ripfl teilzunehmen. Während sich der große Teil der IB-Aktivsten von neonazistischen Veranstaltungen dieser Art fern hielt, um ihr bürgerliches Image zu wahren, hatte die Wiener Neustädter Szene rund um Daniel Schordje kein Problem damit, an Aufmärschen von dezidierten Neonazis teilzunehmen.

Wie tief die Kontakte der Wiener Neustädter in das neonazistische Milieu Österreichs reichten, zeigen außerdem die Bekanntschaften von Mario Weiß. Dieser verfügt über gute Kontakte zum rechtsextremen Umfeld der Ostkurve des FK Austria Wien. Er selbst ist Mitglied der „Viola Fanatics“ und über ihn dürften Daniel und Philipp Schordje auch Kontakte in das Milieu geknüpft haben. Dass es sich bei diesen Kontakten nicht nur um lose Bekanntschaften, sondern freundschaftliche Verbindungen handelt, ist eindeutig belegbar: So etwa feierte der Unsterblich-Neonazi Stefan Swoboda Ende Juni 2016 zusammen mit Daniel Schordje und Mario Weiß eine lockere Garten-Party und 2017 reisten Daniel Schordje, Mario Weiß und der Unsterblich-Capo Christian „Guntramsdorfer“ Wagner zusammen nach Bratislava, um dort an einem Match des ŠK Slovan Bratislava im Block der neonazistischen Hooligan-Gruppe „Ultras Slovan Pressburg“ teilzunehmen (Link mit Fotos bei den Kolleg*innen der Recherche Wien).

Im Jahr 2019 radikalisierte sich die Wiener Neustädter Sektion und entfernte sich endgültig vom Aktivismus der Identitären Bewegung: Daniel Schordje und Mario Weiß organisierten eine gewaltbereite Truppe, die sich aus der lokalen rechten und rechtsextremen Szene Wiener Neustadts zusammensetzte, um als „Bürgerwehr“ zukünftige Übergriffe und Gewalttaten durch „männliche Asylwerber“ zu verhindern. Anlass dafür war der 2019 im Wiener Neustädter Anton-Wodica-Park durch einen syrischen Asylwerber begangene Femizid, den die Aktivist*innen für ihre rechtsextreme Agenda instrumentalisierten, um öffentlichkeitswirksam gegen „Asylsystem“ und „Massenmigration“ zu hetzten. Die rund 20-köpfige Bürgerwehr hatte sich für ihre Aktion mit schwarzen Pullovern uniformiert, auf die sie das Logo „Defend 2700“ und ein Maschinengewehr gedruckt hatten. Bei 2700 handelt es sich um die Postleitzahl des Bezirks Wiener Neustadt, zu dessen vigilante Verteidigung sich die rechtsextreme Formierung berufen fühlte. Wie auf den Fotos der Aktionen zu sehen ist, posierte die Bürgerwehr bei Nacht und im Kerzenschein martialisch neben dem Grabstein der ermordeten Manuela K., um das gewonnene Material darauffolgend auf den einschlägigen Social-Media-Kanälen für politische Zwecke zu verwerten. Mit Aktionen dieser Art zeigte die Wiener Neustädter Truppe, dass sie den zivilgesellschaftlich inszenierten Info-Tisch-Kampagnen-Habitus eines Martin Sellners zurückgelassen hatten und stattdessen zur direkten Verteidigung der „weißen Österreicher*innen“ übergegangen war – mitten unter ihnen Daniel Schordje, der bereits mit beiden Beinen im Kampfsport stand.

Daniel Schordje und Mario Weiß im „Defend 2700“-Shirt.

Denn ebenso im Jahre 2019 trat Schordje das erste Mal offiziell für das „Champions Graz“-Team bei den Amateur-Staatsmeisterschaften im Bereich Mixed Martial Arts an. Außerdem schloss er in der Zeit einen Lehrgang ab, der ihn dazu berechtigt, regulär im Kampfsportbereich MMA zu unterrichten. Dies nutzte der rechtsextreme MMA-Kämpfer auch sofort, um sein Wissen an seine Kameraden im von Markus Totz geführten Kampfsport-Zentrum „Zitadellen Sport Graz“ weiterzugeben, in dem IB-Exponenten wie etwa Robin Engelhart, Thomas Schraith oder Luca Kerbl regelmäßig, aber auch der Kasseler Faschist und nun in Salzburg wohnhafte und beim RFJ Salzburg und der IBÖ organisierte Marvin Sander trainieren. Der gut vernetzte Kampfsportler Markus Totz, der seine Diplomarbeit an der Universität Graz über das akademische Mensur-Fechten geschrieben hat, besitzt außerdem direkt neben dem Zitadellen-Gym einen Schießplatz, an dem er besorgten Bürger*innen die Fähigkeiten vermitteln will, sich selbst mit einer Schusswaffe zu verteidigen. Die Website und der Online-Auftritt des Schießplatzes wurden im Übrigen von der Firma „Moker Graz“ gestaltet, hinter der Günther Moser und Luca Kerbl stehen. In der Bewerbung des Schießplatzes werden hauptsächlich Narrative bewaffneter Heimverteidigung in nicht näher bestimmten Krisen- und Stresssituationen bedient: Zum Schutz der Familie müsse man sich auf den Ernstfall vorbereiten und dafür sei eine Ausbildung an der Schusswaffe unabdingbar. Als Referenz für seine Qualifikationen führt Totz seine Ausbildung zum Offizier, sowie seine aktuelle Funktion als Oberleutnant der Miliz des österreichischen Bundesheeres an. Überdies hätte er an taktischen Schulungen der in der Slowakei angesiedelten „Tactical Combat Academy“ teilgenommen, bei der es sich um ein militärisch hoch professionalisiertes Unternehmen handelt, das auf den Sicherheitsbereich ausgerichtet ist und laut eigener Website Kurse für internationale Spezialeinheiten aus den USA (MARSOC), Großbritannien (SAS), Frankreich (2REP) und Israel (YAMAM) abhält.

Es handelt sich also um ein militarisiertes rechtsextremes Milieu, in dem sich Daniel Schordje bewegt und in dem er seine kampfsportbezogene Expertise weitergibt. Im Kontext der hohen Gewaltbereitschaft, die von einigen Exponenten dieser Szene ausgeht, stellt die zunehmend zu beobachtende Professionalisierung der Gewaltmittel – sei es die Schulung an der Waffe, oder die Vorbereitung für den Kampf auf der Straße mittels MMA-Techniken – eine reale Bedrohung für eine demokratische Zivilgesellschaft dar. Die Grenze zwischen rechtsextremen Aktivismus und Kampfsport-Training lässt sich bei dem radikalisierten MMA-Kämpfer also nicht so einfach ziehen. Statt sich von dem rechtsextremen Milieu und dessen Aktivismus nach fortschreitender Professionalisierung im Kampfsportbereich zu distanzieren und aus der Szene final aussteigen, hielt Daniel Schordje an dieser fest und interagierte auch öffentlich auf Social Media mit den nämlichen Exponenten. Nach dem Terroranschlag von Wien im Jahre 2020 postete er so den Aufruf, man solle sich als Zivilbevölkerung, aber auch als Politiker*innen, nicht online um Floskeln bemühen, sondern „eine härtere Gangart“ gegenüber „Terroristen und Schläfern“ aktiv durchsetzen – sonst würde sich der islamistische Terror wiederholen.

Zusätzlich nutzt Schordje die mediale Bühne nach Fights, um seinen mit rechtsextremer Symbolik ausgestatteten Körper in nationalistischer Inszenierung zu präsentieren: So posiert er gerne oberkörperfrei, mit Österreich-Fahne in den Händen, das „Allzeit getreu“ auf der Brust und das verbotene Logo der Identitären, das IB-Lambda in Form eines Schildes am linken Oberarm eindeutig erkennbar. Zur Erklärung: „Allzeit getreu“ verweist zum einen auf die Inschrift des 1931 von Heinrich Krippel errichteten „Eisernen Ritters“ am Domplatz in Wiener Neustadt, zum anderen auf den nazistischen Treue-Eid gegenüber Adolf Hitler „Dem Führer allezeit getreu“. Im Kontext des politischen Hintergrunds Daniel Schordjes als jahrelanger Aktivist der Identitären Bewegung und seiner Affinität für neonazistische Hooligan-Straßenkultur steht fest, dass die Wahl dieser Symbole alles andere als zufällig ist, zumal der Eiserne Ritter durchaus ein innerhalb der rechtsextremen Szene bekanntes symbolisches Referenzobjekt ist. Auch der Identitäre und K1-Kämpfer Julian Hofer kokettierte in seinem Social Media-Auftritt zum Beispiel mit der Skulptur am Wiener Neustädter Domplatz. Zwar hat der rechtsextreme MMA-Kämpfer seinen öffentlichen Auftritt mittlerweile modifiziert, sodass sich auf seinen Social-Media-Kanälen keine Hooligan-Fotos im Stadion mehr finden lassen, einen Ausstieg oder sonstigen Bruch mit der rechtsextremen Szene hat es jedoch nie gegeben. Im Gegenteil pflegt Schordje weiterhin Kontakte zu seinen Kameraden, trägt weiterhin rechtsextreme Symbolik in Form von Tattoos auf seinem Körper und setzt auch heute noch bei Postings auf Social Media rechtsextreme Codes ein.

Umso erstaunlicher ist es daher, dass Schordje mittlerweile mehrfach für das österreichische Nationalteam ins Oktagon gestiegen ist: Neben den eingangs erwähnten IMMAF Championships, stieg er etwa auch bei den letzten Europameisterschaften am 28. September in Lignano Sabbiadoro mit rot-weiß-rot gefärbten Haaren für das Nationalteam ins Oktagon. Seine bisherige Kampfbilanz von 26 Siegen, 5 Niederlagen und einem Unentschieden, mit der sich der rechtsextreme Kampfsportler auf seinen Social-Media-Kanälen brüstet, lässt sich mittlerweile durchaus sehen. Erst Mitte September kündigte er zudem an, nach den Europameisterschaften und einem weiteren aktuell noch nicht beworbenen Kampf mit Neujahr 2023 in den Profi-Bereich zu wechseln. Gefördert wird er in diesem Vorhaben von seinen Trainern im „Champions Graz“: Vereinsobmann ist Gehard Ettl, aber auch sein Bruder Michael Ettl und der Vorstand der MMA Federation Austria, Fritz Treiber, leiten dort Trainings an.

Der regen Involvierung des Teams in den MMA-Sport entsprechend, ist das Champions-Gym in der AUTMMAF-Amateur-Sektion als offizielles Mitglieds-Gym gelistet. Neben dem Champions Gym in Graz veranstalten die Ettl-Brüder außerdem die bereits genannte „Cage Fight Series“ (CFS), eine renommierte europäische MMA-Liga, die als äußerst professionalisiert und rentabel gilt. In ihr werden Preisgelder bis zu 10.000 € ausgeschüttet und Kämpfer*innen aus ganz Europa reisen mittlerweile für die Kämpfe an. Bei den Ettl-Brüdern handelt es sich daher um in der österreichischen MMA-Szene einflussreiche Größen, die auch international zunehmend an Relevanz gewinnen. Der Umstand, dass die Brüder für ihren Erfolg nicht davor zurückscheuen, rechtsextreme Kader aufzubauen, ist daher besonders besorgniserregend. Auch von medialer Seite, wie etwa von dem Kampfsport-Sender „fight24.tv“, gibt es kein kritisches Nachfragen bezüglich Schordjes Verstrickungen in die rechtsextreme Szene oder die am Körper getragenen rechtsextremen Symbole. Die mediale Berichterstattung im MMA-Bereich inszeniert sich apolitisch und kümmert sich nicht darum, dass rechtsextreme Akteur*innen, die eine menschenverachtende und gewaltvolle Ideologie antreibt und nach wie vor Teil des organisierten Rechtsextremismus sind, im professionellen Kampfsport ohne Widerspruch Fuß fassen können.

So kann zweifelsfrei festgestellt werden, dass es sich Daniel Schordje um einen professionell im MMA ausgebildeten Rechtsextremisten handelt, der u. a. zur Selbstjustiz aufruft und in der Vergangenheit bereits durch seine hohe Gewaltbereitschaft aufgefallen ist. Dass Schordje aktuell nicht mehr auf der Straße aktiv ist, zeugt dabei weder von seinem Ausstieg aus der Szene noch von sonstigen Distanzierungen rechtsextremer Gewalt. Noch weit bis in das Jahr 2021 findet sich unter seinen Postings der Hashtag #defend2700. Schordjes soziales Milieu ist das Gleiche geblieben und der Aufruf zum Vigilantismus zeigt, dass sich seine militante Gesinnung im Laufe der Jahre nicht verändert hat. Seine oberflächliche Abkehr vom Straßenaktivismus ist daher vielmehr dadurch erklärbar, dass er sich in sein MMA-Training vertieft hat und versucht als professioneller Kampfsportler Fuß zu fassen.

Schordje vor Werbetafel für die CFS.

Seine bisherigen Erfolge und der angestrebte Switch auf den Pro-Status, sowie der Umstand, dass Schordje als Nummer 1 Amateur-MMA-Kämpfer in Europa gelistet wurde, sprechen dafür, dass über die europäischen Pro-Ligen der nächste Schritt in Richtung UFC und Professionalisierung getan werden könnte – gerade auch weil die Ettl-Brüder mit der CFS bereits über eine unmittelbare UFC-Kooperation verfügen.

Professionalisierung der Gewalt im Umfeld der ehemaligen Identitären Bewegung

Auch wenn es sich bei Daniel Schordje um den im MMA-Bereich erfolgreichsten IB-Kader handelt, so repräsentiert er zugleich eine allgemeine Entwicklung innerhalb des Milieus: Innerhalb der alten IB-Strukturen kann insgesamt eine Professionalisierung der Gewalt beobachtet werden. Während zwar nach wie vor in den IB-Objekten in Steyregg und in Wien Margareten unter sich trainiert wird, hat sich ein großer Teil der Kampfsporttätigkeiten in professionelle Kampfsportzentren verlagert. Ein zentraler Angelpunkt des identitären Kampfsportes ist dabei zweifelsohne das bereits besprochene Zitadellen-Gym in Graz, in dem auf professionellen Niveau mit teils internationalen Trainer*innen Kampfsport mit Fokus auf BJJ und MMA betrieben wird. Im Zitadellen-Gym trainieren wie bereits schon angeschnitten oft auch unter der Leitung Daniel Schordjes Luca Kerbl, Robin Engelhart, Thomas Schraith, der aB! Arminia Graz-Burschenschafter Erik Bergmayer, Günther Moser sowie der Kasseler Rechtsextremist Marvin Sander. An der Inszenierung als elitärer Männerbund hat sich bei den dort Trainierenden nichts geändert, wie man ihren Social-Media-Kanälen entnehmen kann. Betont maskulin-sportlich posiert man so gerne nachts als wehrhafte Gruppe, die dazu bereit ist, ihren „Mann“ zu stehen. Umso bedenklicher ist es, dass neben Daniel Schordje auch Luca Kerbl und Robin Engelhart an internationalen Tournieren und Meisterschaften teilnimmt. Erst kürzlich konnte er den Titel des Vize-Europameisters im BJJ für sich erkämpfen und wieder hat es niemanden interessiert.

Auch Roman Möseneder muss vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen eingeordnet werden: Er trainierte zwar nie regelmäßig im Zitadellen-Gym, dürfte aber über gute Verbindungen zum Grazer IB-Kampfsport-Milieu verfügen. Seit Jahren prahlt er öffentlich damit, dass er in Salzburg Kickboxen trainiert und versucht seinen politischen Gegner*innen dadurch in Kombination mit provokanten Aussagen Wehrhaftigkeit zu signalisieren. In den letzten Monaten dürfte sich in Möseneders Leben, aber auch in seinem politischen Umfeld einiges verändert haben: 2022 brach er seine Matura ab und verzog nach Skierniewice in der Nähe von Warschau. Dort dürfte er laut Eigenaussage als Grafikdesigner tätig sein. Entgegen medialer Berichterstattung, er sei in die Ukraine ausgereist, war er jedoch nie jenseits der polnischen Grenze. Interessant in diesem Kontext ist zusätzlich, dass Möseneder nach einer Demonstration der Corona-Rechten im Dezember 2021 wegen Verdachts auf Widerstands gegen die Staatsgewalt sowie auf schwere Körperverletzung gegen einen Polizeibeamten angeklagt wurde, jedoch lediglich für eine grob fahrlässige Körperverletzung verurteilt wurde. Trotz seiner Abwanderung nach Polen dürfte Roman Mösenender zumindest zeitweise in Österreich wohnhaft sein, trat er erst 2022 für den „Polizeisportverein Salzburg“ (PSV Salzburg), der allerdings nicht mit dem „Landespolizeisportverein Salzburg“ identisch ist, bei den Staatsmeisterschaften im Kickboxen an und konnte dort den Staatsmeistertitel für sich erkämpfen – im Publikum die identitären Kameraden, die ihn bejubelten.

Mösenender (rechts) nach seinem Sieg bei den Staatsmeisterschaften im Kickboxen für den PSV Salzburg.

Eine Stufe professioneller ist der ebenso bekannte identitäre Leibnitzer Uwe Aulibauer, der mittlerweile wie Daniel Schordje bei den Ettl-Brüdern im Champions Gym in Graz angekommen ist. Aulibauer war Teil des Angriffs auf das Wiener Audimax und beteiligte sich als Ordner bei Kundgebungen der neonazistischen Partei des Volkes (PdV). Auch der Fall Aulibauer illustriert, wie wenig sich die erfolgreichen Ettl-Brüder darum kümmern, dass Rechtsextreme bei ihnen trainieren und kämpfen. Diese sind sich offensichtlich keiner politischen Verantwortung bewusst und halten die Türen der CFS, des Champions Gyms und der AUTMMAF für rechtsextreme Akteur*innen weiterhin offen. Erneut prävaliert das Narrativ, es handle sich bei MMA „nur“ um Sport – dass dies fatal ist und sich gerade im Falle der besprochenen Akteur*innen nicht vom politischen Aktivismus trennen lässt, sollten eigentlich seit längster Zeit alle Beteiligten eingesehen haben. Es ist nur logisch, dass in diesem Klima der Gleichgültigkeit rechtsextreme Kampfsportler*innen bei wichtigen und karrieretechnisch relevanten Events wie etwa der Newcomer-Challenge regulär antreten können. Die Liste von militanten rechtsextremen Akteur*innen, die im Kampfsportbereich zunehmend Fuß fassen oder bereits Fuß gefasst haben, endet zusätzlich nicht mit den alten IB-Kadern, sondern betrifft den organisierten Rechtsextremismus in Österreich im allgemeinen und insbesondere das militante neonazistische Hooligan-Milieu, das über gute Kontakte in die organisierte Kriminalität und den MC-Bereich pflegt.

Der österreichische Kampfsport hat ein Rechtsextremismus-Problem

Daniel Schordje ist außerdem nicht die erste Person des rechtsextremen Milieus, die den Straßenaktivismus hinter sich gelassen hat, um dem Kampfsport professionell nachzugehen. Gleiches gilt für die aus Tübingen stammende IB-Aktivistin und Profi-Kickboxerin Annika Stahn, für die Wiener Neonazi-Aktivistin, Rechtsrockerin und MMA-Kampfsportlerin Isabella Kordas, die mittlerweile unter dem Kampfnamen „Isi, The Mjolnir“ auftritt und hauptsächlich auf Phuket, im Süden Thailands wohnt und trainiert sowie für die nachfolgend im Detail besprochenen Rechtsextremist*innen. Sie alle eint, dass sie – manche mehr, manche weniger – nach außen hin den Schein eines apolitischen Lebenswandels vermitteln und versuchen, in der Öffentlichkeit nicht mit politischen Inhalten in Verbindung gebracht zu werden. Wie in der Vergangenheit schon mehrfach beobachtet werden konnte, versuchen viele rechtsextreme Akteur*innen sich aus vor allem beruflichen Gründen von der Öffentlichkeit und vor allem einschlägigen öffentlichen Events der rechtsextremen Szene fernzuhalten, um nicht ihre Karriere zu gefährden. Die meisten von ihnen bleiben aber in ihrem Weltbild der extremen Rechten verbunden und unterstützen das Milieu häufig im Hintergrund durch Finanzierung, Infrastruktur oder im Falle dieser Recherche auch Kampfsport-Schulungen. Durch ihre Unterstützung tragen sie zu Radikalisierungsprozessen und zur Professionalisierung rechtsextremer Gewalt bei, die sich regelmäßig an politischen Gegner*innen oder als minderwertig gelesenen Personengruppen entlädt.

Vonseiten des österreichischen Kampfsports ist es leider die Regel, dass rechtsextreme Akteur*innen toleriert oder gar gefördert werden. Das zeigt nicht nur die CFS der Ettl-Brüder, sondern auch der offizielle österreichische MMA-Amateur*innen-Kader: Erst kürzlich traten in der von der AUTMMAF am 21. Mai 2022 organisierten „Newcomer Challenge“ mindestens drei Rechtsextreme sowie zwei Kämpfer aus einem rechtsextremen Team an. Ziel der Newcomer-Challenge ist es, neue Kämpfer*innen zu sichten und gegebenenfalls in den österreichischen Amateur*innen-Kader aufzunehmen. Alleine bei diesem Bewerb standen drei bekannte steirische Identitäre Luca Kerbl, Uwe Aulibauer und Robin Engelhart im Ring. Neben den drei IB-Aktivisten traten außerdem zwei Kämpfer aus dem „Team Panzer“ des rechtsextremen MMA-Kämpfers Patrick Spirk an. Der Neonazi selbst konnte bei dem Event ungehindert mit seinen zwei Kämpfern im Ring stehen und sich mit seiner Lebensgefährtin Mina Reiter ablichten lassen. Dabei trainieren aktuell in Spirks MMA-Kursen in Wien immer mehr aktive rechtsextreme Akteur*innen. Gerade Personen aus der Ultra- und Hooligan-Szene des SK Rapids und des FK Austria Wien, wie etwa der Rapid-Ultra Marco Singraber, sowie Cedomir Aleksijevic aus dem Tranzbrigade-Milieu von Bernhard Burian und der Szene-Tättoowierer Robert Wabro aus dem Ink-/MC- und Noricum-Umfeld so wie weitere amtsbekannte Neonazis nehmen an den Trainings von Patrick Spirk in Wien Favoriten teil.

Es ist damit zu rechnen, dass sich dieser Trend in den kommenden Jahren fortsetzt, insofern im österreichischen Kampfsport kein Umdenken stattfindet. Dafür wäre aber ein gesamtgesellschaftliches Problembewusstsein für die Verstrickungen rechtsextremer Strukturen in den Kampfsportbereich und den davon ausgehenden Gefahren notwendig.

Eine weitere Person, auf die wir angesichts dieser Entwicklungen mit Nachdruck hinweisen wollen, ist Christian Draxler, dessen „MMA Academy“ sich in Bad Vöslau, also in unmittelbarer Nähe zu Wiener Neustadt, befindet. In unserer letzten Recherche zur Intersektion von Rechtsextremismus und Kampfsport ist der Name Christian Draxler bereits gefallen, weil dieser mindestens ein Mal bei einem Kampf von dem Unsterblich-Neonazi Stefan Swoboda in den Ring der CFS begleitet wurde, der brisanter Weise bei diesem Anlass ein T-Shirt mit SS-Totenkopf trug – ein weiterer Umstand, den niemanden in der Kampfsport-Szene zu stören scheint. Wie seinen Beiträgen auf Social Media zu entnehmen ist, trainiert Stefan Swoboda regelmäßig in Draxlers „MMA Academy“ in Niederösterreich. Unter dem rechtsextremen Gruß „Sport Frei“ posiert er mit dem professionellen Kampfsportler martialisch auf Fotos für das eigene Social-Media-Profil (oder das seiner Lebensgefährtin Nicole Mutenthaler). Es handelt sich dabei um einen Code, der im übrigen auch einer der Catchphrases der von Henrik Ostendorf gegründeten neonazistischen Kampfsportmarke „SF-Extremsport“ ist, die als Sponsor des „Kampf der Nibelungen“, der größten Kampfsport-Veranstaltung der neonazistischen Szene Deutschlands, auftritt. Der 1988 geborene Christian Draxler selbst ist seit vielen Jahren als MMA-Fighter professionell aktiv. Seit Oktober 2010 betritt er im Pro-Status das Oktagon unter dem Namen „The Austrian Emperor“ und gilt als erfahrener Kämpfer, dessen besondere Stärke in Choke-Griffen im Bodenkampf liegt. Seine derzeitige Bilanz beträgt 17 Siege, 7 Unentschieden und keine Niederlage. Draxler trat bereits bei zahlreichen renommierten österreichischen Kampfsport-Events wie zum Beispiel mehrfach bei der „Austrian Fight Night“, der „Night of Warriors“ oder der schon viel besprochenen „Cage Fight Series“ an. Sein letzter Kampf führte ihn 2020 zur „German MMA Championship“ (GMC), bei der er einen Sieg bereits in der ersten Runde erringen konnte.

Ein besonderes Verhältnis verbindet Draxler mit dem ehemaligen Freund und mittlerweile vermutlich aufgrund persönlicher Differenzen verfeindeten MMA-Fighter Khalid (Willhelm „Willi“) Ott. Dieser ist Headcoach des „Instinct Gym“ in St. Pölten und seit seiner Haftentlassung zum Islam konvertiert. Erwähnenswert ist der Kontakt deshalb, weil Ott vor seiner Neuorientierung in das islamistische Milieu durchaus als rechtsoffen angesehen werden konnte. Er inszenierte sich als Kind der Straße und fiel durch gewaltverherrlichendes und hypermaskulin inszeniertes Auftreten auf. Seine Affinität zur Gewalt brachten den Islamisten bereits für insgesamt zehn Jahre ins Gefängnis, die letzte Haftstrafe von dreieinhalb Jahren musste er in einem Hochsicherheitsgefängnis verbüßen. Diese dreieinhalb Jahre können auch als Phase der Radikalisierung in das islamistische Milieu angesehen werden. Mittlerweile propagiert der MMA-Kämpfer ein Leben nach den Gesetzen der Scharia und reist durch die Welt, um radikal-islamistische Prediger aufzusuchen. So besuchte er vor kurzem etwa den Islamisten und ebenso Konvertiten Sheikh Khalid Yasin in der Türkei, ruft junge Männer dazu auf, wie Mohammed zu leben und posiert regelmäßig in antizionistisch-antisemitischer Manier unvermittelt vor Palästina-Flaggen. Dieser Umstand verweist nicht nur darauf, dass ebenso problematische Verstrickungen von Islamismus und Kampfsport existieren, sondern ist vor allem deshalb bedenklich, weil Khalid Ott hauptsächlich mit Jugendlichen arbeitet und seine Hauptaufgabe darin sieht, diese zum salafistischen Islam zu konvertieren. Für seine fundamentalistische Propaganda nutzt er die bei Jugendlichen beliebten Plattformen TikTok und Instagram und zählt auf zweiterer bereits über 180.000 Follower*innen. Man weiß nicht, warum Draxler und Ott nicht mehr befreundet sind, jedoch versicherte Draxler dem Lokalnachrichtenblatt „Mein Bezirk“, dass es sich bei dem Zwist um keine Inszenierung handle und dieser im Ring der „Vendetta Fight Night“ ausgetragen würde. Khalid Ott selbst hält sich mittlerweile von öffentlichen Konflikten dieser Art fern und widmet sich voll der Propagierung seines geläuterten Image als gläubiger Muslim und der Rekrutierung von radikal-islamistischem Nachwuchs.

Wie tief Draxler in das neonazistische Milieu Österreichs involviert ist, kann an einer Begebenheit illustriert werden, die sich am 24. Juni 2022 bei der „Austrian Fight Night 5“ in Baden abgespielt hat. Der an dem Wettkampf teilnehmende Draxler wurde, neben Stefan Swoboda, auch von Thomas Cibulka und Markus Wieneritsch in den Ring begleitet – beides amtsbekannte und gut vernetzte österreichische Neonazis. Bei Wieneritsch handelt es sich um einen Kader von Unsterblich Wien, während Thomas Cibulka ein innerhalb des rechtsextremen Spektrums langjährig gut vernetzter Neonazi ist, mit dem wir uns neben der bereits erwähnten Recherche, auch in unserem Artikel zur Hooligan-Szene der Corona-Rechten, sowie jenem zur Corona Querfront rund um Gottfried Küssel schon ausführlich beschäftigt haben. Bei dem Event am 24. Juni 2022 war vor allem auffällig, dass die rechtsextremen Begleiter gemeinsam in Unsterblich-Kutten aufgetreten sind. Cibulka und Swoboda trugen zwar keine homogenen Modelle, wie das etwa bei MCs üblich ist, „Streetgang“ und „Hooligan“ zierten jedoch bei beiden die Seiten der Kutten, darüber nicht klar erkennbare Patches, einer davon im Stil des alten Unsterblich-Logos, das selbst wiederum an das Symbol des Neonazi-Netzwerks Blood & Honour angelehnt ist.

Dass Christian Draxler mit einschlägig erkennbaren Neonazis ohne Bedenken bei einem anerkannten MMA-Turnier einlaufen und nach dem Kampf von diesen brüderlich empfangen werden kann, ohne dass dies im Kampfsport-Milieu für Aufsehen sorgt, verdeutlicht, mit wie viel Gleichgültigkeit innerhalb der Szene mit rechtsextremen Vereinnahmungen umgegangen wird. Vor diesem Hintergrund müssen Christian Draxlers Verbindungen in die neonazistische Hooligan- und Kampfsport-Szene neu bewertet werden: War bis zu der letzten AFN unklar, wie tief Draxler in die rechtsextreme Szene (v. a. der Hooligan-Szene der FK Austria Wien) verankert ist, kann dies mittlerweile klar beantwortet werden. Besonders brisant ist in diesem Kontext, dass seit 2020 die Stadtpolizei Baden und andere Polizeidirektionen in Christian Draxlers „MMA-Academy“ trainieren. Wie NÖN-Online zu entnehmen ist, würden sich mehrere Polizeieinheiten in dem Kampfsportzentrum polizeitaktisch für „den Ernstfall vorbereiten“. Der Umstand, dass Polizeieinheiten in einem Kampfsportzentrum trainieren, in dem rechtsextreme Kader ein und aus gehen und dessen Besitzer sich von amtsbekannten Neonazis in den Ring begleiten lässt, zeigt, wie gleichgültig nicht nur innerhalb der Kampfsport-Szene selbst, sondern auch innerhalb der österreichischen Gesellschaft und dessen staatlichen Institutionen mit dem Phänomenbereich Rechtsextremismus umgegangen wird.

Kommerzielle Interessen und rechtsextreme Finanzierungsstrukturen

Bei Fightero Sports handelt es sich um kein dezidiert rechtsextremes Branding, jedoch ist die Marke aufgrund ihrer geschäftlichen Beziehungen zu vielen einschlägigen Gyms für die Analyse von rechtsextremen Strukturen im Kampfsportbereich und deren Finanzierung von hoher Relevanz. Denn, nicht nur die „MMA-Academy“ und das „Instinct Gym“ verfügen über einen Fightero-Vertrag, sondern auch das „Fox Gym“, dessen Leiter der neonazistische Eisern Wien Hooligan Henry Bannert ist. Gleiches trifft auf das „Iron Fist Gym“ zu, das im Besitz des United Tribuns Nomads MC ist und in dem bekannte islamistische Akteure trainieren, wie wir bereits in unserer ursprünglichen Recherche dargestellt haben. Auch das stark rechtsoffene „Invictus BJJ“ in Wien, dessen Leiter der gut in die rechtsextreme Szene von Rapid Wien vernetzte Marc Reifberger ist, sowie das ebenso rechtsoffene „Knockout Gym“ in Korneuburg, wo der K1-Kämpfer Daniel Cikarevic, der über gute Kontakte zu den United Tribuns verfügt in leitender Funktion ist, stehen in einem Naheverhältnis zu der Marke Fightero Sports. Selbiges gilt für „Boxclub Rapid Wien“, wo unter anderem Patrick Rainer, aber auch Daniel Cikrevic trainieren und die „Vendetta Fight Night“ (VFN), bei der die Marke als Sponsor auftritt. Das Problem an Geschäftsbeziehungen dieser Art ist, dass unterschiedliche extremistische Milieus und Akteur*innen der organisierten Kriminalität unter dem Deckmantel der „Neutralität“ zusammenarbeiten, um geteilte ökonomische Interessen zu realisieren und mediale Reichweite zu maximieren. Weil die menschenverachtende Ideologie und das politische Gewaltpotential, das von den genannten Akteur*innen ausgeht, niemanden in der Szene interessieren, können alle Beteiligten ungehindert ihren geschäftlichen Interessen nachgehen.

Bei Events wie der CFS oder der am 24. September 2022 stattgefundenen Vendetta Fight Night können die Verbandelungen im Kampfsportbereich dann live beobachtet werden: Während der rechtsextreme MMA-Kämpfer Patrick Spirk kämpfte, stellte Henry Bannert sein Gesicht und Szene-Image für die Bewerbung des Events zur Verfügung. Organisiert wurde das Turnier von dem United Tribuns Nomad MC Vienna unter dem türkischen Faschisten Bülent Saglam und im VIP-Bereich ließ sich HC Strache mit Christian Draxler ablichten. Strache ließ es sich im Übrigen nicht nehmen, mit der versammelten Mannschaft der United Tribuns und mehreren Kämpfern im Ring zu posieren.

Auch die Crew der VFN zeugt von unseligen Querverbindungen: Den Ringrichter gab dieses Mal der MMA-Pro-Fighter Bogdan Grad, der zum Einen im österreichischen Nationalkader integriert ist, aber etwa auch als Ringrichter bei der AUTMMAF-Newcomer-Challenge fungierte; ebenso der Cutman und Landespräsident der AUTMMAF-Salzburg Roland Aicher hat kein Problem für ein United Tribuns-Event tätig zu sein. Verwunderlich ist auch das nicht, denn: Selbst Gehard Ettl hat keinerlei Scheu sogar mit dem türkischen Faschisten Bülent Saglam öffentlich aufzutreten, ja sogar gemeinsame Pressekonferenzen abzuhalten. Wie wir schon im letzten Text zu den Vestrickungen der Kampfsportszene mit dem organisierten Rechtsextremismus gezeigt haben, stellt das eine durchgängige Kontinuität dar: Schon seit etlichen Jahren pflegen die Ettls Kontakte auch zu rechtsextremen Akteuren wie Dorian Pridal oder Christian Draxler. Und auch auf Social Media findet sich mehr als ein Bespiel, wo die Brüder etwa das rechtsextreme Zitadellen Gym liken oder deren Content teilen.

Vor dem Hintergrund ist dann auch die Einladungspolicy oder aber das Verhalten der Ettls in Bezug auf den Aufbau der CFS, aber auch der AUTMMAF nicht weiter verwunderlich. Und ebenso wenig scheint es die dort antretenden Fighter*innen zu kümmern, mit wem sie sich da im Oktagon messen: So posierte der Grazer PdV-Aktivist, Identitäre und Kampfsportler (Boxen und Kickboxen) Manuel Papst nach Fischers Kampf mit selbigem neben dem Ring. Papst kann auf einige Jahre als aktiver Rechtsextremist zurückblicken, dürfte noch immer in aktiven rechtsextremen Kreisen verkehren (Papst war mehrfach bei Demonstrationen der Corona-Rechten anwesend) – mittlerweile ist er in den Support-Strukturen der Grazer Hells Angels angekommen. Papst kämpfte zuletzt (englisches Boxen) beim Branchenboxen 2022 in Graz (seine Ecke trat dabei mit Hells Angels-Supporter Shirts auf und Papst selbst posierte mindestens ein Mal mit einem hochrangigen Hells Angels-Member aus Graz), trat aber genauso schon bei Landes- und Staatsmeisterschaften im Kickboxen an (letztes Jahr Gold bei den steirischen Landesmeisterschaften im Kickboxen). Papst dürfte regulär in seinem Wohnort Köflach beim Verein „Kickboxen Köflach“ trainieren.

Neben dem Motiv der Gleichgültigkeit sind es vor allem auch finanzielle Interessen, die dazu beitragen, dass die Unterwanderung des österreichischen Kampfsportes durch rechtsextreme Akteur*innen unthematisiert bleibt.

Problemfeld Kampfsport und zivilgesellschaftliches Engagement

Die oben dargestellten Verstrickungen zwichen organisierter Kriminalität der 1% MC-Szene, neonazistischer und rechtsextremer Gruppen sowie Einzelakteur*innen und regulärem Kampfsport-Milieu sind nicht neu, sondern spiegeln eine lange Kontinuität in der Entwicklung rechtsextremer Milieus und Szenen wieder. Ausführlicher haben wir dies im Text zur „Sportgemeinschaft Noricum“, der diesem Update hier voranging, behandelt und anhand eines besonders eindrücklichen Beispiels dargestellt. Dass sich Ähnliches auch in Deutschland seit den 1990er-Jahren abspielt, haben Kolleg*innen vielfach tiefgreifend analysiert, exemplarisch wollen wir hier auf die ausführliche Beschäftigung in der Broschüre „Netzwerk von Kameraden. Von „Blood & Honour“ zum „Nordbund“: Kontinuitäten einer niedersächsischen Neonazizelle“ hinweisen, die besonders drastisch die Verschneidung von OK-Milieu mit Neonazismus darstellt.

Dass bei diesen Verstrickungen hochgradig gewaltaffine Szenen aufeinander treffen und sich kooperativ vermischen, birgt klarerweise gröbere Gefahrenquellen in sich: Zum Einen bringt das rein männerbündische MC-Milieu massig Jobs im kriminelle Bereich mit sich, Türsteherei, Drogen- und Menschenhandel, Betrieb von Bordellen sind gang und gäbe, daraus resultierend Geldkapital, das an allen staatlichen Kontrollstellen vorbei erwirtschaftet wird. Zum anderen verfügt das MC-Klientel zumeist auch über gut bestückte Waffenarsenale unterschiedlicher Art, Munition sowie An- und Verkaufsmöglichkeiten für solche Bestände. Wichtig zu beobachten ist hierbei auch die Entwicklung eines professionalisierten Umgangs mit krimineller Betätigung, aber eben auch in Bezug auf klandestine Organisierung aufgrund der zusätzlichen staatlichen Verfolgung durch die zuständigen Landes- und Bundeskriminalämter. Dass nun auch noch das kommerziell rentable Kampfsport-Business (nach der Tattoo- und Ink-Szene) in dieses Feld drängt und rentable Verbindungen aufbaut, ist zwar nicht verwunderlich – ist Kampfsport doch sowohl für das OK- wie auch rechtsextreme Milieu für all ihre Praxis grundlegend – doch in dieser in Österreich vorliegenden Offenheit schockierend.

Dass es allerdings auch nicht zwangsläufig auf eine Verbindug ins OK-Milieu hinauslaufen muss, zeigt die IBÖ: Dort gefällt man sich eher in der gehoben-bourgeoisen Welt akademischer Burschenschaften, gründet Startups (siehe oben „Moker“ etwa oder aber die hippe Umzugsfirma „Robins Umzüge“, die Robin Engelhart gegründet hat) und regulär gelistete Firmen – diese dienen als Geldquelle, solange der Kamfsport noch nicht rentabel ist. Das darunter jedoch auch Schießstände und Gyms sowie paramilitärische Schulungen fallen, die dann diverse Dimensionen alltäglicher Lebensbewältigung einen (also reproduktive Aufgaben, politische Praxis und Freizeitgestaltung), zeigt wie prekär auch hier die Situation ist und in welche Richtung die rechtsextreme gesamt tendiert.

Dieser Prozess der Professionalisierung und Militarisierung kann sich auch deshalb so ungestört ausweiten, weil dieser in einem abgeschotteten, diskursiven Parallel-Universum zu bestehen schein, was schwer bedenklich ist: Keinerlei gesellschaftliche Verhandlung greift die groben Missstände in diesem stetig wachsenden Sportfeld auf, keinerlei interne Initiativen analog etwa zu dem (mittlerweile aufgelassenen) deutschen Projekt „Runter von der Matte“ oder „Vollkontakt“ sind vorhanden. Und selbst nachdem problematische Verhältnisse publik gemacht werden, regt sich kein Widerstand gegen rechtsextreme Umtriebe – im Gegenteil: Man belässt sie, wo sie sind, meidet ein gesellschaftliche Problemfeld, wo dringendster Handlungsbedarf bestünde. Zwei Beispiele sollen das nochmals illustrieren:

Liam Harrison gibt am 2. Oktober 2022 im „Fox Gym“ einen Muay Thai-Kurs.

So etwa bot am 2. Oktober  2022 der achtfache Muay Thai-Worldchampion Liam Harrison Kurse im vom Neonazi-Hooligan Henry Bannert geführten Fox Gym an. Kein Sportverband, keine Einzelpersonen oder sonstige Akteur*innen interessierten sich für den mehr als fatalen Fakt. So kann sich Bannert weiterhin als profunder Kampfsportler geriereren, seine eigene Historie als schwerer Gewalttäter wegleugnen und dann noch junge Menschen in einem völlig unreflektierten Umgang mit Kampfsport, Gewalt und subjektiven Verhaltens und Handelns sozialisieren. Beispiel zwei greift nochmals die Vendetta Fight Night auf: Gerade erst wurde in Deutschland die gesamte Struktur der United Tribuns verboten, zahlreiche Hausdurchsuchungen fanden statt. In Österreich hingegen herrscht auch hier Stillschweigen – nicht nur die MCs unter einander verstehen sich gut, auch der Staat scheint sich mitsamt Zivilgesellschaft in der wohlweislich über Jahrzehnte hinweg eingeübten Rolle apathischen Wegschauens zu gefallen. Der nicht minder kriminelle österreichische Ableger ist auch hier in diversen OK-Bereichen (Suchtmittelkriminalität, „Rotlicht“-Kriminalität, Türsteherei usw.) aktiv, ist mit der rechtsextremen Szene bestens vernetzt; doch all dies scheint kein Grund zu sein, dass dagegen zumindest einmal ein diskursives Bewusst-Machen entsteht.

Solange man sich in Österreich in der Rolle gefällt, neutrales Rückzugsgebiet für jede nur erdenkliche Form reaktionären Gedankengutes zu spielen, wird sich die Rechte generell, aber v. a. eine hochgradig militante, gut vernetzte, über Kontakte ins schwere OK-Milieu verfügende rechtsextreme und neonazistische Szene weiter ausbreiten. Immer mehr rechtsextreme Männerbünde und Gruppen orientieren sich an den stark hierarchisch organisierten MCs – Hells Angels, United Tribuns, Gremium, Final Dawn (samt Orange Brotherhood) und deren Umfeld und weitere verweben sich immer enger mit einschlägig neonazistischen und rechtsextremen Gruppierungen und steter Angelpunkt: die Kampfsport- und Ink-Szene. Es ist an der Zeit, solche Kulminationen endlich auch gesellschaftlich zu bearbeiten und nicht unbeachtet wegzuleugnen – wozu aber zu allererst einmal der Schritt getan werden muss, die Probleme als existent und relevant anzuerkennen. Wenn dies nicht passiert oder allein kurzfristige durch Lippenbekenntnisse abgespeist werden kann, wird rechtsextremen Umtrieben auch in Zukunft kaum etwas entgegenzusetzen sein.

Hitlergrüße, NS-Tourismus und die grenzüberschreitenden Vernetzungsversuche des Neonazi-Skinhead Mario „Kahl“

Update: Wie Kolleg*innen ermitteln konnten, handelt es sich bei den beiden Kameraden, die mit Mario „Kahl“ in Mainz auf der Demo der NSP gewesen sind, um das NSP-Member Arthur Beidin und den Neonazi im NSP-Umfeld Leonard Tustonjic. Beide sind amtsbekannt und momentan Angeklagte in einem Verfahren: Wie Rechte Umtriebe Ulm berichtete, zeigten die beiden mit Alex Hilbig (ebenso NSP) am 05. Juni 2022 vor einer Synagoge eine Schwarze Sonne sowie ein Transparent, das vor einem „White Genocide“ warnt. Darüber hinaus war auch Anita Amasi (ebenso NSP-Umfeld) mit „Kahl“ in Mainz unterwegs und dürfte mit „Kahl“ auch freundschaftlich verbunden sein.


Am 13. August 2022 fand ab 12:45 ein teilweise konspirativ organisiertes Neonazi-Treffen in Wien statt. Maßgeblich organisiert hatte es der Wiener Neonazi-Skinhead Mario „Kahl“ (faktischer Nachname zu diesem Zeitpunkt unbekannt, wohnhaft ist er in Wien Favoriten, 1100), nach dem aktuell aufgrund eines Vorfalls am 15. Mai 2022 gefahndet wird: Er und ein Kamerad (Name unbekannt) sollen in der U3 Station Hütteldorfer Straße NS-Parolen gerufen und rassistischen Aussagen getätigt sowie Fahrgäste angepöbelt haben. Wie dieser Artikel zeigt, handelt es sich bei diesem Vorfall nicht um einen Einzelfall, sondern um ein notorisches Verhaltensmuster, mit dem der Neonazi Mario „Kahl“ immer wieder (sowohl vor als auch nach dem 15. Mai 2022) aufgefallen ist.

Zu dem besagten Neonazi-Treffen am 13. August waren Neonazi-Skinheads aus Ungarn angereist, später stießen zum Abendessen bekannte Wiener Exponenten des Tanzbrigade-Milieus zu der Gruppe, so u. a. Bernhard Burian, Markus Horváth und jener jüngere Neonazi, der mehrfach auf Demos der Corona-Rechten mit Hakenkreuz-Kette in nämlichen Umfeld in Erscheinung getreten war.

Das angekündigte Programm des Treffens startete beim Haupteingang des Wiener Westbahnhofs, an dem die anwesenden Skinheads vorab rund eine Stunde lang Alkohol konsumierten. Darauf folgte ein bereits im Vorfeld angekündigter „Marsch“. Während vor dem Treffen relativ unklar war, was genau unter dem angekündigten „Marsch“ zu verstehen sei, stellte sich dann heraus, dass damit eine Art gemeinsame Sightseeing-Tour entlang biografischer Stationen Adolf Hitlers in Wien gemeint war: Die Neonazi-Gruppe besichtigte zuerst ein Wohnhaus in der Felberstraße 22, 1150 Wien, in dem Hitler am 18. November 1908 eine Wohnung bezogen hatte. Danach führte „Kahl“ die Gruppe wiederum über den Westbahnhof in die Stumpergasse 31 – dort hatte Hitler mit August Kubizek Anfang des Jahres 1908 gewohnt, bis der Umzug (aus sich verschlechternder finanzieller Situation) in das besagte Wohnobjekt in Rudolfsheim-Fünfhaus erfolgte.

Während Unklarheit herrscht, wie genau das nazistische Gedenkritual im Objekt in der Felberstraße ablief, postete die Gruppe – die auf martialische Selbstinszenierung in den sozialen Medien setzt – im Stiegenhaus Bilder, die mehrere Teilnehmer beim wiederholten Zeigen von Hitlergrüßen abbilden. Die Fotos selbst erschienen auf dem Account von Balasz Földesi („Balage Wolf“ auf Facebook), einem ungarischen Neonazi-Skinhead aus Bekescsaba, der zeitweise in Moosbach, Dietraching 22/5, 5271 Oberösterreich, wohnhaft ist (offiziell gemeldeter Nebenwohnsitz).

Nach dem zweiten Stopp in der Stumpergasse kehrte die Gruppe an der Ecke Fügergasse in das Wirthaus „Zum Wohl“ ein um den kameradschaftlichen Umtrunk fortzusetzen. Danach zog die Gruppe in Richtung Innenstadt, spätnachmittags folgte dann eine Besichtigungstour des „Graben“, 1010 Wien, sowie Fotoaufnahmen vor dem Stephansdom. Beim abendlichen Vernetzungstreffen in der einschlägig bekannten Lokalität „Gasthaus zur Alm“ in der Innstraße 16, 1020 Wien, trafen dann auch noch die bereits genannten Tanzbrigade-Exponenten ein: Im „Gasthaus zur Alm“ wurden u. a. Festivitäten und Treffen der Identitären Bewegung Wien ausgerichtet, ebenso wie klandestine Konzerte der nicht mehr existenten B&H Vienna-Gruppe – lange Zeit wurde es auch vom ehemaligen B&H-Mitglied André Herold geführt, der u. a. auch mit dem wegen Totschlag verurteilten Neonazi Jürgen Kasamas trainierte. Nach dem gemeinsamen Essen folgten weitere mediale Inszenierungen, dieses Mal mit großer Reichskriegsfahne. Die ungarischen Kameraden dürften am nächsten Tag vom Wiener Hauptbahnhof wieder abgereist sein – „Kahl“ resümierte auf Facebook: „Tolles Wochenende mit vielen guten Kameraden gehabt“. Das Foto selbst fand sich wenige Tage später auf einem einschlägigen Telegram-Kanal, der Neonazi-Hooligans aus ganz Europa als Plattform dient, um sich den Kameraden aus dem Ausland zu präsentieren.

Zur Person Mario „Kahl“ ist festzustellen, dass er in der Wiener Neonazi-Szene kein Unbekannter ist: Seit einigen Jahren konnte seine rege Teilnahme an rechtsextremen Events und Demonstrationen festgestellt werden: So nahm er etwa an der Symbolverbotsdemonstration der Identitären Bewegung am 31. Juli 2020 teil sowie an diversen Demonstrationen der Corona-Rechten im Umfeld der Tanzbrigade, aber auch im Ausland am sogenannten „Tag der Ehre“ 2022 in Budapest bei der untersagten neonazistischen Kundgebung am Kapisztrán Platz sowie bei dem von Antifaschist*innen erfolgreich blockierten Demonstrationsversuch der „Neuen Stärke Partei“ am 16. Juli 2022 in Mainz. Nach Mainz war Mario mit zwei weiteren Neonazis angereist. Erst am Freitag, dem 12. August (ein Tag vor dem Kameradschaftstreffen) provozierte er mit dem, teilweise in Bregenz wohnhaften ungarischen Skinhead Ivar „Gauksi“ an einem Wahlkampfstand von Alexander Van der Bellen auf der Mariahilferstraße, indem sie die rechte Hand mit geschlossener Faust zum Hitlergruß hoben und die anwesenden Wahlkampfhelfer*innen als „Volksverräter*innen“ diffamierten.

Überdies pflegt Mario „Kahl“ enge Kontakte in die ungarische, aber auch tschechische Neonazi-Skinhead-Szene: Das dürfte auch daran liegen, dass sowohl Kahl als auch seine ungarischen Kameraden versuchen, ein Revival des subkulturellen Szenehabitus der Baseballschlägerjahre der 90er herbeizuführen und in Ungarn eine äußerst lebendige Subkultur offen auftreten kann, die auch regelmäßig von Gleichgesinnten aus dem Ausland besucht und als Vernetzungsort genutzt wird. Regelmäßig werden in Ungarn große Rechtsrockkonzerte abgehalten, die einschlägiges Publikum aus ganz Europa anziehen. Hungarian Hammerskins, Légió Hungaria, B&H Hungary plus C18 Magyarország, Magyar Gárda sowie diverse weitere neonazistische Gruppierungen können in Ungarn relativ ungestört auftreten und werden von Fidesz und Jobbik teilweise sogar gesponsort. Erst vor kurzem konnte „Kahl“ u. a. mit Földesi und Diana Szöllősi Anfang Juli 2022 in Velence (am Velence See nahe Budapest) beim „Rock Strand“-Festival, wo u. a. die neonazistischen Rockbands Nemzeti Front und Hundriver auftraten, identifiziert werden. Auch am 23. April 2022 war „Kahl“ zur „Brutal 88 Party“ nach Budapest gereist, wo die deutsche Neonazi-Band „Blutzeugen“ auftrat – dort posierte er u. a. mit SS-Totenkopf und schwarzer Sonne. Regelmäßig auch ist „Kahl“ zu Fußballspielen auswärts in Ungarn, Tschechien oder der Slowakei unterwegs: So etwa – wie unten stehende Bilder zeigen – mit Bernhard Burian und Balasz Földesi in Budapest bei einem Spiel von Ferencváros. „Kahl“ selbst gibt online immer wieder damit an, gute Kontakte in die Wiener Hooligan-Szene zu pflegen, es bleibt aber unklar, inwiefern tatsächliche, aktive Vernetzung abseits der Gruppe um Burian besteht.

Dass der Identitätsgewinn des subkulturellen Daseins für Mario „Kahl“ von besonderer Bedeutung ist, zeigen seine diversen Profile in den sozialen Medien: Regelmäßig werden diese gesperrt, da immer wieder massive neonazistische Hetze und NS-Content darüber verbreitet werden. Besonders bizarr ist Kahls offen zur Schau gestellte Faszination und Bewunderung für Adolf Hitler – er dürfte sich ausführlich mit dem Leben Hitlers in Wien befasst und sich in die Biografie seines Idols „hineingefühlt“ haben. So finden sich in den sozialen Medien etwa Bilder von „Kahl“, auf welchen er vor dem Kunsthistorischen Museum und der Akademie der Bildenden Künste in Wien posiert, samt Bildbeschreibung, Hitler hätte sich dort wohl vergebens beworben. Fast immer dabei: „88“ als Szene-Code für „Heil Hitler“. Auch die gewählten Profilnamen weisen auf die einschlägige Gesinnung hin: So finden sich mittlerweile öfter Variationen rund um den „Ostara“-Begriff als Benutzername. „Ostara“ entstammt dem paganen Kultleben im angelsächsischen Raum und dürfte mit unterschiedlichen Matronenkulten in Verbindung gestanden haben. Wichtiger ist jedoch der Konnex zu der von Jörg Lanz von Liebenfels in Wien herausgegebenen ariosophische Zeitschrift „Ostara“: Bis Anfang der 60er-Jahre galt die Hypothese, dass die Ariosophie als Hauptgrundlage des Hitlerismus zu betrachten sei und Hitler die Zeitschriften von Liebenfels zentral rezipiert habe als historisch valide, ist jedoch heutzutage wissenschaftlich widerlegt. Für den Hitler-Adoranten „Kahl“ dürften diese Details jedoch nicht von großer Bedeutung für seinen ideologischen Kampf um eine Rückkehr Österreichs in das „Deutsche Reich“ sein.

In der Analyse ist außerdem die hohe Gewaltaffinität und der militante Rassismus von „Kahl“ und seinen Kameraden hervorzuheben: So etwa verschickte er via Instagram Fotos mit in seinen Augen „gemischtrassigen“ Paaren, die er im 10. zuvor in einem Park abfotografiert hatte. Das Bild kommentiert er als „Rassenschande“ und stellt fest, dass er so etwas überhaupt nicht verstehe. Nur logisch ist es dann auch, dass „Kahl“ sich selbst als „Arier“ bezeichnet, dessen Leben sich einzig und allein darum drehe, Österreich wieder für Arier bewohnbar zu machen, um es dann an Deutschland anzugliedern. Dass diese Parolen nicht nur leere Drohungen sind, sondern „Kahl“ und seine Kameraden auch bereit dazu sind, ihre Ideologie auf die Straße zu tragen, zeigt ein anderer Vorfall: „Kahl“ wurde per jahrelangem Betretungsverbot aus einem Lokal am Schwedenplatz geworfen, weil er eine schwarze Person mit massivster Gewalt bedroht hatte. Auch seine hochfrequentierten Nachrichten via Instagram, die zumeist Szenecodes wie etwas die Zahl „88“ in Form von schwarzen Billardkugeln enthalten, oder Fragen nach der generationalen Quote von Österreicher*innen im Familienstammbaum und Anmerkungen, dass das Waldviertel nicht schön, sondern „arisch“ sei, geben Auskunft über den bereits weit fortgeschrittenen Grad seiner Radikalisierung.

Mittlerweile halten sich viele bekennende Neonazis mit öffentlichen Statements und Postings wegen §3 des Verbotsgesetzes zurück und haben vieles in private Konversationen ausgelagert, „Kahl“ ist diesbezüglich allerdings auffällig unvorsichtig. Allerdings ist Kahl trotz der offen zur Schau gestellten Bekenntnisse zum Nationalsozialismus in der Wiener Neonazi-Szene durchaus vernetzt: Er hat vor allem zur rechtsextremen Hooligan-Szene rund um Tanzbrigade und Eisern Wien Kontakte sowie zu Exponenten des Wiener Final Dawn-Chapters rund um Marco Singraber. Hauptanknüpfungspunkt für ersteres Milieu dürfte erneut Bernhard Burian sein: Das verdeutlichen auch die oben abgebildeten Fotos – Burian dürfte wie kaum ein anderer der jungen Neonazi-Riege in unterschiedlichen rechtsextremen Spektren agieren und versuchen, potenzielle Kameraden für seine Sache zu rekrutieren. Dies dürften jedoch die einzigen Personengruppen der unmittelbaren NS-Szene sein, mit welchen Kahl gut vernetzt ist. Es ist davon auszugehen, dass das überinszenierte zur Schau-Tragen von NS-Klischees der 90er-Jahre und das, auch gerade in Bezug auf mögliche staatliche Repression unvorsichtige Auftreten, nicht nur für Bewunderung innerhalb der „nationalen“ Szene, sondern auch für Spott und Kritik sorgt. So sah sich Kahl etwa in Form eines längeren Sprechbeitrags dazu gezwungen, zu umfassender Kritik an seinem öffentlichen Auftreten Stellung zu nehmen, die aus dem eigenen Lager gekommen war. Seine Rechtfertigung lautete kurz gefasst: Ein Nationalist muss so wie Kahl selbst auftreten, das ethnische Verkommen Deutschlands und Österreichs zwinge der Szene diese Form von totaler Opposition und scheinbarer Unversöhnlichkeit regelrecht auf.

Somit kann abschließend resümiert werden: Mario „Kahl“ ist durchaus als gefährlicher Aktivist innerhalb des neonazistischen Milieus Österreichs einzustufen. Dies begründet sich allerdings weniger durch seine Aktivitäten als Netzwerker, Ideologe oder Führungsfigur. Der überinszenierte Habitus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei Mario „Kahl“ weder um einen außerordentlich begabten, noch besonders professionellen Kader der rechtsextremen Szene handelt. Viel mehr ist „Kahl“ aufgrund seiner fanatischen Fixation auf Hitler und den NS-Staat, sowie den von ihm ausgerufenen Kampf für die „arische Rasse“ als gefährlich einzustufen. Die hinzukommende Idealisierung von Gewalt gegen Menschen, die nicht in das Weltbild von ihm und seinen Kameraden passen, verstärken den Eindruck einer unberechenbaren und instabilen Persönlichkeit, die in einer enthemmten Gruppendynamik wie der vom 13. August 2022 v. a. auch nach massivem Alkoholkonsum (oder aber im Rahmen seiner regelmäßigen Alkoholexzesse in seinem Stammbeisl „Da Capo“ in der Laxenburger Straße 65, 1100 Wien) eine Gefahr für die Öffentlichkeit und insbesondere als „minderwertig“ gelesene Personengruppen und politische Gegner*innen darstellt.

„Corona Querfront“ – Die neonazistischen Netzwerker*innen der Corona-Demonstrationen

Zum 91. Mal – so die Eigenwerbung auf dem hauseigenen Telegram-Kanal – hatte die Gruppe „Corona Querfront“ (CQ) am 31. Juli 2022 in der Eisenstädter Innenstadt ihren Infotisch aufgebaut. Bei den freitäglichen Veranstaltungen handelt es sich auf den ersten Blick um nichts allzu Spektakuläres: Tisch, das (nun sattsam aus Wien und Eisenstadt bekannte) gelb-schwarze Banner, rundherum 3-4 Aktivist*innen, die ihr „Wissen“ rund um eine Covid-19-Verschwörung zum Besten geben. Es sind meist keine bekannten Rechtsextremist*innen, die da auftreten, sondern ältere Leute, szenepolitisch unbekannt, oft aus der Region (Eisenstadt und Eisenstadt-Umgebung) stammend, die mit ihrer „Erfahrung“ rund um das Einspruch-Einlegen gegen Verwaltungsstrafen werben (etwa wegen fehlender Maske in öffentlichen Verkehrsmittel o. Ä.) und mit angeblichem Insider-Wissen rund um die globale Corona-Verschwörung regelrecht protzen. Die gekonnte Inszenierung zeichnet ein Bild, das nicht von dem abweicht, was sich in dutzenden anderen Städten und Dörfern in kleinerem wie größerem Ausmaß wöchentlich abspielt: SARS-Covid-19 lediglich eine Verschwörung, die Maßnahmen der Regierung ein Mittel zum Zweck der Errichtung einer Diktatur, die nach globalem Geheiß operiert.

Das Bild der bemühten Corona-Aufklärer*innen brechen jedoch die veranstalteten Demonstrationen der gleichen Gruppe, die seit 06. Februar 2021 jeden ersten Samstag im Monat stattfinden: Denn dort lassen sich ab etwa 14:30 seit Jahrzehnten aktive, international vernetzte Neonazi-Kader antreffen, um mit einem Pritschenwagen durch die Hauptstraße Eisenstadts zu marschieren. Es ist mittlerweile hinlänglich bekannt, dass das Küssel-Ehepaar, Gottfried und Karin, diese Gruppe aufgebaut hat und als legalistischen Arm in ihrem Kampf um die Wiedererrichtung eines nationalsozialistischen Regimes einsetzt. Doch die Küssel-Familie ist nicht der einzig bekannte Cluster an Akteur*innen aus dem neonazistischen Spektrum, die die burgenländische Hauptstadt monatlich in Beschlag nimmt und zur Projektionsfläche ihrer Politik des Hasses macht. Im folgenden Text widmen wir uns dem Corona Querfront-Netzwerk, dessen zentrale Akteur*innen, Verbindungen und Überschneidungen zu weiteren neonazistischen Gruppierungen sowie der Funktion von CQ im neonazistischen Milieu Österreichs und in der Corona-Rechten.

Erste öffentliche Auftritte absolvierte CQ seit Beginn der sogenannten „Corona Demonstrationen“ in Wien: Am 06. Juni 2020 marschierte Harald A. Schmidt, lang gedienter Wiener Neonazi, gemeinsam mit jungen Neonazis und Identitären durch den 01. Wiener Gemeindebezirk (Innenstadt), das mittlerweile bei allen Veranstaltungen von CQ in Szene gesetzte Transparent vorantragend. Mit Schmidt am Transparent konnten u. a. der aB! Albia-Burschenschafter und AfDler Florian Köhl, der Wiener Neonazi Bernhard Burian, der Identitäre Andrei Pavan, der neonazistische Runentattoos trägt und der junge Neonazi-Hooligan Dominik Wendel identifiziert werden (Näheres siehe weiter unten, Kapitel zu den Verbindungen von CQ zu jungen Neonazis). Zu diesem Zeitpunkt war der einizige direkte Exponent der „alten“ Neonazi-Szene Schmidt, doch dessen Geschichte ließ schon zu diesem Zeitpunkt die Vermutung zu, dass da noch mehr kommen würde:1 Im alpen-donau.info Forum „alinfodo“ hatte Schmidt unter dem Pseudonym „Athanarich“ Hitler-Zitate verbreitet. Vermutet wird auch, dass er unter dem gleichen Pseudonym schon im Thiazi-Forum geschrieben hatte. 2011, nach der staatlichen Sprengung des alpen-donau.info-Komplexes, lief dann ein Verfahren nach §3g Verbotsgesetz gegen Schmidt. Davor war Schmidt in den 70er-Jahren beim RFJ gewesen, dann bei der ANR und Ende der 80er-/Anfang der 90er-Jahre in der „Ausländer Halt“-Bewegung des verurteilten Südtirol-Terroristen und NDP-Aktivisten Norbert Burger und der internationalen Neonazi-Szenegröße Gerd Honsik 2.

Hinter dem CQ-Komplex selbst steht der Verein „Iuvalex – Gesellschaft für juristische Zusammenarbeit und Rechtshilfe Wien“, der – nicht weiter verwunderlich – an Schmidts Wohnadresse im 23. Wiener Gemeindezirk Liesing, Stachegasse 1/5/2, vereinspolizeilich gemeldet ist. In mehrfacher Hinsicht ist das Entstehungsdatum interessant: Es lautet auf den 24. Jänner 2020, datiert also in jenen Zeitraum, in dem das SARS-Covid-19-Virus gerade erst europaweit zum Problem werden würde; in Österreich wurden die ersten Fälle erst am 25. Februar 2020 gemeldet. Warum Iuvalex initial gegründet worden ist, muss also Spekulation bleiben – der Titel jedoch legt nahe, dass die Planung möglicherweise auf die Etablierung einer neonazistischen Rechtshilfe abzielte, wo Schmidt sein Wissen als ehemaliger Anwalt in Funktion einer Szene-Rechtsberatung einbringen hätte können. Klar dürfte allerdings sein, dass die Gründung des Vereins nicht per se auf CQ abgestimmt worden war.

Wirklich Fahrt nahm das Projekt dann im kommenden Winter auf: Das lag zum Einen daran, dass ab dem Sommer die Corona-Demonstrationen in Frequenz und Regelmäßigkeit sowie in ihrer personellen Masse abnahmen – was auf gelockerte Maßnahmen zurückzuführen war wie auf die Möglichkeit, draußen soziale Kontakte zu pflegen und abends etwa an öffentlichen Orten auszugehen. Mit Herbst und insbesondere Winter 2020 nahmen die Demonstrationen wieder zu, v. a. nachdem publik wurde, dass mit Anfang November wieder ein „Lockdown light“ und nur wenige Tage später ein „harter“ Lockdown verordnet werden würde. Ab den Protesten gegen den harten Lockdown nach Weihnachten 2020 (ab dem 26. Dezember) intensivierten sich die Auftritte von CQ, wodurch ab diesem Zeitpunkt auf eine konsistent arbeitende Gruppe hinter dem CQ-Logo geschlossen werden konnte.

Alte Bekannte in neuem Format

Dass CQ keine personell genuin neue Organisierung darstellte, war mit dem Erscheinen des ex-ANR-Mitglieds Schmidt als erstinstanzlicher Akteur von Vornherein klar – als überraschend aber kann die personelle Bündelung der Neonazis bezeichnet werden, da seit den gescheiterten Organisierungsversuchen rund um PdV, Pegida und FHB kaum aktive Gruppen-Präsenz auf der Straße wahrgenommen werden konnte. Zur öffentlichen Absenz dürften auch die langjährigen unbedingten Haftstrafen von Küssel, Budin und Wilhelm Christian Anderle sowie der Anhang an weiteren Verfahren nach dem Verbotsgesetz im Rahmen der alpen-donau.info-Zerschlagung beigetragen haben. Dabei darf die öffentliche Absenz jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich im Hintergrund etwa die klandestine Unwiderstehlich-Organsierung abspielte und zu mehrfachen Angriffen auf linke Projekte führte. Interessant ist jedoch die Aufteilung der Akteur*innen: Schnell lag auf der Hand, dass Küssel gezielt ganz bestimmte Leute öffentlich in Szene setzte, andere koordiniert nicht im Vordergrund tätig würden. Es scheint bei CQ aus mehrfachen Gründen eine gewisse Trennung zu geben zwischen solchen Aktivist*innen, die Strukturen im Hintergrund aufbauen und sich für (spärliche) klandestine Aktionen verantwortlich zeichnen und jenen, die sich möglichst bürger*innennah gerieren und durch freundliches, lockeres Auftreten (oft ältere Kader) über den harten Neonazismus hinwegzutäuschen suchen.

Zum öffentlichen Kern von CQ gehört neben Schmidt und Gottfried Küssel zum Ersten die Familie Küssel. Karin Küssel, geborene Schinner, war bereits in der VAPO aktiv und dort zahlreiche Male im sog. „Paulinenstüberl“ anzutreffen, wo regelmäßig nicht rein organisatorische Treffen der Wiener VAPO-Kameradschaften stattfanden, aber auch im Kameradschaftskeller in der Hornbostelgasse, 1060 Wien, wo es dezidiert um Politik und Organisierung  ging. Seit dieser Zeit ist Karin Küssel als integrale Kraft der österreichischen Neonazi-Szene zu betrachten und kann nach Gottfried Küssel wohl als eine der ranghöchsten Neonazist*innen Österreichs gelten. Während Gottfried Küssel 1992 dann in Haft musste, heirateten beide noch während der Haftperiode und zogen nach Gottfrieds Enthaftung – sie kauften ursprünglich vier Wohnungen vom Vorsitzenden der neonazistischen Wiener Burschenschaft „Tafelrunde zu Wien“  Wilhelm Ehemayer in der Oberen Donaustraße 39 – in den zweiten Wiener Gemeindebezirk. Dort betrieb Karin Küssel dann bekanntlich den „Nationalen Bioladen Naturnah“, der auf ihre Mutter, Erika Schinner, angemeldet worden war. 2001 und 2003 bekamen die Küssels zwei Kinder, Gudrun und Gerolf3 – beide Kinder waren und sind auf Corona-Demos anzutreffen, beide waren darüber hinaus auch in Eisenstadt bei den hauseigenen Kundgebungen von CQ vor Ort. Karin Küssel war dann natürlich auch im alpen-donau.info-Komplex tätig, wie auch während der Haft von Gottfried Küssel: So etwa war sie ebenso an den Organisierungsversuchen rund um den PdV-Komplex und an den Kundgebungen des Grazer Ablegers beteiligt. Bisher war Karin Küssel bei jeder Demo und jedem Autokorso in Eisenstadt anwesend, zumeist holte sie mit Gottfried zusammen auch den Pritschenwagen von der Firma „Priline“ aus Gänserndorf, um diesen nach Eisenstadt zu fahren.

Mit Lucas Tuma findet sich ein weiterer lang angedienter Neonazi in den Reihen von CQ. Schon Tumas Vater Otto war in den alten neonazistischen Kreisen Wiens aktiv, als Rechtsanwalt verteidigte er u. a. sowohl Gottfried (1992) als auch Karin Küssel (1998) bei deren Anklagen wegen Verstoßes nach §3g Verbotsgesetz. Lucas Tuma selbst war bereits in VAPO-Kameradschaften aktiv, nahm dort u. a. an Wehrsportübungen am Ottensteiner Stausee teil. Darüber hinaus teilte er mit einem weiteren VAPO-Kameradschaftler aus Eckartsau, Hermann Bahr, der auch das berüchtigte „Paulinenstüberl“ in Wien Währing betrieb, die Leidenschaft fürs Fliegen: Beide waren Mitglieder beim „Union Sportfliegerclub Eisenstadt“ und besaßen am Trausdorfer Flugfeld zwei Cessna (150 & 172) sowie eine Piper PA-28, mit denen sie als Privatpiloten Stadtflüge über Wien anboten. Unklarheit besteht für die Periode zwischen der Selbstauflösung der VAPO nach den zahllosen Verhaftungen und Verfahren gegen die Köpfe der Organisation – Tuma taucht dann in der Periode vom 25. Juli 2009 wieder als Vorsitzender der „Wiener Akademischen Ferialverbindung Reich“ auf 4, bis zur „freiwilligen“ Selbstauflösung dieser durch den sich erhöhenden Druck der Repressionsbehörden am 01. August 2011. Neben ihm war Viktor Hammermayer als stv. Vorsitzender eingetragen, Schriftführer und Kassier machte Gottfried Küssel. Nach der Zerschlagung wurde dann etwas mehr als zwei Jahre später die nächste Ferialverbindung eingerichtet: Diesmal hieß sie „Ferialverbindung Imperia Wien“, Meldeadresse noch immer die Lichtenauergasse 4, zweiter Wiener Gemeindebezirk. Da bei Vereinsmeldungen keine konkreten Haustürnummern angegeben werden müssen, bleibt die völlig exakte Örtlichkeit des Imperia-Vereins unklar, aber es kann eine begründete Spekulation angestellt werden: Von den alten Kaderwohnungen, derer es ingesamt 9 in diesem Block gab (Küssel: vier Wohnungen, ex-VAPO Stefan Tanczos: vier Wohnungen 5, Felix Budin: eine Wohnung), sind nur noch drei insgesamt im Besitz der Truppe. Auf Gottfried Küssel lauten zwei Wohnungen, auf Budin noch immer die eine, deren exakte Adresse Lichtenauergasse 4/1/22 sein dürfte.

Tuma selbst war neben Schmidt wohl der zweite Altnazi-Kader, der bereits im Frühstadium der Corona-Proteste in unterschiedlichsten Gruppen und Unterorganisationen der Corona-Rechten rekrutierte und Netzwerke schuf: ob als Redner in Kontakt mit Rutter und den Fairdenken-Organistor*innen, in kleinerem Format mit Jennifer Klauninger und der „Team HC Strache“ (THC)-Kandidatin Christina Kohl oder in Eisenstadt und Wien hinter dem Banner von CQ – Tumas Engagment für die Proteste kann als umfassend betrachtet werden. Wir werden auf die vielschichtigen Verbindungen der alten Kader weiter unten eingehen, vorab wollen wir etwas genauer die identifizierten Aktivist*innen von CQ darstellen.

Damit die Infotische, Demonstrationen und Autokorsos in Eisenstadt und Umgebung laufen, benötigt es Personen, die solche Veranstaltungen bei der zuständigen Behörde polizeilich anzeigen. Die Kundgebungen und anschließenen Demonstrationen meldete der aus Eisenstadt Umgebung stammende Neonazi Peter Rennmayr an. Rennmayr ist CQ-Aktvist der ersten Stunde, trat öffentlich in Eisenstadt als Anmelder auf, hielt jedes Mal einen der ersten Redebeiträge. Rennmayr dürfte enge Kontakte zu Gottfried und Karin Küssel pflegen (was bis zu einem gewissen Grad auf der Hand liegt) und war auch beinahe jedes Mal am CQ-Transparent bei den Aufmärschen der Corona-Rechten in Wien zu sehen.

Den Part, die Autokorsos polizeilich anzuzeigen, übernimmt – seit der Erweiterung des Aktionsfeldes seitens CQ im Format der sogenanneten „Nordburgenland Aktionstage“ – die hinlänglich bekannte Neonazistin Anita Barilich. Auch wenn rezent weniger im Rampenlicht als die bisher genannten Aktivist*innen, war Barilich schon im Rahmen der Gründung der neonazistischen „Partei des Volkes“ (PdV) involviert, in der u. a. der verurteilte österreichische Rechtsterrorist Gabor Söregi aktiv war. Barilich hatte durchwegs Zugang zu den Spitzen der PdV, wie etwa ein kolportiertes Interview mit Walter Wolfgang, einem PdV-Kader und Rechtsmilitanten aus Neusiedl am See, zeigen.

Nun ist Barilich bei CQ aktiv, erneut in zentraler Rolle: Wie sie selbst in einer Telegram-Chatgruppe offenlegte, meldet sie regulär jeden Autokorso an – perfider Grund: Einige Leute würden wohl etwas scheu sein, wenn die Familie Küssel auftauchen würde und gegebenenfalls fernbleiben, wenn Gottfried Küssel die Veranstaltung auch noch selbst angezeigt hätte. Deshalb meldet Barilich an (wohl auch um Komplikationen mit dem DSN zu meiden) und tut dies „unsicheren“ Corona-Maßnahmen-Kritiker*innen kund, um mehr Klientel anzulocken. Darüber hinaus gibt Barilich auch den Polizeikontakt bei den Demonstrationen und agiert gewissermaßen als Puffer, wenn etwa die anwesenden Skinheads Journalist*innen zu stark bedrängen: So etwa versuchte Barilich öfters eine lockere, harmlose Gesprächbasis zu etablieren, bot u. a. Polizist*innen Tee oder Essen an, oder plauderte mit Beamt*innen der burgenländischen Bereitschaftseinheit „WULKA“ über deren Einsatz bei Corona-Demonstrationen in Wien.

Liiert ist Barilich mit Mathias Albrecht, auch er war zentrales Gründungsmitglied der PdV. Die Kolleg*innen der Recherche Graz haben zu Albrecht bereits ein Dossier erstellt: So war Albrecht Ordner bei PdV-Kundgebungen, bedient offen und schamlos geschichtsrevisionistische Positionen, fordert die Wiedervereinigung Tschechiens und Österreichs mit dem „Deutsch Reich“ und hat eine Vorliebe für die Waffen-SS sowie Rechtsrock, v. a. für die 2000 aufgelöste österreichische Neonazi-Band „Schlachthaus“. Albrecht war beinahe bei jeder Demo von CQ anwesend, kann so durchaus zum Stammklientel gezählt werden.

Zum engsten Klientel dürfte auch der Neonazi, Biker und MC-Enthusiast Josef Witzani zählen. Witzani war bei jeder Demo stets von Beginn weg anzutreffen und dürfte mit Gottfried Küssel in gutem Kontakt stehen. Witzani entspringt dem Biker-Milieu und scheint v. a. Kontakte zur rechten MC-Szene in Deutschland zu pflegen, aber auch zum österreichischen Suporter*innen-Netzwerk des „Hells Angels“ MC. Darüber hinaus dürfte er in legalistischem Rahmen Obmann des Iuvalex-Vereins sein. Darüber hinaus konnte Witzanis Motorrad des Öfteren direkt neben Küssels Motorrad in der Fruchtgasse (Quergasse zur Unteren Donaustraße) gesehen werden, was zumindest offenlegt, dass Witzani des Öfteren in Wien bei Küssel gastieren dürfte.

Ebenso freundschaftlich ist Witzani mit jenem namentlich (noch) unbekannten Neonazi verbunden, der wohl als eine Art Leibwächter für Gottfried Küssel fungiert. Stets schwer vermummt und in Funktionskleidung dürfte er v. a. für die Absicherung der öffentliche Auftritte verantwortlich sein: So etwa koordiniert er in Eisenstadt meist jene Neonazis, die Journalist*innen bedrängen und am Arbeiten hindern, oder aber versucht – wie im Falle der antifaschistischen Proteste gegen den rassistischen Aufmarsch der „Freiheitlichen Jugend Burgenland“ in Deutschkreutz – linke Aktivist*innen im Rahmen von Anti-Antifa-Arbeit zu fotografieren. Dieser Funktion kam er u. a. auch bei der linken Kundgebung während des zweiten Prozesstages gegen angeklagte Antifaschist*innen nach: Dort tauchte jener Neonazi mit zwei weiteren beim Alten AKH auf, um mit Teleobjektiv die Kundgebung und ankommende Linke zu fotografieren. Darüber hinaus trat er als Ordner bei mindestens einer Demonstration von Martin Rutter auf, wo er Objektschutz für das massive Sound-Equipment machte, das vermutlich der Involvierung der FPÖ und deren finanziellen Mitteln geschuldet ist.

Zum Absicherungsteam in Eisenstadt gehört u. a. auch der Neonazi Andreas Balluf sowie seine – uns namentlich unbekannte – Lebensgefährtin, die eine schwarze Sonne auf der Brust tättoowiert trägt. Beide waren auf zahlreichen Demos der rechten Szene auch abseits der Corona-Demonstrationen zu treffen: So etwa konnte Balluf und seine Partnerin sowohl bei der IB-Symbolverbotsdemo am 31. Juli 2021 gesehen werden, wie auch in Deutschkreutz bei der rassistischen Kundgebung der FJ Burgenland. Auch online bewirbt Balluf die Autokorsos und Demonstrationen viel und ausladend – Balluf ist Anhänger diverser Verschwörungserzählungen, u. a. mit Bezug auf Q-Anon- und Finanzelitenverschwörungsnarrative. Darüber hinaus dürfte er des Öfteren längere Survivaltrainings absolvieren und einem mystischen Naturfetisch anhängen: Immer wieder verkündet Balluf seinen „Ausstieg“ aus der Gesellschaft und den Rückzug in eine als rein imaginierte Natürlichkeit.

Auch die beiden Neonazi-Kader und engen Vertrauten der Küssel-Truppe Paul Blang, der als intensiver Netzwerker in der neonazistischen Szene Wiens angesehen werden muss, sowie der hinlänglich bekannte Thomas Cibulka konnten in Eisenstadt angetroffen werden. Sie kamen zumindest zwei Male zusammen mit dem neonazistischen Austria-Hooligan Michael „Junior“ (Nachname zu diesem Zeitpunkt unbekannt) in einem Auto aus Wien angereist. Blang und Cibulka dürften grundsätzlich als freundschaftlich verbunden angesehen werden, sind sie doch zumeist zu zweit unterwegs, in rezenterer Zeit auch in der Ostkurve im Block der „Viola Fanatics“ sowie im Sektor der „Ultras Slovan Pressburg“, oder aber bei einem Konzert nahe Brno. Ihr Engagement in der neoazistischen Szene ist hinreichend bekannt und beleuchtet worden: Dass sie auch mit CQ vernetzt sind, ist deswegen nicht weiter verwunderlich, da beide unter Gottfried und Karin Küssel bereits seit Jahren Szenepolitik betreiben.

Auch ein weiterer lang bekannter Neonazi ist – bzw. war – in den Reihen von CQ aktiv: der ehemalige NVP und JNVP-Kader Mario Aulabauer. Dieser kann ebenso auf eine lange Vergangenheit in der neonazistischen Szene zurückblicken: Ab Mitte/Ende der 2000er war er im Rahmen der NVP (geboren 1989) inbesondere in seiner Funktion als Jugendsprecher aktiv gewesen, wo er u. a. für den Aufbau der JNVP zuständig hätte sein sollen. Bereits 2008 jedoch erfolgte die erste Verurteilung, die sich noch auf eine Bewährungsstrafe belief: Aulabauer dürfte Kopf einer Gruppe junger Neonazis gewesen sein, die im Raum Wr. Neustadt unter dem Namen „Weißer Widerstand Österreich“ für zahlreiche Sachbeschädigungen und Wiederbetätigunsgdelikte angeklagt worden waren. 2009 dann schon erfolgte – noch auf Bewährung – die nächste Anklage, die diesmal auch ins unmittelbare Umfeld und Zentrum der alpen-donau.info-Vernetzung führte: Gegen Aulabauer wurde erneut wegen mehrfacher Sachbeschädigung, Wiederbetätigung und ungefugten Waffenbesitzes ermittelt, diesmal im Rahmem der Gruppe „Freie Aktivisten Wiener Neustadt“. Aulabauer wurde (er saß nach seiner Festnahme in U-Haft) auf vier Jahre unbedingte Haft verurteilt, mildernd fiel u. a. aus, dass er sich geständig zeigte und „reumütig“ aussagte: Dies wiederum missfiel der NVP gleichermaßen wie den Köpfen von alpen-donau.info, allen voran dem Grazer Neonazi Richard Pfingstl. Denn der Verbund der „Freien Kameradschaft Wiener Neustadt“ – nicht nur Aulabauer zeigte sich geständig, um ein milderndes Urteil zu erlangen – war Teil der alpen-donau.info-Koordination und als solcher ließen es sich weder NVP-Kader Christian Hayer und Robert Faller, noch die Köpfe der alpen-donau.info-Seite nehmen, Drohungen an weitere mögliche Zeug*innen auszusprechen, und: Kurz nach dem Prozess wurde ein Zeuge kurzer Hand brutal zusammengeschlagen, die Täter*innen entkamen unerkannt.

Das nächste Mal dann tauchte Aulabauer in den Kontakten des rechtsterroraffinen ex-NVP-Neonazis Rudolf Prinesdomu auf: Laut Aussagen des informierten Beamt*innenvertreters des LVT Burgenland hatte Prinesdomu Aulabauer gekannt und auch in Wr. Neustadt besucht. Darüber hinaus sagte Prinesdomus Sohn aus, sein Vater habe Aulabauer größere Mengen potentes THC verkauft (kein Beweis durch das zuständige LKA). In einer kleinen Seitenbemerkung tat der Beamt*innenvertreter dann noch kund, dass Aulabauer erneut in Wr. Neustadt in Haft säße, wiederum wegen Vergehen nach §3g Verbotsgesetz. Das deckt sich grundlegend mit Informationen, dass Aulabauer 2020 erneut zu vier Jahren unbedingter Haft verurteilt worden war. Die Aussage des LVT-Beamten muss allerdings als teilweise falsch klassifiziert werden, denn feststehend ist, dass Aulabauer mehrfach an Aufmärschen von CQ teilnahm – sowohl in Eisenstadt wie auch in Wien. Das heißt im Umkehrschluss: Entweder a) waren die Informationen des aussagenden Beamten inkorrekt punkto des Haftantritts oder aber b) Aulabauer muss seine Strafe erst antreten – denn die letzten Aktivitäten Aulabauers in den Sozialen Medien datieren ins Jahr 2022.

Ebenso oft im Rahmen von CQ konnte der junge Neonazi mit Affinität für den III. Weg Marco Helfenbein gesehen werden: Helfenbein ist der Sohn der „PEGIDA Vorarlberg“-Gründerin Susanne Andrea Helfenbein, die auch auf Corona-Demonstrationen in Wien als Rednerin aufgetreten war. Die aus Hohenems stammende Neonazistin versuchte Pegida mit deutschen und schweizer Aktivist*innen (Ignaz Bearth und Michael Stürzenberger) im Dreiländereck aufzubauen, was bekanntermaßen kollosal scheiterte und zu einer Flut an internen Spaltungen der Pegida Österreich-Aktivist*innen führte. Wir verweisen für die komplexe Geschichte der Pegida-Bewegung in Österreich, deren Mobilisierungspotenzial deutlich kleiner als das in Deutschland ausfiel, auf die Berichte von SdR sowie für die Grazer und Wiener Sektion jeweils auf die Rechercheblogs der Kolleg*innen aus den jeweiligen Städten, da eine Aufschlüsselung hier den Rahmen sprengen würde. Wichtig ist für CQ nämlich v. a. Helfenbeins Sohn Marco: Denn dieser musste sich bereits am Landesgericht Feldkirch 2016 wegen mehrfacher Sachbeschädigung, Schändung eines jüdischen Friedhofs, Wiederbetätigung und versuchter schwerer Körperverletzung verantworten. Helfenbein war dabei schon in seinen Jugendjahren in der harten Vorarlberger-Neonaziszene aktiv, seine Mutter förderte dies aktiv: So dürfte Marco Helfenbein im Umfeld der „Nationalen Aktion Vorarlberg“ (NAV) organisiert gewesen sein und hatte zumindest online regen Kontakt zum „Freien Netz Süd“, das wiederum eng mit der NAV kooperierte – bekanntermaßen gingen NAV und Freies Netz Süd in der heutigen Parteistruktur „III. Weg“ auf. Die polizeiliche Einvernahme und eine psychiatrische Begutachtung ergaben, dass Helfenbein bereits mit seinen jungen 17 Jahren ein absolut gefestigter Neonazi sei, der im vollen Umfang den NS-Staat verteidigt und wieder herbeiführen wolle. Dies zeigte sich etwa auch bei der Festnahme: Dort attackierte er die anwesenden Polizist*innen mit einer Zeltstange – Ergebnis der Verhandlung: Zwei Jahre Haft, acht Monate davon unbedingt. Bei den CQ-Aufmärschen in Wien konnte Helfenbein konstant – und somit auch ideologisch stringent – mit einer grünen Haube des III. Weges gesehen werden. Darüber hinaus ist er mittlerweile auf Facebook in der Gruppe „Kriegerdenkmäler in Niederösterreich“ aktiv und posiert vor diesen des Öfteren in Pullovern und Shirts des III. Weges.  Helfenbein ist derzeit in Niederösterreich, 2231 Strasshof a. d. Nordbahn bei Wien, wohnhaft und dürfte mitterweile im Raum Gänserndorf auch arbeitstätig sein.

Neben den nun aufgeschlüsselten bekannten Aktivist*innen konnten wir einige neue Gesichter in den Reihen von CQ idenitifizieren, wobei wir hier nach der Frequenz des Erscheinens, Funktion bei den Aufmärschen, Verhältnis zu anderen bekannten Kadern, Verhältnis zur Küssel-Familie und Auftritt im Social Web 2.0 beurteilt haben, ob die Personen von politischer Relevanz sind und somit hier genannt werden. So wollen wir hier an dieser Stelle die CQ-Aktivist*innen Thomas Dunkl, Ute Stockreiter, Katharina Rosenauer, Bianca Lörner, Rene Beisteiner, Rudolf Hendling, Marlen Dorn und Jörg Schüller anführen.

Rene Beisteiner taucht seit den ersten Stunden der Demonstrationen der Corona-Rechten in Wien und Eisenstadt auf: So etwa zeigt ihn das unten angeführte Bild direkt neben Identitären bei einer der ersten Kundgebungen am Ballhausplatz, an der auch Wolfang Lechner teilnahm, darüber hinaus dürfte er die Küssels persönlich kennen.

Thomas Dunkl war auf beinaher jeder Demonstration in Wien und Eisenstadt zu sehen: Er hat v. a. guten Kontakt zu Josef Witzani und zu den Küssels. In Wien ging er fast immer am Fronttransparent von CQ. Darüber hinaus tauchte er mit Andreas Balluf, dessen Lebensgefährtin, Mathias Albrecht und Anita Barilich bei der Kundgebung der Freiheitlichen Jugend in Deutschkreutz auf, was auf klare rassistische Positionen schließen lässt.

Ähnliches gilt für Rudolf Hendling: V. a. in Wien war Hendling bei zahllosen Demonstrationen anwesend, zu Küssel zeigte sich v. a. in Eisenstadt freundschaftlicher Kontakt. In einem Auftritt in der ATV-Sendung „Alles Liebe“ zeigte Hendling besonders virulenten Sexismus sowie seine fundamentale Überzeugung vom bevorstehenden „Great Reset“.  Auf seinem Facebook-Profil postet er darüber hinaus auch (mutmaßlich) nicht-konsensuell aufgenommene Fotos von Frauen am Strand. Darüber hinaus trägt er auf seinem Unterarm ein Tattoo von Friedrich Ludwig Jahn (besser bekannt als „Turnvater Jahn“).

Bei Bianca Lörner handelt es sich ebenso um eine überzeugte Rechtsextremistin. Schon ihr Social Media-Auftritt zeugt von rechtsextremer Gesinnung, spätestens ein Blick in die Freund*innenlisten und Interaktionen zeichnet ein noch eindeutigeres Bild: Dort tummeln sich bekannte Neonazis und Rechtsextremist*innen und auch Lörner betreibt eifrige Online-Praxis. Auf den Eisenstädter Demos war sie zahlreiche Male anwesend und konnte stets als Teil der angeführten Kerngruppe beobachtet werden: So konnte Lörner auch beim Gespräch mit den Neonazi-Kadern Blang und Cibulka sowie Erich Weber (siehe weiter unten) beobachtet werden.

Lörner links mit Erich Weber (SGB-Medie, siehe untern).
Lörner mit Erich Weber (SGB, siehe unten).

Ute Stockreiter konnte ebenso bei beinahe allen Veranstaltungen von CQ in Eisenstadt gesehen werden: Als eine der Ersten trug sie die gedruckten Shirts von CQ und gab Instruktionen an Mitdemonstrierende. Sie dürfte Kontakt zu diversen Exponenten der ostösterreichischen Corona-Leugner*innen-Szene haben wie etwa der bekannten Aktivistin Jennifer Summer, die auch an mindestens einem Autokorso in Eisenstadt teilnahm.

Auch Katharina Rosenauer, die in Purbach am See den Lebensmittel- und Gärtnereiladen „Landprodukte Rosenauer“ betreibt, konnte bei sämtlichen Demos von CQ in Eisenstadt angetroffen werden, wo sie stets entweder Flaggen oder Transparente hielt, oder aber in Richtung anwesender Journalist*innen pöbelte. Sie ist überzeugte Corona-Leugnerin, affiziert die Impfung mit Verschwörungserzählungen und vertritt nationalistische Positionen – auch bewirbt sie die Veranstaltungen von CQ regelmäßig online.

Marlen Dorn ist ebenso dem Eisenstädter Corona-Leugner*innen-Milieu zuzuordnen und reproduziert krudeste Verschwörungsnarrative aus dem Q-Anon Bereich sowie Inhalte des wegen Wiederbetätigung verurteilten Zahnarztes Jaroslav Belsky. Sie konnte v. a. in Wien in den Frontreihen von CQ beobachtet werden, hat Kontakt zur unmittelbaren CQ-Gruppe wie auch zu bekannten Exponenten der Corona-Rechten wie etwa dem Klauninger- und SGB-Umfeld zugehörigen Aktivist Marek Kostyrk.

Enger bekannt mit Marlen Dorn dürfte auch Jörg Schüller sein: Ebenfalls in Purbach ansäßig, betreibt Schüller den Familienbetrieb „Malerei Schüller“ in Purbach am See. Schüller war mehrfach sowohl in Wien als auch in Eisenstadt im direkten Umfeld von CQ und Gottfried Küssel zu sehen, auch trug Schüller mindestens ein Mal das Front-Transparent von CQ in Eisenstadt.

Unterstützer*innen und Umfeld von CQ

Neben den oben abgebildeten Akteur*innen, die eine Art Kernformation der CQ-Gruppierung konstituieren, die sowohl organisatorische Abläufe regelt, die Bespielung des Telegram-Kanals sowie die Bewerbung von Kundgebungen, Infotischen und Autokorsos, hat sich ein kleineres Netzwerk an rechten bis rechtsextremen Untersützer*innen gesponnen, die die Kundgebungen und Korsos vor Ort unterstützen. Zentral wollen wir hier auf zwei Organisationen verweisen, die sowohl in Eisenstadt vor Ort als auch in Mobilisierungschats besonders engagiert dabei waren, CQ bei ihren Aktivitäten zu unterstützen.

Zum Einen – und nicht weiter verwunderlich – findet sich seit der Etablierung des Ablaufs „Autokorso durch Nordburgenland –> Kundgebung ab 14:30 an der Kreuzung Laschoberstraße/Ödenburger Straße –> Demo durch Eisenstadt samt Abschlusskundgebung am gleichen Ort“ die Medienplattform AUF1 des ehemaligen „Bund freier Jugend“ (BfJ)-Neonazis Stefan Magnet vor Ort ein, um live zu berichten. In Bezug auf Magnet und dessen Anbindung an den ehemaligen BfJ wollen wir auf den informativen Artikel der Kolleg*innen von SdR verweisen, wo alle wichtigen Infos zusammengetragen sind und darüber hinaus in Bezug auf AUF1 auf eine Artikelserie, die ebenfalls bei SdR erschienen ist. Nur soviel sei hier gleich erwähnt: Magnet hatte/hat via den BfJ gute Kontakte zu Küssel- und dem alpen-donau.info-Umfeld (etwa Felix Budin), sowie zu neonazistischen Burschenschaftern, die in der FPÖ Politik machen. Darüber hinaus stammt ein Teil der momentanen Redaktion auch aus dem Milieu der deutschen und österreichischen Corona-Rechten: So arbeiten mittlerweile Edith Brötzner, Manuel Mittas und Vivien Vogt bei AUF1. Erstere entstammen dem österreichischen Rechtsextremismus-Klientel (siehe weiter unten), Vogt dagegen der Passauer rechtsesoterischen Szene. Da hier Verbindungen nicht weiter verwunderlich sind und auch bis zu einem gewissen Grad auf der Hand liegen, gehen wir hier nicht weiter auf AUF1 ein, da auch alle dort angestellten Redaktionsmitglieder singulär bereits sattsam bekannt sind (siehe SdR).

AUF1-„Impfbus“ in Eisenstadt am 07. März 2022.

Auffälliger ist die intensivere Verbindung zu einem obskuren Teil der ostösterreichischen Corona-Rechten: Es handelt sich um die Medienplattform und St. Georgs-Ritterschaft „SGB Media“. Ihres Zeichens nach handelt es sich bei SGB um eine Organisation, die für zweierlei Aufgaben zuständig ist: sogenannten „unabhängigen“ Journalismus und Ordner*innen-Dienste bei Demos wie Kundgebungen sowie zeitweise im Auftrag der Stadt Wien auf der Donauinsel und im Rahmen des Donauinselfests. Eingegliedert sind beide Teile in die „St. Georgs-Ritterschaft Ostarrichi“: ein Verein, der dem Habsburg-Monarchismus anhängig ist und diese reakionäre Ideologie in Form von Ritterkostümspielen und -festen auslebt. Aufgefallen war SGB Beobachter*innen der Corona-Rechten erst während der Corona-Demos 2021/22 – dort waren vielfach Ordner*innen vertreten, die sich als Truppe von SGB auswiesen, und ein Tross an Fotografen, die ebenfalls SGB als ihre Redaktion angaben. Die SGB-„Redaktion“ selbst ist personell noch etwas umfänglicher besetzt. Auf den Corona-Demos erschienen allerdings stets die gleich SGB-„Journalisten“: Erich Weber, Stephan M. Bako, Daniel Muhr, Markus Hafner und Christian Mondre. Dabei scheint sich mittlerweile der signfikante Teil der „Arbeit“ von SGB (Stadt Wien-Aufträge blieben und bleiben aus) auf die propagandistische Berichterstattung von Corona-Demos zu fixieren, wobei einzelne Exponenten auch in Rednerfunktionen oder als eigenständige Organisatoren von Demonstrationen auftreten (siehe unten). Anzumerken ist, dass die ansonsten nicht allzu schillernde Ordner*innentruppe von SGB auch erst deshalb einen weiteren Bekanntheitsgrad erlangt hat, weil sie regelmäßig den OE24-Reporter und Vermarkter der Corona-Rechten Mike Vogel (in „Ungeimpft Österreich“-Westen) oder aber die Trucks mit den massiven Soundsystemen schützten (etwa den sogenannten „Freedom Truck“).

Kopf bzw. laut Eigenbezeichnung „Chefredakteur“ der Gruppe „SGB-Media“ ist Erich Weber. Weber schreibt als „Journalist“ hauptsächlich für Wiener Bezirkszeitungen, wohnhaft dürfte er im 05. Wiener Gemeindebezirk, 1050 Margareten, sein. Schon beim Durchsehen der „Zeitungsartikel“ für die Wiener Bezirksblätter fällt auf, dass Weber eine Affinität zur FPÖ, den „Blauen“ wie er sie nennt, pflegt. Der Eindruck verstärkt sich auf der hauseigenen Webpage, die SGB betreut: Dort tut Weber ganz offen seine Sympathie für die Demonstrationen der rechtsextremen Querdenken-/Fairdenken-Gruppe um Martin Rutter, Hannes Brejcha, Jennifer Klauninger und Manuel Mittas kund – sogar ein vorformuliertes Formular zwecks Einspruch gegen diverse  Verwaltungsübertretungen publizierte Weber unter seinem Namen. Ganz klar offenbart Weber auf der Webpage von SGB, dass er mit seinem journalistischen Aktivismus dazu beitragen will, die „Corona-Maßnahmen“ zu sprengen und sich gegen die damals im Raum gestandene Impfpflicht zur Wehr zu setzen. Munter und fröhlich manipuliert er auch sämtliche Zahlen an Demonstrant*innen, spricht so am 01. Mai 2022 von 15.000-20.000 Menschen in der Demonstration von Rutter und propagiert offen die Unterstützung der Covid-Leugner*innen. Doch Webers Interessen am rechten Spektrum wie auch konkrete Verbindugen in selbiges reichen noch um Einiges weiter: Zum Einen pflegt er gute Kontakte ins Bundesheer-, Polizei- und Kameradschaftsmilieu (das spiegelt sich auch in seinen online Bekanntschaften wider), was nicht weiter verwundert, war Weber laut eigenen Angaben doch selbst Polizist, bis er wegen langjähriger Erkrankung aus dem aktiven Dienst ausscheiden musste. Zum anderen ist er mittlerweile gut mit den Kadern von CQ bekannt: In einer Chatgruppe für die Mobilisierung zu den Autokorsos in Eisenstadt-Umgebung ist Weber äußerst engagiert, oft kommen allein von SGB vier Autos, um am Korso teilzunehmen. Auch mit Gottfried Küssel ist Weber persönlich bekannt, und noch mehr: Er koordiniert bei den Korsos und mittlerweile auch Demonstrationen die Ordner*innen-Struktur in Eisenstadt. Auch hat Weber keine Hemmungen, Küssel selbst in seiner Berichterstattung positiv in Szene zu setzen: So etwa dokumentiert er Küssels Reden, zahlreiche Fotos von Küssel „in action“ finden sich online verfügbar.

Neben Weber arbeiten als scheinbar reguläre Journalisten noch weitere Fotografen, die jedoch allesamt nicht so illustre Figuren wie Weber abgeben. Dennoch tauchten einige des Öfteren in Eisenstadt auf, um an den Märschen bei CQ teilzunehmen oder sogar für Videomitschnitte verantwortlich zu zeichnen. V. a. Stephan Bako sowie Daniel Muhr sind häufige „Gäste“ in Eisenstadt: Bako selbst dürfte als Fotograf zum Einen freiberuflich tätig, andererseits in einem Fotostudio im zweiten Wiener Gemeindebezirk, 1020 Leopoldstadt, „Foto Fally“ fix angestellt sein. Für SGB betreibt er sowohl Foto- als auch Videoreportage und dürfte darüber hinaus auch die Website und Domain von SGB (sgb-media.at) betreuen. Der zweite Fotograf, der regelmäßig bei CQ aufschlägt und sich dort wahlweise auch als Ordner betätigt, ist Daniel Muhr. Muhr ist kein Berufsfotograf und dürfte bei SGB „nur“ seinem Hobby nachgehen. Muhr selbst gibt an, bei „SOCIUS“ zu arbeiten, einem „sozial-ökologischen Verein“, der auf Armutsbekämpfung, Reinstandsetzung von alten elektronischen Geräten sowie neuerdings in der Geflüchtetenhilfe in Bezug auf die Ukraine-Krise aktiv ist.

Vom Ordnerdienst der SGB war v. a. Helmut Dohnal, der in Wien dutzende Male als leitender Ordner von SGB aufgetreten war und v. a. das Sichern unterschiedlicher Trucks durchführte, mehrfach bei den Aufmärschen von CQ anwesend. Dort trat er jedoch in keinem Fall selbst als Ordner auf, sondern eindeutig als Sympathisant und war darüber hinaus sogar früher als die meisten anderen SGB-Exponenten bei den Kundgebungen und Demos von CQ anwesend.

Helmut Dohnal bei der CQ-Demonstration in Eisenstadt.

Zwar nicht direkt in Eisenstadt aktiv, doch wichtiger Exponent von SGB grundsätzlich, ist des Weiteren Markus Hafner. Er gehört zur Ordner- und Fotografen-Truppe von SGB: In diesem Rahmen sicherte er wie auch Dohnal bei diversen Demos in Wien den sogenannten „Freedom Truck“, trat jedoch auch als besagter Personenschützer von Mike Vogel auf. Eine Zeit lang dürfte Hafner auch Lebensgefährte der Rechtsextremistin Jennifer Klauninger gewesen sein, die grundsätzlich über gute Verbindung zu SGB verfügt. Seinen Ordnerdienst absolvierte Hafner fast immer  im Shirt von „Ungeimpft Österreich“, dessen Logo in schwarz-weiß-roter Fraktur gehalten ist (unter diesem Logo traten auch weitere SGB-Ordner*innen auf unterschiedlichen Auto-Korsos öffentlich auf).

„Ungeimpft Österreich“ dürfte dabei auf eine kleinere, aber personell relativ konstante Gruppe von Aktivist*innen rekurrieren, dazugehörig ist allerdings auch eine semi-öffentliche Facebook-Gruppe, die mehrere tausend Mitglieder zählt. Darin tummeln sich neben bekannten Corona-Rechten und SGB-Exponenten auch Rechtsextremist*innen sowohl aus Österreich wie aus Deutschland. Manche dieser Profile sind voll mit Inhalten, die den Rahmen der Wiederbetätigung erfüllen, rassistische Hetze an der allgemeinen Pinnwand gegenüber Persons on the move, FPÖ-Propaganda zur sogenannten „Überfremdung der Heimat“, Transphobie und Hetze gegen LGBTIAQ*-Personen stellen die Regel, nicht die Ausnahme dar. Admin ist der bekannte rechtsextreme Corona-Leugner Peter Leis, der regelmäßig für die Veranstaltungen von CQ aufruft, gegen „die Antifa“ mit Bildern hetzt, die im neonazistischen „Infokanal Deutschösterreich“ (siehe unten, Kapitel zur Ideologieanalyse von CQ) publiziert werden und krudeste Verschwörungsnarrative aus dem Q-Anon-Spektrum bedient. Mit Markus Hafner dürfte Leis gut bekannt sein und auch Hafner dürfte zum inneren Kreis der „Ungeimpft Österreich“-Gruppe zählen. Zu den Kernaktivitäten der Organisierung zählen v. a. die Veranstaltung von Autokorsos in Wien und Niederösterreich, die unter dem nämlichen Titel abgehalten werden. Sowohl Hafner wie auch Leis dürften nebst anderen besonders darauf gepocht haben, die Trucker-Proteste und -Blockaden von Ottawa auch in Wien umzusetzen: Die unter dem „Freedom Day Konvoi“ angezeigte Veranstaltung, die eine ausgewiesene Kooperation mit „Ungeimpft Österreich“ darstellte, konnte bei ihrem Versuch, Wien am 11. Februar 2022 „lahmzulegen“, zwar nicht genügend Trucks aufstellen, das Aktionsformat spiegelt allerdings die Mentalität der Gruppe und ihre politischen Intentionen wider.

Darüber hinaus war Hafner auch mit Weber und dem bekannten Corona-Leugner Marek Kostyrk bei der Demo des „Lobau bleibt!“-Bündnisses vor der SPÖ-Zentrale, wo Weber offensichtlich versuchte, die Kundgebung für SGB zu dokumentieren. Auch Kostyrk ist seit jüngerer Vergangenheit dem SGB-Klientel zuzuordnen. So etwa tauchte er bei der CQ-Kundgebung am 05. Februar 2022 mit Weber und Muhr in Eisenstadt auf und hielt auch kurzfristig das Hochtransparent von CQ.

Obgleich mittlerweile auf der Hand liegt, dass SGB alles andere als ein unpolitischer, liebenswürdiger Provinzialjournalismus-Verein ist, soll folgendes Fallbeispiel nochmals klar machen, dass SGB seit 2022 auch als eigenständiger Akteur der Corona-Rechten zu betrachten ist (alle Tätigkeiten bei SGB werden ausschließlich „ehrenamtlich“ verrichtet, was das ideologische Moment unterstreicht): Am 15. Jänner 2022 organisierte Markus Hafner, der nicht als SGB-Media-Angehöriger bei der lokalen Bezirkshauptmannschaft antrat, eine Kungebung samt Demonstration im Zentrum von Baden, Titel: „Wir kämpfen für: Frieden, Freiheit, Demokratie“. Ziel u. a.: Mobilisierung für die Tags darauf stattfindende Demo am 16. Jänner in Wien. Ordnerdienste koordinierte Helmut Dohnal, Kundgebungsleitung vor Ort übernahm Erich Weber. Sowohl Martin Rutter, Hannes Brejcha als auch Jennifer Klauninger waren bei der Demo anwesend und hielten Reden. Angekündigt war auch der ehemalige FPÖ-NÖ-LAbg. Martin Huber, der wegen Verstoßes gegen §3g Verbotsgesetz  zu 12 Monaten bedingter Haft verurteilt worden war – Huber jedoch konnte seine Rede nicht halten.

Besondere Aufmerksamkeit ist auch dem Vereinssitz von SGB sowie der Person, die diesen zur Verfügung stellt, zu widmen: Tatsächlich trifft sich SGB für deren Sitzungen mittlerweile bei Ioannis Palaiologaros, bekannt auch unter seinem Pseudonym „Der Demo-Grieche“ und als Betreiber der – wegen der jüngst stattgefundenen Hausdurchsuchungen durch die COBRA ebenso bekannten – Lokalität „Siga Siga“ in St. Johann am Steinfelde (Puchberger Straße 18, 2630 Ternitz). Neben SGB trafen sich dort Aktivist*innen diverser Corona-leugnender Bündnisse – mindestens vier Razzien führten Polizeikräfte in der Lokalität durch: Bei der letzten Razzia wurde dann auch Konstantina Rösch, ehemalige Ärztin und bekannte Corona-Leugnerin (ihre Beziehung zu Küssel schlüsseln wir weiter unten auf) und Gottfried Küssel angetroffen, was dann auch das LVT Niederösterreich auf den Plan rief, nicht zuletzt, da es bereits zu Drohgebärden gegenüber dem SPÖ-Bürgermeister seitens des Siga Siga-Klientels gekommen war. So kann angenommen werden, dass das „Siga Siga“ zumindest in der unmittelbaren Corona-Rechten eine wichtige Rolle als Vernetzungspunkt gespielt haben dürfte und die dort anwesenden keinerlei Berührungsängste mit lang gedienten Neonazis aufwiesen. Was im Fall Palaiologaros sowieso nie glaubhaft war, denn: Zuvor schon trat dieser mit Küssel und Monika Donner, der ex-Mitarbeiterin des Wiener Landesamtes für Verteidigung und virulenten Geschichtsrevisionistin, in Manuel Mittas‘ „Out of the Box“-Kanal auf (zu Mittas siehe weite unten). Palaiologaros selbst erschien dann auch folgerichtig zum vierten „Nordburgenland-Aktionstag“ von CQ am 11. Juni 2022 selbst: Was seine laschen Versuche, sich öffentlich von Küssel und Vorwürfen, Sympathisant neonazistischer Politik und revisionistischer Strömungen zu sein, als besonders unglaubwürdig markiert und letztlich als juristische Schutzbehauptung  demaskiert.

Ebenso in Ternitz gemeldet, allerdings in der Franz Samwald-Straße 53, ist der Ableger von SGB-Media, „panorama media pictures“, der von SGB-Ordner Helmut Dohnal betrieben wird. Via Panorama wurden zumindest die zwei Proteste in Baden (siehe oben) beworben und angekündigt, wodurch angenommen werden kann, dass das Label vor allem dazu dient, die unmittelbaren politischen Aktivitäten einzelner SGB-Exponenten von SGB unabhängig (und damit auch der internationalen St. Georgs-Ritterschaft) publik zu machen, um Angriffsflächen für SGB zu reduzieren.

Zuletzt müssen wir leider noch auf die besonders unrühmliche Rolle der Pritschen- und Van-Vermietung „Priline“ in der Wienerstrasse 82, 2230 Gänserndorf, hinweisen. Nachdem Antifaschist*innen die Eigentümer*innen darauf aufmerksam gemacht hatten, dass sie Monat um Monat direkt an Gottfried und Karin Küssel Pritschen für deren Kundgebungen in Eisenstadt vermietet hatten, reagierte Priline pikiert und arg verharmlosend: Man würde an alle „Parteien“ vermieten, auch an „Global 2000“, „Greenpeace“ und für die Pride – man denke nicht daran, Küssel keine Pritschen mehr zur Verfügung zu stellen, da Österreich „eine Demokratie sei“ samt dem Hinweis (Mailaustausch während der Lockdown-Perioden): „auch wenn das so wie jetzt gerade nicht immer eindeutig erkennbar ist.“

Das Aufmarschgebiet von CQ: Eisenstadt, Eisenstadt-Umgebung und Purbach am See

Warum sich CQ ausgerechnet Eisenstadt als Kernaufmarschgebiet ausgesucht hat, lässt mehrere grundsätzliche Überlegungen zu: Eine sehr plausible Erklärung liefert zu allererst einmal pragmatisch die Tatsache, dass vor den Demonstrationen und Infotischen von CQ in Eisenstadt keine sogenannten „Corona-Demos“ stattgefunden haben. Obwohl in allen anderen Bundesländern noch in den kleinsten Städten Organisierungen aufgeploppt waren, blieb es in Eisenstadt und dem Burgenland vergleichsweise still – ein Vakuum, das sich durch CQ gut füllen ließ. Ein mögliche Verbindungsrolle könnte auch Peter Rennmayr gespielt haben: Wie oben schon erwähnt, stammt er aus Eisenstadt Umgebung und ist bereits länger im Umfeld von Küssel aktiv. Wird zusätzlich die momentane Struktur und ihre Konstanz in Bezug auf die Akteur*innen seit Beginn der CQ-Veranstaltungen in Betracht gezogen, muss geschlussfolgert werden, dass sich wohl ein Organisierungsprozess noch vor den ersten Demonstrationen in Eisenstadt abgespielt hat, dessen lokales Zentrum Eisenstadt-Umgebung darstellt – wodurch Eisenstadt aufgrund der geografischen Nähe schon grundlegend naheliegen wäre.

Ein weiterer Vorteil dürfte die völlige Absenz informierter Medienberichterstattung in Eisenstadt darstellen: Denn wird von dem einen Termin abgesehen, an dem der ORF-Burgenland mit einem Zwei-Personen-Filmteam vertreten war (unmittelbar von Josef Witzani und jenem namentlich unbekannten Neonazi drangsaliert), gab es abseits der Berichterstattung des unabhängigen „Presse Service Wien“ keinerlei mediale Aufmerksamkeit rund um CQ. Das dürfte v. a. Küssel sehr recht sein, denn sein Bekanntheitsgrad erlaubt es ihm in den meisten Städten Österreichs nicht, unerkannt oder ohne historische Einordnung, öffentliche Aktionen umzusetzen. Die umfassende Apathie gegenüber politischen Inhalten, die strukturelle Rechtsgerichtetheit ruraler und von Landwirtschaft geprägter Gebiete (Stichwort Bauernbund) sowie völlig falsch verstandene demokratische „Toleranz“ befördern die Versuche von rechten Akteur*innen, abseits größerer Städte Organisierungen aufzubauen.

Witzani und weiterer unbekannter Küssel-Intimus bedrängen ORF-Burgenland.

Die Geschichte rechter Umtriebe in Österreich bestätigt dies auch auf internationalem Maßstab: Das vorherrschende Klima des Schweigens und Wegschauens bisweilen sogar aktiven Akzeptierens eignete sich seit jeher für neonazistische Aktivist*innen, die sich politisch aufgrund von drohender oder einsetzender Repression zurückziehen mussten: Prominente Beispiele stellen etwa der deutsche Rechtsterrorist Ekkehard Weil nach seiner ersten Haft in Berlin, FAP-Kader Karl Polacek nach seiner Abschiebung nach Österreich, ebenso FAP-Mann Dirk Winkel und die ehemalige THS-Aktivistin Corinna Görtz oder aber – etwas rezenter – die Rückzugspläne in die österreichischen Alpen des Uniter e.V. im Hannibal-Netzwerk dar.

Für österreichische Rechtsextremist*innen spielt die Provinz aber eine ebenso integrale Rolle bezüglich ihrer Aktivitäten und Organisierungs- wie Rekrutierungsprozesse. So auch im Falle des momentanen Küssel-Netzwerkes und von CQ: Zentral für die Mobilisierung von CQ dürfte der kleine Ort Purbach (7083, Bezirk Eisenstadt Umgebung) sein. Es konnte festgestellt werden, dass CQ-Aktive dort regelmäßig in einem Objekt in der Sätzgasse 12 ein- und ausgingen, auch Beamt*innen des LVT Burgenland konnte in dem kleinen Ort beobachtet werden. Besonders brisant wurde dies allerdings, als LVT und LKA Mitte Juni eine bewaffnete Razzia im nämlichen Objekt durchführten: Man hatte seitens LKA und LVT aufmunitioniert, denn der Vorwurf lautete auf §279 StGB, „Bewaffnete Verbindung“ und: Man hätte mit der Möglichkeit massiver bewaffneter Gegenwehr gerechnet.6 Der Sachverhalt gibt Anlass zur Besorgnis: Küssels Affinität zu Wehrsport ist seit ANR-Zeiten gegeben, zahlreiche weitere alte VAPO- und alpen-donau.info-Kader sind im Umgang mit Waffen geschult, haben Wehrsportübungen unter Anleitung von Militärs besucht; Kader wie etwa Wolfgang Lechner haben Kenntnisse und umfangreiches Interesse an Kampfmitteln und deren Einsatz im politischen Kontext. Zusätzlich in Betracht zu ziehen, sind die massiven Mengen an sicher gestellten Kampfmitteln im Laufe der letzten Jahre in rechtsextremen Milieus Österreichs – hier geben bekanntlich v. a. drei solcher Funde konkrete Hinweise auf eine Verbindung zum Küssel-Klientel.

Hausdurchsuchung in einer von CQ genutzten Immobilie in Purbach (Nr. 12, gelbes Haus links).

Zum Einen sind da die Großfunde in den Räumlichkeiten des Peter Binder zu nennen: In dessen Umfeld kam es mehrfach zu Ermittlungen und zahlreichen Hausdurchsuchungen, mehrfach wurden enorm große Mengen von (Kriegs-)Waffen, Sprengmitteln und anderen Nahkampfgeräten sowie NS-Materialien gefunden. Darüber hinaus bestand eine Zeit lang die Vermutung, die ursprünglich vom BMI publik gemacht worden war, dass Binder eine neonazistische „Miliz der Anständigen“ aufbauen wollte, um den Systemumsturz in Deutschland und Österreich durchzuringen. Wir gehen an dieser Stelle nicht genauer auf die exakte Chronologie der Ereignisse ein, sondern verweisen auf den gut strukturierten Artikel der Kolleg*innen Moritz Eluek und Karl Öllinger – hervorgehoben muss für unsere Zwecke Folgendes werden: Die Waffendepots von Binder wurden in einem geplanten Schlag (erste Tranche in Binders Wohnung) und in einem Zufallsfund (zweite Tranche bei Binder in ehemaliger Wohnung und Keller der Eltern Binders) gefunden, nachdem die Behörden auf einen Verfassungsschützer des DSN (damals noch BVT) aufmerksam geworden waren, der für Binder Waffen und Munition akquiriert hatte. Danach kam es zu konzertierten Hausdurchsuchungen in insgesamt zwei Aktionen: Hier wurden in Wien, Niederösterreich, Burgenland und Oberösterreich sowie in Deutschland Objekte durchsucht, insgesamt 15 Verdächtige festgenommen, darunter neben Binder laut BMI amtsbekannte Neonazis sowie Personen des 1%-MC-Spektrums.

Kontextualisiert man dies nun mit der klammheimlich durchgeführten Hausdurchsuchung wegen Verdachts auf §279 StGB in Purbach, ergibt der ganze Komplex ein neues Bild der Dringlichkeit möglicher bewaffneter Verbünde: Zwar wurden konkret vor Ort keine Waffen sicher gestellt, die Ermittlungen aber halten an, der Verdacht sei keinesfalls aufgehoben. So muss geschlossen werden, dass u. U. Eisenstadt und das Nordburgenland sowie die Grenze in den Süden Niederösterreichs für CQ nicht nur aus agitatorischen Gründen interessant war: Es wird unklar bleiben, wozu genau das Objekt in Purbach gedient haben möge, doch die Häufung der Punkte neonazistischer Interaktion lässt Spielraum für Bedenken. Erhärtet werden diese Bedenken u. a. durch den Prozessbericht von Prozessreport zu Binders letzter Verhandlung wegen des Vorwurfs der Wiederbetätigung in Wiener Neustadt: Dort stellte sich heraus, dass Binder in rezentem Kontakt zu Karin Küssel gestanden hatte und bezüglich alltäglicher Dinge mit ihr korrespondiert hatte, zusätzlich wurde auch noch die Telefonnummer von Felix Budin auf Binders beschlagnahmtem Gerät aufgefunden.

Wie problematisch der Waffen-Komplex ist, zeigt sich anhand der mannigfaltigen Verbindungen, die CQ und allen voran Gottfried Küssel in der Corona-Rechten aufgebaut hat: Die meisten bekannten und für die Organisierung wichtigen Akteur*innen der Corona-Rechten sind mit Küssel bekannt, die meisten Durchschnittsdemonstrant*innen wiederum haben keinerlei Hemmung neben militanten Neonazis zu laufen. Wenn dann im Hintergrund dieser ohnehin schon extrem gefährlichen Situation noch möglicherweise bewaffnete Verbindungen und Bestrebungen zur Miliz-Gründung bestehen, wird das Gemisch der Corona-Rechten noch explosiver als es ohnehin gewesen ist / u. U. noch sein wird.

Küssels Beziehungen zu diversen Akteur*innen der Corona-Rechten

Neben Eisenstadt spielten auch die Demos der Corona-Rechten in Wien eine gleichermaßen wichtige Rolle für CQ und Küssel. Bei sämtlichen größeren Events marschierte die CQ-Fraktion mit Transparent auf, spätestens ab dem 20. November 2021 lief CQ dann mit einer länglichen Burgenland-Flagge als Frontransparent des CQ-Blocks. Dies dürfte in Anlehnung an jene regionalpatriotische Tiroler Aktivist*innen-Gruppe geschehen sein, die sich bei jeder Demo in Wien, zu der sie anreisten, mit einer überdimensionalen Tirol-Flagge inszenierten (obligatorisch verbunden mit Glorifizerung von Andreas Hofer usw.). Man hoffte wohl durch legeren Regionalpatriotismus Menschen über die eindeutig neonazistischen Akteur*innen hinwegzutäuschen, um so vorab Leute an die Gruppe zu binden – ideologische Schulungen, dass wusste schon die ANR, waren nachrangig handzuhaben. Scheinbar war CQ allerdings stets darum bemüht, relativ unbekannte bzw. geschichtlich nicht bekannte Menschen in die Frontreihe zu holen: So waren zwar manchmal Thomas Dunkl oder Josef Witzani am Burgenland-Transparent zu sehen, doch es überwogen stets noch unbekannte Gesichter jüngerer und älterer Corona-Rechter.

Doch betrachtet man v. a. Gottfried Küssels Verhalten auf den Demos näher, dann wird eine – in den Einzelfällen von diversen Kommentator*innen ohnehin schon bemerkte – tiefere Verbindung zur Szene rund um „Corona Widerstand“, „Fairdenken“, „Querdenken“ und einzelnen Akteur*innen der Corona-Rechten offenkundig, denn: Fast alle Personen, die als organisatorische Köpfe der österreichweiten Corona-Demos in Wien angesehen werden können, hatten durchaus vetrauten bisweilen freundschaftlichen Kontakt zu Küssel selbst, in manchen Fällen aber auch zu den alten Neonazi-Kadern Lucas Tuma und Harald Schmidt. Im Folgenden wollen wir die einzelnen Gruppen, zu denen näherer Kontakt seitens Küssel bestand, auflisten und teils auf historische Kontinuitäten der Verbindungen einzelner Rechtsextremist*innen zu Küssel hinweisen.

Wir wollen an dieser Stelle betonen: Der folgenden Part speist sich aus der aufmerksamen Beobachtung zahlreicher Journalist*innen und Aktivist*innen. Hervorheben wollen wir aber Schwurbelwatch Wien, die Twitter-Seiten der Journalist*innen und Aktivist*innen Hilde Harmlos und Dietmar Mühlbock sowie Stoppt die Rechten von denen wir zahlreiche Infos hierher übernommen haben, um auch diesen Teil der Recherche zu möglichster Vollständigkeit – bemessen am Stand vorhandener Informationen – zu führen.

a) Der Corona Widerstand-Komplex um Martin Rutter und der Fairdenken-Komplex um Hannes Brejcha: Rutter ist im österreichischen Rechtsextremisumus- und Neonazismus-Spektrum kein unbekannter. Seit 2017 war Rutter regelmäßiger Redner der Ulrichsberggemeinschaft, wo er den sogenannten „Kärntner Abwehrkampf“ glorifizierte und diesen als Vorbild eines rassistischen europäischen „Abwehrkampfes gegen die Massenmigration“ inszenierte. Durch die Ulrichsberggemeinschaft und die neonazistischen Kameradschaftverbände (etwa „Ehemalige der Waffen-SS“) dürfte Rutter an weitere Kontakte zur neonazistischen Szene Ostösterreichs gelangt sein, allerdings spielte Rutter bis zum Beginn der Covid-19-Pandemie keine große Rolle im Bereich rechtsextremer Politik. Wie weit Rutters Verbindungen jedoch Stand 2022 in die höchsten Kreise der neonazistische Szene reichen, zeigen die geleakten Chats und Sprachnachrichten zwischen ihm und Brejcha: Dort etwa fragte Brejcha Rutter nach der „Nummer vom Gottfried“, damit man ihm im Vorfeld der Demo mitteilen könne, „um was es geht“. Rutter antwortet, dass er sowieso in Kontakt sei und mit „Gottfried“ wegen der Demo korrespondiert und ihn auch gebeten hätte, er möge an einer konkreten Stelle der Demo gehen. Bei der Korrespondenz ging es um die Demo am 13. Februar 2021 – dort marschierte Küssel dann vor einer Kette von rund 20 vermummten Personen des Hooligan-Spektrums und übernahm die Verhandlungen mit jenem polizeilichen Einsatzleiter, der über beste Kontakte ins Milieu der Corona-Rechten verfügt; um genau diese Demo-Formation dürfte es in den Gesprächen gegangen sein. Wichtig zu bemerken, ist auch: Im Abgleich zu den anderen Chats, wo Rutter niemanden etwas „bittet“, sondern kategorisch anschafft, befiehlt oder absägt, tritt das gewendete Autoritäts-Verhältnis hier klar zu Tage. Zweifel, ob es sich um Gottfried Küssel handelt, waren spätestens dann beseitigt, als sich Rutter und Brejcha zu den neuesten Covid-19-Auflagen auf die „Expertise“ von CQ verließen und dabei direkte Kontakte offenbarten.

Über den Einsatz der sogenannten „taktischen Hools“ hatten wir schon in unserem Beitrag zur Partizipation rechtsextremer Hooligans an den Corona-Demos berichtet, hier wollen wir noch auf Rutters Vorstellung seiner Rolle bei gewaltsamen Auseinandersetzungen hinweisen: Rutters Plan sah für die Corona-Demos – v. a. wenn es zu Gewalt käme – eine Rolle vor, die er als „Führer“ bezeichnete. Dabei dürfte er, wie ein geleaktes Papier zeigte, sich selbst im Sinn gehabt haben: So unterzeichnet er unter dem Titel „Führer“ mit seinem Namen, darunter steht „Obersalzberg“ geschrieben, dahinter ein Bild von den Stollen im sogenannten historischen „Führersperrgebiet Obersalzberg“, wo Hitler seinen „Berghof“ und Martin Bormann den repräsentativen Sitz, genannt „Kehlsteinhaus“, zu Ehren Hitlers  errichten ließ. Wird dann noch in Betracht gezogen, dass Rutter mindestens einmal mit Reichsflagge auf einer Corona-Demo gesehen worden ist, wird klar, dass hier nicht nur eine Zweckgemeinschaft mit CQ und inbesondere Küssel getroffen worden ist.

Doch auch Hannes Brejcha dürfte sich sukzessive eine eigene Verbindung zu Küssel augebaut haben: Der FPÖ-Anhänger (ob Parteimitglied, unklar) und fanatische Antisemit mit massivem Hang zu Verschwörungsnarrativen des Q-Anon-Spektrums konnte des Öfteren mit Küssel beim Gespräch gesehen werden. Besonders deutlich zeigte sich etwa ein Naheverhältnis als Küssel mit seinem Leibwächter direkt neben der Redner*innentribüne stand, wo Brejcha gerade Instruktionen erteilte. Dennoch dürfte er selbst keinerlei karrieristische Ambitionen punkto rechter Bewegungen wie etwa Rutter pflegen – Brejcha dürfte sich in der Rolle des volksnah-kollegial auftretenden Netzwerkers wohlfühlen und mit schwer autoritären Typologien à la Rutter oder Küssel gut umgehen können.

b) Ebenfalls gute Kontakte bestehen zu der szenebekannten ehemaligen Ärztin Konstantina Rösch und ihrem Weggefährten, dem Anwalt und „Anwälte für Aufklärung“-Aktivisten Roman Schiessler. Beide waren zu Beginn bei MFG aktiv gewesen, waren dann aber aus der Partei ausgeschlossen worden. Rösch stellt wie auch Peer Eifler, der nun auf der Flucht vor den österreichischen Behörden in Tansania lebt, einen der wichtigen ideologischen Anhaltspunkte der Corona-Rechten dar: Durch ihr vermeintliches Fachwissen als offiziell zugelassen Mediziner*innen galten sie für viele als Autoritäten der Impfverweigerung aus vorgegaukelt naturwissenschaftlichen Gründen. Wie wichtig sie für die Szene sind/waren, zeigt etwa die für Rösch und Eifler von Brejcha und Rutter veranstaltete Demo vor der Ärzt*innenkammer am 17. September 2020. Anlass war die Kündigung der beiden Ärzt*innen sowie der Entzug ihrer Approbation. Ein entlarvendes Bild gab auch die beinahe überschwängliche Begrüßung Röschs durch Küssel bei der Demo vom 09. November 2021: Dieser begrüßte sie und Schiessler direkt, was auf eine längere vorhandene persönliche Bekanntschaft hindeutet und zeigt, wie weit verzweigt Küssels Netzwerk sein dürfte.

c) Nächster Fall: Der politische Obskurant Manuel Mittas, der sich selbst als freier Journalist beschreibt und v. a. für seinen Kanal „Out of the Box Media TV“ bekannt ist. Mittlerweile ist Mittas allerdings auch beim rechtsextremen Medium AUF1 untergekommen und berichtet für AUF1 live von Demonstrationen. Mittas widmete Küssel bereits am 31. Jänner 2020 ein Interview vor der Wiener Staatsoper, wo der Modus des Interviews auf ein freundschaftliches Verhältnis schließen ließ. Die Verbindung dürfte sich seither intensiviert haben: Immer wieder konnte Küssel mit Mittas bei Demos gesehen werden, doch der Höhepunkt dürfte jenes Video knapp ein Jahr später darstellen, das bei „Out of the Box“ am 30. Dezember 2021 erschien: Dort fantasierte Mittas mit Küssel Arm in Arm über Sprengstoffanschläge und die gewaltsame Absetzung der Regierung und des Parlaments. Statt zu einer Krise in der Beziehung zu führen – die anhänigigen Ermittlungsn des DSN dürften nicht gerade im Sinn Küssels liegen – intensivierte sich die Kooperation stattdessen: Ganze drei Male trat Küssel bei Mittas auf, gemeinsam mit der rechtsextremen Revisionistin Monika Donner – und beim dritten wie vierten Mal auch im Siga Siga in Ternitz. Dort war auch der Eigentümer Ioannis Palaiologaros und dessen Ehefrau anwesend, beide diskutierten aktiv mit Donner, Küssel und Mittas.

d) Doch nicht nur Küssel arbeitet eifrig als Netzwerker: Auch die beiden Altnazis Lucas Tuma und Harald Schmidt versuchen, sich regelmäßig bei anderen Organisationen und Akteur*innen einzubringen. Am 10. September 2020 trat Harald Schmidt bei einer Pressekonferenz von Jennifer Klauninger auf, die dort im Zuge ihrer Anklage wegen Verdachtes auf Verhetzung (Zerreißen der Pride-Flagge mit Manuel Mittas) öffentlich Stellung bezog. Schmidt, der zwar nicht mehr als Anwalt praktizieren darf (wegen der Verurteilung im Fall der Unterstützung von Elfriede Blauensteiner), war jedoch als Rechtsbeistand von Klauninger anwesend. Doch nicht nur zu Klauninger hatte Schmidt Connections aufgebaut: Auch mit Edith Brötzner, die mittlerweile für report24 und AUF1 arbeitet, gab es schon früh einen Schulterschluss durch gemeinsame Pressekonferenzen. Brötzner war im Rahmen der Corona-Rechten v. a. für die öffentliche Vermarktung der Corona-Demos zuständig und organisierte zahlreiche Pressekonferenzen. Die illustren Gesprächsrunden sahen etwa so aus: Inge Rauscher, seit Jahrzehnten bekennende Neonazistin und Gründerin des neonazistischen Initiative „Heimat und Umwelt“, im Gespräch mit Peer Eifler, WAB-Funktionär Christian Zeitz und Rudolf Gehring (Funktionär der rechten, antifeministischen „Christlichen Partei Österreichs“ (CPÖ), u. a. REKOS- und FPÖ-nahe), um das Anti-Impf-Volksbegehren zu promoten. Doch auch mit Herbert Kickl trat Brötzner im Rahmen von FPÖ-TV auf und stellte ihre Inititiave „Österreich ist frei“ (Öif) vor: Diese war von gängigen antisemitischen Verschwörungsnarrativen rund um einen globale „Corona-Diktatur“ getragen und erreichte v. a. durch besonders krasse Aktionsformate öffentliches Aufsehen: So etwa posierte die von Öif gestartete Aktionsform „Corona-Zombies“ – in weiße Gewänder verhüllte Gestalten, die die neue „Gleichschaltung“ aller Büger*innen durch die Corona-Diktatur abbilden sollte – in Braunau vor Adolf Hitlers Geburtshaus, den rechten Arm merkwürdig in die Luft gestreckt. Brötzner wurde daraufhin wegen Verdachts auf Wiederbetätigung nach §3g VbtG angezeigt.

e) Neben Schmidt fiel v. a. auch Lucas Tuma durch sehr öffentliches Auftreten und ständiges Bemühen um Kontakte in die Corona-Rechte auf. V. a. zu Jennifer Klauninger dürfte Tuma  engere Verbindungen aufgebaut haben: So etwa spazierte Tuma als Kleingruppe mit Klauninger und Christina „Kiki“ Kohl, THC-Kandidatin, durch die Wiener Innenstadt, Parolen brüllend und nahm an einer der ersten Demos der Corona-Rechten mit Klauninger am Donaukanal teil. Darüber hinaus hielt Tuma am 31. August 2020 eine Rede bei einer – damals noch von der Großgruppe „Querdenken 1 Wien AT“ veranstalteten – Corona-Demo und wurde ganz offen von Rutter angekündigt.

Junge Neonazis an der Seite der alten – CQ als Anziehungspunkt

Nicht regelmäßig, aber dennoch immer wieder, fanden sich an der Seite von CQ – v. a. bei den von ihnen öffentlich angegebenen Sammelpunkten für die größeren Corona-Demos in Wien – junge Neonazis aus unterschiedlichen Spektren ein, die im Kielwasser von CQ an den Aufmärschen der Corona-Rechten teilnahmen. Exemplarisch wollen wir hier auf drei öffentliche Auftritte von CQ eingehen – zwei Demos, die relativ am Beginn der CQ-Organisierung stehen und eine, die bereits eine mehr entwickelte Struktur seitens CQ aufweist.

Am 06. Juni 2020 marschierten neben Harald Schmidt der mittlerweile bei der AfD aktive Florian Köhl und der IB-Faschist Andrei Pavan am Transparent von CQ sowie Dominik Wendel und Bernhard Burian. Der dem Tanzbrigade- und Eisern-Wien-Spektrum zugehörige Neonazi Bernhard Burian haben wir schon des Öfteren beleuchtet, weshalb wir seine vielfältige neonazistischen Aktivitäten hier nicht nochmals aufschlüsseln (siehe vergangene Artikel zur IBÖ, rechtsextremen Hooligans und zur SGN). Wichtig ist hier v. a. zu bemerken: Burian trug mindestens ein weiteres Mal das Transparent von CQ, konnte beim Flyer-Verteilen für CQ gesehen werden und dürfte direkten Kontakt zu Gottfried Küssel pflegen, wie Aufnahmen bei der Demo vom 29. August 2020 – einer Querdenken-Kundgebung im Wiener Resselpark – nahelegen. Das ist insofern von großer Bedeutung als Burian als Scharnier zum jungen, „erlebnisorientierten“ Milieu betrachtet werden muss, aber eben auch zur IBÖ und dem akademischen Burschenschaftsmilieu. Als in diesem Sinne zentral dürfte Burians Aktivität für die neonazistische „Tanzbrigade“ gelten: Dort bringt er aktiv unterschiedlichstes Klientel zusammen, von Sparta Praha-Hooligans bis zu bourgeoisen IB-Faschisten. Dass nun auch mehr oder weniger direkte Verbindungen zu Küssel und CQ bestehen, beweist bloß einmal mehr, wie gut vernetzt die Wiener-Neonaziszene mittlerweile abseits tradierter Richtungsstreitigkeiten agiert.

Dominik Wendel kann folgerichtig dem gewaltaffinen Hooliganmilieu der Wiener Klubs zugerechnet werden, bzw. deren Überschneidungsmenge mit den ostösterreichischen IB-Sektionen – auf zahlreichen Demos der Corona-Rechten konnte Wendel in szenetypischer Kleidung, schwer vermummt im gewaltsuchenden Milieu beobachtet werden, u. a. im Tanzbrigade-Spektrum sowie im Umfeld des neonazistischen Rapid-Hooligans Michael Petrzela (aus dem Milieu der „Alten Garde“ stammend).

Dass die IB mittlerweile keinerlei öffentliche Berührungsängste mit bekannten Neonazis hat, zeigte auch eine Kundgebung am 01. Mai 2020 am Ballhausplatz: Dort konnte erneut Florian Köhl und der IB-Aktivist Jan Staudigl, der auch für die FPÖ-Landstraße kandidiert, im Gespräch mit dem alpen-donau.info-Neonazi Wolfgang Lechner gesehen werden. Lechner hielt sich fast die ganze Kundgebung über bei der IB auf, anwesend waren auch Martin Sellner (den Lechner noch aus den Jahren rund um 2010 kennen dürfte, siehe Fußnote 1), die IB-Faschisten Nikolaus Schmidt, Sebastian (Nachname unbekannt), Bernt-Pascal Stöger sowie Jakob Gunacker. Des Weiteren finden sich im Umfeld der IB zwei weitere Neonazis, die auch schon mit Thor Steinar-Schlauchschaal auf einer CQ-Kundgebung in Eisenstadt aufgetaucht sind. Davor waren beide zumeist in den Reihen der IB zu finden (auf mehreren Corona-Demos), auf der Kundgebung der FJ Burgenland in Deutschkreutz hielten sie sich dann sowohl bei der CQ-Fraktion wie auch bei eingefleischten IB-Kadern auf.

Am 31. Jänner 2021 gab CQ einen Vorab-Treffpunkt für eine geschlossene Anreise zur Demo vor der Wiener Staatsoper aus. Dort tauchten neben dem Kern von CQ auch zwei weitere – ursprünglich aus anderen Milieus bekannte – Gesichter auf: der aB! Olympia-Burschenschafter Daniel Konrad und der Neonazi Viktor Erdesz. Erdesz ist im Wiener Milieu spektrenübergreifend anzutreffen: Neben dem Burschenschafts-/IB-Milieu, wo Erdesz als aB! Olympia-Korporierter ein- und ausgeht und etwa mit dem IB-Faschisten Gernot Schmidt (auch Schmidt aB! Olympia korporiert) auch auf Urlaub nach Dalmatien fährt, ist Erdesz genauso bekannt mit dem Tanzbrigade-Spektrum (v. a. dem jüngeren Nachwuchsklientel um den Wiener Neonazi Bernhard Burian). Auf Wiener Corona-Demos konnte Erdesz darüber hinaus sowohl im Umfeld rechtsextremer Austria-Hooligans (etwa Marcel Stindl) sowie mit Thomas Cibulka gesehen werden. Kürzlich auch hat Erdesz für den einschlägigen Verlag „KL Militaria“, der in Themar ansässig ist, die Memoiren des SS-Panzergrenadiers Adolf Peichl herausgegeben. KL Militaria führt große Mengen solcher Neuherausgaben, allesamt thematisieren sie glorifizierend die Wehrmacht oder inszenieren sie als Kriegsopfer, v. a. aber die SS (Fokus auf Totenkopf-SS und allgemeiner Waffen-SS) – darüber hinaus bezeichnet sich KL Militaria legalistisch als „Antiquariat“, weshalb sie ohne weitere Probleme alte, unkommentierte Ausgaben von „Mein Kampf“ verkaufen können, diverse andere Hetzschriften des NS-Regimes sowie diverse NS-Orden und andere Devotionalien. 2020 trat Erdesz auch als Spitzenkandidat des „Team HC Strache“ für den 06. Wiener Gemeindebezirk, Mariahilf, an.

Daniel Konrad entstammt ebenso dem Burschenschaftsmilieu: Er dürfte auch bei der aB! Olympia korporiert sein und bewegt sich ebenso im Umfeld der IB, auch hier liegen Verbindungen zum IB-Faschisten Gernot Schmidt (und dessen Bruder, auch IB-Aktivist, Gerfried) vor. Beim Treffpunkt von CQ tauchte Konrad mit einem Pullover der französischen neonazistischen Vereinigung „Bastion Social“, dem offiziellen Nachfolger der „Groupe Union Défense“ (GUD) auf. Die GUD war eine neonazistische Studierendenorganisation, deren Logo ein schwarz-weißes Keltenkreuz darstellte – 2017 dann gründeten GUD-Mitglieder, nachdem sie ein Haus in Lyon besetzt hatten (18 rue Port-du-Temps, Lyon, wurde nach zwei Wochen geräumt), das Nachfolge-Projekt „Bastion Social“, das jedoch per Verbot 2019 bereits aufgelöst wurde, da gegen zahlreiche Mitglieder Verfahren wegen rassistischer Gewalttaten geführt worden waren. Zentrale Themen waren u. a. Remigration und die Verteidigung Europas gegen „Masseneinwanderung“ sowie die Priorisierung Weißer Europäer*innen in jeder Hinsicht. Ähnlich wie etwa „Casa Pound“ in Italien okkupierte man tradiert linke Praxisformen, wie u. a.  Hausbesetzungen und Verrichtung sozialer Arbeit (bei  Casa Pound und Bastion Social gewendet rein zugunsten Weiß wahrgenommener Menschen, als „Nicht-Weiß“ wahrgenommene Subjekte wurde mit massivster Gewalt begegnet), um ein rechtsextremes Äquivalent zur solidarischen Nachbar*innenschafts- und Kommunalarbeit zu etablieren.

Nach der umfassenden Analyse der Beziehungen und Bemühungen um Connections zu diversen rechten Splittergruppen und Einzelakteur*innen, muss sich ein*e Szenebeobachter*in die Frage stellen, warum Küssel und weitere Kader von CQ sich diese Mühe machen – und dann konsequenterweise klären, welche ideologischen und politischen Überlegungen dahinter stehen. Interessant ist die scheinbare Ablösung des Frontkonzeptes, das die konsequente Mitarbeit in nationalistischen, aber rechtsstaatlichen Parteien als essentiell vorsieht (siehe alpen-donau.info): Vom klassischen Hitlerismus scheint Küssel nach dem alpen-donau-Projekt abgekommen zu sein, denn schon der Name von CQ gibt einen neuen Turn vor: die Querfront verweist auf eine gänzlich andere Konzeption politischen Kampfes.

Was genau das bedeutet und wie CQ und v. a. Küssel ideologisch genauer einzuordnen sind, scheint uns von großer Wichtigkeit, um antifaschistische Gegen-Praxis zu entwickeln und zu reflektieren. Diesem Sachverhalt wollen wir uns im letzten Teil dieses Artikel widmen – dieser wird etwas theoretischer angelegt sein, da wir uns dem Begriff der „Querfront“ historisch annähern wollen.

Die ideologische Ausrichtung von CQ und die Frage nach Strategie und Taktik des NS-Milieus

Das Konzept der Querfront entstammt polithistorisch der Zeit der Weimarer Republik. Bereits ab Anfang der 1920er-Jahre beschäftigten sich gewisse Flügel und Gruppen der sogenannten „Konservativen Revolution“ mit einem möglichen Politkonzept, das – in den Worten des rechten Reichskanzlers und Hindenburg-Intimus Kurt von Schleichers – politische Lager diagonal vereinen sollte: Dabei aber ist kein Schluss von rechts bis links gemeint, sondern ein Schulterschluss der extremen Rechten mit rechten, bürgerlichen und linksliberalen (angedacht waren v. a. sozialdemokratische Gewerkschaftsverbände) Politgruppierungen zu verstehen, um zum Einen der radikalen Linken Öffentlichkeit und Anhänger*innenschaft zu entziehen, aber auch rechtsextreme Positionen weiter salon- und anschlussfähig zu machen. Dabei sollen „die Mitte“, liberale Kräfte und auch Gewerkschaften zum Legitimationsfaktor rechtsextremer Positionen werden, rechts-revolutionäre Teile der Konservativen Revolution versuchten darüber hinaus, klassisch linke Gesellschaftkonzepte (v. a. Spielarten des Sozialismus) aus typisch linken Politgefügen ideologisch herauszulösen.

Während Schleichers faktischer Versuch einer Umsetzung allein dazu dienen sollte, gemeinsam mit dem nationalrevolutionären NS-Flügel um Gregor und Otto Strasser, SA, deutschnationalen Fraktionen bishin zu sozialdemokratischen Gewerkschaften die politische Achse Hitler-Franz von Papen zu unterminieren, um dem NSDAP-Kader Strasser den Griff zur Macht zu ermöglichen, liegt der Ursprung genuiner neonazistischer Querfront-Ideologien (nationalrevolutionärer Flügel der NSDAP) in dem strategischen Versuch, den internationalistischen Sozialismus in einen national gedachten Sozialismus mit Fokus auf Volk und Volkskampf umzumodeln. Entgegen der Befreiung aller Menschen setzten die Ideolog*innen der Konservativen Revolution darauf, den Sozialismus vom Marxismus und Kommunismus abzulösen, um einen „deutschen Sozialismus“ aufzubauen.

Dabei kam es v. a. auf zwei Dinge an, die notwendig waren, um einen „deutschen Sozialismus“ erstens theoretisch und zweitens auch praktisch umsetzbar zu machen: erstens, die Ersetzung des internationalistischen Klassenbegriffs durch einen Volksbegriff und daran logisch anknüpfend zweitens, der Kampf des unterjochten Volkes gegen internationales Großkapital (national vs. international). Internationalismus wurde als Doktrin des weltumspannenden Finanzkapitals gebrandmarkt, das von Jüd*innen gelenkt würde, um die Völker der Erde zu knechten und leicht ausbeutbar zu machen. Zentral in der Erzählung war die sogenannte „Dolchstoßlegende“, die den Verlust des Ersten Weltkrieges und die massiven Reparationszahlungen als ersten Akt jüdischer Unterminierung des deutschen Volkes betrachtete, gegen den es mit allen Mitteln anzukämpfen gelte. Diesen Kampf müssten die Völker, deren lebendiger Ausdruck ein starker Nationalstaat sei, um jeden Preis mit vollem Bewusstsein und hohem Einsatz führen: Da die jüdische Verschwörung als global angelegt markiert war und deren Mission die totale Knechtschaft Deutschlands und der Welt darstellte, formulierte der sogenannte „nationalrevolutionäre“ Flügel der NSDAP, die Notwendigkeit, durch eine gewaltsame Revolution zum deutschen Sozialismus zu gelangen, der sich schließlich weltweit ausbreiten sollte.

Wichtige Figuren waren hierbei die Brüder Otto und Gregor Strasser sowie der SA-Gründer und Anführer Ernst Röhm. Gerade ex-Weltkriegssoldaten wie Röhm waren besonders affin für gewaltorientierte Umsturzfantasien, da sie an Kriegsgewalt gewöhnt waren und zumeist über umfangreichen Zugang zu Waffen verfügten. Zusätzlich hatten zahlreiche ehemalige Weltkriegssoldaten keinerlei oder kaum Perspektiven für ein weiteres Auskommen – was sie noch leichter empfänglich für einen raschen, gewaltvollen Systemwechsel machte und sie leicht in paramilitärische Verbände eingliedern ließ.

Die Vertreter*innen nationalrevutionärer Theorie  verstanden das „deutsche Volk“ dabei als von eben jenen getragen, die sie als Hauptverlierer*innen der Republik betrachteten: Die deutsche städtische Arbeiter*innenschaft und die – oben schon erwähnten – ex-Soldaten wurde so als revolutionäre Avantgarde des deutschen Volkes proklamiert, dessen geschichtliche Mission darin läge, Deutschland gegen die jüdischen Finanzeliten zu verteidigen und diese letzten Endes zu vernichten, um die Welt bereit zu machen für die Herrschaft des deutschen Volkes. Die in den Augen der Nationalrevolutionären moralisch verkommenen Eliten und die abgehobene, als verweichlicht dargestellte und ebenso jüdisch affizierte Bourgeoisie sollte durch die rohe, männliche Kraft des arbeitenden, schaffenden deutschen Volkes überwunden werden. Ziel war in Anlehnung an die stalinistische Sowjetunion (ein wichtiges Vorbild für Strasser und nationalbolschewistische Ideolog*innen) die permanente Konservierung der Diktatur des deutschen Proletariats (gedacht als autoritärer Terror-Staat ohne Parteien), der den Nationalsozialismus nach Durchführung der Revolution absichern sollte, um das deutsche Volk aus der wahrgenommenen „Verstümmelung“ durch die Versailler Verträge zu erneuerter politischer Kraft zu führen.

Doch dem Staat kommt in nationarevolutionärer Theoriebildung deutlich mehr Selbstzweck zu, als in der leninistischen Konzeption der Diktatur des Proletariats, die in dessen Schaffen aus der Notwendigkeit der gewaltvollen Übernahme der Staatsapparate und der Staatsmacht durch die revolutionäre Klasse geboren wurde und der Sicherung der Macht gegen sogenannte konterrevolutionäre Elemente und imperialistische Militärmissionen galt. Denn – wie der Begriff schon nahelegt – der deutsche Sozialismus baut fundamental auf ethnischer „Artgleichheit“ als absoluter Grundlage. Ein Begriff, den v. a. Carl Schmitt in seiner Rechtsphilosophie theoretisch fundiert hat, um diesen gegen – republikanisch verstandene – „Gleichartigkeit“ abzusetzen und der sich nun auch durchgängig in zeitgenössischen NS-Ideologemen wiederfindet. Der Staat müsse direkter Ausdruck des deutschen Volkes sein, der Souverän muss gerade das „Deutsch-Sein“ selbst widerspiegeln.

Querfront, hitleristischer Staat und die Strasser-Ideologie

Historisch gesehen kamen Querfront-Konzeptionen tatsächlich nur für den nationalrevolutionären Flügel der NSDAP infrage: Hitler selbst wollte mit solchen Taktiken wenig bis nichts zu tun haben, für ihn kam allein uneingeschränkte, gebündelte Macht infrage – der Souverän sollte Hitler und nur er selbst sein (durchaus ein Teilprodukt der Suche nach einem „Messias für das deutsche Volk“ durch Dietrich Eckart)7. Hitlers Lösung des oben gestellten Problems lag in einer strikt völkischen Ausrichtung des zu schaffenden Staates, der allein Ausdruck einer germanischen Rasse sei, deren Ursprung – hier kommen die späteren elitären Mythologien von Heinrich Himmler und der SS-Ordensideologie ins Spiel – in der Ethnie der „Arier“, einem mythischen Übermensch-Konzept, läge. Diese hätten in harmonischem Einklang mit der Natur gelebt, die ihre Stärke aus der Verbindung der „Arier“ mit „arischem Boden“ bezogen hätten (Lebensraum-Theorie, siehe nächster Absatz; die Thule-Gesellschaft etwa glaubte in bewusster Verdrehung einer obskuren Stelle im Werk Platons, die Arier lebten auf der bisher unentdeckten Insel „Atlantis“)8. Letzten Endes dann könne, wenn der deutsche Volkskörper bereinigt würde und wieder „arisch“ sei, das deutsche Reich zum Weltreich und Endpunkt aller Geschichte werden, heißt: der Lebensraum der Arier als Herrschaft über die Welt (vgl. etwa das von Hans Baumann komponierte berüchtigte NS-Lied „Es zittern die morschen Knochen“, wo die berüchtigte Stelle zu finde ist: „heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“). So legitimierte Hitler seinen  Terror-Staat durch einen mythisch überhöhten Volksbegriff und sein glühender Antisemitismus wurde problemlos zur Schmittschen Notwendigkeit, als Souverän einen absoluten Feind (innerlich wie äußerlich) zu bestimmen, was bekanntlich in den menschenverachtenden antisemitisch-rassistischen Tiraden in „Mein Kampf“ kumulierten Ausdruck fand. Die „Agenda“ des „Weltjudentums“ sei einzig und allein, den deutschen Volkskörper und -willen zu sabotieren und letzten Endes zu zerstören. Der durch alle Klassen wüst grassierende Antisemitismus in der Weimarer Republik kam diesen Ansinnen bestens zugute und ist ja gerade strukturelle Grundlage für die Möglichkeit der NS-Herrschaft überhaupt sowie strukturelle Bedingung für derartig ausschlagenden Antisemitismus.

Strasser kam schon früh in ideologischen Konflikt mit Hitler: Bis zum Scheitern des Putsches 1923 waren fast alle von einem revolutionären Umsturz der Regierung überzeugt, da man sich in der „Hauptkampflinie“ an Benito Mussolinis „Marsch auf Rom“ orientierte – doch in der Haft in Landsberg am Lech lernte Hitler den Geographen Karl Haushofer via Rudolf Heß kennen. Dieser war schon früh ein Theoretiker des geopolitischen „Lebensraum“-Konzepts, das annahm, dass eine soziale Gruppe eine fundamentale stoffliche Basis in jenem Lebensraum (Biotop) besitze, in der sie sich über lange Perioden aufhält und ohne die eine Gruppe nicht sein könne, was sie ist (= Blut und Boden-Ideologie). Bekanntermaßen wurde dieses krude Konstrukt Hauptideologem des Hitler-Faschismus und war Grundlage des „Generalplan Ost“ sowie auch des fanatisch antisemitisch-rassistischen Hasswerkes des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“. Dem folgte postwendend auch eine Neubestimmung der Funktion der Partei, die in einer neuen Gründung der NSDAP gipfelte: Nicht mehr solle sie revolutionär sein, indem sie Ausdruck der sprengenden Kraft der deutschen Arbeiter*innenschaft sei, sondern solle auf demokratischem Wege die Demokratie selbst überwinden und somit das totalitaristische Potenzial der Weimarer Gesellschaft schlechthin offenlegen. Das widersprach grundsätzlich dem, was Röhm und Strasser (sowie anfangs der junge überzeugte nationalrevolutionäre NSDAP-Redner Joseph Goebbels, der für Strasser arbeitete und ein ausgesprochenes Faible für die prügelden SA hegte) sich erwarteten und als essentielles Programm der NSDAP ansahen. Zwischen Hitler und Röhm kam es zu einem Bruch: Noch immer favorisierten die Nationalrevolutionären den Kampf auf der Straße gegen die Republik und das als bourgeoise und jüdisch imaginierte Großkapital zum Einen, gegen Kommunist*innen auf der anderen Seite. Die Neusetzung des Souveräns auf Basis der Vertreibung des internationalen jüdischen Großkapitals müsse dann – nach wiederum revolutionärer Vorstellung – aus dem Zerstörten das positiv Neue schaffen (hier natürlich auch der Gegensatz schaffendes – raffendes Kapital als Analogon zu national – international, der ebenso für Hitler konstitutiv war, der nur auf anderem Wege zum gleichen Schluss gelangt).

Springen wir an dieser Stelle – das oben angeschnittene Feld ist reichlich komplex und es gäbe noch Unmengen an Differenzierungen zu betrachten, doch glauben wir, dass an dieser Stelle die ideologische Differenz genügend herausgearbeitet worden ist, um im Text weiterzugehen – nun in die Zeit nach 1945, so spielt auch dort die Spaltung in hitleristische und nationalrevolutionäre Lager eine gewichtige bis zentrale Rolle. Wenn etwa der ANS/NA und spätere FAP-Kader Ewald „Bela“ Althans in Michael Schmidts Dokumentation aussagt, er habe sich von Michael Kühnen distanziert, weil:

Althans: He [Kühnen, Anm. d. Verf.] tried to make a so called special line in the fight, a revolutionary line, Ernst Röhm, Strasser and so on, which was not my line.

Interviewer: What was your line?

Althans: My line was that I was very hitleristic and I said that everything Hitler did was correct. And he said Hitler made mistakes“,9

dann wird deutlich, wie grundlegend die theoretische und ideologische Diskussion dieser Positionen noch in den 80er-Jahren in Top-Neonazi-Kreisen war (und in Althans Falle, der selbst homosexuell war, spielte Kühnens Sexualität keine Rolle). Dass v. a. die Ideologie-Frage in der FAP eine große Rolle spielte, zeigte dann auch die Spaltung ehemaliger ANS/NA-Kameraden: Während Kühnen, der nach seiner Haft die Strasser-Doktrin full-on als Hauptkampflinie der FAP durchzusetzen trachtete (mit Christian Worch und Thomas Brehl), wollten sowohl Althans als auch Jürgen Mosler dies nicht mittragen. In Moslers Fall dürfte das Coming-Out Kühnens eine größere Rolle gespielt haben, hängt aber insofern mit der Strasser-Doktrin zusammen, als Kühnen sich nach der Haft sehr stark auf Röhms SA und die Idee des reinen Männerbundes bezog. So verkündetet er u. a., dass gerade die sexuelle Bindung unter Männern als Ideal aller Sexulität zu sehen sei, da sich dort abseits der Sexualität zwischen Mann und Frau (rein funktionelle Reproduktion des arischen Menschen) schaffender Geist gegenseitig stärke – für typologischen Hitlerismus natürlich eine krasse Abweichung.

Ein anderes Beispiel ist eine an sich hinlänglich bekannte Begebenheit, die jedoch selten in ihrer Tragweite erfasst wird: Als der (mittlerweile verstorbene) Dortmunder Neonazi Siegfried Borchardt im Dortmunder Stadtrat gegenüber Spiegel TV 10 sarkastisch aussagte, er sei über seinen Beinamen „SS-Siggi“ unglücklich, weil er lieber „SA-Siggi“ heißen würde, dann ist das nicht nur krass, sondern klares Zeugnis einer nationalrevolutionären Ausrichtung. Entlarvend auch Borchardts Aussage an späterer Stelle selbiger Reportage: Auf die Frage, wie lang er denn weiter so aktiv in den Straßen der Dortmunder Nordstadt sein wolle, antwortet Borchardt: „Ja bis ich … ja … bis zur Revolution, was soll man machen. Ich hab nix Andres gelernt, als Revolution-Machen [lacht].“ Ähnliches dürfte auch für Gottfried Küssel sowie diverse andere langjährige österreichische Altkader gelten: Ein Ausschnitt aus einer Rede in Berlin vor GdNF-Kameraden verdeutlicht Küssels Rhetorik und Einstellung.

Ja wenn sie nicht unsere Freunde sein wollen, dann sind sie eben unsere Feinde, ist mir auch egal. Dann müssen sie aber mit unserer geballten Kraft rechnen, dann müssen sie damit rechnen, dass es mal Haue gibt, und dann brauchen sie nicht draussen auf der Straße schreien „Tod dem Faschismus!“ und sich aufregen, wann wir daherkommen und ihnen aufs Maul hauen! [Beifall] Wann dieses deutsche Volk endlich mal kocht, dieses Ding ist noch zu lau, heiß werden muss es, kochen muss es, es muss vor Liebe glühen, gemeinsam sind wir unausstehlich. Wir sind unausstehlich […].11

Küssel, der seine Wehrsportübungen unter Anleitung des VAPO-Kaders und ehemaligen Bundesheerlers Hans-Jörg Schimanek jun. auch in den braunen Hemden der SA durchführen ließ, war schon seit seinen Aktivitäten bei der ANR dafür bekannt, einen Hang zum nationalsozialistisch-nationalrevolutionären Proletenkult zu pflegen. Darüber hinaus spricht die Gründung der GdNF als „neue SA“ klare Worte: Auch die VAPO war Teil der GdNF, Bereich „Ostmark“. Natürlich bekennt man sich wie auch Röhm und Strasser vollumfänglich zu Hitler, aber ideologisch folgte die GdNF Kühnens Strasserismus.

Auch Küssels gekonnte Selbstinszenierung verdeutlicht seine politisch Herangehensweise: Der leichte österreichische Akzent, der sich klar abhebt von der deutlichen, rhetorisch einwandfreien Sprache eines Ewald Althans oder Christian Worch sowie das stete Rekurrieren auf politische Gewalt gegenüber Linken dürfte dabei einen Teil der Anziehungskraft Küssels im organisierten Neonazi-Netzwerk ausgemacht haben. Auch der ehemalige Neonazi und Aussteiger aus VAPO-Kreisen Stefan S. hat ähnliches in einem Interview, das im AIB erschienen ist, kundgetan:

Der [Gottfried Küssel, Anm. d. Verf.] hat sich hauptsächlich dadurch ausgezeichnet, daß er sich nachher [nach Wehrsport-Übungen der ANR in einem Steinbruch südlich von Wien, Anm. d. Verf.] bis zur Bewußtlosigkeit zugeschweißt hat. Deswegen haben sich viele „Kameraden“ von ihm distanziert. Der war nicht vertrauenswürdig. Die anderen waren fast alle Jus-Studenten aus guten Familien. Der Küssel, der galt als Vertreter des Proletariats. Alle anderen waren „rich kids“. Der Küssel, der hat derbere Späße draufgehabt. Der hat z.B. im Vollrausch auf der Höhenstraße Autos zusammengehaut.

Wichtig anzumerken ist, dass dies noch für die Zeiten galt, als ANR-Kader (Herman Plessl, Egon Baumgartner, Günther Bernard, Franz Koci, Bruno Haas, Michael Witt, Martin Neidhart) neben der „Volkssozialistischen Partei“ (VSP, von der ANR als „Apfelgruppe“ klandestin bezeichnet wegen ihres Parteilokals in der Wiener Apfelgasse) die Wiener Szene organisierten – Stefan S. attestiert Küssel schon mit der Gründung der VAPO nach dem Modell der „Freien Kräfte“ bzw. „Freien Kameradschaften“, seine Strategie verfeinert und die unkontrollierten Gewaltausbrüche beendet zu haben. Und betrachtet man die Organisierungen, die aus dem Umfeld von Küssel respektive durch Küssel selbst entstanden sind, so muss man klar sehen, dass Küssel sich nach jedem Repressionsschlag neu orientiert wie auch seine Strategie wohl immer nachhaltiger, vorsichtiger und langfristiger ausgelegt hat und ein rasches Gespür für Adjustierungen an gesellschaftlich-diskursive Themenschwerpunkte entwickelt hat.

Eine solche Adjustierung dürfte auch CQ darstellen: Denn kaum waren die ersten Kungebungen der Corona-Rechten abgehalten, trat auch Küssel auf den Plan. Mit einer erstaunlich diversen und umfassenden Gruppe an neonazistischen Aktivist*innen trat er nach Jahren der Haft und des Unsichtbar-Seins direkt wieder ins Rampenlicht und schon Ende August konnte Küssel auf der Redner*innenbühne von Querdenken gesehen werden. Der Aufbau zahlreicher Bekanntschaften und Bündnisse deutet auf eine klare politische Linie hin: Vereinigung rechter, nationalistischer, esoterisch-apolitischer und scheinliberaler Kräfte der Mitte, um unter gemeinsamen Bannern vorab „nur“ gegen die Regierung auf die Straße zu gehen. Die Inszenierung als Befreiungsbewegung und revoltierendes Volk gegen die Obrigkeit kann hierbei als nationalrevolutionäre Ideologie eingeordnet werden: Denn auch im Querdenken-Milieu zweifelte man bald an der friedlichen Strategie – viele sinnierten schon da einen militant herbeigeführten Systemwechsel herbei.

Fassen wir dies nochmals unter den ideologischen Dimensionen der Corona-Rechten zusammen, ist das Bild ebenso präsentativ: eine nationalrevolutionäre Querfront, die nach außen hin zahlreiche soziale Gefüge der Gesellschaft im Kampf gegen eine Weltverschwörung und einen international gelenkten, korrupten Staat eint, der durch eine Regierungsclique beherrscht würde, die wiederum nur auf Anweisung globaler Finanzelite agieren und handeln würde, die nun versuchen würde durch die Zwangsimpfung einen leicht kontrollierbaren „Globohomo“ zu erzeugen (die Analogie zur Strasser-Ideologie ist bestechend). Logisch konsequent erschien dann im Fortlauf der Proteste eine neue Website im Umfeld neonazistischer Telegram-Kanäle (mittelfristig gelöscht, nun aber wieder online): „Sozialismus Jetzt!“. Dazugehörige Sticker und mindestens zwei öffentliche Aktionen wurden unter dem Label betrieben. Der Eingangstext eines Videos stellt wiederum klare nationalrevolutionär-antisemitische Ideologie dar, die den klassischen NS-Topos der Jüd*innen als „heimatloses Trabantenvolk“ bemüht, das nur durch die Ausbeutung ethnisch-homogener Völker überleben könne:

In Wien hat es sich eine kleine Clique wurzelloser Spekulanten zur Aufgabe gemacht Mietshäuser anzukaufen, die Bewohner systematisch hinaus zu ekeln und anschließend die so frei gewordenen Grundstücke finanziell auszubeuten!

Darauf folgte die Forderung: „Enteignet die Bonzen!“, danach eine Transparent-Aktion mit bengalischen Flammen, auf dem Transparent zu lesen: „Sozialismus Jetzt!“ Die Website samt Aktion wurde allerdings nicht auf den Kanälen von CQ selbst lanciert: Denn CQ steht als politische Kraft in direkter Verbindung zu weiteren neonazistischen Kanälen und Websites, zwischen denen hintergründig starke Wechselwirkung angenommen werden muss. Denn – wie uns zugespielte Bilder zeigen – handelt es sich bei den Aktivist*innen von „Sozialismus Jetzt“  um die gleichen, die auch konstant bei den Demonstrationen von CQ in Eisenstadt in direktem Kontakt mit den Küssels stehen.

Wie die Aktionen der „Sozialismus Jetzt“ Gruppe zeigen, spielt die Gegend rund um Küssels Wohnung eine Rolle für die Durchführung von Aktionen. Auch kann in Bezug auf neonazistisches Treiben rund um das Objekt in der Unteren Donaustraße angemerkt werden, dass die Gegend zwischen Praterstraße und Unterer Donaustraße im Areal Nestroyplatz bis Praterstern meist zugepflastert ist mit neonazistischen Stickern der „Tanzbrigade“, „Eisern Wien“, „Identitären“ und von „Unwiderstehlich“ (dazu unten mehr). Dies wiederum deckt sich auch mit uns zugespielten Erkenntnissen einer antifaschistischen Gruppe: Der Gruppe ist es gelungen, Neonazis aus dem militanten Umfeld von Gottfried und Karin Küssel aus der Unkenntlichkeit in die Öffentlichkeit zu zwingen und aufzuzeigen, dass das Gewaltpotenzial der Gruppe über die Jahre keineswegs geringer geworden ist. Auf eine antifaschistische Initiative hin, die Anrainer*innen im Czernin-Grätzl ermuntern sollte, Neonazi-Aktivitäten in der Leopoldstadt zu dokumentieren, erfolgte eine gefälschte Antwort unter der Identität einer vermeintlichen Hausbewohnerin.

Die Antifaschist*innen ließen sich auf die Mail ein, in dem Bewusstsein dass es sich um eine Falle handeln könnte – der Falle allerdings wurde ebenso großer Erkenntniswert attestiert. Ein Treffen am Donaukanal zur vermeintlichen Infoübergabe wurde arrangiert, der Platz lag unmittelbar unterhalb von Küssels Haustür in der Unteren Donaustraße 39. Statt der vorgegebenen Hausbewohnerin kamen jedoch rund 25 schwer vermummte Neonazis in drei koordinierten Gruppen samt Späher*innen zum vereinbarten Treffpunkt (insgesamt etwa 30 Neonazis), zum Teil auch direkt aus dem Stiegenhaus der Küsselschen Wohnung.

Den Antifaschist*innen gelang es, das Auftauchen der Rechtsextremen zu dokumentieren, selbst aber komplett unerkannt zu bleiben. Folgendes Video wurde uns von der Gruppe übermittelt und zeigt das Auftreten der ersten eintreffenden Gruppe am ausgemachten Ort.

Beziehen wir dies auf die eingangs gestellte Frage, was nun eine „Querfront“ als politisches Modell tatsächlich erreichen will und was eben nicht. Wichtig ist hier die genaue Analyse der politischen Situation und das Erkennen der pluralen, aber konzertierten Mehrgleisigkeit neonazistischer Polit-Strategie im Angesicht des Erscheinens der Corona-Rechten: Oft ist zu lesen, Neoanzis nationalrevolutionärer Prägung würden nach einem Bündnis mit der radikalen Linken streben. Bezogen wird sich dabei meist implizit (ohne irgendeinen Nennung) auf eine kurze Periode in der politischen Konzeption der „Nationalen Front“ (NF), die etwa mit Slogans wie „Die Grenze verläuft nicht zwischen Links und Rechts, sondern zwischen oben und unten!“ für Aufsehen sorgte. Doch auch diese Phase wurde bald zugunsten einer Waffen-SS-Ideologie (Stichwort Europa-Konzeption) ab etwa Mitte 1988 für beendet erklärt. Ähnliches versuchte kurzfristig auch die „Sozialrevolutionäre Arbeiterfront“ (SrA), doch hier zeigt sich, was auch für CQ und „Sozialismus Jetzt“ veranschlagt werden muss: Das nicht öffentlich Motto der SrA lautete „Die linke Unruhe mit linken Mitteln nach rechts umfunktionieren“, was klar abbildet, worin die SrA die Nutzbarkeit linker Politik sah – das folgende Zitat verdeutlicht das nochmals auf besonders anschauliche Art und Weises:

Daß Grams [gemeint ist der RAF-Militante der 3. Generation Wolfgang Grams, Anm. d. Verf.] auf der falschen Seite stand, würden wir eher als Zufall bezeichnen […] Weiter müssen wir feststellen, daß wir uns genetisch und biologisch in keinster Weise von Linken unterscheiden – wohl aber  können wir Unterschiede zwischen uns und den HERREN DIESES Systems ausmachen. Das bedeutet für uns zweifelsfrei: Der Feind ist nicht im eigenen Volk zu suchen […] Wir sind bereit, mit dem ‚Teufel‘ [gemeint sind Linke, Anm. d. Verf.] ein Bündnis einzugehen, wenn es der nationalen Bündnisbewegung unseres Volkes nützt.

Schon im Konzept der SrA wird klar, dass man nicht versucht, eine gewissermaßen polit-neutrale Querfront aufzubauen, sondern gezielt politische Dimensionen der radikalen Linken zu okkupieren, zu übernehmen und für eigene Zwecke umzumodeln. Zwar war es für manche SrA-Kader wohl theoretisch denkbar gewesen, tatsächlich mit Linken politsch zu arbeiten, aber zweifelsohne bleibt der massive Antikommunismus (verstanden als anti-linke Ideologie generell) ein zentraler Stein in der Grundlegung neonazistischer Politprogramme. Umgelegt auf CQ bedeutet das: Man will unter keinen Umständen mit linken Gruppierungen kooperieren – was man will ist: sozialistische Positionen für sich nutzbar und der Linken abspenstig machen, um politische Hegemonie zu erlangen. Zwar ist dies nicht explizit durch inhaltliche Arbeit auf den unmittelbaren Propagandakanälen vermittelt, jedoch durch die Verbindungen zu anderen Kanälen, die im kommenden Abschnitt noch dargelegt werden.

Interessant ist in Bezug auf den Telegram-Kanal von CQ noch zu erwähnen, dass bei der Bewerbung von CQ und deren Veranstaltungen besonders niederschwellige Mobilisierungsmethoden angewandt werden: Weniger konkret Ideologisches ist dort vorzufinden, denn alltägliche Hetze auf Politiker*innen, oftmals im Format von Witzen oder Parodisierungen verklausuliert. Offenbar versucht man gezielt, klar rechtsextreme Inhalte subtil und indirekt zu vermitteln – meist erfolgt dies über den Umweg „impfskeptischer“ oder „impfkritischer“ Inhalte, die Rassismus, Antisemitismus und Sexismus ironisiert oder parodisiert aufscheinen lassen. Möglichst zugänglich für den diskriminierenden Alltagshabitus in Österreich und diskursiv locker gestrickt, dürfte es CQ so ein Anliegen sein, Personen unmittelbar dort abzuholen, wo sie stehen. Doch auch der ausgewählte Ort der lokalen Aufmärsche von CQ dürfte hierfür eine Rolle spielen: Mit Eisenstadt hat CQ die kleinste Bundeshauptstadt gewählt, das ländliche Gebiet erfordert nochmals andere Mobilisierungsstrategien als etwa die Metropolregion Wien.

Das Verhältnis von CQ & „Sozialismus Jetzt“ zu „unwiderstehlich.online“ und dem „Infokanal Deutschösterreich“

Neben den oben genannten Konstellationen gibt es noch zwei weitere Telegram-Kanäle, die als konstitutiv für den österreichischen Neonazismus erfassbar sind. Gemeinhin wird in Publikationen zumeist von Unwiderstehlich und der dahinter agierenden Neonazi-Gruppe als „Sprachrohr“ des österreichischen Neonazismus gesprochen – doch dieses Urteil greift zu kurz: Denn zumindest zwischen dem Infokanal und Unwiderstehlich gibt es starke Verbindungen – permanent werden die Inhalte der jeweils anderen Gruppe geteilt, ständig wird sich aufeinander bezogen. Wenn auch zum momentanen Zeitpunkt nicht klärbar ist, wer die beiden Kanäle konkret betreibt – eine ältere Einschätzung zum Klientel der ersten Unwiderstehlich-Gruppe findet ihr bei den Kolleg*innen sowie durch angefertigte Mitschnitte aus dem rechtsextremen „Reconquista Germanica“-Forum – so liegt im Mindesten die Vermutung nahe, dass beide Kanäle aus dem direkten Umfeld von Küssel stammen. Das Klientel, das die Kolleg*innen annahmen, führt direkt in den innersten Kreis der alpen-donau.info-Gruppe und auch die angehängten Screenshots des Reconquista-Forums legen nahe, dass zwischen der alpen-donau-Truppe und Unwiderstehlich eine personelle wie ideologische Kontinuität festzustellen ist.

Auch ist es wichtig zu bemerken, dass sowohl Unwiderstehlich als auch der Infokanal zwei Seiten einer Medaille ganz gezielt bedienen: Während Unwiderstehlich hauptsächlich in Bezug auf das politische Tagesgeschehen nationalrevolutionäre Einordnungen und Kommentare bringt, die zumeist die Themen Korruption, Finanzeliten und Migration bespielen, ist der Infokanal als rein ideologische Inhaltsschleuder zu betrachten. Dort findet sich ganz offen neonazistische Hetze, Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Transphobie und neonazistische Verschwörungs-Ideologeme in Bezug auf SARS-Covid-19 und die Impfung gegen das Virus.

Zwar wurde auf dem Telegram-Kanal von CQ nur ein einziges Mal Content des Infokanals geteilt (Unwiderstehlich-Inhalte zweimal), allerdings wurden die Veranstaltungen von CQ mehrfach im Infokanal beworben: Betrachtet man dann aber das ideologische Textmaterial im Archiv des unwiderstehlich.online-Page wird ein mögliches Nahverhältnis luzider. Dort referiert Unwiderstehlich ganz klar und offen auf Querfront-Ideologien und nationalrevolutionäre Konzeptionen. In ihrem Artikel „Weltbild und Weltanschauung I – Dogma gegen Aufklärung“ etwa findet sich abseits der grundlegenden Rassenlehre als ordnende Struktur der Geschichte (Religion und Aufklärung als Störung der Entwicklung natürlicher, erbbiologischer Rassen nach dem Gesetz des Stärkeren) der konkrete Hinweis auf die Notwendigkeit der Etablierung eines Volkes- anstelle internationalen Klassenkampfes. Dieser sollte die Herrschaft der kapitalistischen und imperialistischen Moderne beseitigen und ermöglichen, dass die europäischen Rassen sich wieder frei nach ihrer rassischen Veranlagung entwickeln könnten. Dabei wird erneut ein nationaler Sozialismus als integral definiert: Denn mit Werner Sombart (einem bedeutenden Theoretiker der Konservativen Revolution) stellt Unwiderstehlich fest, dass der Marxismus nicht den wahren Sozialismus abbilde, sondern dieser erst zu seiner Vollendung in einer nationalen Gemeinschaftordnung finden könne, die ihre rechtliche Ordnung nach dem Dienste des Einzelnen am Kollektiven misst („Liberalismus vs. Konservativismus – Sozialismus“). Daran anschließend wird auch eine pragmatische Querfront für durchaus sinnvoll befunden, die mit rechten, patriotischen und nationalen Parteien und Gruppierungen eingegangen werden könnte, um zumindst vorübergehend mehr Stärke im politische Alltag auf der Straße demonstrieren zu können und der Linken gesellschaftliches Pontenzial abspenstig zu machen – die Lösung allerdings liegt für Unwiderstehlich einzig und allein in der Schaffung eines nationalen Sozialismus, der vermöge eines diktatorischen Souveräns als verbindliche Verfassung gesetzt werden muss.

Naheliegend ist eine Praxis der Aufteilung der Rekrutierung und Propaganda auch aus einem recht banalen Grund: Schon die ANR hatte ihre Rekrutierungsarbeit immer damit begonnnen, neue potenzielle Mitglieder nicht ideologisch abzuholen, sondern über das Simulieren eines Gemeinschaftsgefühls, das auf dem Modus von Schmitts Freund-Feind-Dichotomie beruhte. Das bestätigt auch Stefan S.: Auf die Frage, wie schnell ideologische Elemente in der ANR gegenüber neuen Rekrut*innen verbreitete wurden, antwortet S.: „In der Anfangsphase kaum. Das Politische war mir damals wurst, ich bin von denen nur sehr langsam indoktriniert worden. Die Kameradschaft, die hat gezählt.“

So liegt aus obigen Gründen die Vermutung nahe, dass die drei Kanäle ein politisches Ganzes darstellen, das äußerst akkurat als Propagandamaschine genutzt wird, während auf der Straße vorab allein unter dem Logo der zugänglichen CQ-Gruppe aufgetreten wird.

Zwar handelt es sich um keinen Beweis, dass eine konkrete Interaktion zwischen den tatsächlichen Akteur*innen der Kanäle stattfindet, dennoch ist mit der Einschätzung der Kolleg*innen sowie der kurzen Aufschlüsselung der Ähnlichkeit der politischen Praxis erwiesen, dass ein Naheverhältnis angenommen werden muss.

Fazit

Wir wollen die Analyse von CQ an dieser Stelle mit einem Hinweis respektive einer Einschätzung schließen: Die Gruppe CQ zeigt exemplarisch, wie salonfähig Rechtsextremismus und Neonazismus in der Gesellschaft des postnazistischen Österreich noch immer sind. Diese Feststellung wurde vielfach im Rahmen der Corona-Demonstrationen belegt und expliziert – aber anhand von CQ kann ganz konkret gezeigt werden, wie schnell sich rechtsextreme Seilschaften bilden und wie gewillt rechte Akteur*innen sind, Kooperationen und Bündnisse einzugehen, um einem höheren Ziel entgegenzuarbeiten. Auch wenn die Zielsetzungen variieren und der Grad an Extremismus ebenso, ist diese Tendenz zu Querfront-Bildung bis ins mitte-liberale Lager hinein etwas, wogegen gesellschaftliche Gegenstrategien gefunden werden müssen, die abseits trivialer Einordnungen dieses Klientels als unzurechnungsfähig (Stichwort der gern verwendete Begriff „Covidioten“, vom Begriff des „Idiotismus“ ganz abgesehen), bildungsfern u. ä. liegen. Denn zum Einen verharmlost das die politische Dimension, die in zahllosen Fällen klar zutage trat und nimmt – durch den elitären Moralismus, der sich in diesen Begriffen und Aussagen entäußert – auch die Möglichkeit solche Bewegungen kritisch zu begreifen.

Zum Abschluss wollen wir wieder um Mitarbeit bitten – auch hier konnten wir nicht alle faschistischen Akteur*innen bestimmen, die Bilder dieser findet ihr untenstehend. Wenn ihr Menschen erkennt, meldet euch bei uns via eingerichtetem Kontaktfeld!

Unbekannte Neonazis:


1 Im Folgenden greifen wir etwa für Harald A. Schmidt oder etwa Lucas Tuma sowie an der einen oder anderen Stelle auf den reichen Informationsfundus von „Stoppt die Rechten“ zurück, werden das aber nicht an jeder Stelle direkt erwähnen. Deshalb wollen wir das an dieser Stelle tun – konkrete Artikel jedoch, auf die wir uns beziehen, werden selbstverständlich als solche verlinkt und gekennzeichnet.

2 Bekannt wurde Schmidt einer weiteren Öffentlichkeit, da er als Anwalt der wegen mehrfachen Mordes verurteilten Elfriede Blauensteiner dabei half, die Testamente in den Besitz Blauensteiners zu bringen, was ihm einen Haftstrafe einbrachte.

3 Wir erwähnen Küssels Kinder hier allein deshalb, weil durch die Dichte der Besuche von einschlägige politischen Veranstaltungen, keinerlei vorliegender Distanzierung vom Gedankengut der Eltern oder wenigstens Desinteresse an politischer Betätigung seitens Gudrun und Gerolf Küssel vorliegt. Wir müssen sie deshalb als bereits eigenständige Akteur*innen im neonazistischen Netzwerke Österreichs betrachten, die – davon ist zum jetzigen Zeitpunkt auszugehen – die nächste Führungsriege des NS-Spektrum darstellen wird.

4 Zur Wortklärung: Bei einer „Ferialverbindung“ handelt es sich um eine solche Art der Korporation, die nicht in einer Stadt gestiftet worden ist, in der die Korporierten direkt auch universitär immatrikuliert sind. Oft wurden sie von Burschenschaftern gegründet, die sich während der Universitätssemester in größeren Städten korporiert aufhielten, über die Semesterferien allerdings zurück zu ihren Familien in ihrer Heimatstädte reisten. Damit sie dort ebenso den Korporationsalltag aufrecht erhalten konnten, wurden sogenannten „Ferialverbindungen“ gestiftet, die entweder pennal „pF!“ oder akademisch „aF!“ konstituiert werden konnten. Dementsprechend wäre eine „aF! Wiener Reich“ eine geschichtlich inkorrekte Korporationsform, da Wien zum Einen über dutzende deutschnationale aB! verfügt, zum anderen eine der bekanntesten und ältesten Universitätsstädte Europas ist. Erklärt werden kann dies jedoch, indem das Rekrutierungsmilieu und die Strategie der Küssel-Truppe betrachtet wird: Küssel bildete seit jeher durch sein Charisma und seine persistente Umtriebigkeit eine Schnittstelle für das akademische wie aber auch proletarischere rechtsextreme Milieu; und so ist eine offene Ferialverbindung optimal geeignet, für diverse Typologien rechtsextremer Biografien als Anlaufstelle zu dienen. Wie wichtig auch das junge deutschnationale – sowohl pennale als auch akademische – Burschenschaftsmilieu für die alpen-donau.info-Organisierung war, zeigen etwa die folgenden Fälle: Benjamin Fertschai (ehemals aB! Silesia), Martin Sellner (ehemals aB! Olympia), Horst Pilz (ehemals aB! Olympia), Sebastian Ploner (ehemals aB! Olympia) oder aber der pennale Burschenschafter Thomas Cibulka (ehemals pB! Franko-Cherusker) – und auch das Umfeld ist gespickt mit Burschenschaftern: Angeführt seien hier zwei: Gernot Schandl (aB! Gothia), ein guter Bekannter des Autobombenfetischisten Wolfgang Lechner und der Unsterblich Wien-/Ballermann Jungs-Kader Christian Marinics (aB! Silesia). Hier findet ihr die ursprüngliche Recherche und die dazugehörigen Bilder.

5 Tanczos hatte an einer seiner Adressen dort auch einen Kommanditgesellschaft betrieben. Zweiter Kommanditist war neben Tanczos der ehemalige Vorsitzende der „National-Konservativen Union“ (NAKU) und der neonazistischen Burschenschaft „Tafelrunde zu Wien“ Wilhelm Ehemayer, der auch ein Intimus des im Sopron lebenden Neonazis Gerd Honsik war und für diesen die Einladungspolitik der neonazistischen Burschaft „Tafelrunde Ödenburger Markomannen“ organisiert hatte.

6 Das geht aus einem Kürzestbeitrag im Radio Burgenland hervor, wobei der Redaktion nicht klar war, dass die Hausdurchsuchung ein Neonazi-Objekt betraf.

7 Das zeigt sich etwa historisch anhand der Episode, als der DAP-Mitbegründer Anton Drexler versuchte, Hitler zurückzudrängen, um sich selbst mit Hilfe einer Koalition mit weiteren deutschnationalen und rechtsextremen Parteien die Macht in der NSDAP zu sichern. Hitler erklärte daraufhin seinen Austritt, einzig eine Bedingung würde ihn an die Spitze zurückholen: Drexlers Rücktritt vom Vorsitz und die alleinige Bündlung der Macht unter Vorsitz Hitlers.

8 Die Ideen gingen teilweise so weit, dass etwa der nazistische Geheimbund „Thule Gesellschaft“ annahm, dass es eine Form von „Atlantis“ tatsächlich gäbe oder gegeben habe, wo die „Arier“ weiterhin lebendig seien.

9 Wahrheit macht frei, Regie von Michael Schmidt (Kanal 1 des Schwedischen Fernsehens, 1991), 47:57 bis 48:21, https://youtu.be/l1NMuVMPw8w.

10 Nazi-Kiez in Dortmund – wo sich „SS-Siggi“ und der „Holland-Hitler“ wohlfühlen, Regie von Spiegel TV (Spiegel TV, 2019), 09:31-10:12, https://youtu.be/8OR2la_Dk1o.

11 Wahrheit macht frei, 33:18 bis 33:35.

Rechtsextremer Kampfsport, Biker-Kriminalität (MC) und neonazistische Vernetzungen: Die „Sportgemeinschaft Noricum“, ihr Umfeld und das gesellschaftliche Problemfeld Kampfsport.

Noricum

Seit 2018 existiert die neonazistische Gruppe „Sportgemeinschaft Noricum“ (SGN). Der keltische Stamm der Noriker, nachdem sich die Gruppe benannt hat, beherrschte in der vorchristlichen Zeit (200 v. Chr. bis ~16 v. Chr.) weite Teile des heutigen Staatsgebietes Österreich und die dort lebenden Stämme im sogenannten „Regnum Noricum“. Durch die Benennung ist schon eine erste Kategorisierung möglich. Der historische Bezug auf einen keltischen Stamm deutet auf eine nicht uninteressante Namensgebungspraxis hin: Der namentliche Verweis auf die als roh, brachial und vorzivilisatorisch wahrgenommene Zeit der germanischen und keltischen Stämme in Europa darf als typologisch für rechtsextreme Kampfsportbünde betrachtet werden (daneben ist das Narrativ bekanntermaßen auch bei deutschnationalen Burschenschaften beliebt). Die Stilisierung antrainierter professioneller Gewalt und rücksichtslosen Verhaltens gegenüber als Feind:innen wahrgenommene Individuen und Gruppen ist dabei maßgeblich für faschistische Kampfsportgruppen und deren Umfeld.

Der kollektive Haarausfall, das peinlich protzige Gehabe, die aufgepumpten Körper, die aussehen, als ob jeder noch so kleine Pieks die Luft rauslassen würde, tun jedoch das ihrige, um deutlich zu machen, welche Gesinnung die SGN nach außen und innen hin vertritt.

Ein Teil der Noricum-Kerngruppe.

Zynismus beiseite, bei Noricum handelt es sich um eine der verborgeneren männerbündisch organisierten rechtsextremen Gruppen Österreichs. Die Gruppe setzt sich hauptsächlich aus dem Hooligan-Spektrum der Wiener Clubs „SK Rapid Wien“ und „FK Austria Wien“ zusammen. Während die beiden Vereine grundsätzlich Stadtrivalen sind, vernetzten sich rechte bis rechtsextreme Hooligans unter dem Motto „Eisern Wien“ zu einer geschlossenen Gruppe neonazistischer Prägung. Erweitert wird Noricum durch Personen, die der Kampfsportszene zuzurechnen sind, sowie Personen aus dem Security- und Türsteher:innenbereich, allesamt mit starken Verzweigungen ins „Rotlichtmillieu“.
Festzustellen ist auch, dass sich die heutigen fixen Mitglieder von Noricum bereits mindestens seit 2015 einigermaßen geschlossen im Feld rechtsextremer Politik bewegen. Wie diverse Aufnahmen von Demonstrationen der „Identitären Bewegung Österreich“ (IBÖ) ab 2015 belegen, finden sich dort bereits die heute aktiven Protagonisten der Gruppe, wenn auch ohne Logo oder einheitlichem Auftritt. Haupt-Betätigungsfeld damals schon: Demonstrations- und Personenschutz.

Noricum und drei weitere Neonazis bei der Identitären Demonstration 2015.

Allgemein gilt, dass die Gruppe sowohl auf einen Öffentlichkeitsauftritt (abgesehen von Stickern und T-Shirts mit dem Noricum-Logo, sowohl für Teammitglieder als auch für externe Supporter:innen) wie auch auf einen offiziellen, geschlossenen politischen Ausdruck verzichtet. Dass wir hier jedoch nicht über einen unpolitischen Cis-Männerbund mit Kampfsportfetisch berichten, zeigt sich besonders deutlich anhand ihrer Teilnahme am „Kampf der Nibelungen“ (KdN) in Ostritz 2018. Hier reiste die Gruppe an, um mit einem eigenen Kämpfer (Roman Blaschek) am Event teilzunehmen. Die blutige Lippe Blascheks und die resiginierten Mimik lassen den Ausgang des Kampfes erahnen (siehe: Runter von der Matte).

Szeneveranstaltungen abseits der Augen der Öffentlichkeit scheinen das bevorzugte Aktionsfeld Noricums. So trifft man sich gerne im eigenen Vereinskeller im 20. Wiener Gemeindebezirk, Klosterneuburger Straße 123, 1200 Wien. Dieses dürfte von Robert Burgers (siehe unten) „STB Bau- u. Handelsgesellschaft m.b.H“ angemietet worden sein, um unnötige Querverbindungen zu einzelnen Mitgliedern von Noricum zu vermeiden.

Was aber steht hinter dem verdeckt agierenden Kampfsport-Team? Noricum passt nicht ins Bild typischer, rein politsch aktiver Neonazi-Strukturen in Österreich – weder ihr Organisationsformat noch ihre Betätigungsfelder lassen sich etwa in Übereinstimmung bringen mit den Strukturen der VAPO, des alpen-donau.info-Projekts oder aber elitärer Thinktanks à la AFP-Verein (dem ohnehin nur noch wenig bis gar keine Bedeutung zukommt, nicht zuletzt, da hochrangige Kader wie etwa Hermann Ussner – ehemals auch Mitlied der Kameradschaft Babenberg – aufgrund ihres hohen Alters wegsterben). Zugleich sind sie im Hinblick auf ihre zahlenmäßige Größe kleiner und verschworener als klassische faschistische Hooligan-Gruppierungen, auch wenn die Mitglieder Noricums durchaus diesem Spektrum originär entstammen. Lediglich 13 Personen tragen die Member-Kutten von Noricum, ein gewisses Spektrum an Supporter:innen erweitert die Kerngruppe – fast alle Supporter:innen dürften hierbei durchwegs aus der rechtsextremen Szene Wiens und Ostösterreichs stammen, wie etwa der langjährige Neonazi aus dem alten Unwiderstehlich-Umfeld (und relativ neues Support-Member) Helmut Liebenauer. Die Kutten als Uniform geben dabei bereits den entscheidenden Hinweis auf das dahinterstehende Organisationsformat, das immer mehr auch das typsich neonazistische Spektrum ummodelt: Noricum ist wie ein Outlaw-Motorradclub, kurz 1%-MC (siehe unten), strukturiert. Es gibt klare Hierarchien und Zuständigkeiten, es herrscht Kuttenzwang und man agiert nicht mehr rein politisch, um einen Systemumsturz gemäß faschistischer Ideologie zu erzwingen. Und so scheinen die MCs aber auch Noricum durchaus Bewegung in die österreichische Szene zu bringen: Seit wenigen Monaten nun tragen u. a. auch die Unsterblich-Mitglieder Kutten. Ein Trend, der sicherlich lohnt, weiter beobachtet zu werden, somal dieser in Deutschland schon hinlänglich seit den 80er-Jahren bekannt ist (wie etwa im Falle der elitären Neonazi-Verbindung „Vandalen – Ariogermansche Kampfgemeinschaft“, die schon seit ihrer Gründung 1982 in Berlin Weißensee durch Michael „Lunikoff“ Regener und Jens K. auf das MC-Format setzten).

Noricum lässt sich so eher mit jenen Strukturen vergleichen, deren Aktivitäten in Richtung organisierte Kriminalität orientiert sind: etwa der oberösterreichische Komplex „O21“ oder etwa die thüringischen „Turonen“/“Garde 20“ (das Thema wurde umfangreich beleuchtet, siehe etwa den extensiven Artikel von Konrad Litschko in der TAZ: Objekt 21 als Vorbild der Turonen oder aber den Artikel von Simon Tolvaj in der Lotta). Auch im Falle der Turonen (schon die Namensgebung vollzieht sich wie bei Noricum nach einem keltischen Stamm in der Region Thüringen/Franken im 2./1. Jahrhundert v. Chr.) und der Garde 20 findet sich eine MC-ähnlich Struktur. Hauptaktionsgebiet ist der Verkauf von Metamphetamin und Heroin, darüber hinaus werden Rechtsrock-Konzerte im großen Stil organisiert. Gewaschen wurde das illegale Geldkapital über Bordelle und teillegale Rotlichtstrukturen. Auch findet sich eine dezidierte Supporter:innen-Crew, die Gruppe „Garde 20“. Gute Kontakte hatten Gründungsfiguren der Turonen etwa auch zum oberösterreichischen O21 – auch hier ging neonazistische Aktivität einher mit organisierter Erpressung und Entführung, Drogen- wie Waffenhandel, Rotlicht-Kriminalität und neonazistischem Rechtsrock (Szenegrößen wie Philipp Tschentscher oder Jens Brucherseifer gaben häufig Konzerte im Desselbrunner Objekt). Auch im Fall Noricum lassen sich partielle Übereinstimmungen in den Aktivitäten finden: Gute Kontakte zu 1%-MCs, Verbindungen ins Rotlichtmilieu, Security- und Türsteherjobs, Baufirmen, die Kampfsportprojekte sponsern und Räume anmieten, obskure Inkasso-Unternehmen ohne möglichen Firmenbuch-Nachweis und allgegenwärtig: professioneller Kampfsport, v. a. MMA und Muay Thai. Darüber hinaus: beste Kontakte in die österreichische Neonazi-Szene sowie zu zahlreichen Gyms rechter Prägung. Dabei ist anhand von Fotomaterialien durchaus festzustellen, dass Noricum über hohes symbolisches Kapital in den diversen Mischszenen verfügt. Zum Einen dürfte das aus dem Kampfsport-Können abzuleiten sein, das – seit der Ablösung des Wehrsports durch regulären Kampfsport – hohes Ansehen in der Szene genießt; zum anderen sicherlich aus den validen freundschaftlichen Kontakten zu gewalttätigen, kriminellen Biker-Strukturen, etwa dem „United Tribuns MC“, dem „Outsider MC“ oder dem „Iron Bloods MC“.

Diese Ausrichtung spiegelt sich in den Aktivitäten wie auch der persönlichen Historie der 13 Akteure wider: Nicht alle sind genuine Neonazis seit ihrer Jugend, jedoch sind alle über unterschiedliche Weise in der obigen Aufzählug repräsentiert. Politisch gemein ist ihnen jedoch, dass alle Einzelakteure auch privat keinerlei Berührungsängste zu rechtsextremen Gruppen und Personen haben. Die folgenden Ausführungen werden detaillierten Überblick über die Gruppe selbst, aber auch deren weitläufiges Umfeld geben.

Die Mitglieder

Thomas Guzvan

Gemäß Patch auf der Kutte handelt es sich bei Thomas Guzvan um den „Chief“ der Gruppe (siehe oben). Guzvan enstpricht dem „typischen“ Bild österreichischer Neonazi-Hooligans: Originär entstammt er dem rechten Hooligan-Umfeld von Rapid und ist Teil der gemischten „Wiesn“-Gruppe (siehe unten) „Wiener Schlägerknaben“ (WSK).
Präsent war und ist Guzvan auf zahlreichen Demonstrationen der IBÖ, war Teil der Ostritz-Delegation und dürfte – wie Bilder nahelegen – als Türsteher im Rotlichtmilieu tätig gewesen sein. Privat macht Guzvan gerne den Eindruck des braven Schwiegersohns, wie auch Rac oder Blaschek (siehe unten). Zuletzt konnte eine Teilnahme Guzvans an jener IB-Demonstration dokumentiert werden, die nach dem Terroranschlag am Stephansplatz am 5. November 2020 stattfinden sollte, jedoch nach wenigen Metern von Antifaschist:innen blockiert worden war und sich auflösen musste.

André Emmanuel Rauch

Rauchs politischer Background liegt zum Einen in der organisierten Kurve von Rapid, zum anderen allerdings auch im neonazistischen Hooligan-Milieu von „Unsterblich Wien“: So war Rauch 2013 am Angriff auf das Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) beteiligt, 2016 engagierte die IBÖ Rauch und sein Umfeld für Security-Dienste rund um ihre Demonstrationen in Wien. 2017 reiste Rauch nach Berlin, um dort an einer Demonstration der IBD teilzunehmen. 2018 war er Teil der Noricum-Delegation, die am Kampf der Nibelungen in Ostritz teilnahm; im gleichen Jahr nahm er ebenso am Rechtsrock-Konzert in Themar teil. Auch wurde Rauch mehrfach auf Demonstrationen der Covid-19-Leugner:innen gesehen, zuletzt etwa am 20. Jänner 2022.

Andreas „Zwetschke“ Zepke

Zepke kommt ursprünglich ebenfalls aus der Hooligan-Szene und ist seit mittlerweile mehr als 20 Jahren in der neonazistischen Szene Wiens aktiv. Anfang der 2000er fiel er etwa als einer jener Neonazis um Christian Machowetz auf, die vor dem EKH Menschen drangsaliert haben, außerdem war er Teilnehmer am Neonazi-Aufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung im Jahr 2002 sowie Anwesender beim nationalen Liederabend im sog. „Stüber-Heim“ mit „Sterbehilfe“ (Isabella Kordas, B&H Wien- sowie O21-Umfeld, siehe unten) und „Lokis Horden“ (Rolf Müller, ex-B&H Wien). Das Stüber-Heim war das Parteilokal der elitär-faschistischen AFP, das aber von B&H Wien intensiv genutzt wurde: Eingeladen hatte am gleichen Abend dann auch der Mitbegründer von B&H Wien, Gregor Tschenscher.
Mit dem Aufkommen der Identitären Bewegung zeigte Zepke auch hier Präsenz, indem er u. a. mit Rauch Security-Aufgaben am Rande von deren Demos übernahm. 2015 wurde Zepke mit Felix Budin beim Plausch auf einer FPÖ Veranstaltung fotografiert: Budin entstammt dem Küssel-Umfeld, war zentraler Akteur rund um die alpen-donau.info Webpage und wurde bereits nach dem NS-Verbotsgesetz verurteilt. 2017 wurde in den Räumlichkeiten der Universität Wien eine Veranstaltung der FPÖ-Parteijugend RFJ durch Antifaschist:innen blockiert: Da die dort zu spät auftauchenden Neonazis vor verschlossener Tür standen, engagierte sich Zepke bei der Jagd auf Antifaschist:innen innerhalb der Universität zusammen mit dem Neonazi Markus Ripfl und dem IB-Faschisten Gernot Schmidt. 2018 war er Teil der Ostritzer Reisegruppe.

Phil Fegerl

Wie Rauch und Zepke ist auch Fegerl bereits vor einiger Zeit als Demo-Security bei IBÖ-Märschen in Erscheinung getreten. Seine lange rechtsextreme Gesinnung spiegelt dabei nicht nur sein Facebook-Profil wider, sondern auch seine Tätigkeit bei der rechtsextremen Security-Firma „Scorpio“, bei der u. a. auch Zepke tätig war. In diesem Rahmen konnte er auch auf diversen FPÖ-Veranstaltungen gesichtet werden. Zum Kampf der Nibelungen ist Fegerl nicht angereist, dafür begleitete er Patrick Spirk in Neusiedl am See in den Ring (siehe unten).

Roman Blaschek

Blaschek war Kämpfer von SGN am Kampf der Nibelungen 2018: Es blieb bis dato sein bislang einziges offizielles Auftreten für die Gruppe im Ring. Auch ansonsten scheint seine Kampfbilanz nicht gerade für Blaschek zu sprechen. Neben dem Ring allerdings konnte er vor kurzem in Neusiedl gesichtet werden, wo er gemeinsam mit Phil Fegerl als Ring für Patrick „Panzer“ Spirk anreiste. Ebenso konnte man Blaschek immer wieder auf Coronademos finden. Ansonsten ist Blaschek bemüht, sich als Familienvater mit seinen zwei Kindern auf Social Media zu inszenieren. Trainiert wurde Blaschek  im Gym „Wolf’s Kampfsportschmiede“ in Wien Floridsdorf – in den Räumlichkeiten dieses Gyms dürften darüber hinaus auch fast alle Noricum-Mitglieder trainieren oder trainiert haben. Das unten zu sehende Foto zeigt einen Teil der Gruppe mit dem Cheftrainer des Gyms Wolfgang Huber.

Daniel Kecskemeti

Sportlich begann Kecskemeti mit American Football beim Wiener Verein „Danube Dragons“. Eine Stadion-Hooligan-Vergangenheit ist uns an dieser Stelle nicht bekannt, jedoch dürfte er über die in der Rapid-Kurve stehenden Mitglieder von Noricum Zugang zum Rapid-Gym haben: Dort dürften neben Kecskemeti auch Wolfgang Schramm und Roman Blaschek von Zeit zu Zeit trainieren. Keckskemeti konnte auch auf einer Demonstration der Identitären 2015 als Ordner und Demoschutz gesehen werden: Auf Instagram posierend kommentiert er unter einem Foto von sich auf der IB-Demo u. a. mit „anti-antifa“. Laut eigenen Angaben arbeitet Kecskemeti für das Unternehmen „Whitemare Inkasso“ (die Existenz des Unternehmens konnten wir jedoch nicht verifizieren).
Die Noricum Kutte ist auch nicht die erste Kutte, die Kecskemeti trug. Fotos zeigen ihn in der Kutte der United Tribuns, was einmal mehr unterstreicht, wie eng der Kontakt zu dem United Tribuns MC ist.
Tätowiert wurde Kecskemeti übrigens von Patrick Zapletal (der an zumindest zwei Tanzbrigade Graffitis mitgewirkt hat) und Robert Wabro aus dem „Pain & Pleasure Tattoo Studio“ in der Liechtensteinstraße 50/1, 1090 Wien, auch dazu später mehr.

Robert Burger

Burger wiederum stellt eine weitere Facette der Noricum-Gruppe dar: Weder Hooligan noch unmittelbar politisch aktiv, ist Burger im MC-Milieu unterwegs und dürfte einen guten Draht zum rechten Kampfsportidol Henry Bannert haben. Darüber hinaus ist Burger Bauunternehmer, Fitnessfanatiker, Motorradaficionado und Kraftsportler mit guten Kontakten zu den Wiener 1%-MCs, besonders aber zu Einzelpersonen des Hells Angels Vienna Charters. Burger besitzt die Baufirma STB Bau- u. Handelsgesellschaft m.b.H. mit Sitz in Putzing am See 36, in 2203 Groß-Ebersdorf, an der auch Franz Schlederer, Brigitte Milka und Alfred Wenisch Anteile halten.
Die Baufirma Burgers tritt als Sponsor von mehreren Kampfsportlern auf, u. a. von Patrick „Panzer“ Spirk, einem Wiener Kampfsportler aus dem rechtsextremen Umfeld von Noricum (siehe unten).

Franz Schlederer

Schlederer kommt aus dem Wrestling Bereich („Prater Catchen“, wo er bis heute auftritt), Anfänge datieren ins Jahr 1982. Schlederer war Amateurringer, österreichischer Juniorenmeister, zwei oder drei Jahre im Nationalteam engagiert und errang mehrere internationale Turniersiege. Schlederer trägt als Wrestler den Beinamen „Der Söldner“. Die Geschichte hinter diesem Beinamen lässt tief blicken: „Als junger Mann wollte ich nach einer Jagdkommando Ausbildung beim Heer einige Zeit aus Liebeskummer nach ‚Rhodesien‘ (Simbabwe) als Söldner. Ich hatte schon für die belgische Meldestelle alles beisammen, um bei der FNLA [Anm. d. Verf.: „Frente Nacional de Libertação de Angola“] zu kämpfen, aber da war noch einige Zeit bis zum Abtritt dazwischen und sich was anderes ergeben“, tut Schlederer in einem Interview mit einem Wrestling-Szenemagazin kund.[1] Die Anwerbung von Rechtsextremen als Söldner etwa im Jugoslawien-Krieg, im Süden Afrikas oder Französisch Guyana stellte eine durchwegs gängige Betätigung für europäische Neonazis dar und Schlederers Interesse an paramilitärischem Engagement expliziert wohl seine Geisteshaltung als junger Erwachsener: Wenige Jahre später reisten Anfang der 90er-Jahre einige Personen (u. a. die VAPO-Kameraden Peter Preisl, Alexander Wolfert und Reinhard Rade; Hans-Jörg Schimanek jun. hatte vorab bereits versucht, in Französisch Guyana Kampferfahrung zu sammeln, was mit seiner Verhaftung und Abschiebung endete) aus dem neonazistischen Milieu der VAPO nach Kroatien, um für die faschistische „Hrvatske obrambene snage“ (HOS) zu kämpfen – Ziel: Verteidigung der Weißen Rasse. Die HOS wurde von Dobroslav Paraga geführt und galt als paramilitärischer Arm der an die Ustascha-Ideologie anknüpfenden „Hrvatska stranka prava“ (HSP). Neben dem Sammeln von Kampferfahrung, der politischen Motivation, war jedoch auch die massive persönliche Bereicherung ein Grund für solche Einsätze: So etwa konnte der aus Innsbruck stammende Neonazi Reinhard Rade durch Plünderung so viel Geldkapital erwirtschaften, dass er nachher ins Immobiliengeschäft in Ostdeutschland, v. a. im Raum Leipzig, einsteigen konnte. Der Profit floss dann wieder in die Organisierung der neonazistischen Szene zurück. Und auch aktuell ist die Ausreise von Rechtsextremist:innen in Kriegsgebiete wieder Thema: Dutzende Neonazis kündigten an, das „Weiße Europa“ gegen den russischen Angriffskrieg verteidigen zu wollen – hier ist dann die andere Seite zu sehen, die wohl auf Schlederer zutrifft: Zumeist handelte es sich bei den online kundgetanen Ausreiseplänen um protziges Maulheldentum, das nie Realität geworden war – was die besorgniserregende Tendenz der Militarisierung von neonazistischen Gruppen allerdings nicht schmälert. Zurück zu Schlederer: Neben seiner Wrestling-Karriere arbeitete er auch als Security: Er selbst gibt an, für Roger Moore und Jean-Claude Van Damme gearbeitet zu haben. Aber auch Kontakte zu einigen österreichische B-Promis und Politiker:innen scheinen vorhanden zu sein (u.a. Christina „Mausi“ Lugner, Jörg Haider Intimus Stefan Petzner und Janine Schiller). Als zusätzliche Finanzquelle kann Schlederer auf seine 25% Beteiligung an Robert Burgers Baufirma zurückgreifen.

Patrick Rac

Rac scheint etwas aus der Reihe zu tanzen – zu Rac ist uns keine Stadionvergangenheit bekannt, ebenso konnten keine Verbindungen zu IBÖ oder Security-Diensten rechter Bewegungen festgestellt werden. Seine Vernetzungen gehen – so scheint es – in Richtung organisierter Türsteher-Kriminalität.
Rac hat sich in eine „Unternehmerfamilie“ eingeheiratet. Seine Frau Martina Rac (geborene Virt) betreibt zwei Kosmetiksalons.

• Adelheid-Popp-Gasse 5/4/4, 1220 Wien
• Porzellangasse 52/5, 1090 Wien

Martina Virt ist die Tochter von Franz Virt, dem Betreiber des Ladens „Comics Virt“ in der Löwengasse 19, 1030 Wien. Offiziell ist es übrigens die Mutter von Martina Virt, Annemarie, die den Laden betreibt.
Relevanz haben sowohl Martina als auch Franz Virt. Franz Virt ist Teil des „Klub der alten Säcke“ (KdaS), einem Motorradclub für Pensionist:innen ohne Kuttenzwang. Eben diese Motorradtruppe organisiert regelmäßig gemeinsame Abende mit SGN im Noricum-Vereinskeller.
Martina Rac kann dahingehend vor allem im Umfeld des Noricum-Kellers gesehen werden: Dort ist sie freundschaftlich mit diversen Mitgliedern rechtsextremer MCs verbunden, arbeitet hinter der Bar und ist auf dutzenden Fotos neben den Kadern von Noricum zu sehen.
Der Bereich, der wohl die meisten Fragen aufwirft, sind Racs Geschäfte: Er selbst bewirbt auf Facebook die „Karibik Bar“ in der Hormayrgasse 49, 1170 Wien. Diese wird von Manfred Klingler (Komplementär), sowie Manuela Knezevic (Kommanditistin) betrieben und ist in diversen Rotlicht-Foren gelistet. Überprüft man die Social Media Profile der Betreiber:innen, findet man weitere Noricum-Mitglieder (in Summe wirken die Profile nicht sonderlich gut gepflegt und aktuell). Sowohl Thomas Guzvan als auch Rac dürften zumindest Sicherheitsdienste für das Bordell geleistet haben. Des Weiteren dürfte Rac eine obskure Handwerksfirma betreiben, „Rac Handwerkswelt“, die laut Eigenaussage hauptsächlich Fliesen und Naturstein verlegt – allerdings findet sich keinerlei juristische Evidenz, dass diese Firma tatsächlich existiert.

Ralf Kracher

Zu Kracher gibt es kein Belegmaterial für direkt rechtsextreme Aktivität auf der Straße. Kracher ist Kampfsportler (Muay Thai) und von Beruf Tätowierer in der Ink Society 26 außerhalb von Wien in der Friedrich-Kheck-Straße 57, 2540 Bad Vöslau (er selbst ist ebenfalls mannigfaltig tätowiert, darunter zahlreiche Runen und Neonazi-Symboliken). An selbiger Adresse ist auch der Kosmetiksalon seiner Frau, Tamara Kracher, gemeldet.
Aus Fußball-Perspektive ist auch Kracher Rapid Wien zuzuordnen. Abseits des Stadions verfügt er über Kontakte zu den Hells Angels. Darüberhinaus belegen Bilder sein Tolerieren von NS-Verharmlosungen im Kontext der Corona-Leugner:innen-Szene in seinen Facebook-Kommentaren.

Wolfgang Schramm

Schramm stellt – trotz Präsenz in Ostritz und auf diversen IBÖ-Demos – einen der unauffälligeren Typen dieser Gruppe dar. Zu Schramm ist wenig bekannt, ebenso wurde er in letzter Zeit kaum öffentlich gesehen: Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel und so konnte er auch auf einer Demo der Corona-Leugner:innen gesehen werden. Darüber hinaus steht er in der Kurve von Rapid und dürfte auch im vereinseigenen Gym trainieren.

Alexander Aradi

Aradi entstammt der rechtsextremen Kampfsportszene. Seine Verbindungen sind jedoch divers. So findet man Aradi auch im Umfeld von Motorradclubs der Outsiders und Iron Bloods, ebenso wie im rechtsextremen Hooligan-Umfeld unterschiedlicher Klubs, primär aber der Wiener Austria. Sein Kampfsport-Training absolvierte er im mittlerweile geschlossenen „Warrior MMA Gym“ in der Jedleseer Straße 66-94, in Wien Floridsdorf (1210). Hier trainierten u. a. auch der rechtsextreme Rapid-Hooligan Christian Lhotan und der Profi-MMA-Kämpfer Patrick Spirk. Das Studio wird von Dorian Pridal betrieben. Pridals politische Herkunft ist unklar, zeugt aber von hohem Gewaltpotenzial. Während wir in Erfahrung bringen konnten, dass er keine geschlossene rechtsextreme Gesinnung zur Schau tragen soll, führte sein Gewaltpotential bereits zu einer unbedingten Haftstrafe. Er soll zu den besten Kämpfern der lokalen Szene gehören, auch wenn sein Fokus weniger auf Kampfveranstaltungen liegt (Näheres siehe weiter untern). Unseren Informationen nach geht es im Warrior Gym primär darum, sich für Streetfighting fit zu machen, bizarrer Fokus laut Infos: wie Menschen auf der Straße „bare knuckle“ in möglichst geringer Zeit niedergeschlagen werden, sodass diese nicht mehr kampffähig sind.
Gemeinsam mit den anderen Noricum-Mitgliedern konnte auch er auf den Coronademos ausfindig gemacht werden. Auch ist Aradi öfters im Lokal „Zum Bierbaron“ (einem rechten Szenetreff in einem ansonsten Hipster-Linken-Bezirk Wiens) in der Kandlgasse 5, 1070 Wien zu Besuch und dürfte gute Kontakte zum Betreiber Daniel Nowacek pflegen.

Alex „Haa“ und Christopher Fischer

Mit Alex „Haa“ (amtlicher Name zu diesem Zeitpunkt unbekannt) und Christopher Fischer finden sich zwei weitere Personen, der eine mehr, der  andere weniger weit im Umfeld der Noricum Gruppe. Zu Alex „Haa“ konnten wir nur die Teilnahme in Ostritz und ein Facebook-Profil recherchieren. Das Profil des Dauerurlaubers verrät Hütteldorf als Heimatwohnort. Das Profil von Christopher Fischer ist mittlerweile gelöscht.
Auch wenn wir hier keine verwertbaren Informationen bereitstellen können, wollten wir die beiden der Vollständigkeit halber nicht unerwähnt lassen.

Das Umfeld

Wie wir bereits einleitend erwähnt haben, sind es die Szeneveranstaltungen im vermeintlich geschützten Kreis, denen die Noricum-Mitglieder am liebsten nachgehen. Grund genug, dass wir uns ihr Umfeld genauer ansehen. Beginnen wir mit drei besonders prominenten Figuren der österreichischen Neonaziszene.

a) Thomas Kalcher-Cibulka war Burschenschafter bei der pennalen Burschenschaft Franko-Cherusker, schloss sich als junger Erwachsener dem alpen-donau.info-Umfeld rund um Gottfried Küssel an und arbeitete als Security beim BVT-U-Ausschuss, was für großes mediales Aufhorchen sorgte. Kolleg:innen haben dazu, wie auch an anderen Stellen dieses Artikels, bereits zahlreiche Hintergrundinformationen gesammelt, auf die wir an dieser Stelle zurückgreifen.

b) Paul Blang war wie auch Cibulka bei alpen-donau.info aktiv. Er bewegte sich im engen Umfeld von Gottfried Küssel und tauchte nach der zweiten Haftperiode von Küssel immer wieder in unterschiedlichen neonazistischen Räumen auf; gemeinsam war er auch mit Kalcher-Cibulka und weiteren Neonazis aus dem alpen-donau-Umfeld zum Kampf der Nibelungen angereist. Zurzeit können sowohl Kalcher-Cibulka als auch Blang gemeinsam mit dem Unsterblich-Capo Christian „Guntramsdorfer“ Wagner im Hooligan-Block der „Viola Fanatics“ gesehen werden, so u. a. auf Auswärtsfahrt zum befreundeten Szeneverband der „Ultras Slovan Pressburg“.

c) Bernhard Burian: Burian ist einer Mischszene von Identitären, Hooligans sowohl aus den rechtsextremen Milieus von Rapid, aber auch dem ehemaligen Flagrantia-Milieu (Austria), der neonazistischen Tanzbrigade sowie dem alpen-donau-Umfeld angehörig. Ebenso gut befreundet mit elitären Burschenschaftern wie Florian Köhl (jetzt AfD) als auch der neonazistischen Hooligan-Gruppe rund um Michael Giebner (dieser gründete mit dem Neonazi Alexander Niessner den Fanclub Flagrantia Wien, der von der Austria nicht zugelassen worden war und seit einiger Zeit auch inoffiziell aufgelöst ist), ist Burian als äußerst umtriebig in der nationalistischen Szene einzuschätzen. Genauere und rezentere Verstrickungen aller drei Akteure findet ihr in unserem vorherigen Beitrag zur Hooligan-Szene.

Burian, Blang und Kalcher-Cibulka bei der Noricum Jahresfeier am 1.2.2020.

Ebenfalls Stammgäste im Noricum Keller sind die Mitglieder des „Klub der alten Säcke“ (KdaS). Dabei handelt es sich um einen Pensionist:innen-MC, in dem auch Franz Virt, der Schwiegervater von Patrick Rac, aktiv ist. Der KdaS hält seine Gruppenabende normalerweise Mittwochs ab 18:00 im „Gasthaus zur Alm“ ab (im Laufe der Recherchen wechselte der KdaS ins „Gasthaus Mehler“, Handelskai 338, 1020 Wien). „Die Alm“ ist eines der äußerst einschlägig bekannten Lokale Wiens. Bis Mai 2020 war Andre Herold als Betreiber ausgeschrieben: Herold kommt aus dem Wiener Blood & Honour Umfeld, hat gute Kontakte zu den Verurteilten im Fall „Objekt 21“ und veranstaltete 2009 ein Soli-Konzert für den Neonazi und verurteilten Mörder Jürgen Kasamas (Kasamas war Kampfsportler und prügelte eines Tages einen Obdachlosen zu Tode). Ebenso veranstaltete die IBÖ ihre ersten Parties und Veranstaltungen in den Räumlichkeiten der Alm. Der KdaS listet Herold mittlerweile auf seiner Homepage als Mitglied des Clubs. Geht ein Klubabend in der Alm irgendwann zu Ende, ziehen die Pensionist:innen gerne weiter in den nicht weit weg gelegenen Noricum-Keller, um den Abend dort ausklingen zu lassen. Oder aber sie kommen direkt zum Noricum-Sommerfest, dem Noricum „Charity-Punsch“ oder gar der Jahresfeier: Dort etwa überreichte der Road-Captain des KdaS, Karl Wolf, u. a. ein Geschenkbild an Zepke und erhielt als Gegenleistung ein Supporter-Shirt von Norium.

Veranstaltungen wie das Sommerfest bzw. der Charity-Punsch stellen einen allgemeinen Anziehungspunkt für diverse Akteur:innen der rechten Szene dar. Die MC-Freundschaften reichen nämlich weit über den KdaS hinaus. So finden sich immer wieder Mitglieder des Iron Bloods MC, des Outsider MC und vor allem des United Tribuns MC im Noricum-Keller ein, bspw. zum „Charity-Punsch“ am 21. Dezember 2019. Die Iron Bloods und Outsiders weisen beide eine lange Geschichte im Bereich organisierten Rechtsextremismus auf: So sind u. a. die Outsiders zu größerer Bekanntheit gelangt, als in ihrem Vorarlberger Clubheim ein 20-jähriger Neonazi von B&H Vorarlberg erstochen wurde, was zu langen, teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen B&H und dem Outsider MC im Westen Österreichs geführt hatte.

Interessant ist auch die Verbindung zum „Red Dogs MC Vienna“. Einerseits finden sich auch hier Freundschaften zwischen den Noricum-Mitgliedern und den MC-Members, andererseits gibt es – wie im Falle der Beziehung zu den Tribuns – eine gewisse Art finanzieller Kooperation. Der MC-Präsident Jakob Berger betreibt das Mode-Label „Radaubruder Streetwear“ in der Utendorfgasse 4/4, 1140 Wien. Dieses ist als non-profit-Unternehmen gelistet und „diene [laut Berger] dazu, gewisse Personen, die in ihrer Sparte gut sind, allerdings nicht die finanziellen Mittel haben, zu unterstützen und auf die nächste Ebene zu bringen.“[2] Wer und was damit u. a. unterstützt wird, findet sich im nächsten Abschnitt dieses Artikels. Vorweg, wie bei Motorradclubs üblich, finden sich auch hier die klassischen Taktiken, um mit Hilfe von vermeintlichen Charity-Aktionen Anklang in der Öffentlichkeit zu finden. In diesem Fall wurde am 13.12.2019 ein Betrag von 1.312 € (ein Akronym für „ACAB“: „All Cops Are Bastards“) übergeben – die Süffisanz entblößt die Spende und zeigt ihren wahren Zweck: Angeberei und martialische Selbstinszenierung.

Der Noricum-Kraftsportler Robert Burger konnte zusammen mit Henry Bannert darüber hinaus bei der Eröffnung des „Other Place Vienna“ im September 2021 gesehen werden. Dabei handelt es sich um einen szeninternen Biker-Treff in der Steinbauergasse 34, 1120 Wien Meidling. Dort posierten beide mit einem Mitglied des Vienna Charters des Hells Angels MC – bei der Eröffnung konnten aber grundsätzlich die Kutten von beinahe allen namhaften und in Wien tätigen MCs, die freundschaftlich mit den Hells Angels verbunden sind, identifiziert werden.

Hells Angels-Members unterschiedlicher Charter vor dem Other Place.

Im Zuge der Analyse der Noricum-Verbindungen wollen wir hier besonders auf die vielschichtige Verbindung zu den United Tribuns hinweisen. Dabei geht es uns nicht primär um die Machenschaften des MCs, da dieser für unsere Zwecke nur bedingte Relevanz hat. Klar ist – das wollen wir hier schon erwähnen – dass es sich bei sämtlichen Tribuns-Strukturen (wie ja auch bei den Hells Angels, Iron Bloods und Outsiders) um 1%-Gruppen handelt, sprich: Solche MC-Gruppen definieren sich als „Outlaws“.  Die englische Bezeichnung auch deshalb, weil die 1%-MC-Idee im Süden der USA (Texas & Kalifornien) Ende der 1940er-Jahre erstmals aufkam. Auch wenn die ideologische und soziale Geschichte der MCs äußerst interessant ist, ist hier nicht der Ort, diese analytisch aufzuschlüsseln – Fakt ist: der United Tribuns MC ist einer der größten 1%-MCs in Europa und war 2004 in Villingen-Schwenningen (Baden-Württemberg) von den Brüdern Armin „Boki“ und Nermin Ćulum gegründet worden. Beide waren Kampfsportler, Armin Ćulum professionell und erfolgreich (englisches Boxen, Schwergewichtsklasse); beide hatten darüber hinaus gute Kontakte ins Security- und Türsteher:innen-Milieu. Systematisch organisiert wurden diese Kontakte dann in Form des United Tribuns MC. Der MC war ideologisch klassisch im Stil der 1%-er aufgeladen: Brüderliche Cis-Männlichkeit bis in den Tod, Omertá nach außen, gemeinsame „Freiheit“ ausleben jenseits von Gesetz und Recht usw. – es lohnt nicht, hier weiter zu analysieren, zu banal und simpel ist die rigoros gefährliche, patriarchale Männlichkeit, die sich da entäußert. Praktisch daran anschließend waren die Betätigungsfelder der UT: Was mit Bordell-Security, Rotlicht-Milieu und Türsteherei begann, wurde rasch und sukzessive durch die guten Verbindungen nach Bosnien erweitert. Im großen Stil wurden bald junge Frauen und Mädchen aus Bosnien nach Deutschland und Österreich verschleppt, wo sie in den hauseigenen Bordellen der Ćulum-Brüder als Zwangsprostituierte arbeiten mussten. Wie ein Bericht einer ehemals von den UT verschleppten Frau, die ins deutsche Zeug:innenschutzprogramm aufgenommen worden war, zeigte (Ulrike Baur drehte daraus für den SWR eine Dokumentation), standen massive Gewalt, psychischer Terror und permanente Drohung an der Tagesordnung, um die Frauen gefügig zu machen. Wer nicht „spurte“, wurde in abgelegenen Wäldern lebensgefährdend verprügelt und mit  Mord bedroht. Und natürlich: Die Frauen erhielten von ihrem erarbeiteten Geldkapital keinen Cent; von den 3.000-5.000€, die teilweise in nur einem Tage von einer Frau (!) erworben worden war, sahen sie Nichts.

Doch nicht nur Zwangsprostitution und Menschenhandel stellen Betätigungsfelder der UT dar: Auch das lukrative Türsteher:innen-Milieu wurde für sie im Organisationsprozess auf europäischer Ebene relevant. Da die UT über ihre Aufnahmeregeln lediglich Kampf- und Kraftsportler aufnehmen, eignet sich Türsteherei ideal für Mitglieder der UT, da die Gewaltsozialisation direkt auf umsetzbares Können im Sport trifft. Lukrativ ist es deswegen, weil – wie etwa ein Spezialist des LKA Stuttgart betont – die, die die Tür „machen“, auch den Drogenverkauf im Klub kontrollieren. Das bestätigen internationale Berichte zu Ermittlungen europäischer Kriminalämter: Stets fällt der Vorwurf international organisierten Drogenhandels. Erst kürzlich wurde das Palma de Mallorca-Chapter der UT durch spanische Behörden zerschlagen, Grund: organisierter Drogenhandel, gefordert werden insgesamt 31 Jahre Haft in 1.000 Seiten Anklage.[3] Der Vorstand des Palma-Chapters kann dabei als mustergültiges Exempel für den Typ Mensch genommen werden, der von den UT rekrutiert wird: Stefan Milojevic, der Leader des MC, war ein serbischer MMA-Fighter, stand selbst des Öfteren im Ring, auf seinem Arm prangt der serbische Doppeladler samt Tetragrammkreuz, daneben weitere religiöse Symbole. Wie wir weiter unten sehen werden, trifft dieser nationalistische biografische Einschlag auch exakt auf den President des Wiener UT Chapters zu wie auch für viele weitere. Das lässt sich auch durch eine kurze Europol-Aussendung belegen, die konstatiert, dass die UT besonders nationalistische und rechtsextreme Akteure ansprechen wollen und gezielt versuchen Verbindungen zu solchen Gruppen zu etablieren – dafür würde auch einiges an finanzieller Unterstützung ausgegeben.[4]

Wird entlang der Linie des Drogenhandels rechechiert, kommen – trotz nur lose vorhandener, rar werdender Quellen – schnell weit verzweigte, international organisierte Mafiastrukturen als Drahtzieher und erstinstanzlicher Beschaffer der Schmuggelware zum Vorschein: Der bosnische Investigativjournalist Avdo Avdić konnte ermitteln (er bekam postwendend eine akute Morddrohung, die sogar das OSZE zu einer Ermahnung der bosnischen Regierung veranlasste, sie müssten die Sicherheit von Journalist:innen gewährleisten)[5], dass die Ćulum-Brüder beste Kontakte zum bosnischen von Edin Gačanin und seiner Familie geführten „Tito i Dino“-Kartell pflegen.[6] Das Tito i Dino-Kartell organisiert zusammen mit Größen des Amato-Pagano-Clans (Teil der Camorra), niederländischen Kartell-Strukturen („Taghi-Organisation“, einer der mächtigsten Gruppen der „Mocro-Mafia“) und dem irischen Kinahan-Clan den Kokainimport aus Kolumbien via Antwerpen und Rotterdam sowie die daran anschließende Verteilung in Europa (wo dann die UT ins Spiel kommen).[7] So etwa waren beide Ćulum-Brüder mit gefälchten Pässen zusammen mit den Vertretern des bosnischen Kartells Elvis Hodžić und Naser Orić[8] auf Anordnung von Gačanin nach Peru gereist, um über Kokain-Lieferungen mit ehemaligen Mitgliedern des kolumbianischen „Norte del Valle“-Großkartells zu sprechen (löste sich zwischen 2008 und 2010 auf). Geschätzt wird, dass die gesamte Struktur die größten Anteile des in Europa verfügbaren Kokains importiert.[9]

Warum ist das relevant? Weil die UT rigoros vertikal hierarchisch organisiert sind, also: Die World-Presidents geben die Praxis vor, die von den einzelnen Chaptern umgesetzt werden muss, dass daneben noch dutzende legale Geschäftspraxen betrieben werden, ist nur logisch, da dadurch natürlich die illegalen kaschiert werden. Und es muss beinahe nicht mehr erwähnt werden, wie viel umfangreiche Möglichkeiten solche Strukturen Rechtsextremist:innen bieten: Neben den praktischen Verdienstmöglichkeiten in den oben genannten Bereichen, ist der Zugang zu Geldkapital unbegrenzt, darüber hinaus zu Kriegsmaterial, Waffen, Munition oder aber Flucht- und Untertauch-Routen. Und wie wir im Falle des Wiener Chapters zeigen können, sind die Verbindungen zur rechtsextremen Szene zumindest hier dutzendfach gegeben.

Tribuns auf Ausfahrt in Wien, Linke Wienzeile. Zu Gast Nermin Ćulum.

Die Verbindungen der UT Wien zu Wiener Rechtsextremen

Fotos aus dem Keller von Noricum belegen enge Freundschaften und Kontakte der Tribuns zur Noricum-Gruppen – die Gründe dafür liegen auf der Hand. Besonders Daniel Kecskemeti ist regelmäßig mit unterschiedlichen Mitgliedern der Tribuns zu sehen, auch der Wrestling-Kollege von Franz Schlederer Geri Renger ist im engen Umfeld der Tribuns organisiert. Burger ist grundsätzlich im Wiener MC-Milieu unterwegs, auch zu den UT bestehen beste Kontakte. Auch Ralf Kracher ist freundschaftlich mit Members der United Tribuns auf Fotos zu identifizieren, für Guzvan und Zepke gilt selbiges. Grundsätzlich also kann getrost gesagt werden: Noricum kann – das beweist das umfangreiche Fotomaterial – als freundschaftlich mit den UT verbunden betrachtet werden, was bedeutet, dass hier Kooperation in unterschiedlicher Hinsicht besteht.

v.l.n.r. Daniel Kecskemeti, Selim Gemah, Phil Fegerl, Thomas Guzvan.

Eine nicht unerhebliche Vermittlunsgrolle dürfte der bereits oben erwähnte Henry Bannert spielen. Bannert ist zwar kein Mitglied der United Tribuns oder von Noricum, aber seit langer Zeit (gemeinsam mit Robert Burger) im Spektrum rechter 1%er anzutreffen. Ursprünglich bekannt ist Bannert für seine Mitgliedschaft beim neonazistischen Hooligan-Verbund „Eisern Wien“ (ursprünglich  in der Rapid-Kurve aktiv); in diesem Rahmen wurde er auch wegen Körperverletzungsdelikten angeklagt und verurteilt, mindestens einmal musste Bannert auch eine Haftstrafe antreten. Dabei gilt Bannert in der Wiener rechtsextremen Hooligan-Szene durchaus als Idol aufgrund seiner „Kampfbereitschaft“, aber auch aufgrund seiner Erfolge im professionellen Muay Thai auf internationalem Niveau. Darüber hinaus betreibt er das Fox Gym in der Markomannenstraße 18/5-6, 1220 Wien, das ebenso szeneübergreifend wertgeschätzt wird. Eine Freundschaft Bannerts zu Noricum (v. a. zu Robert Burger) ist durch zahlreiche Feiern und gemeinsame Besuche von Lokalitäten in und um Wien belegbar. Darüber hinaus sponsert Burgers STB Bau- u. Handelsgesellschaft m.b.H, die auch den Noricum-Keller finanziert, Bannerts Gym seit Anfang an. Bannerts großes symbolisches Kapital in der Kampfsport-Szene ermöglicht ihm allerdings auch in das Umfeld der höchsten Etagen der United Tribuns einzutauchen. Die Tribuns organisieren regelmäßig die „Vendetta Fight Night“ u. a. in Wien. Bannert steht im Zuge der Fight Nights des Öfteren selbst im Ring und hat dabei zumeist seine Eisern Wien- und Noricum-Kameraden im Schlepptau. Bannert ist allerdings nicht der einzige Wiener-Kämpfer mit rechtsextremen Background. So prangt u. a. auf dem Ellbogen von Klaus Eckstein eine Schwarze Sonne. Der Noricum Kämpfer Patrick „Panzer“ Spirk beispielsweise stand am 04. September 2021 im Vendetta Ring und wurde von Phil Fegerl und Roman Blaschek begleitet.

Schirmherr der Fight Nights ist Bülent Saglam, der President der UT Wien-Chapter (mit Clubhaus in der Alxingergasse 21, 1100 Wien), aber auch der President der United Tribuns Österreich. Die Wiener Fight-Nights finden stets in der Eventlocation „Hallmann Dome“ des Investors Klemens Hallmann statt, promoted durch das „Iron Fist Gym“. Saglam gibt sich bewusst als seriöser Geschäftsmann, betreibt Charity-Kampagnen und offizielle Geschäfte, so u. a. eben das Iron Fist Gym in der Wiener Schönbrunnerstraße 186, 1120. Saglam selbst weist eine hohe Affinität für das turanistische Weltbild der „Grauen Wölfe“ auf: So trägt Saglam u. a. Runentattoos, die auch von Kadern der Grauen Wölfe getragen werden, teilt nationalistischen Content online, posiert mit türkischen Faschisten im Ring. Mehrfach war zu beobachten, dass große Gruppen Kämpfer wie Erhan Kartal in den Shirts der United Tribuns mit Wolfsgruß ins Oktagon der Vendetta begleiteten, Saglam entweder direkt dabei oder direkt daneben. Darüber hinaus trainiert mit Yürük Bilal (ein Supporter von Kartal) mindestens ein Exponent, der dem Wiener Milieu der Grauen Wölfe zuzuordnen ist, im Iron Fist Gym: Fokus liegt auf Kinder- und Jugendtrainings, alle Kurse scheinen gemäß Fotos sehr gut besucht. Und so wundert es denn auch nicht, wenn schon unter-zehnjährige Kinder auf Fotos im Gym mit Wolfsgruß posieren. Dass das mit großer Besorgnis zu sehen ist, liegt auf der Hand, denn: So werden bereits jüngste Kinder mit ideologisch geladener Gewalt umfassend sozialisiert (was im Rahmen der Aktivitäten der Grauen Wölfe eine gewichtige Funktion erfüllt, wie u. a. in Favoriten zu sehen war). Darüber hinaus dürfte Saglam gute Kontakte (welcher Art bleibt unklar) nach Istanbul pflegen: Auch dort findet regelmäßig eine Vendetta Fight Night statt – ein Tribuns-Chapter dürfte es dort allerdings nicht geben.

Wolfsgrüße beim Einzug von Erhan Kartal bei der Vendetta XI.

Schaut man sich die Reihen der UT Österreich an, dann fallen nicht wenige Members auf, die über beste Kontakte zu genuinen Rechtsextremist:innen pflegen: Mit Alexander Niessner findet sich ein aus dem Austria-Milieu stammender Neonazi (Fotos mit Anti-Antifa-Shirt und dem bekannten Rechtsextremen Bernhard Kirsch aus dem „Fanatics“- und „Ballermann-Jungs“-Umfeld) unter den United Tribuns. Niessner arbeitet für eine der hauseigenen Sicherheitsfirmen, die „Ares-Safety-GmbH“. Geschäftsführer der Ares-Safety-GmbH war das UT-Mitglied Matthias Prinner, der im Sommer 2020 plötzlich verstorben ist. Die Einsatzgebiete der Ares-Safety-GmbH sind nicht uninteressant: U. a. werden die weithin bekannten Clubs „Pratersauna“,“Club X“ und „VIE i PEE“ von der „Ares-Safety-GmbH“ an der Tür betreut. Wie Recherchen belegen konnten, sind es die dort engagierten Türsteher der Ares GmbH, die die Drogengeschäfte in den Clubs abgewickelt und kontrolliert haben (siehe oben auch das Statement des LKA Stuttgart). Eigentümer der Clubs ist im übrigen Sebastian Kurz’ Intimus Martin Ho, der wiederum bekannt ist für seine privaten Kokain-Parties in den eigenen Lokalitäten. Anzumerken ist aber: Die Tribuns betreuen nicht nur Läden von Ho. So etwa dürfte über den Mittelsmann Denis R. u. a. auch die „Event Arena Vösendorf“ den United Tribuns zugeeignet worden sein. Dort ist mittlerweile der von Daniel V. betriebene „Club Exil“ ansässig – die Tür wird natürlich von Tribuns organisiert.

Allerdings firmiert die Security Branche der Tribuns nicht mehr unter dem Namen „Ares-Safety-GmbH“: Denn diese meldete schon am 21.12.2020 Konkurs an. Welche neue rechtliche Struktur nun geschaffen worden ist, um die Türsteher-Branche auch legal zu ummanteln, ist bis dato unklar.

Darüber hinaus sind zahlreiche Members der UT (vor allem im Wiener- und Pannonia-Chapter) eng mit der rechtsextremen Szene verbunden. Das dürfte vor allem daran liegen, das zahlreiche Exponenten der Wiener Neonazi-Szene auch mehr oder minder intensiv wie professionell Kampfsport betreiben – egal ob die Tättowierer des „Pain and Pleasure“-Studios, rechtsextreme Hooligans, scheinbar unpolitisch Firmeninhaber:innen oder B&H nahestehende Einzelpersonen: Das verbindende Element ist Kampfsport, das ebenso sämtliche Tribuns mit der Szene zusammenschweißt (im Gegensatz zu anderen 1%-MCs in Wien). Exemplarisch wollen wir hier zwei Personen anführen: Der Wiener Tribun Jürgen „Steini“ Steinacher und der President des Pannonia-Chapters Christian „Chris Black“ Trummer. Steinacher ist aus den Umfeldern rechtsextremer Wiener Hooligan-Gruppen bekannt, Christian Trummer weist eine lange Geschichte als Rechtsextremist auf: So hat er bereits als junger Neonazi als privater Security für Jörg Haider gearbeitet. Mittlerweile hat Trummer mit der „SES Special Event Security GmbH“, mit Sitz am Hirschfeldspitz 46 in Neusiedl am See, sein eigenes Security-Unternehmen und zusätzlich noch die Gewerbeberechtigung für den Einzelhandel mit Automobilen.

Patrick Spirk – ein Beispiel rechtsextremer Organisierung im Kampfsport

Kommen wir noch einmal zurück auf Patrick „Panzer“ Spirk. Anhand von ihm wollen wir skizzieren, wie rechtsextremer Kampfsport versucht, in der Öffentlichkeit Fuß zu fassen und wie viel umfassende, gut strukturierte Organisationsarbeit dahinter steht.

Spirk war Trainer beim Raw Force Club, trainierte im Warrior MMA Gym von Dorian Pridal, wo er u. a. Kontakt zu Alexander Aradi, Christian Lhotan und Robert „Bertl“ Wabro hatte. Wabro ist der Chef des „Pain & Pleasure Tattoo Studios“, in dem auch Patrick Zapletal arbeitet, der auf zumindest einer Covid-Demo anzutreffen war. Mittlerweile bietet Spirk unter dem Namen „Team Panzer“ Kurse in Etti’s Gym in der Himbergerstraße 2, 1100 Wien, an und stellte in einer Grafik seine Sponsoren vor: Neben dem Team-Logo zu sehen sind: Noricum und die dazugehörige STB Bau- u. Handelsgesellschaft m.b.H; Tanzbrigade Wien; Radaubruder Streetwear; Dachservice Haimer und das Pain & Pleasure Studio.

Die Tanzbrigade Wien ist eine „Eisern Wien“-nahe Gruppierung, die die soziokulturelle Kehrseite von Eisern darstellt: So ist das erklärte Ziel, Partymusik-Sparten für nationalistische Szenen zu erschließen, allen voran Techno, Frenchcore, Gabber und Hardstyle. So mischen die Mitglieder der Gruppe selbst Tracks und drucken Szene-Bekleidung. Während einiger Mitglieder von Eisern tendenziell der Rapid-Kurve entstammen, dürfte das Klientel der Tanzbrigade sich eher aus dem Unsterblich-Umfeld der Wiener Austria speisen: Einer der Köpfe der Gruppe dürfte der Neonazi und Austria-Hooligan Christian Csincsics sein, der zumindest als Ansprechpartner für die Tanzbrigade-Szenebekleidung bezeichnet werden kann. Aufgefallen sind sie zuletzt, als sie während der Corona-Demo am 2. Oktober 2021 die Kundgebung von Antifaschist:innen angriffen und dabei den Gastgarten eines anliegenden Cafés verwüsteten (siehe letzter Beitrag auf unserem Blog).
Das Radaubruder Label haben wir oben bereits erwähnt: Spirk, als Kämpfer in seiner Sparte zweifellos als gut zu bezeichnen, dürfte nicht die notwendige finanziellen Mittel haben, um seine MMA-Karriere selbstständig voran zu treiben, da springt dann Berger mit Kapital in die Bresche. So ist auch klar, in welche Richtung sich Bergers „Investments“ orientieren.
Das „Dachservice Haimer“ in der Rüdengasse 6/18, 1030 Wien, ist das Unternehmen von Johannes Haimer. Haimer ist ein Wiener Neonazi, der Kontakt zum B&H Wien Umfeld pflegte. So zeigt ihn etwa ein Foto an der Seite Andre Herolds, als sie gemeinsam mit dem Vandalen und berüchtigten ex-Landser und „Lunikoff-Verschwörung“-Lead-Sänger Michael „Lunikoff“ Regener beim „legendären“ Konzert am 27. November 2004 im „Club Wodan“ im ostsächsischen Mücka posieren. Auf Haimers Brust prangt darüber hinaus eine riesige Elhaz-Rune. Momentan dürfte Haimer sich im Milieu der Tanzbrigade bewegen, wie Fotos nahe legen.

Und so wundert es auch kaum, dass Wabro und Berger am ersten Tag der Kurse im „Etti’s Gym“ vor der Tür standen.

Im Laufe unserer Recherchen hat sich die Unterstützungsstruktur Spirks verändert: Es dürfte zum kompletten Bruch mit Noricum gekommen sein. Szene-Gerüchten zufolge hat Spirk gemeinsam mit anderen Hooligans gekämpft, jedoch für jenen Wiener Verein, dem die meisten Mitglieder von Nocirum nicht angehören: Austria Wien. Fest steht jedenfalls, dass Spirk bei seinem letzten Kampf nicht mehr von Noricum zum Ring begleitet worden ist, dass das Logo der STB Bau- u. Handelsgesellschaft m.b.H von seinem Merchandise-Profil verschwunden ist und auch sonst keine Noricum-Symbole mehr zur Schau gestellt werden. Darüberhinaus scheint sich auch Bergers Radaubruder Streetwear zurückgezogen haben und auch das Logo der Tanzbrigade ist nicht mehr präsent. Per Social Media Posting stellte Spirk seine neuen Sponsor:innen am 29. März 2022 selbst vor (siehe Bild) – grundsätzlich kann festgestellt werden, dass die gesamte Sponsering-Struktur wesentlich weniger offensichtlich rechtsextrem aufgebaut ist. Weder im Falle von Sandra Schelivsky noch von Wolfang Stummer (Bulb Fiction) können einschlägige Inhalte oder Verbindungen bisher nachgewiesen werden. Allerdings ist mit „Big Jack Streetwear“ eine neue Facette an Verbindungen aufgetan: Der Inhaber Mario Kietreiber ist im Umfeld der Hells Angels aktiv, verkauft in seinem Laden in der Lugner City auch Hells Angels-Merch. Auch hat Kietreiber gute Kontakte zum Other Place, das von den Hells Angels betrieben wird: Regelmäßig wird sein Laden auch im Other Place beworben, er wiederum bewirbt das Lokal. Darüber hinaus hat Spirks Lebensgefährtin, das Erotikmodel und „Showgirl“, Mina Reiter (Eigenbezeichnung auf Instagram) gute Kontakte in die MC-Szene, v. a. den Hells Angels: Des Öfteren posiert sie als Model im Other Place und bewirbt wechselseitig Kietreibers Laden und das Lokal – seit Neuestem nun auch Spirk.

Trotz der Neuerungen wollen wir die vorherigen Organisierungsform dennoch – es wird nicht die letzte dieser Art gewesen sein – in ihrer sozioökonomischen Funktionsweise aufschlüsseln. Wie wird also ein Kampf von Spirk organisiert, welche Strukturen bringen/brachten sich wie und wann ein? Hier ein Beispiel von der 22. Vendetta Fight Night in Neusiedl am See am 4. September 2021.
Anders als beim KdN passieren die Veranstaltungen der United Tribuns unter Einbindung einer möglichst großen Öffentlichkeit – was zum Einen natürlich daran liegt, dass die UT mit den Fight Nights verdienen wollen, zum anderen, dass es kein genuin neonazistisches Polit-Event ist.
Veranstaltungsort waren die Flächen des Autohauses Josef Kamper in Neusiedl am See. Bülent Saglam als Schirmherr griff dabei wohl auf Unterstützung und Kontakte vom Präsident des Pannonia Chapters der United Tribuns, Christian Trummer (siehe oben) zurück.

Die Veranstaltung beginnt mit der Eröffnung durch Bülent Saglam im Ring, der sich bei den Besucher:innen für ihr Kommen sowie bei den Unterstützer:innen für ihren Support bedankt. Als nächstes wird auf aktuelle Charity-Aktionen des MCs hingewiesen und von ihnen unterstützte Kinder aus einem SOS-Kinderdorf in den Ring geholt, medial inszenierte Geschenkübergabe inklusive. Nur wenige Stunden später sollten an ihrer Stelle zumindest drei rechtsextreme Kampfsportler stehen – das Topos der Selbstinszenierung auf Kosten karitativer Einrichtungen ist aber ein hinlänglich bekanntes aus dem Bereich der 1%-MCs.

Aus unserer Sicht relevant sind diese Kampfsportveranstaltung (mehrfach im Jahr organisiert) nicht allein aus Interessen an den United Tribuns, sondern auch auf Grund der Fight Card. Im Laufe des Abends sollten Daniel Schordje (auf Schordje wird weiter unten detaillierter eingegangen), Patrick „Panzer“ Spirk und Patrick Rainer (rechter Hooligan von Rapid Wien) im Ring stehen. Bereits im Vorfeld des Kampfes wurde Werbung dafür betrieben und so fand sich unter den Kommentaren zu Spirks Kampf freundschaftliches Geplänkel mit Christian „Guntramsdorfer“ Wagner, einem mehrfach vorbestraften Neonazi aus dem Unsterblich Wien Umfeld. Verfolgt man die Werbung sowie die mediale Kundmachung nach den Kämpfen, lässt sich erkennen, dass Spirk und Rainer in der Vorbereitung gemeinsam von Marc Reifberger, dem Head-Coach des Invictus BJJ Vienna trainiert worden sind, wo mehrfach rechtsextreme Figuren aus der Wiener Fanszene anzutreffen sind. Reifberger wird darüber hinaus am 23. April 2022 selbst im Oktagon der Vendetta stehen.

Am Tag des Kampfes konnten sich Spirk und Rainer auf ihre Kameraden verlassen. Mit angereist waren auf Seiten Spirks Johannes Haimer, Roman Blaschek und Phil Fegerl sowie Robert Wabro (siehe oben). Rainer begleiteten derweilen an die 50 Personen aus dem Rapid Wien-Umfeld in den Ring, aber auch Hooligans des 1. FC Nürnberg waren angereist, um beim Walk-in Rainers Pyrotechnik in den Farben Rapids zu zünden. Die Kollegen aus Nürnberg wurden nach dem Kampf für ein Soli-Foto in den Ring geholt.

Kampfbilanz: Alle drei Kämpfer (Spirk, Rainer und Schordje) haben ihre Kämpfe in der ersten Runde durch TKO gewonnen. Somit konnte sich die Kämpfertruppe in der Öffentlichkeit präsentieren und vermarkten – Kampfsport von Faschist:innen für Faschist:innen?

Imagefilm entstanden im Rahmen der Vendetta 22 in Neusiedl am See. Prominent abgelichtet sind darin u. a. Daniel Schordje und Patrick Rainer.

Rechter Kampfsport als weitläufiges soziales Problemfeld: Entwicklung von gewaltbereiten Mischszenen [10]

Wir wollen an dieser Stelle das Feld der Betrachtung nochmals etwas nach außen erweitern: nämlich auf den Bereich Kampfsport und dessen weitere Relevanz in der Öffentlichkeit, spezifisch die historische Entwicklung von Kampfsport als Mittel rechtsextremer Politik.

Wie bereits die umfassenden Recherchen des Dokumentationsportals Runter von der Matte gezeigt haben, gibt es im Kampfsport (vor allem MMA) oftmals starke Überschneidungen zu rechtsextremen Umtrieben. Dass das per se nicht weiter verwunderlich ist, liegt auf der Hand und wurde des Öfteren analytisch auseinandergesetzt. Wir wollen hier den Fokus auf eine gewisse Erneuerung der Praxis rechtsextremer Gruppieren in Österreich eingehen, nämlich: die Ablösung des traditionell neonazistischen Konzepts „Wehrsport“ durch einen starken Fokus auf klassische Kampfsportsparten (v. a.englisches Boxen, Kickboxen, Muay Thai, MMA, BJJ). Dies kann für fast alle Gruppen festgestellt werden, beginnend bei parlamentarischen Rechtsextremen wie dem RFJ bis hin zu einschlägig neonazistischen Hooligan-Verbänden wie etwa Unsterblich. Prägte das Aktionsfeld österreichischer Neonazis in den 90er- und 2000er-Jahren noch der Aufbau bewaffneter Kameradschaften, die sich für dezentralen Terror, Straßenkampf im Falle des Sturzes der Republik Österreich und neonazistischen Guerillakrieg in den ruralen Gebieten vorbereiteten, so ist heute insofern eine Veränderung zu bemerken, als organisierte rechtsextreme Hooligans, die ohnehin meisten kampfsporterfahren, eine große Rolle als teils eigenständige Kraft in rechten Protestkulturen einnehmen.

Hooligan-Gruppen, die zumeist durch ihre Anbindung an sogenannten „Wiesn-Partien“ (Szene-Begriff; weiter bekannt auch als „Dritte Halbzeit“)[11] ohnehin einen massiven Fokus auf eine solide Kampfsport-Ausbildung legen – zumeist Muay Thai oder MMA, oft gepaart mit intensivem BJJ-Training – nahmen im Verlauf der letzten Jahre auch in Österreich eine immer höhere Relevanz für rechtsextreme Mobilisierungen ein. Doch auch die „Neue Rechte“ (Eigenbezeichnung) legt immer mehr Wert auf obig erwähnte Kampfsport-Sparten: Beispielhaft ist hier etwa das Gym des Identitären-Kader Luca Kerbl „Zitadellen Sport Graz“ zu nennen, indem u. a. auch der IB-Faschist, und mittlerweile an der Schwelle zum Profi-MMA-Fighter stehende, Daniel Schordje unterrichtet (zu Schordje unten mehr). Der Name des Gyms lehnt sich an das Lokal „Citadelle“ des besonders gewaltbereiten Ablegers der französischen „Génération Identitaire“ in Lille an, dem der Muay Thai-Kämpfer,  im Umfeld des neonazistischen Hooligan-Verbandes „LOSC Army“ aktive Faschist Aurélien Verhassel vorsteht.

Wichtig ist in diesem Kontext zu bemerken, dass es sich bei der „Neuen Rechten“ und vor allem jüngeren Hooligan-Gruppen um eine Mischszene handelt. Das wurde des Öfteren auf den Veranstaltungen der IBÖ, vor allem aber in den letzten zwei Jahren während der Corona-Demos sehr offensichtlich. So fanden sich beim rechtsextremen „Eschlmüller-Gedenken“ ebenfalls rechtsextreme Hooligans der Gruppe „KAI 2000“ der Austria Wien (in der Ostkurve direkt neben den rechtsextremen Gruppen „Fanatics“, deren Untegruppe „Sektion Inferno“ und den „Bulldogs“) am gemeinsamen Treffpunkt bei der Josefstädter Straße ein – der Kontakt zwischen IB und Hooligans schien freundlich und gut. Besonders drastisch aber zeigte sich die Mischszene bei den Demos vergangenen Herbst und Winter: Dort vermengten sich Identitäre und Hooligans unterschiedlicher Gruppierungen im gemeinsamen Frontblock. Optisch kaum unterscheidbar, orientierte sich der mehrere hundert Menschen umfassende Block an den Aktionsformen der Hooligans: Journalist:innen wurden attackiert, Polizist:innen angegriffen und Pyrotechnik im großen Stil eingesetzt. In diesen Blöcken unterwegs war u. a. der WSK-Hooligan Nino Kadrnoska, der gemeinsam mit Jakub Czyz den „Boxclub Rapid Wien“ als organschaftlicher Vertreter repräsentiert.

Die Wechselwirkung, die durch die Überschneidung von Akteur:innen erzielt wird, dürfte vor allem eine Verschärfung des Gewaltpotenzials bewirken: Immer mehr rechtsextreme Gyms bereiten politisch aktive Rechte auf den Straßenkampf vor (siehe oben Warrior Gym), zahlreiche Vorfälle bezeugen den erfolgreich Einsatz von MMA- und BJJ-Techniken gegen Anti-Protest-Einheiten der Polizei durch kampferprobte Hooligans[12]. Hierbei spielen vor allem professionelle Kämpfer:innen, die ihr Wissen an die einzelnen Gruppierungen weitergeben eine integrale Rolle. Besonders dann, wenn sie sich zusätzlich in einem offiziell legitimierten Rahmen bewegen, der darüber hinaus noch ökonomisch rentabel ist (siehe oben Vendetta Fight Nights).

Problemfeld Professionalisierung und Monetarisierung: Die CFS, die Ettl Bros. GmbH und die Beteiligung von faschistischen Kämpfer:innen im Big Business UFC

Die „Cage Fight Series“ (CFS) wird von den beiden Brüdern Gerhard und Michael Ettl betrieben. Beide waren in unterschiedlichen Disziplinen des Kampfsport-Bereichs aktiv und in Österreich sehr erfolgreich. Seit 2007 betreiben die Ettl-Brüder die CFS, in der laut Archiv insgesamt 22 Kämpfer:innen engagiert sind bzw. aktiv verpflichtet waren/sind. Die CFS wuchs über die Jahre ihres Bestehens konstant: Bald schon konnten Veträge mit lokalen TV-Sendern wie etwa ATV abgeschlossen werden, Berichte im ORF wurden häufiger und lokale Promis wurden Standardgäste der CFS. Die hohen Preisgelder, die gezahlt werden konnten (bis zu 10.000€), lockten hierbei zahlreiche Profi-Kämpfer:innen aus ganz Europa an, wodurch die CFS zu einem der wichtigsten MMA-Ausrichter in ganz Europa avancierte: Am 12. Februar 2022 hatten es die Ettls dann erreicht – die CFS war in den weltweit verfügbaren „UFC Fight Pass“ aufgenommen worden, das erste offizielle Event ging im UFC Fight Pass über die Bühne. Der UFC Fight Pass stellt die zentrale Streaming-Plattform der UFC dar, die zu vollen Anteilen der „Zuffa LLC“ gehört – der Marktwert der UFC beträgt mehrere Milliarden US-Dollar, Tendenz steigend. Der UFC Fight Pass wird in 200 Ländern konsumiert, dutzende MMA-Ligen sind darin enthalten, die Subscription-Wachstumsraten mehrjähriger Accounts liegen bei 23%, Tendenz laut Management steigend. Es ist leicht auszumalen, dass sich die CFS unter den Fittichen der UFC stark weiter professionalisieren und entwickeln wird.

Nun wäre das nicht weiter besorgniserregend abseits der tagtäglichen Tücken des Kampfsport (virulenter Machismo, extrem patriarchal-gewalttätige Inszenierungen bei cis-männlichen Kämpfern, Nationalismen und Traditionalismen an jeder Ecke, usw.) – jedoch fällt die CFS immer wieder dadurch auf, dass rechtsextreme Kämpfer:innen im Ring der CFS geduldet bzw. aktiv gebucht werden. Mindestens vier gelistete Kämpfer:innen, die in der CFS fix kämpf(t)en, haben Kontakte zu rechtsextremen Gruppen oder Personen oder sind gar Teil solcher Szenen; zusätzlich kann durch die Masse an rechten Gymstrukturen viel Interaktion der Ettls mit per se rechtsextremen Kämpfer:innen oder Akteur:innen konstatiert werden (z. B. mit Henry Bannert und dessen Fox Gym).

Als erstes Beispiel kann etwa der oberösterreichische MMA-Kämpfer Dominic Schober dienen. Schober kommt aus Ried und war bei dort in der Ultra- und Hooligan-Szene der „Supras 96“ unterwegs. Seine Tattoos wie auch sein Online-Auftritt beziehen sich dabei immer wieder auf den Slogan „Eisern Ried“: Bei diesem handelt es sich um das Motto einer Choreografie der „Supras 96“, die mindestens ein Mal im Stadion zum Einsatz gekommen ist. Der klingende Name, der zweifelsfrei starke Assoziationen zum neonazistischen Hooligan-Verband „Eisern Wien“ hervorrufen dürfte, kann dabei jedoch nicht eindeutig als rechts 0der aber rechtsextrem ausgedeutet werden.

Schober stellt erneut einen ideologischen Grenzfall dar: So fehlt bei seinen Auftritten nie die Österreich-Flagge, am Nationalfeiertag wünscht er „Der Heimat die Treue, zur Welt offen. Schönen Nationalfeiertag“, leugnet das Covid-19-Virus, hetzt gegen „Lockdownjunkies“ und LGBTIAQ+-Personen, verharmlost das NS-Regime und hat rechtsextrem einzustufende Tattoos (etwa einen sog. „nordischen Kompass“ und Runen-Tattoos) sowie das klassische an Stanley Kubricks Film „A Clockwork Orange“ angelehnte Hooligan-Motiv. Schober ist regelmäßiger Gast bei der Vendetta Fight Night und trainiert sowohl im Rieder „Basic Gym“ als auch im „Knockout Gym“ in Klosterneuburg, dürfte sich aber momentan hauptsächlich in Wien aufhalten. Es ist aus der kurzen Sachverhaltsdarstellung ersichtlich, dass Schober kein Rechtsextremist ist, ebenso wenig aktiv faschistische Politik macht – aber Schober ist ein ideales Beispiel für die soziokulturelle Einstellung dutzender Kampfsportler:innen. Cis-Männlichkeitskult, Nationalismus, Hass auf LGBTIAQ+-Personen, Misogynie und Verschwörungsideologeme stehen an der Tagesordnung. Dass Schober nicht ein Einzelfall, sondern vielleicht eher der Durchschnitt ist, könnte vielfach belegt werden – dass dies wiederum von gesellschaftlicher Relevanz ist (denn diese Sozialisierungsrichtlinien ziehen sich durch sämtliche Gyms) liegt auf der Hand. Und: Die cis-männliche Komplizenschaft (also das Decken von problematischem, übergriffigen, gewaltvollem Verhalten durch andere Cis-Männer) ist im Kampfsport besonders extrem ausgeprägt – deshalb führen wir auch Schober hier an.

Das nächste Beispiel ist niemand Geringeres als Dorian Pridal. Pridal betrieb bis Ende 2021 noch das Wiener Warrior Gym (siehe oben) – durch die Corona bedingten Lockdowns allerdings musste Pridal sein Gym schließen, da finanziell nicht mehr tragbar.  Wie bereits weiter oben dargelegt, ist Pridal kein Rechtsextremer per se, jedoch hat er gute Kontakte in die rechtsextreme Szene en masse, darüber hinaus ist eine gefährliche Wandlung seiner Denkweise während der Corona-Pandemie zu beobachten: So konnte Pridal auf einzelnen Corona-Demos mit Noricum-Mitgliedern gesehen werden, privat teilte er krude Verschwörungstheorien und vorwiegend QAnon-Content. Besonders nach der zwangsläufigen Schließung seines Gyms verstärkte sich dieser Trend. Das ist insofern besonders bedenklich, als bei Pridal von einem enorm hohen irrationalen Gewaltpotenzial auszugehen ist, was einerseits seine Verurteilung zu unbedingter Haft widerspiegelt, andererseits sein oftmals hochgradig irritierender Social Media-Auftritt, wo die Verherrlichung des Aktes gegenseitigen Verletzens patriarchal idealisiert wird: So posieren Pridal und ein uns zu diesem Zeitpunkt unbekannter Skinhead nach dem Sparring mit Blut verschmierten Shirts – es braucht keine Fachperson, um zu beurteilen, dass das nicht mehr im Rahmen sinnhaften, rücksichtsvollen Trainings liegt. Darüber hinaus kommt es bei Pridal des Öfteren zu einer äußerst krassen Verschneidung von Sexualität und Gewalt im Online-Auftritt: So posiert er gern oberkörperfrei mit angespannten Muskeln, rundherum rosa Instagram-Rahmen, darin blinkende Aufschriften wie „Sex and Violence / Sex“. Das Rapid Wien Fanmagazin „Forza Rapid“ widmete Pridal im September 2021 ein mehrseitiges Interview.

Der nächste Fall ist Christian Draxler und die von ihm geleitete „MMA-Academy“ in der Gewerbegasse 4, 2540 Bad Vöslau. Erneut haben wir es nicht mit einer durch und durch rechtsextremen Figur – wie das etwa bei Noricum der Fall ist – zu tun. Aber auch hier finden sich sofort einschlägige Bekannte, die unter professioneller Supervision eine Kampfausbildung absolvieren. So bewerben der bekannte Unsterblich-Neonazi Stefan Swoboda [13] und seine Lebensgefährtin Nicole Mutenthaler das Gym. Kolleg:innen der Recherche Graz konnten Swoboda darüber hinaus freundschaftlich im Ring mit Draxler posierend erkennen. Auch kämpfte Draxler mehrfach bei der Vendetta Fight Night, u. a. gegen den mittlerweile  zum Islamismus übergelaufenen Willi/Khalid Ott. Darüber hinaus dürfte Draxler zusammen mit dem Bundesheer-Sanitäter und zweifachen K1-Europameister Ahmet „Ronin“ Simsek Bare Knuckle Fights in Sopron organisieren. Simsek trainiert von Zeit zu Zeit in Draxlers Gym, nimmt dort an MMA-Fortbildungen teil und arbeitet hauptberuflich als Sanitäter beim Heer, wo er sich als massiver Waffenfetischist gibt und durch Aussagen wie „Can’t wait for the next war!“ irritiert. Ebenso stand Simsek wie auch Draxler während der Vendetta Fight Night im Ring – interessanter Sidefact: Über Simsek erschien der autobiografische Film „Soldat Ahmet“, in dem Simsek sich selbst spielt. Der Film wurde mehrfach ausgezeichnet.

Ebenso wenig dürften die Ettls darauf achten, wen sie von außen als Kämpfer:innen engagieren: Auch hier verweisen wir auf den Artikel der Recherche Graz – eingeladen wurde der deutsche MMA-Kampfsportler Niklas Stolze, der vom bekannten Neonazi und Lok-Hooligan Benjamin „The Hooligan“ Brinsa im „La Onda Gym“ trainiert wird – Gegner in der CFS war Christian Draxler (der den Kampf noch in der ersten Runde verlor). Brinsa ist weithin als Neonazi bekannt und wurde aufgrund seiner politischen Aktivitäten, vor allem wegen seiner tätlichen Angriffen auf Journalist:innen und Antifaschist:innen, aus der UFC geworfen (Weiteres zu Brinsa im genannten Artikel sowie auf diversen antifaschistischen Portalen rund um das Gebiet von Leipzig, sowie Runter von der Matte).

Nächste CFS-Fight Night ist übrigens am 09. April 2022 – im Ring stehen werden u. a. auch Patrick Spirk (siehe oben) und Daniel Schordje (siehe unten).

Die Ettls und die Austrian MMA Federation (AUTMMAF)

Doch nicht nur via die CFS fördern die Ettl-Brüder Kämpfer:innen aus dem rechtsextremen Spektrum – wir wollen an dieser Stelle nochmals auf einen schon genannten Rechtsextremisten hinweisen, der nun unter der Supervision der Ettl-Brüder Karriere zu machen beginnt: den Faschisten Daniel Schordje. Dieser kämpft nun auch international im österreichischen Amateur-MMA-Nationalteam – besonders erschreckend ist, dass ihm permanent mediale Aufmerksamkeit gewidmet wird,  ohne jemals seine faschistische Gesinnung zu thematisieren. So etwa posiert er nach Fights oberkörperfrei mit Österreich-Fahne – Tattoo mitten auf der Brust: „Allzeit getreu“, am linken Oberarm das IB-Lambda in Form eines Schildes. Kritische Nachfragen etwa von Seiten „fight24.tv“, die Schordje ein Interview widmen, finden nicht statt – wieder einmal scheint sich Kampfsport im apolitischen, luftleeren Raum zu bewegen. Dabei sind die Tattoos sprechend und alles andere als subtil: „Allzeit getreu“ verweist auf zweierlei: Einmal auf die Inschrift des 1931 von Heinrich Krippel errichteten „Eisernen Ritters“ am Domplatz in Wr. Neustadt (Schordje ist dort aufgewachsen), zum anderen auf den nazistischen Treue-Eid gegenüber Adolf Hitler „Dem Führer allezeit getreu“. Dass das nicht beliebig ist, zeigt die Geschichte Schordjes als Aktivist der Identitären Bewegung Niederösterreich. Schordje war dort zusammen mit seinem Bruder Philipp Schordje seit rund 2015 aktiv: Gemeinsam mit Philipp Schordje, dem neonazistischen Fanatics-Hooligan Mario Weiß und dem Hooligan aus der Kurve des SC Wr. Neustadt Johnny Mühlmann können genannte Personen als Führungsköpfe der IB Wr. Neustadt bezeichnet werden. Im Laufe der Zeit konnte Schordje bei allen wichtigen öffentlichen Auftritten der IBÖ gesehen werden: Etwa bei der Störung der „Refugees Welcome“-Demo 2015 in Traiskirchen, der Störung der Inszenierung von Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ durch geflüchtete Menschen im Audimax der Universität Wien, als Ordner auf mehreren Demos der IBÖ oder aber beim neonazistischen Aufmarsch von Markus Ripfls „Die Stimme“ in Wr. Neustadt zusammen mit Mario Weiß, seinem Bruder Philipp Schordje und Johnny Mühlmann 2019. Vor allem Mario Weiß und Philipp Schordje hatten und haben hierbei beste Kontakte zu den rechtsextremen Fangruppen der Ostkurve der Austria: Exemplarisch anführen wollen wir hier etwa Mario Weiß’ Mitgliedschaft bei den „Viola Fanatics“ und der gute Kontakt zu Unsterblich-Neonazi Stefan Swoboda, der auch aus dem Süden Niederösterreichs stammen dürfte.

Klar ist darüber hinaus auch noch, dass die oben genannte Fraktion schon neonazistisch auftrat, als die IB noch minutiös darum bemüht war, die typischen Ecken und Kanten des sogenannten Dritten Lagers zu meiden: Neonazis wie Weiß, Mühlmann oder Schordje waren nie daran interessiert, sich dem bemüht anknüpfenden Außenauftritt der Sellner-Doktrin zu unterwerfen – das zeigt auch das von der Gruppe lancierte Projekt „Defend 2700“[14]. 2019 versammelten Schordje und Weiß eine schlagkräftige Truppe aus dem Hooligan- und IB-Umfeld, um als „Bürgerwehr“ Übergriffe durch „männliche Asylwerber“ zu verhindern. Anlass war der 2019 im Wr. Neustädter Anton-Wodica-Park durch einen syrischen Asylwerber begangene Femizid – wie so oft instrumentalisierten die Rechtsextremisten den Mord, um rassistische Hetze gegen „Asylsystem“ und „Massenmigration“ öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen. Schordje und Weiß hatten eine schlagkräftige Truppe aus dem Hooligan- und IB-Umfeld versammelt, um dann als „Bürgerwehr“ Übergriffe und vermeintliche weitere Gewalttaten durch „männliche Asylwerber“ zu verhindern. Mit martialischen Fotos in der Nacht zeigte die Gruppe relativ schnell, dass sie wenig mit den jovial-zynischen Info-Tisch-Kampagnen Sellners zu tun haben wollten und dass all jene, die sie als Gefahr für Weiße Österreicher:innen ansahen, mit massiver Gewalt zu rechnen hatten (Großteile der Gruppe waren und sind Kampfsportler).

Dass Schordje aktuell nicht mehr auf der Straße aktiv ist, zeugt dabei weder von einem Ausstieg noch sonstiger Distanzierung: Viel wahrscheinlicher ist, dass Schordje seine Affinität zum MMA-Training vertieft hat und nun tatsächlich versucht, professionell als Kampfsportler aktiv zu sein. Dass dafür das Ziel der Profi-Status ist, liegt auf der Hand, spekuliert werden kann aber auch, dass Schordje wohl langfristig in Richtung UFC orientiert ist, da dort die größten Geldkapitalmassen vorhanden sind – zudem die Ettls nun auch im Fight Pass der UFC inkludiert sind. Der Topos des:r aus dem Straßenaktivismus aussteigenden Kampfsportler:in, um dem Kampfsport professionell nachzugehen, ist hierbei auch des Öfteren zu beobachten: Gleiches etwa gilt für die IB-Faschistin und Kickboxerin Annika Stahn (Bilder siehe Link) oder aber für die Neonazistin, Rechtsrockerin und MMA-Kampfsportlerin Isabelle Kordas, die nun unter dem Kampfnamen „Isi ‚The Mjolnir‘“[15] auftritt und wie es scheint hauptsächlich im Süden Thailands in Phuket wohnt und trainiert. Kordas trainiert(e) im von Helmut Rauch geführten „Gym 23“, wo früher auch der Wiener Neonazi Petar Helmer (B&H Vienna, suizidierte sich in der JV Eisenstadt, Lebensgefährte von Kordas) trainierte. Kordas entstammt wie auch Helmer dem Objekt 21- und B&H Wien-Umfeld und trat als Sängerin „Sterbehilfe“ auch im notorisch bekannten AFP-Lokal „Stüber-Heim“ mehrfach auf.

Die Analyse zeigt, welche Policy die Ettl Bros. GmbH offensichtlich verfolgt; Wieder einmal wird unter dem Deckmantel von bürgerlicher Toleranz gegen Neonazismus und Rechtsextremismus Nichts getan – im Gegenteil: Rechtsextreme werden hofiert, sie können live auftreten und ihre kruden, gewaltgeprägten Denk- und Handlungsweisen im Ring ausleben und präsentieren. Dass dies nun unter dem Schirm der UFC passieren soll – der erste Kampf, der auf dem UFC Fight Pass erschien, fand am 12. Februar 2022 statt – stellt eine Verschärfung der Situation dar. Zwar agiert die UFC ab und an, wenn der gesellschaftliche Druck hoch genug ist (wie im absolut extremen Fall Brinsa), aber in den meisten Fällen haben diskriminierende Diskurse und Praxen keinerlei Konsequenzen in der UFC zu fürchten. Und: Nach dem umfangreichen Text ist ebenso klar, dass die MMA-Szene in Österreich extrem rechts geprägt ist und so neonazistischen Akteur:innen die Möglichkeit bietet, ihr Können zu professionalisieren, aber auch zu monetarisieren. Erneut windet sich gesellschaftliche Apathie und Gleichgültigkeit um Rechtsextremismus in mannigfaltigen Formen und Verbindungen.

Ein lange Analyse geht hiermit zu Ende. Wir hoffen wir konnten mit unserer Recherche einige Klarheit über eine relativ verdeckt in Wien und Umland agierende Neonazigruppe schaffen und darüber hinaus das Phänomen rechten Kampfsportes sowie die Verstrickungen von 1%-MCs zum Kampfsportbusiness in Österreich genauer beleuchten.

Es ist uns ein Anliegen, dass rechtsextreme Kampfsportgruppen nicht einfach in ihren verborgenen Kellern, Lokalen und Gyms arbeiten, trainieren und netzwerken können. Darüber hinaus darf es nicht unbemerkt bleiben, wie weit rechts sich die MMA-Szene bereits situiert hat und wie integral sie für rechtsextreme Mobilisierungen geworden ist.


[1] https://www.wrestlingfever.de/franz-schlederer-im-wrestlingfever-de-interview-04-05-2019/

[2] https://www.talkaccino.at/interview/gesellschaft/wiener-praesident-red-dogs-mc-jakob-b/

[3] Siehe https://www.elconfidencial.com/espana/2020-01-16/united-tribuns-operacion-moteros-mallorca_2413972/ und https://www.majorcadailybulletin.com/news/local/2020/01/19/61559/united-tribuns-leaders-mallorca-sent-prison.html

[4] Siehe https://www.europol.europa.eu/media-press/newsroom/news/16-members-of-united-tribuns-nomads-street-gang-arrested-in-spain

[5] Siehe https://www.osce.org/representative-on-freedom-of-media/437078

[6] Siehe https://zurnal.info/clanak/kartelu-tito-i-dino-zaplijenjeno-najmanje-14-tona-kokaina/22303

[7] Siehe https://zurnal.info/clanak/bosanski-kartel-tito-i-dino-kontrolira-narko-trziste-u-evropi/22296

[8] Naser Orić ist eine eine komplexe Figur: Bekannt wurde er als ein Verteidiger der Einwohner*innen von Srebrenica 1995, als er sich mit einer kleinen Einheit gegen die serbischen Truppen stellte. Zuvor allerdings arbeitete er als Polizist für serbischen Präsidenten Slobodan Milošević, teilweise sogar auf direkten Befehl von Milošević, v. a. als es im Kosovo zu Massendemonstrationen gegen Milošević’ Regime kam. Orić wurde Anfang 2003 vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angeklagt: Seine Truppe soll rund um Srebrenica rund 50 Dörfer, die von serbischen Bosnier*innen bewohnt wurden, gezielt angegriffen und Vergeltungsmaßnahmen verübt haben: Vorwürfe lauteten auf Ermordung von Kriegsgefangenen sowie Zivilist*innen und Zerstörung von nicht-militärischer Infrastruktur. Allerdings wurden sämtliche Anklagepunkte fallen gelassen, da es kaum Beweise für die Verbrechen gab bzw. die Zahlen an potenziell Ermordeten von Kommissionen widerlegt wurden. Als Orić Milošević in Den Haag vor dem Internationalen Strafgerichtshof traf, interagierte er freundschaftlich mit diesem – paradox in Anbetracht der Situaion. Nun scheint Orić allerdings in den Gewässern organisierten Drogenhandels aktiv zu sein – so zeigt ihn unten zu sehendes Foto eben in Peru, zusammen Elvis Hodžić (l.) und den beiden Ćulum-Brüdern (2. v. l. Armin „Boki“ und 1. v. r. Nermin).

[9] Siehe https://zurnal.info/clanak/iz-sarajevskog-sokaka-do-kolumbije/22321

[9] Auch an dieser Stelle wollen wir nochmals auf unseren letzten Beitrag hinweisen, wo nochmals unter anderen Vorzeichen auf die Mischszene eingegangen wird.

[10] Unter solchen sind organisierte Kämpfe zwischen Hooligan-Gruppen zweier Vereine zu verstehen: Dabei wird eine fixe Anzahl an Kämpfer:innen ausgemacht, die sich zumeist auf abgelegenen Brachlandschaften abseits urbaner Zentren treffen, um dort bare knuckle zu kämpfen. Die einzige zugelassene Regel besteht darin, dass nur ein absolutes K.O. sämtlicher Kämpfer einer Gruppe als Sieg zählt. Das von extremer patriarchaler Gewalt geprägte Klientel ist dabei international organisiert und geht nach fixen sozialen Codes und Richtlinien vor. Postuliert wird in diesem Umfeld zumeist eine verpflichtende apolitische Haltung, welche jedoch in den allermeisten Fällen unter keinen Umständen zutrifft.

[11] Der Fall Martin Rutter etwa zeigt genau, wie weit diese Dimension reichen kann. Rutter z. B. heuerte gezielt „taktische Hools“ (wie Rutter sie nannte) an, damit diese gewissermaßen vom Kopf der Demo weg gegen repressiv auftretende Polizeieinheiten agieren.  Dabei werden Hooligan-Blöcke gebildet, die entweder gezielte Eskalationen herbeiführen oder z. B. Polizeisperren durchbrechen versuchen.

[12] Sowoboda ist übrigens häufiger Gast bei den Vendetta Fight Nights, so auch in Neusiedl am See. Dort posierte er vor Beginn mit der Nr. 2 des Wiener Tribun-Chapters Selim Gemah.

[13] Bei 2700 handelt es sich um die Postleitzahl von Wiener Neustadt.

[14] „Mjolnir“ ist der Name des Hammers von Thor in der traditionellen nordischen Mythologie.

Rechte, Rechtsextreme und neonazistische Hooligans. Die Prügeltruppe der Corona-Demonstrationen

Seit Beginn der Corona-Demonstrationen konnte beobachtet werden, dass sich immer mehr Hooligan-Gruppen abseits der Kurve bei den Demonstrationen in Wien und den Landeshauptstädten einfanden. Was als reines Get-together einer ideologischen Mischszene begann, beinahe immer mit einem hohem Maß an  Alkoholkonsum einherging und wohl auch durch die Unmöglichkeit von Stadion-Besuchen zu erklären ist, entwickelte sich über die zahllosen Demonstrationen zu einer intensiven Einbindung hooliganistischer Gruppen: Nach der Spaltung der Organisationsgruppe in die Fraktionen Martin Rutter/Hannes Brejcha und Alexander Ehrlich/Thomas Schaurecker/Manuel Müllner, enthüllte die Gruppe um Ehrlich, die sich als „Bundesweite Allianz“ neu formiert hatte, dass die Beziehung von Rutter zu dezidiert rechtsextremen Hooligan-Gruppen weit intensiver war, als ursprünglich angenommen. So bewiesen Ehrlich und Schaurecker [1] anhand von Skizzen, Plänen und Chat-Nachrichten anschaulich, dass Rutter rechtsextreme Hooligans teilweise gezielt eingesetzt hatte: So u. a. am 10. April 2021, als Rutter in einem Strukturplan der anstehenden Demonstration festhielt, sogenannte „taktische Hools“ sollten gegebenenfalls versuchen, etwaige Kessel an polizeitaktisch schwach strukturierten Stellen zu durchbrechen [2]. Das Szenario trat wie erwartet ein, der Plan geregelt in Kraft: Eine komplette Sperrgitter-Kette wurde niedergerissen, vorbereitete Face-Shields und Gesichtsmasken verhinderten die Rückstoßkraft eingesetzter Pfeffersprays und der Kessel konnte aufgebrochen werden [3]. Ein politischer Erfolg für den rechtsextremen Taktiker und Demagogen Martin Rutter – Gewinn von „Ehre“, i. e. symbolisches Kapital, für die beteiligten Hooligans: Das Konzept, seine Kräfte öffentlich unter Beweis zu stellen, das immer an der Erfahrung des Kampfwillens und -bereitschaft gemessen wird, spielt eine zentrale Rolle in der beinahe kultisch überhöhten patriarchalen Männlichkeitsstruktur von Hooligan-Gruppen.

Screenshot aus dem Livestream von Thomas Schaurecker, 8.6.2021

Was aber macht die Hooligan-Gruppen so attraktiv für Ideologen und Rechtsextreme wie Martin Rutter, aber auch für eingeschworene Neonazis wie Gottfried Küssel – nur an roher, unorganisierter Gewaltbereitschaft kann es schließlich nicht liegen.

Schon seit den 90er-Jahren bemühen sich Rechtsextreme um die „Gunst“ rechter, schwer patriarchal organisierter Kurvenstrukturen. Belegt ist etwa, das Küssel rund um die Organisierung und Gründung der VAPO in der Kurve der Wiener Clubs Austria, vor allem aber bei Rapid versuchte, junge Männer für seine politischen Vorhaben zu gewinnen: Besonders dezidiert rechte Gruppen wie etwa die neonazistische Skinhead-Fangruppe „Hütteldorfer Terrorszene“, die „Bulldogs Austria“ oder die als unkontrollierte Prügeltruppe agierende Gruppe „Atzgersdorf“ sprachen und sprechen Neonazi-Akteur:innen besonders an. Kerninteresse rechtsextremer Agitator:innen scheint dabei seit jeher unverändert dreierlei zu sein:

Zum Ersten – der vielleicht wichtigste Faktor: Der in der Kurve und insbesondere rechten Fangruppierungen vorherrschende Antifeminismus. Strikt hierarchisch organisiert mit zugewiesenen Rollen- und Aufgabenstrukturen, spielt der Cis-Männlichkeitsbund eine integrale Rolle im martialischen Auftreten rechter Fangruppierungen. Starke Ähnlichkeiten sind dabei etwa mit rechtsextremen Kameradschaften festzustellen oder aber Burschenschaften – auch in der Raumordnung von Küssels Ferialverbindung Reich spielte dezidierter Antifeminismus eine Rolle: So durften etwa nur an bestimmten Tagen weiblich gelesene Personen den Raum betreten, Treffen und Kameradschaftsabende waren ausschließlich Cis-Männern vorbehalten.

Direkt an die betont patriarchal-männerbündischen Strukturen anschließend findet sich eine besonders hohe Gewaltaffinität in Hooligan-Strukturen: Sich als Kämpfer auf der Straße zu beweisen, gehört zum tagtäglichen Hooligan-Leben dazu, ebenso wie das Einstehen für die Gruppe und den Bund. In diesem Rahmen ist auch ein Fokus auf fundierte Kampfsportausbildungen in teils vereinsinternen Gyms, wo Englisches Boxen, Muay Thai, BJJ und MMA trainiert wird, festzustellen – dies soll die eingeschworenen Gruppen noch fester binden und zugleich das Können klandestin-verschworen abseits der Öffentlichkeit schulen.

Zuletzt: Die Rechtsoffenheit des Fußballsektors in Österreich sowie die hohe Zahlen an organisierten Rechtsextremen in den Kurven dürfte die Fanszene für organisierte Neonazis besonders attraktiv machen. So etwa ist es ein offenes Geheimnis, dass in den Lokalen der Austria nach Spielen nazistische Lieder und NS-Gesten durchaus standardmäßig vorgetragen werden – wer dem widerspricht, sieht sich mit massiven physischen Konsequenzen und Bedrohungsszenarien konfrontiert, oder verlässt die Lokalität. Die Verschneidung organisierten Rechtsextremismus’ und Kampfsport ist dabei eine bedrohliche Entwicklung – besonders die einsetzende Professionalisierung im Sektor hooliganistischer Auseinandersetzung ist mit Argusaugen zu überwachen: Während in den 60er- und 70er-Jahren die diffuse Massenauseinandersetzung am Weg zum und vom Stadion noch im Vordergrund stand, sind es heutzutage die strikt organisierten Ackerkämpfe (österr.: „Wiesnpartie“), die vorrangig angestrebt werden. Getroffen wird sich abseits der Spielstädte in Industriegebieten oder Wäldern, wo eine vorab fixierte Anzahl an Kämpfer:innen gegeneinander antritt – als beschränkendes Regelwerk gilt lediglich, dass, wer „nachhaltig“ am Boden liegt, als k.o. gilt (TKO gibt es nicht);  auf diese Person darf dann nicht weiter eingeschlagen werden.

Diese Form des Kampfes wiederum findet Anklang in weiteren – allerdings ebenso rechtsoffenen – Kampfsportmilieus: Exemplarisch wollen wir hier die „Hype-Crew“ und die Eventreihe „King of the Streets“ (KOTS) nennen. KOTS selbst beschreibt sich als „Underground Fightclub“ – vorrangiges Klientel sind Hooligans europäischer Clubs, das Logo ist vom Hooligan-Symbol geprägt [4]. Gekämpft wird ohne Regeln, jeder Kampfstil ist erlaubt, lediglich ein gewisses Maß an „Ehrenkodex“ rahmt den Raum extremer patriarchaler Gewalt. Zwar gibt es Ringrichter, jedoch stoppen diese meist erst, wenn einer der beiden Kämpfenden total k.o. ist, sprich: heftige Blutungen aufweist, einer der beiden tatsächlich am Boden bleibt oder das Bewusstsein verliert. Gekämpft wird vor allem  um „Ehre“ in unterschiedlichen Street-Fight-Szenarien, so z. B. in einer Lagerhalle (Ring markiert durch Baugeländer), in verlassenen Parkgaragen, auf Dächern usw. Bei KOTS errungene Siege bringen in der Welt des Hooliganismus hohe Mengen an Prestige und symbolischem Kapital; die Kämpfenden sind meist avancierte bis professionelle Kampfsportler, jahrelanges Training und gute Technik prägen die Veranstaltungen der Hype-Crew. Nun wäre das alles eben so wie es ist – Hooligans, die sich in martialischer Manier in hochgradig gefährlichem Kampfsport Bareknuckle prügeln – Problem aber ist (und deshalb auch hier von Belang): Trotz zahlreicher Beteuerung seitens Hype-Crew und Kämpfenden, es handle sich um ein gänzlich apolitisches Event, finden rechtsextreme Hooligans ihren Weg allzu oft in den Ring von KOTS. Darüber hinaus wirken Streetfighting-Veranstaltungen wie KOTS auch auf die Szene zurück. Hooligan-Gruppen werden immer kampferprobter, professionalisieren die Kultur exzessiver körperlicher Auseinandersetzung, und im Fall von KOTS entwickelt sich daraus u. U. eine ökonomische Rentabilität [5].

Werden solche Hooligans dann von lokalen Rechtsextremist:innen angeworben, um z. B. Demoschutz zu machen (wie im Falle einiger IB-Demos) oder aber gar wie im Falle der Corona-Demonstrationen als taktische Kommandogruppe, wird das Problemfeld Hooliganismus zum weiteren gesellschaftlichen Problem. Die größte Anzahl der in Wien bei den Corona-Demonstrationen anwesenden Hooligans stammte dabei ohne Frage aus den Kurven der beiden großen Wiener Clubs:  So waren etwa Personen der Austria-Fanclubs „Viola Fanactis“ (inkl. Untergruppe „Sektion Inferno“), ehemalige „Flagrantia Wien“-Mitglieder (Flagrantia als Fan-Gruppe ist allerdings nicht mehr aktiv), Personen von „KAI 2000“ und „Unsterblich Wien“-Kader  auf den Corona-Demonstrationen in den Hool-Blöcken anzutreffen; bei Rapid aus den Gruppen der „Alte Garde“, der „Lions Rapid“, Leute aus dem Umfeld des Techno-Kollektivs „Traumvabrik“, der „Ultras Rapid“ sowie der gemischten „Wiesn“-Gruppe „Wiener Schlägerknaben“ (WSK) [6]. Neben Wiener Beteiligung war darüber hinaus eine „Delegation“ des Linzer Clubs „FC Blau Weiß Linz“ regelmäßig im Umfeld junger Austria- und WSK-Hooligans unterwegs.

Zu beobachten war dabei meist ein ähnlich ablaufendes Szenario: Entweder die IBÖ/RFJ stellte den ersten Block: Dann formierte sich meist am Rande des Blocks Hooligan-Züge, die zum Einen den Block nach außen hin abschirmten, missliebige Journalist:innen angriffen oder am Arbeiten hinderten, sowie Durchbruchsversuche durch Polizeisperren unterstützten. Hielt die IBÖ sich nicht an der Spitze auf und es fehlte ein unmittelbar gewaltbereiter Block, zogen oft sämtliche Stadion-Gruppen an die Spitze und formierten sich als loser Block: Vollkommen vermummt, mit Böllern und Pyrotechnik ausgerüstet sowie ab und an mit Schlagschutzhandschuhen, „Selbstverteidigungsschirmen“ und Pfefferspray bewaffnet, konnte das gewaltaffine Klientel teilweise bis zu 250 Personen in seinen Reihen zählen. Formten sich diese Blöcke während der Aufmärsche, kann retrospektiv festgehalten werden, dass es fast immer zu Auseinandersetzungen (nicht in der Intensität wie in den Niederlanden oder Belgien) kam: Als herausstechende Beispiele wollen wir hier vier Demotage nennen, die als besonders anschaulich erachtet werden können.

Hool-Block an der Spitze der Demonstration am

Beispiel a): Demonstration der Corona-Leugner:innen am 06. März 2021. Nach diversen Startpunkten in der Wiener Innenstadt versuchten große Demonstrationszüge über den Ring zu ziehen. Nach kleineren Auseinandersetzungen mit Antifaschist:innen bewegte sich die Menge über unterschiedliche Routen in Richtung FPÖ-Kundgebung auf der Jesuitenwiese in der Prater Hauptallee, wo FPÖ-Parteiobmann Herbert Kickl reden sollte. Nachdem es Antifaschist:innen gelungen war, den Aufmarsch mittelfristig zu stören und zu blockieren, formierten sich rasch an beiden Seiten (dazwischen wenige Polizist:innen) die oben angesprochenen Hooligan-Züge. Diese umgingen die Sperren der Polizei und unmittelbar danach kam es zu direkten Angriffen rechtsextremer Hooligans auf Antifaschist:innen (den Antifaschist:innen gelang es, die Angriffe abzuwehren; währenddessen war dann die WEGA mit Hundestaffel angerückt). Beteiligt waren u. a. Gruppen der Wiener Austria, vor allem die extrem gewaltaffine Gruppe um den „Flagrantia Wien“-Gründer und Neonazi Michael Giebner. Dieser ist oft mit einer rund 10-köpfigen Gruppe unterwegs, die sich für eine große Menge schwerer Angriffe auf Journalist:innen, Umstehende und Antifaschist:innen verantwortlich zeichnet.

In dieser Gruppe ist auch der schon aus Part I bekannte IB-Faschist und Neonazi-Hooligan Bernhard Burian aktiv: Burian ist szeneübergreifend in diversen Spektren rechtsextremer Gruppierungen anzutreffen. So hat Burian nachweislich gute Connections zum neonazistischen Techno- und House-Kollektiv „Tanzbridgade Wien“ um Immobilienverwalter Christian Csincsics (seines Zeichens in der Kurve von Rapid aktiv); auch konnte Burian auf Fotos im Noricum-Kellerlokal identifiziert werden, wo er zusammen mit den Neonazis Paul Blang und Thomas Kalcher-Cibulka zu sehen ist. Fantechnisch dürfte Burian jedoch eher dem Umfeld der Rapid-Kurve zuzuordnen zu sein – obwohl Burian des Öfteren neben diversen Hooligan-Gruppen der Ostkurve gesehen werden konnte. Die Verbindungen von Burian zur internationalen Rechtsextremen Szene zeigten sich auch am 12. Februar 2022, als Burian gemeinsam mit Cedomir Aleksijevic am „Tag der Ehre“ in Budapest teilnahm.

Sowohl Blang als auch Kalcher-Cibulka sind langjährig aktive Neonazis aus dem alpen-donau.info-Kreis rund um Karin und Gottfried Küssel sowie der Ferialverbindung Reich (jetzt: „Ferialverbindung Imperia“, Lichtenauerstraße 4, 1020). Blang als auch Kalcher-Cibulka konnten in den letzten Monaten, als wieder Spiele in Stadien mit Besucher:innen stattfinden konnten, des Öfteren im Block der „Viola Fanatics“ in der Kurve der Austria gesehen werden: Als diese ihre Freundschaft mit der neonazistischen Fangruppe „Ultras Slovan Pressburg“ erneuerten und in diesem Rahmen nach Bratislava zu einem Auswärtsspiel von Slovan reisten, waren die angereisten Fanatics, ein Unsterblich-Kader sowie die beiden Neonazis direkt an den Auseinandersetzungen mit Einsatzeinheiten aus Bratislava beteiligt. Bei dem Unsterblich-Kader handelt es sich um den wegen Gewaltdelikten mehrfach verurteilten Neonazi Christian „Guntramsdorfer“ Wagner. Kalcher-Cibulka konnte auch auf Corona-Demos in Wien identifiziert werden, ebenso wie bei den neonazistischen Aufmärschen der Corona-Querfront rund um Gottfried und Karin Küssel in Eisenstadt, wo auch Blang teilnahm.

Beispiel b): Die durch zahlreiche Polizeieinheiten – zusammengezogen aus ganz Österreich – gekesselte Demonstration am 10. April 2021. Als Reaktion auf die vorangegangen Demonstrationen, wo die Polizei völlig die Kontrolle über das Geschehen verloren und die Demonstration den gesamten Stadtverkehr lahm gelegt hatte, entschied sich die Einsatzleitung, einen große Sperrbereich um das Gebiet des Startpunkts des Aufmarsches zu errichten. Durch große Mengen an Hamburger Gittern waren sämtliche Zufahrtsstraßen großräumig abgeriegelt, der Zugang zur Demonstration wurde rigoros überwacht. Als eine antifaschistische Fahrrad-Demonstration sich zum ersten Mal dem Kessel nähern konnte, kam es dabei sofort zu einem ersten Durchbruchsversuch durch Gruppen bekannter Hooligans. Während dieser Versuch aufgrund des großen Polizeiaufgebotes scheiterte, schafften es vor allem Hooligans der Austria Wien an ein bis zwei Stellen durch die Sperrketten zu brechen und die Gitter niederzureißen. Federführend war die Hooligan-Gruppe um Michael Giebner. Ebenso kam es wieder zu Angriffen auf Journalist:innen – auch hier agierte die gerade genannte Gruppe als Hauptakteurin. Den medial weitläufig rezipierten Vorfällen ging – wie oben erwähnt – eine interne Spaltung nach: Ehrlich und Co. legten postwendend offen, dass Rutter exakt für diesen Tag sowie andere Veranstaltungen den Hooligan-Gruppen Funktionen und Aufgaben zugewiesen hatte. In a nutshell: Die gewaltbereite, rechtsextreme Hool-Fraktion solle taktisch gegen eventuelle Polizeisperren und -ketten arbeiten und nach Möglichkeit die Situation eskalieren. Retrospektiv betrachtet dürfte der Tag unter diesen Gesichtspunkten ein Erfolg gewesen sein.

Beispiel c): Angriff auf antifaschistische Kundgebung am 02. Oktober 2021. Schon während der Kundgebung attackierten Rapid-Hooligans der neonazistischen Tanzbrigade Wien Antifaschist:innen durch Flaschenwürfe. Als die antifaschistische Kundgebung kurz vor Beendigung im Sigmund-Freud-Park stand, begann plötzlich die gleiche Gruppe den Außenbereich des daneben gelegenen Café Votiv zu verwüsten und heraneilende Antifaschist:innen mit Sesseln, sowie Glas-Aschenbechern zu bewerfen. Unter den identifizierten Angreifenden befanden sich die Neonazi-Austria-Hooligans Christian Csincsics, Matej Vendis sowie das „Final Dawn-MC“ Mitglied Marco Singraber (der aus dem Umfeld der Fanszene des 1. FC Nürnberg stammt). Eben diese Gruppe konnte am Nachmittag noch in der Gesellschaft des Neonazi-Skinheads „Mario“ beobachtet werden, der bei einschlägig rechtsextremen Aufmärschen anzutreffen ist, aber auch am „Tag der Ehre“ in Budapest teilgenommen hat und grundsätzlich über gute Kontakte zur ungarischen Neonaziszene verfügt, v. a. aber zur „Légió Hungária“.

Beispiel d): Corona-Demonstration am 8. Jänner 2021. Schon während des Sammelns der Demonstration rund um den Maria-Theresia-Platz/Heldenplatz fielen diverse Hooligan-Gruppen in kompletter Vermummung früh ins Auge. Da davor eine Weihnachts- und Neujahrs-bedingte Pause eingelegt worden war, lag die Vermutung nahe, dass vor allem diese Demonstration – nicht zuletzt wegen des sozialen Charakters der Demonstrationen, die oftmals aufgrund der aufwendigen Musik-Setups und des enormen Alkoholkonsums wie Oktoberfeste anmuten – wieder gut besucht und auch das Spannungspotenzial hoch sein würde. Kurz nach Formierung der Demonstration zu einem Zug, entstand vorne weg einer der größten Hool-Blöcke der Corona-Demonstrationen: Schätzungen gingen von rund 200–250 Personen aus – journalistische Arbeit war beinahe unmöglich, da regelrecht Jagd auf bekannte Pressevertreter:innen gemacht wurde. Hier fiel vor allem die Linzer Pyromanen-Gruppe um Fabian Gillmayr auf: Zusammen mit dem Austria-Hooligan Stefan Fellner wurden Dosen, Flaschen und Eisklumpen (wie auch schon bei der Demonstration am 11. Dezember 2021, siehe Video) auf Journalist:innen geworfen, ein – nachher festgenommener – Hooligan schlug einem Journalisten mit der Faust ins Gesicht.

Quelle: https://twitter.com/Danijel_Suster/status/1469665888324440065?s=20&t=qnLIbETdGiF-87VFa1oDGw

Hinter der praktischen Komponente der Angriffe auf politische Gegner:innen und missliebige Personen steht ein diffuses Spektrum ideologischer Ausrichtung. Zum einen finden sich klassische Neonazi-Hooligan-Gruppen in den Blöcken: Das gilt für Tanzbrigade Wien (im Folgenden als TB geführt) und deren Kurven-Pendant Eisern Wien. Dabei handelt es sich um einen Wiener Zusammenschluss neonazistischer Hooligans mit dem Ziel, Politik im Sinne eines Aufbaus nationalistischer, faschistischer sowie nationalsozialistischer Subkulturen zu betreiben. Die Gruppe dürfte zwischen 20-30 Personen umfassen, die sowohl aus den Kurven von Rapid wie Austria stammen: Die exakte ideologische Ausrichtung und daraus abgeleitete Praxis ist nicht vollends klärbar, was vor allem daran liegt, dass kaum Textmaterial vorhanden ist oder sonstige mediale Vermittlung besteht. Lediglich vier Techno-Tracks liegen vor, in den letzten Jahren tauchten rund drei Graffiti in Wien auf, die dem TB/Eisern-Kontext einwandfrei zuordenbar sind. Was jedoch aus dem Interview, das der III. Weg mit TB geführt hat, hervorgeht, ist, dass sich die Gruppe wohl vor allem um eine faschistische Beeinflussung der Club-Szene bemüht (v. a. Techno, Hardcore & Gabber). Zum anderen ist die Tatsache, dass der III. Weg sich zu einem Interview mit einer Techno-Crew hergibt, die zahlreichen politischen wie sozialen Normen des III. Weges widerspricht, ein interessanter Tatbestand per se: Das deutet zumindest auf eine hohe politische Ernsthaftigkeit hin, die der Gruppe in faschistischen Milieus zugerechnet wird.

Ebenso deutlich dem Neonazi-Spektrum zugehörig sind die Reste der Hooligan-Gruppe „Unsterblich Wien“. Obgleich die Gruppe nicht mehr in ihrer ursprünglichen Stärke auftritt, konnten etwa der Unsterblich-Neonazi Alexander Christian zusammen mit Christian Marinics gesehen werden, sowie an andere Stelle Christian Wagner – erstere sind auch Teil der sogenannten „Ballermann Jungs“: Bei den „Ballermann Jungs“ handelt es sich um eine Vernetzung der beiden Ostkurven-Hooligan-Gruppen „Unsterblich Wien“ und der nun zu den „Viola Fanatics“ zugehörigen „Sektion Inferno“– der Name bezieht sich auf gemeinsame Urlaube auf Mallorca und eine Facebook-Seite. Wie Fotos nahelegen, gibt es vor Ort gute Kontakte zu deutschen Neonazis, die mittlerweile auf Mallorca am sogenannten „Ballermann“ leben: Vor allem Unsterblich-Neonazi und Fanatics-Ehrenmitglied Bernhard Kirsch dürfte Kontakt zum Ex-NPD-Bundesvorsitzenden Holger Apfel pflegen, der dort ein Lokal betreibt. Alexander Christian verfügt über gute Connections zu Neonazis von „Kategorie Braunschweig“ und den „Exzess Boys“ (zu denen auch Holger Apfel bekanntlich gute Verbindungen hatte) – beide Braunschweiger Gruppen können regelmäßig auf Mallorca gesehen werden und zeichnen dort auch verantwortlich für Massenschlägereien. Bezüglich der Entstehungsgeschichte, einzelner Akteur:innen und diverser Aufmärsche wie Aktionen von Unsterblich verweisen wir auf die Seite der Kolleg:innen der Recherche Wien. Von hoher Relevanz sind jedoch die Infos, die wir inoffiziell durch szenekundige Fans bekommen haben: So scheinen die Unsterblich-Neonazis neuerdings wieder massiv ins Stadion zu drängen (diese hatten teilweise jahrelanges Stadionverbort ausgesprochen bekommen), was auch die Sichtung der Unsterblich-Fahne im Reichskriegsflaggen-Design beweist. Darüber hinaus dürfte sich eine rechtsextreme Konsolidierung in der Ostkurve der Austria abspielen: Wie Quellen behaupten, dürften die Unsterblich Leute auch nicht vor erheblicher Gewalt zurückschrecken, um wieder regelmäßig ins Stadion (i. d. Ostkurve) zu gelangen. Geholfen wird ihnen dabei vor allem von den Fanatics, wo speziell zum ersten Vorsänger „Mani“ sowie zu Manuel „Buzy“ Buzecky und weiteren Fanatics-Mitgliedern seit langer Zeit enge Verbindungen bestehen. Darüber hinaus dürfte der zweite Vorsänger der Fanatics ursprünglich auch aus den Reihen von Unsterblich stammen. Das symbolische Kapital der Fanatics wiederum beschleunigt die rechtsextreme Konsolidierung um ein vielfaches: So scheinen auch seit geraumer Zeit Neonazis der Ultras Slovan Pressburg in die Ostkurve zu drängen. Die entstehende rechtsextreme Umgebung sorgt laut Aussagen dafür, dass es für einigermaßen linke Fans beinahe unmöglich wird, in diesem Teil der Kurve zu stehen, da ständige Drohungen an der Tagesordnung stehen und die Gewalt gegenüber linken Fans eskaliert.

Gute Beziehungen zu den Kadern von Unsterblich bestehen auch seitens der Gruppe rund um Michael Giebner: Schon dessen Vater Hannes Giebner betätigte sich als neonazistischer Hooligan in der Kurve der Austria Wien. Michael Giebner war einer der Gründer der damaligen Jung-Hooligan-Gruppe „Flagrantia Wien“, die der Vorstand der Austria jedoch frühzeitig verbot und nicht offiziell als Fangruppierung listete. Jedoch scheint der Verbund immer noch junge Hooligans mit rechter Gesinnung anzuziehen, was auch die Vermutung zulässt, dass es sich um eine Vorfeld-Organisierung handelt, die unter der Hand junge Personen abpasst, um sie ins Spektrum gewaltbereiten und -orientierten Rechtsextremismus einzuspeisen. Heute sind die Banner der Flagrantia wieder im Stadion zu sehen. Beziehen wir dies auf Rutters Kommandostruktur und Pläne sowie dem permanent gewaltvollen Auftreten der Hooligans um Giebner, liegt die Vermutung nahe, dass Rutter u. U. genau jene junge, unter Beweisdruck stehende Gruppierung, angeworben hat, um seine Ziele durchzusetzen.

Während diese Gruppen als bewiesen einschlägig neonazistisch eingeordnet werden könne, ist dies für die anderen Akteur:innen so eindeutig nicht der Fall. Zwar treten auch Personen aus dem Umfeld der WSK und Pyromanen Linz mit Neonazi-Symboliken (etwa Thor-Steinar-Bekleidung, Schlauschals mit Wolfsangel, usw.) auf, die Gruppen selbst sind jedoch nicht ideologisch kompakt zu erfassen: Geeint sind sie jedenfalls durch ihre Gewaltbereitschaft, einer starken Offenheit zu faschistischen Strukturen sowie durch die gängige Praxis unproblematischer Eingliederung dezidierter Neonazis in ihre Reihen. Exemplarisch hierfür kann der sowohl von der Alten Garde wie auch von Unsterblich geduldete Neonazi Gilbert Link gelten: Schon in der VAPO (Kameradschaft Wiener Neustadt unter Kameradschaftsführer Sascha Kaspar) Anfang der 90er-Jahre aktiv, wurde Link später im Umfeld von Unsterblich geduldet, steht aber grundsätzlich im Block der Alten Garde. Das zeugt von der Eisern Wien-Mentalität: Zwar getrennt durch den Verein, ist die ideologische Nähe aber manchmal so groß, dass solche Wechsel – eigentlich nicht geduldet – dennoch möglich werden.

Wie ist die Situation rund um die Hooligan-Beteiligung also zu bewerten bzw. perspektivisch zu beleuchten? Klar ist, dass auch in hiesigen Corona-Protest-Strukturen gewaltbereite Hooligans am rechten Rand eine wichtige Aufgaben übernehmen, nämlich: den Umgang mit den staatlichen Repressionsorganen für die offiziellen Veranstalter:innen und Ideolog:innen im Hintergrund. Darüber hinaus organisieren sie scheinbar eigenständig einen militanten Umgang mit Antifaschist:innen und verunmöglichen gezielt wichtige Dokumentationsarbeit und Berichterstattung. Dass ein Großteil davon darüber hinaus noch als klar rechtsextrem einzustufen ist, zeigt die besorgniserregende Dimension des Komplexes.

Wie auch schon in Part I kommt hier am Ende wieder der Aufruf zur Mitarbeit. Ihr habt wen erkannt? Schreibt uns über unser Kontaktfeld und wir ergänzen unseren Artikel! Recherche heißt gemeinsam gegen Rechts!

[1]Die von Larmoyanz und inszenierter Reue geprägten Posts und Videos in der gleichnamigen Telegram-Gruppe sollten das rechtsextreme, gewalttätige Image wieder zurechtbiegen, das die Gruppe zunehmend umgab. Dass das alles reine Show ist, zeigt folgende Aktion von Ehrlich: Am 14. Mai 2021 spielte Ehrlich (Soundmaster war der bekannte Reichsbürger Frank Schreibmüller) Teile einer Rede Hitlers (1933 vor Siemens-Arbeitern) direkt neben dem ehemaligen KZ Mauthausen ab – daneben wehte eine Israelflagge. Ehrlich wurde daraufhin wegen „Verdachts auf Wiederbetätigung“ – so der juristische Sprech – einvernommen und auf freiem Fuß angezeigt.

[2]Anmerkung zum Verlauf der Demonstration: Die Polizei hatte von Beginn weg einen großen Kessel vom Schweizergarten, Belvedere, bis hinter den Hauptbahnhof gezogen, um die Demonstration zu stoppen und so zu verhindern, dass sich erneut dutzende Züge bildeten, die blindlings ohne staatliche Kontrolle durch die Stadt ziehen würden. So sicherten die Hamburger Gitter-Linien teilweise nur wenige Polizist:innen ab, die Angreifer:innen waren mehrfach in massiver Überzahl.

[3]Dazu gesagt werden muss, dass die Einsatztaktik der Polizei oftmals völlig desolat und (gewollt?) planlos erschien.

[4]Teilweise kämpfen auch Mitglieder der Hype-Crew selbst bei KOTS.

[5]Und KOTS ist bei weitem nicht das einzige Format, in dem Free Fight-Kämpfe abseits legalistisch strukturierter Rechtsräume stattfinden. Darüber hinaus sind doppelte Daseinsformate ebenso oft anzutreffen: Gekämpft wird sowohl offiziell in den jeweiligen Ligen, aber eben auch in den Underground-Fight-Clubs.

[6]D. h.: Beim WSK finden sich alle jene Leute – ausschließlich Cis-Männer – ein, die bereit sind, für den Verein auf die „Wiesn“ zu gehen, sprich: an den Auseinandersetzungen mit anderen Fight-Crews teilzunehmen. Voraussetzung ist lediglich, dass die Personen in der Kurve von Rapid aktiv sind, im Falle des WSK z. B. Werden externe Kampfsportler nicht toleriert.