Das Octagon-Netzwerk in Europa – Rechtsextreme Kommerzialisierung des Kampfsports.

Im Mai 2022, vor rund einem Jahr, wurde in der Kalvarienberggasse 35 in Wien, Hernals der erste Octagon-Store und damit die erste österreichische Dependance des mittlerweile europaweit agierenden Franchise-Unternehmens Octagon eröffnet. Bei Octagon handelt es sich zunächst um eine Marke, die sich auf Fightwear im Kampfsportbereich spezialisiert hat. Zusätzlich fällt das Unternehmen aber durch seine Nähe zu diversen gewaltorientierten Hooligan-Milieus Zentral- und Osteuropas und den mit diesen verbundenen Streetfighting- und Bareknuckleszenen auf. Neben konventionellen Kampfsportartikeln der Eigenmarke Octagon wie etwa Thaibox- und MMA-Shorts, Boxhandschuhen, Kickpads und Boxpratzen findet man im Sortiment der Marke auch Streetfighting-Artikel wie Balaclavas mit Hooligan-Symbolen, Baseballschläger und Schlauchschals mit einschlägigen Motiven.

Der gezielte Verkauf von Szene-Artikeln für gewaltorientierte Hooligan-Milieus ist mit Blick hinter die Kulissen der Marke nicht weiter verwunderlich, stammen die führenden Köpfe des Unternehmens doch selbst aus der rechtsextremen Hooligan- und Kampfsportszene Polens. Der erste Octagon-Store wurde 2010 in der polnischen Kreisstadt Zawiercie von dem rechtsoffenen Kampfsportler, Amateurfußballer, Fußballfan und Unternehmer Radosław Szumliński gegründet. Wie wir in dieser Recherche zeigen wollen, hat Szumliński mit seinem Franchise ein transnationales Kampfsport-Geschäftsnetzwerk aufgebaut, das als lukratives und zunehmend erfolgreiches Unternehmensmodell gelten darf, in das zahlreiche rechtsextreme Akteur*innen und Strukturen aus den jeweiligen europäischen Ableger-Staaten rege eingebunden sind.

Den Wiener Octagon-Store führt so etwa Julius Bukaí, ein slowakischer Neonazi und Full Member des Hells Angels Vienna-Charter, dem wir uns als Erstes in dieser Recherche widmen, bevor wir das gesamteuropäische Octagon-Unternehmensnetzwerk beleuchten. Bukaí ist Kampfsportler und trainiert seit vielen Jahren in Wien, unter anderem im „Boxteam Riders Vienna“ und zuletzt im vom Eisern Wien-Exponenten Henry Bannert geleiteten Fox Gym. Erst kürzlich trat Bukaí bei der Octagon-Veranstaltung Way of Warrior-Gala im tschechischen Hodonín im Boxen an – ohne ersichtliches Bemühen, die große tätowierte schwarze Sonne auf seinem linken Oberarm zu kaschieren.

Wie wir in dieser Recherche zeigen wollen, ist das „Geschäftsmodell Octagon“ besonders alarmierend, weil das Franchise kein subkulturelles Nischendasein pflegt, sondern eine zunehmend kommerziell erfolgreiche Marke im Kampfsport-Bereich darstellt. Während Octagon in Tschechien, der Slowakei und Polen schon längere Zeit etabliert ist, tritt auch der österreichische Ableger „Octagon AT“ mittlerweile bei renommierten Kampfsportveranstaltungen wie „Boxen in der Südstadt“ und auch bei zahlreichen kleineren Veranstaltungen als Sponsor auf und finanziert darüber hinaus einige Kampfsportler*innen, die teilweise auch aus extrem rechten Hooligan-Milieus und deren Umfeld stammen.

Octagon AT: Julius Bukaí und die Eröffnung des ersten Octagon-Stores in Österreich.

Das Octagon-Netzwerk ist mit Julius Bukaí in Österreich angekommen. Ein Blick auf Bukaís Biografie verdeutlicht dessen langjährige Einbindung in militante und neonazistische Hooligan-Milieus vor allem in der Slowakei: Der aus Trnava stammende rechtsextreme Kampfsportler sozialisierte sich in seinen Jugendjahren in der organisierten Ultraszene des slowakischen Fußballvereins Spartak Trnava und fühlt sich mit dieser bis heute verbunden. Bis Mitte der 2010er Jahre teilte Bukaí regelmäßig das mediale Outlet der Kurve von Trnava „Bíli Adeli“ sowie Fotos der großen Fangruppierung „Ultras Spartak“ in den sozialen Medien. Fotos von ihm mit anderen Skinheads auf den Straßen Trnavas legen ferner nahe, dass Bukaí vor allem seit seiner Jugend in einer kleineren, jüngeren neonazistischen Skinhead-Subgruppe der Ultras Spartak organisiert war. Ebenso dürfte Bukaí im Umfeld der Ultras Spartak mit dem lokalen Charter der Hells Angels in Kontakt gekommen sein – Fotos, datierend auf die Anfänge der 2010er Jahre, zeigen ihn mit anderen Skinheads in den Supporter-Shirts der Hells Angels.

Neben Bukaís Einbindung in das organisierte Hooligan-Milieu geben seine Social-Media-Kanäle auch einen tiefen Einblick in seine Geisteshaltung: Seiner Timeline lassen sich etwa Bilder und Zitate von Adolf Hitler und Gewaltfantasien gegenüber BPoC sowie Jüdinnen*Juden entnehmen. Auch teilt der slowakische Kampfsportler Songs neonazistischer Rechtsrockbands wie Krátky Proces und befeuert antiziganistische Ressentiments. Als Profilbild hatte Bukaí zeitweise das Bild eines Hooligans mit Balaclava – mutmaßlich Bukaí selbst –, der einen Hitlergruß im Stadion zeigt, eingestellt. Besonders verstörend mutet auch ein geteiltes Video an, dass den Oktober 2013 in Nitra stattgefundenen Angriff neonazistischer Skinheads des Walhala Clubs auf die gegenüber liegende „Mariatchi Bar“ und seine Gäste in Nitra zeigt. Neonazis aus dem Spektrum des Národní Odpor, der L’SNS und der Slovenská Pospolitost prügelten dabei ihre Opfer zu Boden und traten mit Springerstiefeln wild auf die Schädel der Opfer ein. Der zu einem Justizskandal führende Vorfall (siehe summarischer Bericht hier) schien dabei in einer geschlossenen Facebook-Gruppe, in der die führenden Köpfe der genannten rechtsextremen Organisationen Admin-Fuktionen bekleideten, koordiniert worden zu sein: Dabei wies die Facebook-Gruppe als Logo zwei Skinheads, eine slowakische Nationalflagge und das Logo von Combat 18 auf. Die CCTV-Aufnahmen kommentierte Bukaí so affirmativ wie verachtend mit „Die richtigen Typen aufmarschieren lassen“ – so viel zum Weltbild eines zunehmend relevanten Geschäftsmanns im österreichischen Kampfsport mit Verbindungen in die gesamte Szene.

Mitte bis Ende der 2010er-Jahre dürfte Bukaí in weiterer Folge zum Full-Member bei den Hells Angels aufgestiegen sein – er trug nun die Kutte des Nové Zamky-Charters und Fotos zeigen ihn häufig mit den Mitgliedern des Bratislava-Charters. Teile der alten Skinhead-Crew, wie etwa Michal Varga, dürften den Integrationsprozess in die Angels-Strukturen mit Bukaí gemeinsam absolviert haben, einige mehr scheinen sich noch aus ihrer Zeit bei Spartak Trnava zu kennen. Bald darauf dürften auch die ersten Teilnahmen an Kampfsport-Turnieren stattgefunden haben – im Juni 2017 posiert Bukaí noch als Prospect mit weiteren Hells Angels-Members bei einer Kampfsportveranstaltung in der Slowakei im Ring. Wenige Zeit danach, wahrscheinlich um das Jahr 2018, dürfte Bukaí sowohl zum Full Member aufgestiegen und auch nach Wien verzogen sein. Es lässt sich nur darüber spekulieren, ob Bukaí mittels Weisung, oder aus freien Stücken nach Wien übersiedelt ist, doch es ist belegbar, dass er den Wechsel vom Nové Zamky-Charter ins Vienna-Charter der Angels in dieser Zeit vollzogen hat.

In Wien angekommen trainierte Bukaí zuerst im Gym des Boxteam Vienna in der Richard Neutra-Gasse in Wien, Floridsdorf. Das arrivierte Gym richtet neben den Trainings auch Veranstaltungen mit Titelkämpfen aus und Bukaí brachte sich mittels seiner Funktion als Angels-Member in die Bewerbung der Events ein: So postete er etwa Support-Bekundungen für einen Titelkampf von Eva Voraberger, verlinkte sie unmittelbar im Beitrag und fügte dem Posting die obligaten Hashtags der Hells Angels hinzu. Auch sporttechnisch ist Bukaí mit dem Boxteam Vienna verbunden – im Juli 2019 etwa trat er in einem Vorkampf eines Matches von Eva Voraberger  in Znojmo für das Gym an – die schwarze Sonne als explizit neonazistisches Symbol oder das Logo der Hells Angels schienen beim Boxteam Vienna niemanden gestört zu haben.

Zu Bukaí und den Hells Angels kann angenommen werden, dass dieser keine allzu niedrige Stellung in den hierarchischen Strukturen des Wiener Charters einnimmt. Das legt seine Involvierung in den Support 81-Store nahe, der zwar in der Tomschlikgasse 8/4, Wien, Donaustadt gemeldet ist, dessen Produkte aber auch im hiesigen Octagon-Store vertrieben werden. Im Firmenbuch der Support 81 Vienna & Streetwear e.U. scheint Bukaí außerdem als offizieller Betreiber auf. Zum Hintergrund der Stores: in diesen wird Merchandise der Hells Angels vertrieben – wer sich ihnen nahe fühlt, von ihren Geschäften profitiert oder von diesen gesponsert wird, zeigt sich häufig als Ehrenbekundung gegenüber den regulären Charter-Mitgliedern in den Support-Shirts. Eine symbolische Praxis, die innerhalb des Milieus einen hohen Stellenwert genießt.

Im Mai 2022 eröffnete Bukaí schließlich den für diese Recherche zentralen Franchise-Ableger des polnischen Octagon-Stores: zuerst in Wien-Hernals, dann in der Steinbauergasse 34 in Wien-Meidling. In diesem Kontext muss betont werden, dass es sich bei der Adresse um keinen Zufall handelt, denn in der Steinbauergasse befindet sich auch das MC-Lokal The Other Place, das unter der Schirmherrschaft der Wiener Hells Angels steht. Bei dem Lokal The Other Place handelt es sich um einen Hotspot der 1%er- Szene: Bei Veranstaltungen und Feiern kommen regelmäßig die verschiedenen 1%-MCs zusammen und demonstrieren ihre Stärke als Outlaw-Community. In einer vorangegangenen Recherche haben wir bereits auf die Verstrickungen der Wiener Hells Angels mit anderen MCs, lokaler Kampfsportszene, Hooligans der Wiener Clubs und organisierten Neonazis hingewiesen – auch Octagon ist in diesem Milieu beheimatet, rekrutiert in der Szene und stattet das Milieu mit seiner Street- und Fightwear aus. Die Kommerzialisierung des rechtsextremen Kampfsports schreitet auch in Österreich voran.

Neben der Person Julius Bukaí und dessen Geschäften lohnt es sich auch, die Verbindungen des rechtsextremen Kampfsportlers und Octagons in die österreichische MC-/Kampfsport- und Hooligan-Szene etwas konkreter zu beleuchten. Denn diese verdeutlichen die enge Einbindung und Vernetzung des transnationalen Octagon-Franchise in Österreich. Schon kurz nach der Eröffnung des Octagon-Stores kam es zu den ersten Sponsorings und Kooperationen: Jakob Berger, der President des Wiener Red Dogs-Chapter, der mit den Wiener Hells Angels bestens vernetzt ist, machte Bukaí seine Aufwartung und vertreibt nun Streetwear-Artikel des Red Dogs-Labels Radaubruder in dem Octagon-Store. Als Begleitung von Berger kam auch der Neonazi und Rapid-Hooligan Christian Lhotan, der selbst MMA unter anderem bei Dorian Pridal und mit Henry Bannert trainiert hat und mit beiden auch freundschaftlich verbunden zu sein scheint. Man kennt sich und macht Geschäfte miteinander – trotz oder gerade wegen der rechtsextrem bis neonazistischen Gesinnung.

Kurz nach der Gründung von Octagon AT folgte so dann auch ein Sponsoring-Vertrag mit Ahmet „Ronin“ Simsek, einem bestens in das MC-Milieu und vor allem in das Umfeld der Wiener Hells Angels vernetzten Kampfsportler. Auch zu ihm haben wir bereits in einer Recherche berichtet – der beim Bundesheer angestellte Simsek leitet aktuell das Training im „Garage Combat Gym“ in Wien-Landstraße, in dem unter anderem auch der IB-Kader Laurenz Grossmann Kickboxen trainiert. Außerdem hält Simsek Trainings in der Wiener Neustädter MMA-Academy von Christian Draxler ab, in dem mehrfach Neonazi-Hooligans von Unsterblich Wien, sowie der IB-Faschist Julian Hofer gesichtet wurden. Sowohl Grossmann als auch Hofer standen erst in jüngster Vergangenheit mit Unterstützung von Simsek und Draxler bei der „WKF Fight-Gala“ in Eichgraben, Niederösterreich im Ring – ein Umstand, der auch medial für Aufsehen sorgte.

Dass die Expansion Octagons allerdings auch in weit weniger politisch auffälligen Milieus zügig voranschreitet, verdeutlichen Sponsoring-Verträge mit Events und Veranstaltungen: Als Beispiel kann an dieser Stelle das Boxmanagement und Promoting-Unternehmen Simbasports Management angeführt werden, das jährlich mit anderen Partnern das renommierte „Boxen in der Südstadt“ ausrichtet, bei dem dieses Jahr am 24. März 2023 um den IBO Continental Light Heavyweight-Titel sowie um die österreichische Meisterschaft im Weltergewicht geboxt wurde. Octagon AT war hierbei nicht nur Werbepartner, sondern auch offizieller und einziger Ausrüstungspartner. Die normierten Boxhandschuhe wurden von Octagon gesponsert und Bukaí posierte im Vorfeld mit den Kämpfenden und dem Organisationsteam des Events – ein in die organisierte Kriminalität vernetzter Neonazi mit Gewaltfantasien Hand in Hand mit dem Who’s who des österreichischen Kampfsports.

 

Um das Ausmaß der Etablierung von Kampfsportveranstaltungen dieser Art zu verdeutlichen, muss erwähnt werden, dass das Boxen in der Südstadt mittels Live-Berichterstattung von ORFSport+ sowohl online als auch per TV-Format ausgestrahlt wurde. Ein Sponsoring-Vertrag von Octagon bei einem Event dieser Größenordnung kann somit als kommerzieller Meilenstein des transnational agierenden Franchise-Unternehmens rechtsextremer Prägung angesehen werden. Es ist als außerordentlich problematisch zu beurteilen, dass ein Neonazi mit unmittelbaren Verbindungen in die organisierte Kriminalität einen so prestigeträchtigen Auftrag lukrieren konnte und von der österreichischen Kampfsport-Szene die Möglichkeit erhält, symbolisches Kapital dieser Größenordnung zu akkumulieren. Dass keinerlei Background-Check seitens des Organisationsteams durchgeführt wurde bzw. man trotz des Wissens über die Hintergründe des Unternehmens umfassende Sponsoring-Verträge mit diesem eingeht, kann als maximales Versagen bewertet werden und bestätigt die allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber rechtsextremen Strukturen im österreichischen Kampfsport.

Sponsoring auch durch STB (1. Reihe Sponsoring, 4. v. l.).

Zugleich ist Octagon nicht das einzige politisch auffällig Unternehmen, dass bei dem Event vertreten war: Auch STB-Bau, das Bauunternehmen des Sportgemeinschaft Noricum (SGN)-Fullmembers Robert Burger schien als Sponsor auf den Plakaten von Simbasports auf. Burgers Unternehmen gilt als finanzielle Basisstruktur der SGN: Die Vermietung des Noricum-Clubhauses in der Klosterneuburger Straße in Wien-Brigittenau läuft über Burgers Firma und auch das Fox Gym, diverse Charity-Veranstaltungen aus dem MC- und Ultra-Bereich, sowie Henry Bannert selbst werden durch das Unternehmen unterstützt. Burger hat ausgezeichnete Kontakte ins MC-Milieu – vor allem zum Wiener Hells Angels Charter und dessen Umfeld. Auch hier fehlt jede kritische Beurteilung der Person und auch hier hofiert man einen Rechtsextremen, der Teil eines rechtsextremen Kampfsportbundes ist und dessen Mitglieder eine lange Vergangenheit in die militante Neonazi-Szene Wiens aufweisen.

2. Reihe 2. v. l. Octagon, letzte Reihe 1. v. r. STB-Bau.

Neben Großevents wie dem Boxen in der Südstadt ist Octagon zusätzlich in kleinere Veranstaltungen des Kampfsport-Milieus als Sponsor involviert, wie etwa in das von Henry Bannert und Fadi Merza im Juni 2023 organisierte Branchenboxen in den Wiener Sofiensälen. Wenig verwunderlich trat auch STB-Bau neben Ottakringer und Kattus als einer der Hauptsponsoren bei dem Event auf. Das Catering wurde von „Lugeck Alm“ und „von franz“ gestellt – keines dieser großen Unternehmen hatte offenbar ein Problem damit, bei einem durch einen Rechtsextremisten organisierten Event an der Seite von einem als rechtsextrem zu bewertenden Sponsoren aufzutreten. Nicht nur innerhalb der Kampfsport-Szene und den bei den Veranstaltungen tätigen Firmen, sondern auch vonseiten renommierter Medienhäuser herrscht weitgehende Ahnungslosigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber der rechtsextremen Einflussnahme und Unterwanderung des österreichischen Kampfsports. So wurde auch die Kronen Zeitung, das auflagenstärksten Boulevardblatt Österreichs, offensiv auf der Fight Card des Events beworben und Krone Plus stellte ihren Abonnenten einen Live-Stream der Veranstaltung zur Verfügung.

Octagon PL – der Beginn: Das polnische Franchise.

Nach der Rekonstruktion der zentralen Personen rund um den Ableger von Octagon in Österreich und deren Netzwerke sollte evident sein, dass es sich bei dem Franchise-Unternehmen um ein rechtsextremes Phänomen handelt, das im kommerziellen Kampfsport Fuß gefasst hat. In Österreich wiederholt sich aber bloß die bereits in anderen Ländern Europas eingeübte Strategie der Unterwanderung und Vereinnahmung des Kampfsport-Bereichs durch die Marke Octagon. Bevor Octagon sich in Österreich etablierte, florierte nämlich bereits das Geschäft des Franchise-Unternehmens in Polen, der Slowakei und Tschechien und auch hier sind Personen und Organisationen aus dem militanten Neonazismus tonangebend. Nach der Ersteröffnung in Polen – wo mittlerweile 23 Stores existieren und eine eigene Produktionsstätte im monetären Gegenwert von rund 2.23 Millionen Euro eingerichtet wird – expandierte man rasch in die Slowakei und Tschechien.

Das Sortiment der Läden im Osten unterscheidet sich durchaus von den Produkten, die im österreichischen Shop erhältlich sind: So findet man politisch explizitere Druck-Motive auf Sport- und Streetwear, wie etwa in den slowakischen Shops Shirts in Nationalfarben mit dem Kolowrat als Aufdruck, oder auch eindeutig an das regionale Hooligan-Milieu angelehnte Symbole lokal- und regionalpatriotischer Prägung. Besonders stark vertreten sind die Subbrands des polnischen Franchise, die mutmaßlich durch den Octagon-Gründer parallel vertrieben werden und exklusiv in den Octagon-Stores erhältlich sind. Es handelt sich dabei um die Marken Ofensywa Polska und Public Enemy – vor allem Ofensywa fällt durch aggressiv-nationalistisches und rechtskatholisches Branding auf. Von Bedeutung ist ferner die alte Vertriebsstruktur und ehemalige Eigenmarke odziez-uliczna.pl: Diese hatte noch vor der Gründung von Octagon Hooligan- und Kampfsport-Artikel über einen Webstore vertrieben. Nun wird auch odziez-uliczna.pl via die regulären Octagon-Salesstrukturen verkauft, laut öffentlicher Beschreibung auf Instagram fungiert odziez-uliczna allerdings weiterhin als legalistische Distributionsplattform von Octagon, Ofensywa und Public Enemy. Auch im Bekleidungssortiment von odziez-uliczna fanden sich wiederum – wenig überraschend – insbesondere in der Sektion „Patriotyczna“ stark nationalistische und auch hier rechtsktaholische Motive.

Ofensywa und Public Enemy scheinen dabei ursprünglich von dem Octagon-Urheber Radosław „Radman“ Szumliński im Verbund mit mindestens drei weiteren Personen gegründet worden zu sein, die nun auch für Octagon PL sowohl als öffentliche Brand-Ambassadors tätig, aber vermutlich auch in das operative Geschäft eingebunden sind. Namentlich handelt es sich hierbei vorrangig um Sebastian KonsekSzymon Nowowiejski und Maciej Korzym – während ersterer aus der polnischen Hooligan-Szene stammen dürfte und regelmäßig Kampfsport zu betreiben scheint, können die anderen zwei Akteure etwas genauer in den für Octagon einschlägigen Milieus zugeordnet werden. Nowowiejski ist Member des Bad Company MC Poland, der in Gdansk und Olsztyn Chapter unterhält, sowie über zwei Prospect-Chapter in Płock und Wrocław und ein Nomads-Chapter im Süden Polens verfügt. Der MC tritt offen radikal-nationalistisch auf und nahm sowohl am rechtsextremen Marsch zum polnischen Unabhängigkeitstag, als auch am Gedenken an die polnischen Inhaftierten des NS-Regimes und die „Armia Krajowa“ („Heimatarmee“) teil. Bei der Gedenkprozession am 23. Juni 2019 marschierte der MC straff formiert in Kutten martialisch in das KZ Auschwitz ein, um den polnischen und nur den polnischen Opfern zu gedenken.

Der BCMC in voller Montur am Eingangstor des KZ Auschwitz.

Wie selektiv das von nationalem Chauvinismus geprägte Gedenken des MCs ist, kann an einem Beispiel illustriert werden: Kaum ein Jahr nach der Gedenkveranstaltung wurde der medial bekannte polnische Rechtsextremist und ehemalige Kampfsportler Marcin „Różal“ Różalski in den MC aufgenommen. Bekannt ist Różalski vor allem wegen seiner menschenverachtenden Aussagen, insbesondere gegenüber geflüchteten Menschen und LGBTIAQ*-Personen. Regelmäßig posiert Różalski im neonazistichen Thor Steinar-Look, nimmt an Schießtrainings teil und verkehrt mit anderen rechtsextremen Kampfsportlern wie etwa dem Boxer Artur Szpilka, der mittlerweile international erfolgreicher Profiboxer ist, jedoch früher in der Hooligan-Szene von Wisła Kraków aktiv war und auch in den lokalen Drogenhandel involviert gewesen sein soll. Wie der Rechtsextremismusforscher Przemysław Witkowski in einem Aufsatz zur polnischen Rechten und dem Kampfsport festgestellt hat, ist Różalski weiters eng mit dem aktiven Neonazi, Kampfsportler und Bodybuilder Patrycjusz „Patrex“ Wróblewski vernetzt. Wróblewskis Kontakte gehen dabei weit in die militante Neonazi-Szene Polens und Russlands hinein: Er gilt als Teil der sehr aktiven polnischen B&H-/C18-Sektion.

Der BCMC scheint jedes Jahr am extrem rechten Unabhängigkeitsmarsch in voller Personenstärke teilzunehmen.

Maciej Korzym hingegen entstammt der organisierten Ultraszene des Warschauer Klubs Korona Kielce, genauer dem Fanklub „Zjednoczona Korona“. Korzym trainiert außerdem regelmäßig im „Fight House Nowy Sacz“ und tritt bei K1-Kämpfen an. Obgleich er zwar nationalistische Tattoos zur Schau trägt und auch sein Fanklub patriotisch-nationalistische Tendenzen aufweist, kann unseres Erachtens auf kein geschlossen rechtsextremes Weltbild aus dem vorhanden Material geschlossen werden. Dennoch komplettiert er das Milieu, in dem sich Octagon und seine Submarken bewegen: rechte Hooligan- und Ultra-Szenen, rechte MCs, organisierter Rechtsextremismus und Neonazismus, sowie Kampfsport-Milieus jeder Art. In diesem Zusammenhang sticht eine Verbindung besonders ins Auge: Octagon Polen ist über den Bad Company MC eng mit dem internationalen Neonazi-Netzwerk von Blood & Honor vernetzt. Wie zusätzlich festgestellt werden kann, beschränken sich Octagons Kontakte zu B&H nicht auf Polen. Auch in der Slowakei und in Tschechien findet Austausch zwischen Octagon und militanten Neonazi-Kreisen statt und auch die Sponsorings der Marke reichen unmittelbar in das internationale B&H-Netzwerk.

Im Falle des polnischen Franchise spielt der bereits erwähnte Bad Company MC, in dem Octagon-Akteur Nowowiejski Full Member ist, eine zentrale Rolle. Denn der MC ist bestens mit Rechtsrock-Größen und Mitgliedern der polnischen B&H-Sektion vernetzt und regelmäßig kommt es zu Zusammenkünften und Teilnahmen des MCs an internationalen Neonazi-Vernetzungstreffen. Dass der Konnex des MC zu B&H Poland keinesfalls verwunderlich ist, zeigt ein Blick in die Geschichte der Sektion: Hooliganismus, Rotlicht-Business und Draht zur organisierten Kriminalität durchziehen die Geschäftsfelder der polnischen B&H-Gruppierung. Zwar scheint die Organisation von Rechtsrock-Konzerten und Produktion von RAC-Tonträgern immer noch zentraler ökonomischer Angelpunkt der Neonazis zu sein, dennoch sind die anderen Geschäftsbeziehungen und zunehmend auch das Geschäft mit dem Kampfsport keinesfalls als nebensächlich zu erachten.

Zum Hintergrund: Laut dem Rechtsextremismusforscher Przemysław Witkowski existierten in Polen historisch zwei Strukturen, die dem internationalen Blood & Honour- bzw. C18-Netzwerk zuzurechnen sind. Die erste Struktur formierte sich in den späten 2000er-Jahren rund um Andrzej „Szubert“ P. und war für eine Website verantwortlich, die Feindeslisten von politischen Gegner*innen inklusive deren persönliche Daten veröffentlichte. Auf die Veröffentlichung der Daten folgten Drohungen, Übergriffe und ein Mord an einem polnischen Anarchisten. Als Reaktion griffen die polnischen Behörden ein, sperrten die Website und verurteilten 2010 P. und zwei weitere Personen zu einer Haftstrafe. Nach diesem Einschnitt in die Neonazi-Strukturen gründete sich die bis dato aktive und in dieser Recherche relevante B&H/C18-Fraktion in Polen, deren Akteure gänzlich aus dem Kraft- und Kampfsport-Umfeld stammen und gute Verbindungen in die organisierte Kriminalität und rechte Hooligan-Szenen unterhalten.

Laut Witkowskis Recherchen zählen zu dem neuen vornehmlich im südpolnischen Raum aktiven Netzwerk wesentlich Grzegorz „Jastrząb“ Jastrzębski (Sänger der Neonazi-Band Legion Twierdzy Wrocław), Marek Bialy (Zuhälter und Rotlichtlokalbetreiber in Wrocław), Piotr „Dziki“ Gierczak (zentrale Führungsfigur der Division), Grzegorz „Śledziu” Horodko (u. a. Hooligan bei Lechia Gdansk), Krzystof „Słowik“ Słowínski (neben Gierczak eine international ebenso gut vernetzte Führungsfigur) und Robert „Kadi“ Orsolinsz (Leadsänger der Rechtsrockband Obled). Mehreren Berichten durch Witkowski sowie den Fachjournalisten Jacek Harłukowicz zufolge, ist die polnische Division von B&H/C18 gut strukturiert und organisiert: Das Netzwerk konnte bereits zahlreiche internationale Konzerte in Polen ausrichten und verfügt über ein etabliertes internationales Netzwerk in andere Neonazi-Strukturen.

Jastrzębski als Leadsänger von LTW.

2017 besuchten der prominente Akteur der internationalen Neonazi-Szene Marko Gottschalk und dessen Band Oidoxie auf deren Initiative Polen und sollten neben LTW, Obled, Terrorsphära und anderen für das einschlägige Publikum spielen. Für die Beurteilung des Grads an Vernetzung sind zusätzlich auch die B&H/C18-internen Kontakte zu dem deutschen C18-Exponenten Michael Hein aus Frankfurt a. d. Oder zu erwähnen, der die Gruppe immer wieder in Polen besuchte. Am Back to the Roots-Festival in Mücka März 2019 traf die polnische LTW-Crew zudem Thorsten Heise und Michael Hein, wo – wie EXIF berichtete – parallel zum Back to the Roots-Konzert ein konspiratives C18-Treffen samt Oidoxie-Konzert stattfand.

Neben der Vernetzung nach Deutschland pflegen die B&H-Mitglieder zudem Kontakte nach Frankreich, Russland und Finnland. So nahm Gierczak mit anderen Neonazis am 20. März 2017 an dem von den Hammerskins Lorraine organisierten Hammerfest teil. Auch zwischen B&H Polen und der russischen militant-neonazistischen Gruppe PPDM („Po programme Dedushki Moroza“ oder auch „Father Frost Program“), die von den Neonazi-Kampfsportlern Maxim Savelyev und Konstantin „Truvor“ Brjuchanow gegründet wurde, findet reger Austausch statt. Mehrmals besuchten die beiden B&H-Mitglieder Wróblewski und Jastrzębski​​​​​​​ ihre Kameraden in Russland und auch Brjuchanow war mehrmals nach Polen gekommen, um sich mit der Neonazi-Szene zu vernetzen.

Im Jahr 2019 unterbanden die Behörden die Bemühungen grenzüberschreitender Vernetzung, wiesen Brjuchanow aus Polen aus und belegten ihn mit einem Einreiseverbot weil von einer Gefährdung der nationalen Sicherheit ausgegangen wurde. Der zentrale Verbindungsmann zur finnischen Neonazi-Szene ist der MMA-Kämpfer Niko Puhakka, der mehrmals nach Polen reiste um sich mit Mitgliedern der polnischen B&H-Sektion zu vernetzen, Seminare abzuhalten und an Kämpfen teilzunehmen – man sieht an Beispielen wie diesen, dass ähnlich dem Phänomen Rechtsrock auch Kampfsport nicht nur als subkulturelles Betätigungsfeld genutzt wird, sondern zugleich auch als Möglichkeit der transnationalen Vernetzung wahrgenommen wird. Bei Niko Puhakka dürfte es sich um einen besonders gut in die neonazistische Kampfsport- und Hooliganszene vernetzen Akteur handeln – das belegen etwa seine Kontakte zum Pro Patria Fightclub in Athen, für den er bereits Seminare abhielt. Was aber hat die B&H-Sektion Polen nun genau mit Octagon zu tun?

Der Punkt ist: Die militanten Neonazis von B&H Polen pflegen nicht nur rege Kontakte in den international vernetzten Neonazi-Milieu, sondern verfügen auch über enge Verbindungen in die polnische MC-Landschaft und insbesondere zum Bad Company MC und damit auch zu den Hintermännern von Octagon Polen: Vor allem Robert Orsolinsz, der Leadsänger der Neonazi-Band Obled und der langjährige Lechia Gdánsk-Hooligan Grzegorz Horodko sind mit den Full Members des MCs gut vernetzt und teilen sich die selben Betätigungsfelder: Sowohl die polnischen B&H-Exponenten wie auch die Member des Bad Company MC sind aktiv in die Förderung von polnischen MMA-Kämpfern involviert. So treten etwa die B&H-Akteure und Obled-Mitglieder Orsolinsz und Wojciech Emer als Unterstützer des MMA-Fighters Robert Parzęczewski auf, der im Übrigen auch mit dem B&H-Führungskader Gierczak verkehrt. Dasselbe Geschäftsfeld bespielt auch der Bad Company MC, der nicht nur über eigene Trainingsräumlichkeiten für Members wie Nowowiejski verfügt, der an Bareknuckle-Events wie Wotore oder Gromda teilnahm, sondern auch öffentlich Kämpfer wie den Hooligan und Bareknuckle-Fighter Daniel „Hunter“ Więcławski fördert. Das Event Wotore wird im übrigen wenig überraschend von Octagon offiziell gesponsert und das Fightwear der Marke wird häufig von Fightern und Ringrichtern getragen – Octagon, Bad Company MC und Kampfsport in Polen lassen sich kaum voneinander trennen und B&H Polen mischt auch kräftig mit.

Mit Blick auf die polnische Kampfsportlandschaft kann festgestellt werden, dass Octagon Polen kein subkulturelles Nischenphänomen, sondern ein etabliertes und einflussreiches Unternehmen ist. Octagon organisiert eigene Kampfsportevents wie die No Mercy Gala, sponsert zahlreiche Kampfsport-Zentren, viele polnische Kampfsportler*innen tragen die Fightwear der Marke Octagon und in den sozialen Medien trendet der Hashtag #octagonfightwear. Jede größere Stadt Polens verfügt über einen Octagon-Store, die mittlerweile über ein breites Sortiment bis hin zu eigenen Nahrungsergänzungsmittel verfügen – der österreichische Ableger verkauft im übrigen Mineralwasser mit Octagon-Branding. Trotz der Kommerzialisierung des Unternehmens inszeniert sich dieses nach wie vor in subkultureller Hooligan-Ästhetik und unterstützt und fördert aktiv rechtsextreme sowie neonazistische Akteur*innen und Strukturen aus dem Milieu. Vielleicht ist der Erfolg des Unternehmens auch gerade dadurch zu erklären, dass es sich als aus der gewaltaffinen Subkultur von Schlägern und „Outlaws“ kommend inszeniert und dieses vermeintlich authentische Alleinstellungsmerkmal geschickt kulturindustriell vermarktet.

Förderung von rechten polnischen Hooligan- und Neonazigruppierungen.

So unterstützt und sponsert Octagon Polen etwa die rechtsextreme Hooligan-Gruppierung Bielskie Zagłębie des Vereins Zagłębie Sosnowiec: Das vereinseigene Gym Sportowe Zagłębie wird mit Fightwear von Octagon, Sporttaschen, Shirts, die im Fanshop von Zagłębie verkauft werden, bishin zu Getränke-Kühlschränken ausgestattet und beim hauseigenen Octagon-MMA-Event No Mercy verpflichtete man Mitglieder von Zagłębie, wie unlängst etwa Adrian Dudek, der Ende Mai 2023 bei dem Event antrat. Bei Bielskie Zagłębie handelt es sich um eine Fangruppe, die mit Bannern im Stil von Blood & Honour mit den Aufschriften „Hier war immer reines Land und das wird es auch auf Ewigkeit bleiben“ und „Weiße Menschen, die wir kennen, werden immer gegen den Kommunismus kämpfen“ posieren. Neben der Referenzierung von Blood & Honour verfügt der Fanclub außerdem über Kontakte in das militante NS-Milieu: Fotos zeigen zwei Mitglieder von Bielskie Zagłębie in T-Shirts von B&H mit den B&H-Neonazis Horodko und Orsolinsz sowie weiteren Personen im Rahmen einer nicht näher bekannten Festivität.

Der Fanclub Zagłębie ist allerdings nur ein Beispiel für die Verstrickungen von Octagon Polen in das rechtsextreme Hooligan-Milieu Polens. Auch im vom polnischen Neonazi Radosław „Wolf“ Brzuszczyński geführten Fight Club Fanga, das als internes Gym der autonomen Nationalisten von Autonom.PL und Nacjonalista.PL fungiert, wird von Octagon gesponsert. Brzuszczyński sowie viele andere aus dem Fanga-Gym stammen aus dem Hooligan-Umfeld der „Żyleta“ („Rasierklinge“), der berüchtigten Nordkurve von Legia Warszawa – dass man sich der Kurve zugehörig fühlt, verdeutlichen die Klubfarben an den Wänden des Gyms sowie das aufgemalte Emblem von Legia. Dass die Kurve selbst als „berüchtigt“ gilt, darf mittlerweile vor allem einer extrem rechten, großen Gruppierung zugeschrieben werden: der neonazistischen Fangruppe Teddy Boys ’95, die im Übrigen auch mit den extrem rechten Fans von Zagłębie befreundet ist. Die Teddy Boys zeigen Hitlergrüße und Keltenkreuze, schmücken ihre Kurve mit antikommunistischen Anti-Antifa-Bannern, zeigten öffentliche Bekenntnisse zum islamistischen Jihad gegen Israel, fallen regelmäßig mit rassistischen Gesängen auf und gelten als extrem gewalttätig.

Der Octagon-Kooperationspartner und Leiter des Fanga-Gyms Brzuszczyński selbst macht aus seiner Weltanschauung ebenso keinen Hehl – Kolowrat, Perun, Nationalflagge, nazistische Slogans und Bekleidung der neonazistischen Kampfsportmarke White Rex prägen seinen Social-Media-Auftritt und in den Räumen des Gyms fand 2017 ein Kampfsport-Workshop unter dem einschlägigen Titel „Polska dla Polek“ („Polen den Polen“) statt. Um das General-Sponsoring zu beschließen, bemühte sich der Octagon-Chef Szumliński sogar persönlich in das Gym: Gemeinsam mit Brzuszczyński, der sein Octagon-Shirt zur Schau trug und seit dem Sponsoring auf fast allen Fotos im Octagon-Branding zu sehen ist, posierte man und stellte die neue Partnerschaft entschlossen zur Schau. Und um das Agreement noch zu toppen, kündigte Octagon Anfang September 2023 an, die Nordkurve der Legia mit Sportswear und Kampfsportequipment auszustatten: So finanziert Octagon nicht nur ein Gym, dass einschlägig dem organisierten Neonazismus zuzurechnen ist und aus dem gewalttätigen Hooligan-Milieu Polens stammt, sondern auch noch die erlebnisorientierte Hooliganfraktion im Hintergrund.

Wie sehr man dabei dem – ohnehin als schwer gewalttätig geltenden – polnischen Hooliganismus verpflichtet ist, verdeutlicht auch das Sponsoring des polnischen Ablegers der Team Fighting Championship: Das 2014 erstmals in Riga ausgerichtete Event brachte  internationale Hooligan-Gruppierungen in einem KO-Turnier zusammen, wo jeweils fünf gegen fünf Fighter in einer Lagerhalle auf einer rudimentär abgegrenzten Matte in einem Less-Rules-Fight antraten (nicht erlaubt waren lediglich Beißen und Augenstechen, sowie Tritte/Schläge in die Genitalregion). Als Preisgeld wurden 5.000€ ausgezahlt – organisiert wurde das Ganze von einem Hongkonger Businessmann, der neben der TFC mutmaßlich noch weitere private Fightingleagues betrieb. Um 2020 dürfte sich dann das polnische Pendant Hooligans Team Fights Challenge gegründet haben. Hauptunterschied bestand lediglich darin, dass bei der polnischen TFC lediglich polnische Hooligans antraten – das Setting war das gleiche. Dem vorherrschenden polnischen Hooliganbild entsprechend wurde auch bei der polnischen TFC der Armija Krajowa gehuldigt, rechtskatholische Symbolik und mittelalterliche Bezüge eingesetzt. Noch 2020 dürfte dann auch Octagon seine Unterstützung zugesagt haben – schon im Juni hatte man Shirts im Verkauf und die Bewerbung der polnischen TFC lief an. Das erste Event, das noch 2020 hätte stattfinden sollen, musste allerdings auf 2021 verschoben werden – die Gründe dafür verbleiben im Dunkeln. Wie auch bei der internationalen TFC ist die Website des polnischen Pendants momentan down, der Social Media-Auftritt allerdings noch belebt, was durchaus darauf hindeutet, dass die polnische TFC ihre tatsächlichen Fight-Events abseits der Öffentlichkeit durchführt.

Dass Octagon die polnische TFC unterstützt verdeutlicht hierbei nur die strategisch-politische Linie, die das Unternehmen Octagon fährt – die gezielte Förderung von Strukturen und Akteur*innen, die sich an der Schnittstelle von Fußballfanszenen, Kampfsport und extremer Rechter bewegen lässt sich dabei als Muster begreifen, das sich bei den anderen Octagon-Franchise-Unternehmen außerhalb Polens wiederholt.

Octagon SK – der Vormarsch von Octagon: Das Franchise in der Slowakei am rechten Rand.

Neben Polen haben sich in den letzten Jahren Tschechien und die Slowakei zu zentralen Geschäftsfeldern des Octagon-Franchise entwickelt. So lassen sich Octagon-Stores bereits in Ostrava (CZ), Bratislava (SK) und Žilina (SK) finden. Hinter den Ablegern stehen Martin Majovsky in der Slowakei und Daniel Švarc in Tschechien.

In der Slowakei führt das Octagon-Netzwerk direkt in die Strukturen des lokalen Club 28. Dabei handelt es sich um ein v. a. in Osteuropa verbreitetes Neubranding von Blood & Honour- und Combat 18-Netzwerken, deren  Aktivitäten allerdings auf das moderne Kampf- und Kraftsportbusiness erweitert wurden. Die Neonazis des Club 28 trainieren in von Octagon gesponserten Gyms, treten regelmäßig bei von Octagon organisierten oder unterstützten Kampfsportveranstaltungen an und repräsentieren die Marke Octagon, durch die Zurschaustellung des Franchise auf Social Media. In der Gesamtheit kann daher festgestellt werden: Octagon, Kampfsport, Rechtsextremismus und Hooliganismus sind auch in der Slowakei kaum voneinander zu trennen.

Der extrem rechte Konnex von Octagon nach Žilina.

Die Verbindungen von Octagon-Slowakei in den militanten Rechtsextremismus führen zunächst in das Wolf Pride Gym in Žilina, im Norden der Slowakei nahe der polnischen und tschechischen Grenze. Obwohl das Kampfsportzentrum formal unabhängig agiert, wird es von Octagon-SK ausgestattet und bei der Bewerbung von Kampfsportevents sowie der Förderung von Kämpfer*innen unterstützt. Die Trainings im Wolf Pride Gym werden von dem bereits erwähnten Bareknuckle- und MMA-Fighter Tomáš „Bolo“ Meliš angeleitet. Bei seinen Kämpfen und in den sozialen Medien trägt der Kampfsportler meist Octagon in nationalistischer und hooliganistischer Ästhetik, oder einschlägigere rechtsextremen Szene-Marken wie Beloyar – Pagan Company, eine russische Marke, die für ihr „Svarozhich“-Kreuz bekannt ist, in dessen Mitte ein Hakenkreuz platziert ist.

Zusätzlich inszeniert sich Meliš nicht nur öffentlich als rechtsoffener Kampfsportler, sondern verfügt über gute Kontakte in das militante Neonazi-Milieu der Slowakei. So zeigen ihn etwa Fotos Arm in Arm mit Kubko Kondelcik im Wolf Pride Gym – einem in Žilina wohnhaften Neonazi, der dem Spektrum des slowakischen Club 28 und der lokalen B&H-Sektion zugerechnet werden kann und auf seinem Oberarm sowohl ein Kolowrat als auch ein großes Hakenkreuz tätowiert hat. Kondelciks Gesinnung kann auch seinen Social-Media-Postings entnommen werden, etwa wenn er ein Bild der Einfahrtstore des KZ Auschwitz mit der darüber platzierten Überschrift „Refugees Welcome“ postet. Barbora Almášiová, die Partnerin von Kondelcik, wiederum besitzt ein Tattoo-Studio namens White Tattoo in Rimavská Sobota, einem weiteren für den Club 28 in der Slowakei relevanten geographischen Knotenpunkt und posiert selbst vorzugsweise in einschlägigen Runen-Shirts. Die wechselseitig amikalen Kommentare, Likes und Interaktionen belegen, dass die Kontakte zwischen Meliš und Kondelcik keinesfalls zufällig sind und der Gym-Betreiber sich im Netzwerk des slowakischen Club 28 bewegt.

Tomáš Meliš verfügt aber nicht nur über Kontakte in das slowakische Neonazi-Milieu, sondern ist auch international in den militanten Neonazismus vernetzt. Wie es scheint, hat Meliš vor Kurzem mit Hilfe von Octagon eigene Shirts mit dem klingenden Namen „Meliš Army“ kreiert. Während dieser Umstand lediglich erneut die Verbindungen des rechtsextremen Kampfsportlers zu dem Octagon-Franchise verdeutlicht, wollen wir an dieser Stelle auf ein Detail am Rande hinweisen: Der Athener Kampfsportler und Neonazi Konstantinos Kandiliotis posierte kurze Zeit später in dem Octagon-Shirt von Meliš in den sozialen Medien und bedankte sich bei diesem für die private Zusendung. Warum ist das relevant? Kandiliotis ist jener Neonazi, der als einer der Zahlungsabwickler der diesjährigen European Fight Night, einem der größten transnationalen Kampfsportevents des organisierten Neonazismus Europas, auftrat. Die Bestellung der Karten über die mutmaßlich von Tomasz Szkatulsky betreute Mail-Adresse der EFN lief wenig klandestin über das Paypal-Konto von Kandiliotis. Ob Konstantinos Kandiliotis in das in Athen operierende Kamfsportnetzwerk Pro Patria Fight Club eingebunden bzw. Teil der diesen umgebenden B&H/C18-Strukturen der neonazistischen Chrysi Avgi ist, bleibt unklar – es wäre in jedem Fall nicht verwunderlich.

Neben Kondelcik und Kandiliotis wollen wir abschließend noch auf eine letzte Bekanntschaft von Meliš hinweisen: Im Ring des Králi Ulice II posierte er mit Zdeněk „Gauny“ Pernica, einem tschechischen neonazistischen Hooligan, der früher als Kader der Cheeky Boys galt, der Jugendorganisation der gewaltorientierten und rechten Johny Kentus Gang (JKG) des FC Zbrojovka Brno. Pernica war außerdem Gründungsmitglied der Slušny lidé (in etwa „Anständige Menschen“), die unter anderem an klerikalfaschistischen Aufmärschen und Angriffen wie etwa auf eine Theateraufführung 2018 in Brno teilnahm. Gegründet hatte Pernica die Gruppe mit Martin Korc, dem ehemaligen Gründer der Bohemian Hammer Skinheads, dem damaligen (schon länger aufgelösten) tschechischen Chapter der Hammerskin Nation (vgl. hier den Text der antifa.cz). Pernica trat u. a. schon in der BKFC 46 an, ist überdies seit längerem Trainingspartner von Petr „Bery“ Beránek, einem bekannten Neonazi-Hooligan und Gewalttäter der JKG, der auch Teil des White Rex Czech Fight Team ist – dazu später noch mehr.

Die Ultras von Slovan Pressburg.

Auch wenn Tomáš „Bolo“ Meliš für die Verbindungen Octagons in das militante Neonazi-Milieu der Slowakei relevant ist, beschränken sich diese nicht auf ihn. Im Jahr 2020 verkündete Octagon, man würde nun für die Hooligan-Abteilung der neonazistischen Ultras von Slovan Pressburg maßgeschneidertes Fightwear produzieren – unter anderem Trainingshosen, Sportoberteile und Mützen. Dazu muss man wissen: Die Hooligans von Slovan Pressburg sind international für ihre Gewalttätigkeit und ihre Einbindung in rechtsextreme Fußballmilieus bekannt. Unter ihren Mitgliedern finden sich mehrfach international bekannte Neonazis, die auch politisch aktiv sind. Dies trifft etwa auf den Kampfsportler, WRC-Mitglied und KOTS-Kämpfer Michal „Panzer“ Petriš sowie auf Milan „Punky“ Panač zu. Auch Panač ist Teil des WRC, trug auf seinem Bauch bis vor Kurzem den Treueschwur der SS als Tätowierung und nahm mehrfach an einschlägigen Kampfsport-Events wie dem 2014 veranstalteten Tana delle Trigri in Rom teil, das alljährlich in den Räumlichkeiten von CasaPound Italia ausgerichtet wird. Panač trat außerdem auch bei Events wie dem Králi Ulice II, oder bei KOTS an – zu zweiteren war er gemeinsam mit Michael Petriš und Simon Jusko angereist, die regelmäßig zusammen trainieren und wohl auch freundschaftlich verbunden sind.

Panač mit Zahradník – beide dürften gut miteinander befreudet seien.

Panač ist für diese Recherche zusätzlich relevant, weil er über gute Kontakte zum slowakischen Club 28 pflegt – vor allem zu dem Neonazi, Kampfsportler und Hooligan Michal Zahradník, der Teil der Gemer Division – Ultras Rimavská Sobota des „MŠK Rimavská Sobota“ ist. Die Intensität der Verbindungen kann zum Einen dadurch belegt werden, dass Zahradník Panač als „Brother in arms“ bezeichnet und zwischen der Gemer Division und den Ultras Slovan eine enge Fanfreundschaft besteht. Regelmäßig besuchen sich die Fangruppierungen bei Spielen, oft hängen die „Fetzen“ der beiden Gruppen in den Stadien unmittelbar nebeneinander. Das ist also das Milieu, mit dem das Octagon Slowakei-Franchise freundschaftlich und geschäftlich verbunden ist.

Die Gemer Division – Ultras Rimavská Sobota und der Club 28.

Zahradník selbst stammt aus Rimavská Sobota und trainiert im dort ansässigen Combat Club RS diverse Kampfsportarten. Seine Relevanz für die europäische Neonazi-Szene verdeutlichen etwa seine Teilnahme an der European Fight Night in Ungarn, Csókakö in diesem Jahr. Angetreten war Zahradník für das Panzer Tattoo Crew-Team, das von Michal Petriš geleitet wird. Zahradník dürfte außerdem mit Petriš und Zdenko Laudar, einem rechtsextremen Bauunternehmer, der ebenso in Rimavská Sobota wohnt, nach Budapest zur EFN angereist sein. Vor Ort in Csokakö posierte Zahradník u. a. mit Dávid Németh, einem Kampfsportler und Aktivisten der Légió Hungaria und Michaël Biolley (der sich mittlerweile „Mischa Biolet“ nennt), der bis 2012 den Schweizer Hammerskins angehörte, dann nach Tschechien, České Budějovice, verzog und – wie EXIF Recherche berichtete – beim SK Boxing z. s. České Budějovice trainiert. Er scheint ferner Teil der Ackermatch-Gruppe von „Dynamo České Budějovice“ zu sein, nahm am neonazistischen Box-Turnier Virtus et Honor II in Brno teil, das von der Neonazigruppe Nacionalisté ausgerichtet worden war, die u. a. am neonazistischen Lukovmarsch Februar 2023 in Sofia teilnahm – bei Virtus et Honor II waren im Übrigen auch die österreichischen Neonazis von alpen-donau.info, wie etwa der Grazer Neonazi Richard Pfingstl, vertreten.

Zahradníks Trainingsgruppe. Vorne v. l. n. r.: Unbekannt, Michaela Oštromová, Johny Koreny, Lukáš Koóš, Rišo Lengyel, Stefan Molnar. Hinten: Zahradník, Patrik, Roman Kucej, Ondrej Tomko, Dominik Kucej, Marek Majlo Beňo.

Neben Zahradník  als Person ist auch dessen soziales Umfeld in Rimavská Sobota, der Gemer Division und im Combat Club RS auffällig: Es handelt sich um einen größeren befreundeten Kreis an Männern, die Kampfsport betreiben, gemeinsam ins Stadion und zum Ice-Hockey gehen, aus ihrer rechtsextremen Gesinnung keinen Hehl machen und sehr gerne Fightwear von Octagon tragen. Die offizielle Facebook-Seite Gemer Rascals bewirbt Kämpfe von Zahradník, u. a. beim Králi Ulice II Ende Juni 2023, wo er gegen Pavol Tajboš in den „Ring“ stieg, der selbst auch eine Kolowrat auf der Brust tättowiert hat. Begleitet wird Zahradník des Öfteren von den befreundeten Kampfsportlern Miloš Siminsky (der ihn etwa in den Ring des Králi Ulice II brachte) und Janicko Tabacek: Siminsky trainiert u. a. im Wolf Pride Gym in Žilina bei Tomáš Meliš – der Kreis schließt sich hier also: Auch hier zeigt sich, dass Octagon Teil eines rechtsextrem bis neonazistischen Netzwerkes von gewaltorientierten Kampfsportlern und Hooligans ist.

Zur Veranschaulichung der Dichte extrem rechter Akteure in der Gemer Division seien noch weitere Beispiele angeführt: Da wäre noch der Gemer-Hooligan Ondrej Tomko, der ebenso Teil des genannten Freundeskreises ist, der sich gerne zur European Brotherhood bekennt, T-Shirts der Neonazi-Marke Ansgar Aryan trägt und über gute Kontakte in das Netzwerk des Club 28 verfügt. Weiters sind auch Roman und Dominik Kucej in die Trainingsgruppe von Zahradník involviert – auch sie gehören der Gemer Division an. Online posieren die zwei mit der rechtsextremen Parole „White Lives Matter“ und „Defend Europa“ sowie mit einschlägig bekannten neonazistischen Szenecodes und -symbolen wie „88“, Keltenkreuzen und der schwarzen Sonne. Ferner scheinen sie sich in der extrem rechten L’SNS politisch zu betätigen. Hierbei handelt es sich nur um einige Beispiele, die das Milieu illustrieren sollen, in dem sich das slowakische Octagon-Franchise bewegt.

Im folgenden Absatz wollen wir in gebotener Kürze auf das slowakische Netzwerk des Club 28 eingehen. Da dieses als unmittelbares, militantes Nachfolgenetzwerk von B&H/C18-Slovakia gilt, erscheint dies für den vorliegenden Text insofern relevant, als Akteure, die mit Octagon verbunden sind, entweder Teil des Club 28 oder aber – wie im Falle von Tomaš Meliš – unmittelbar mit Akteuren des Clubs freundschaftlich verbunden sind.

Der Club 28 als Nachfolger der alten B&H-/C18-Division Slovakia.

Blickt man auf die Geschichte der B&H-/C18-Organisierung in der Slowakei, fällt v. a. auf, dass es eine gewisse Diskontinuität zu geben scheint: Etwa von 1994 bis mindestens Anfang der 2010er-Jahre scheint es mehrere Sektionen von B&H/C18-Slovakia gegeben zu haben. Slowakische Behörden konzedierten etwa 2004, dass sie mehrere Sektionen des Neonazi-Netzwerks in der Slowakei beobachten würden: die B&H Division Slovakia (Bratislava), B&H Division Tatras Slovakia (Prešov), B&H Division Engerau Slovakia (Bratislava-Petržalka), B&H Division Cassovia (Košice) sowie eine lokale, slowakische Combat 18-Division. Die einzelnen Sektionen wie auch der lokale C18-Ableger dürften nun aber schon länger nicht mehr bestehen – ein letzter Hinweis auf eine Assoziierung von neonazistische Netzwerken mit dem C18-Organisationsmodell findet sich bei dem weiter oben erwähnten Vorfall 2013 in Nitra – doch auch hier wurden die beteiligten Neonazis schlussendlich zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Nun scheinen seit 2020 erneut slowakische Neonazis – vornehmlich aus der Süd- und Westslowakei – unter einem abgewandelten B&H-Label aufzutreten, mit dem auch eine veränderte Priorisierung von politischen Betätigungsfeldern einhergegangen ist: Denn für die aktuell als B&H-Sektion auftretenden slowakischen Akteure steht nicht die Organisation von RAC im Vordergrund, sondern Kampfsport – sowohl in ideologisch aufgeladener Selbstausübung, in Verbindung mit organisierten Fußball-Fanszenen, zum Zwecke transnationaler neonazistischer Vernetzung wie auch aus ökonomischen Gründen. Eine Entwicklung, die auch durch die Förderpolitik von internationalen Sponsoren wie Octagon verstärkt wird, da Kampfsport sowohl für Ausrichter*innen wie auch für Fighter*innen immer rentabler wird und auch abseits des rechten Lagers großen Widerhall erfährt. Dennoch weist die Club 28-Slovakia-Struktur Merkmale älterer typologischer B&H-Organisierung auf: Es handelt sich großteils um einen Freundeskreis, der wohl teils zellenartig agiert und nach außen hin gegen Einblick und staatliche Überwachung abgeschirmt ist; man rekrutiert über Ultra- und Hooliganszenen und bezieht in den Kurven durchaus aktiv Position (v. a. von Relevanz Rimavská Sobota, Trnava und Nitra); alle betreiben in den gleichen Räumen und Gyms Kampfsport (RS Combat, Wolf Pride, Kickbox Fight Club Sparta); alle Mitglieder weisen ein geschlossen neonazistisches Weltbild auf, das auch politischen Aktivismus inkludiert. Konzediert werden muss allerdings, dass es bei dem momentanen Wissensstand nicht zur Gänz geklärt werden kann, ob und inwiefern der Club 28-Slovakia eine völlig konzise Gruppierung darstellt oder doch lose Enden aufweist, die sich um einen aktiven Gruppenkern (Kondelcik, Zahradník) positionieren.

Wir wollen an dieser Stelle in Kürze einige Personen, die dem momentanen Club 28 zuzurechnen sind aufführen, um die oben angestellte Darstelleung zu konkretisieren: So etwa dürfte Tomáš Brozman zum Club 28 zählen, der mit „Defend Europe“-Branding, Thorhammer, Triskelen und Runen posiert und ebenso Gemer-Hooligan ist. Fotos zeigen ihn gemeinsam mit Zaradník und weiteren Personen, die regelmäßig in den gleichen Konstellationen mit einschlägigem Ausdruck zu sehen sind: der deutsch-slowakische Neonazi Norbert Kirchhoff, den Gemer-Hooligans Ondrej Tomko und Rišo Lengyel, der wiederum ebenso zur Trainingsgruppe von Zahradník zählt, sowie Johny Koreny, der einen Hitlergruß zeigt und ebenso mit Zahradník trainiert. An anderer Stelle posiert Tomko mit Zahradník, Miššulko Sojka und Dominik Farkaš bei einem Ausflug nach Budapest unter dem extrem rechten Hooligan-Motto „Budapest Defend Europe“.

Farkaš scheint ein integrales Mitglied des Club 28 zu sein – so zeigt ihn ein Foto mit Kondelcik und einem Mitglied der B&H-/C18-Sektion Bulgaria bei einer szeneinternen Festivität (siehe oben). Auch Števko „Pampúx“ Gabera sowie eine Person, die auf den Rufnamen „Embrio“ hört, zählen zum Umkreis von Zahradník, Kondelcik und Meliš: Bei Gabera handelt es sich um einen Spartak Trnava-Hooligan, der Landser- und Thor Steinar-Shirts trägt, Content von Marian Kotleba teilt, und mehrfach Rechtsrockkonzerten beigewohnt hat; so etwa erst letztes Jahr am 22. August 2022 in Zbehy nördlich von Nitra bei einem Solokonzert von Ondrej Ďurica, dem Leadsänger der bekannten slowakischen Rechtsrockband Biely Odpor.

Bei der unbekannten Person mit Rufnamen „Embrio“ hingegen handelt es sich um einen MMA-Kämpfer, der u. a. mit Kondelcik zusammen im Kickbox Fight Club Sparta in Nitra trainiert und auch mit Tomáš Meliš freundschaftlich verbunden sein dürfte. Auch den Kickbox Fight Club Sparta scheint Octagon zumindest partiell zu sponsern, worauf Octagon-Tafeln im Gym sowie Bewerbung von reinen Octagon-Veranstaltungen (Way of Warrior Fight Night in Hodonín) schließen lassen. Neben eindeutigen Symboliken, die er zur Schau stellt, betätigt sich der Neonazi auch rege am Verkauf und Erwerb von nationalsozialistischen Devotionalien. So etwa versucht er den wüst antisemitischen Text „Der Giftpilz“ des nationalsozialistischen Autors Ernst Hiemer zu erstehen, bietet für 22€ ein „Arbeitsbuch“ der DAF an wie auch weitere NS-Plaketten.

Kontakt des slowakischen Club 28 zu Betyársereg.

Von Interesse ist noch eine weitere Person des slowakischen Club 28: Zusammen mit Zahradník und Kondelcik posiert auch mindestens einmal ein Neonazi namens Erik (Nachname ist der Redaktion an an dieser Stelle unbekannt, sie Foto oben) im Club 28-Shirt, der ursprünglich aus Ungarn stammen dürfte. Er scheint der Hooligan-Szene von „Ferencváros Budapest“ zu entstammen, ist selbst Kraftsportler und arbeitet als Security für die ominöse Security-Firma Gladiator Security, die von Janko Nemcok geleitet wird. Da diese in der Slowakei ihren Standort hat, ist davon auszugehen, dass Erik aus Ungarn verzogen ist und nunmehr voll und ganz in der Slowakei politisch wie auch arbeitstechnisch seinen Lebensmittelpunkt hat. Von Bedeutung ist allerdings seine politische Laufbahn – denn in Budapest war Erik bei der neonazistischen Betyársereg aktiv. Diese ist wie ein MC organisiert, vergibt an Full Member Kutten mit Patches und ist straff hierarchisch organisiert – Betyársereg gilt als militanter (siehe u. a. Bericht hier) Sammelpunkt für ehemalige Angehörige der Sicherheitskräfte, Polizei und Militär, die ein geschlossen rechtsextremes Weltbild vertreten.

Auffällig ist in Eriks Vita eine zeitliche Korrelation: Zur selben Zeit, als Erik bei Betyársereg aktiv war, dürfte er bereits Kontakte zum slowakischen Club 28 gepflegt haben, was nahelegt, dass die militante ungarische Organisation durchaus Kontakte zum slowakischen B&H/C18-Ableger haben. Die Verbindung von Betyársereg mit B&H-/C18-Slovakia ist offenkundig in höchstem Maße bedrohlich, verbindet sich doch militante neonazistische Akteure transnational, die darüber hinaus u. a. mit Octagon noch über gut ausgebauten finanziellen Rückhalt verfügen. Doch Eriks Kontakte hören hier noch nicht auf: Schon früher scheint M. Mitglied des ungarischen Filleck Knights MC gewesen zu sein, zumindest bis 2022 zeigte er sich noch in der Kutte des MCs. Die scheinbar im Norden Ungarns, nahe der slowakischen Grenze beheimateten Filleck Knights, die auf Ausfahrten des Öfteren auch ins slowakische Nachbarland zu kommen scheinen, dürften auch für Kontakt zum Hells Angels-Prospect-Charter Zvolen gesorgt haben. Aufrufe zur entsprechenden Support-Runs für die Hells Angels-Slovakia teilte M. mehrfach in den sozialen Medien, v. a. jene des Zvolener Prospect-Charters. Im Übrigen jenes Charter, zu dem auch der österreichische Octagon-Leiter Bukaí beste Kontakte hat – zusammen mit Zvolener Prospects und Angels des Bratislava-Charters war Bukaí Februar 2022 auf Urlaub nach Ibiza gefahren.

Was verdeutlicht der Exkurs zum militanten Club 28-Netzwerk? Dass Octagon an beinahe jeder Ecke des Netzwerkes in Erscheinung tritt, entweder durch Förderung der entsprechenden Gyms, durch Sponsoring von Einzelpersonen, die dem Netzwerk nahestehen oder aber der materiellen Unterstützung solcher Gruppierungen, die aktiv neonazistische Kader hervorbringen. Besonders die akute Nähe zu B&H-/C18-nahen politischen Akteuren muss hervorgehoben werden – denn diese Nähe setzt sich auch im Falle des tschechischen Franchise fort.

Octagon CZ: zwischen White Rex und Breitensport.

Wie auch in der Slowakei, ist Octagon in Tschechien mittlerweile stark in das dortige Kampfsportmilieu involviert – und erneut wird neben breit aufgestelltem Sponsoring die extreme tschechische Rechte aus dem organisierten Hooligan-, aber auch einschlägig politischem Neonazi-Milieu mit Sportswear ausgestattet. Auch für den tschechischen Raum rekonstruieren wir daher das Netzwerk von Octagon, um den Grad der Verstrickung der Marke in gewaltorientierte, rechtsextreme Kreise zu belegen.

In Tschechien werden drei Gyms in größerem Umfang von Octagon gefördert: der Fight Club Ostrava, das Draculino Ostrava, sowie das Hodonín Vagabund Gym. Zusätzlich werden von Octagon auch Veranstaltungen organisiert und unterstützt – hier ist vor allem die Way of Warrior Fight Night (WoW) hervorzuheben, die im Hodonín Vagabund Gym stattfindet und exklusiv von Octagon organisiert wird, oder auch das panslawistische Event Noc Slovanských Bojovníků (NSB) in Jablonec nad Nisou, das von Octagon unterstützt wird. Bei der WoW handelt es sich nicht um eine dezidiert rechtsextreme Veranstaltung: Sowohl Hooligans slowakischer und tschechischer Vereine, rechtsextreme Kampfsportler*innen aus unterschiedlichen Ländern, als auch nicht weiter politisch auffällige Kämpfer*innen treten bei den Events an. Bei dem Event finden auch Meisterschaften verschiedener Disziplinen statt, ein Umstand, der die Schlüsselfunktion von Octagon zwischen organisiertem Rechtsextremismus und Mainstream unterstreicht.

Anders ist das bei dem Event NSB (übersetzt bedeutet das in etwa „Nacht der slawischen Krieger“), das bereits im Logo ein schwarzes Kolowrat bewirbt. Die offiziellen Dressen der Veranstaltung stammen von Octagon und weisen ebenso das schwarze Kolowrat vor dem Hintergrund der tschechischen Nationalfarben auf. Bei dem Event treten außerdem dezidiert rechtsextreme Unternehmen als Sponsoren auf, so etwa der Might is Right-Store, der von tschechischen Neonazis betrieben wird und Szene-Marken wie Greifvogel, Svastone, Beloyar, White Rex oder Pride France vertreibt – mehr dazu in der Recherche der antifa.cz.

Neben MMA-Kämpfen werden auch Mittelalter-LARP Schwertkämpfe bei der NSB abgehalten, man posiert mit Falknern und gezähmten Greifvögeln, mittelalterlichen Kriegsäxten und beinahe überall sind die slawischen Nationalfarben und panslawistische Sprüche anzutreffen. Die Kämpfer*innen ziehen in Hooligan-Ästhetik in den Ring: muskulöse mit Hooligan-Balaclavas der Marke Octagon vermummte Männer treten mit Pyrotechnik auf und inszenieren sich martialisch – die Kämpfe werden zudem auf einschlägigen Portalen wie „Hooligans.cz“ beworben. Es ist eine rohe Männlichkeit, die sich für den Erhalt der eigenen Rasse und Nation einsetzt, die hier zelebriert wird. Die Schwert- und Axtkämpfe verdeutlichen die Mentalität des Milieus, das sich in der Tradition des ritterlichen Zweikampfes sieht und bis zum bitteren Ende dazu bereit ist, für die Gemeinschaft zu kämpfen und gegebenenfalls zu sterben.

Es ist kein Zufall, dass Octagon CZ rechtsextreme Events wie die NSB unterstützt. Vor kurzem kündigte das Franchise einen neuen Logo-Entwurf für die Slavia Hooligans, also die Hooligan-Sektion des SK Slavia Praha an. Auch das zugehörige Slavia Gym Praha wird mit eigens kreiertem Fightwear beliefert. Blickt man in die Geschichte der Fanszene des SK Slavia Praha, so muss festgestellt werden, dass diese in den letzten Jahren deutlich gegen die neonazistischen Umtriebe in der Kurve vorgegangen sind und neonazistische Mitglieder der Tribuna Sever, der Sešívaná-Jugend und der Ultras Slavia zwar noch in der Kurve anwesend sind, aber nicht mehr so offen für ihre Sache agitieren können.

Gleichwohl war die Kurve von Slavia Praha jahrelang wegen ihres militanten Rassismus und ihrer hohen Gewaltbereitschaft bekannt – die Fanszene trat so häufig organisiert bei rechtsextremen Aufmärschen auf, verübte Angriffe auf linke Kulturzentren und war in Form einzelner Mitglieder auch in schwere physische Angriffe wie etwa am 23. Juli 2021 auf Rom*nja in Sokolov beteiligt. Zu den Mitgliedern der Slavia-Hooligans zählen Aktivist*innen der Autonomen Nationalisten Praha oder des rechtsextremen Medienportals Pro-Vlast wie etwa Tadeáš Svoboda oder Jan Králik. Auch der führende Exponent des neonazistischen Kampfsportverbundes White Rex Czech Fight Team Lukáš Rod entstammt der Kurve von Slavia und trainierte in dem Gym der Fanszene.

Das White Rex Czech Fight Team (WRC) ist für die anliegende Recherche von weiterer Relevanz, denn: Octagon sponsert den Neonazi und MMA-Kämpfer Vít Mrákota, einen der zentralen Akteure der Neonazi-Gruppe. Auf dem Sponsoring-Shirt von Mrákota finden sich so unter dem angedeuteten Kopf und Flügel des Skrewdriver-Emblems nicht nur die rechtsextremen tschechischen Labels Black Arrows und HateCore, Sebastian Raacks Greifvogel Wear und Denis Kapustins White Rex, sondern auch das Octagon-Logo. Um keinen Zweifel an der Gesinnung des WRC-Kämpfers zu lassen: dieser ersetzt das „o“ in seinem Namen gerne mit einem Keltenkreuz und schmückt seinen Namen in den sozialen Medien mit „28“ – den Insignien von Blood & Honour.

Wie tschechische Antifaschist*innen, aber auch Runter von der Matte berichteten, ist Mrákota langjähriger Kader des WRC. Neben Rod und Mrákota zählen auch die Neonazis Petr „Bery“ Beránek, Pavel Koleček, Marek Henzl, Matús Juráček (ebenso aus der Hooligan-Szene von Slavia stammend, zeitweise wegen Gewalttaten mit Stadionverbot belegt), Tomáš Dubský, Martin Tuček, der Sparta Praha-Hooligan Jiří „Jihik“ Smola und Tomáš Kužela zum Kern von WRC. Die Neonazis des WRC sind auch international gut vernetzt. So berichteten tschechische Antifaschist*innen etwa, dass eine Abordnung des WRC 2014 am bereits erwähnten neofaschistischen Kampfsportevent Tana delle Tigri, das von CasaPound Italia ausgerichtet wird, teilgenommen haben. Im gleichen Jahr nahm die Delegation auch am neonazistischen Event Spirit of Warrior in Lyon teil, das von Pride France und White Rex, also von Szkatulski und Kapustin ausgerichtet wurde. Auch am 2018 in Ostritz stattfindenden Kampf der Nibelungen und 2019 bei dem Pro Patria Fest in Athen nahm das Team des WRC teil.

Dass Octagon auch in Tschechien neonazistische und rechtsextreme Akteur*innen gezielt fördert und dadurch ein militantes und potenziell gefährliches Umfeld mitfinanziert und kostenlos ausrüstet, vervollständigt das Bild von Octagon im Dreiländereck. Nicht nur die gute Vernetzung von Octagon mit rechten Hooligan- und Ackerkampf-Szenen wird dadurch deutlich, sondern auch der Konnex zu neonazistischen Gruppierungen wie etwa lokalen B&H/C18-Strukturen oder aber mit solchen assoziierten bzw. dezidierten Support-Gruppierungen. Denn auch für Tschechien kann festgestellt werden, dass das WRC im Umfeld von B&H-nahen Strukturen zu verorten beziehungsweise mit solchen aus den Nachbarländern eng verbunden ist.

Octagon UK: die polnische Diaspora und der Nationalismus.

Seit etwa 2020 hat sich das Octagon-Franchise auch in Großbritannien niedergelassen und verfügt über zwei Stores in Crewe und Sheffield. Offizieller Betreiber ist die Extreme Adventure Group LLG, deren Geschäftsführer Marcin Pawel Borowski ist. Zentraler Anknüpfungspunkt für das Octagon-Netzwerk scheint dabei die zahlenmäßig große polnische Diaspora in Großbritannien und in diesem Zusammenhang auch polnische Migrant*innen aus dem Ultra- und Hooliganmilieu zu sein. Hierfür sinnbildlich dürfen die beiden primär in der Öffentlichkeit als „Brand Ambassador“ stehenden Hauptakteure des UK-Franchise Marcin Jerzak (Brand Ambassador des Franchise in Crewe) und Lukasz Parobiec (Brand Ambassador des Franchise in Sheffield) gelten: Jerzak etwa entstammt der Ultraszene von Lech Poznań, ist aber mittlerweile in die Fan-Strukturen von Manchester United integriert.

In den Stores von Octagon UK wird neben den polnischen Submarken auch das ausschließlich in Großbritannien erhältliche Branding „Patrioci UK“ vertrieben, das durch sein nationalistisches bis rechtsextremes Branding auffällt. Neben typischer Hooligan-Bekleidung finden sich zahlreiche Motive mit dem Nationalwappen oder den Nationalfarben Polens, aber auch dezidiert rechtsextreme Codes wie etwa ein Poloshirt, welches das mit einer roten Linie durchgestrichene Icon einer knienden Person zeigt – eine Referenz auf den Bürgerrechtler und San Francisco 49ers-Quarterback Colin Kaepernick, dessen Geste zum Symbol antirassistischer sozialer Kämpfe in den USA wurde und dessen Bestrebungen Octagon UK offensichtlich ablehnt.

Weiters finden sich in dem Sortiment des Octagon Subbrandings auch Produkte mit dem Wappen der ehemaligen rechtsextremen und antisemitischen Widerstandsorganisation „Organizacja Wojskowa Związek Jaszczurczy“ – jene militärische Fraktion des bis heute in unterschiedlichen Formierungen existierenden Obóz Narodowo-Radykalny, das unter anderem auch den jährlich stattfindenden rechtsextremen Unabhängigkeitsmarsch in Polen mitorganisiert, bei dem dann wiederum zahlreiche Ultra- und Hooligan-Gruppierungen in einem eigenen Block mitlaufen und relativ geschlossen auftreten.

Das aktuelle Sponsoring von Octagon UK umfasst ein breites Spektrum an Personen aus verschiedene Kampfsportarten, Bareknucklefighting, Armwrestling, Powerlifting und dem Kraftsport. Auch die beiden Octagon UK-Brand Ambassadors betätigen sich selbst als Kraft- und Kampfsportler und organisieren ganze Events unter dem Deckmantel von Octagon: So organisierten Jerzak und Parobiec am 25. Juni 2023 in Sheffield etwa das Street Fighters UK-Tournament, das als Octagon-Event gelabelt wurde. Dabei wurde das Event bilingual (Polnisch – Englisch) beworben, wobei beinahe ein größerer Teil der externen Kommunikation auf Polnisch gehalten wurde – offenbar wollte man vorzugsweise in der eigenen Diaspora mobilisieren, wohingegen man im Rahmen von Octagon durchaus auch britische Kampfsportler*innen fördert.

Auffällig ist ferner, dass sich der mutmaßliche Octagon Sheffield-Akteur Parobiec in jenen Hooligan-Kreisen bewegt, die regelmäßig bei brutalen Bareknuckle- und No-Rule-Fightclubs antreten: So ist Parobiec unter dem Kampfnamen „Goat“ regelmäßig bei dem polnischen Bareknuckle Event Gromda zu Gast, bei dem auch KOTS-Kämpfer wie der New Gen Brondby-Hooligan Simon Henriksson oder Wotore-Kämpfer wie der Octagon Polen-Akteur Simon Nowowiejski angetreten sind. Bei Wotore handelt es sich um ein MMA-Event mit erweitertem Regelset, das etwa Bareknuckle MMA-Fights zulässt, oder auch Tritte gegen einen am Boden liegenden Kopf. Schon die Bewerbung von Wotore verdeutlicht die bizarre Fetischisierung nackter Gewalt: In den martialischen Pre-Fight-Bewerbungsvideos reiben die Kämpfer in einem unterbelichteten Raum ihre um die Fäuste gewickelten Seilbandagen martialisch in Glasscherben. Bei Veranstaltungen dieser Art geht es um die enthemmte Affirmation der Gewalt und den Kampf bis zum absoluten Ende. Der Gegner muss nicht übertrumpft, sondern gebrochen und zerstört werden.

Doch auch abseits der hauseigenen Kämpfer, die sich auf einschlägigen Kampfsportveranstaltungen des Hooligan-Milieus bewegen, ist das britische Octagon-Franchise in reguläre Kampfsport-Events involviert. Octagon UK tritt etwa bei der Almighty Fighting Championship in Barnsley als Sponsor auf. In der Gesamtheit ist der britische Ableger Octagons aber zumindest aktuell deutlich weniger in den kommerziellen Kampfsport integriert als es die Ableger in den anderen Ländern sind. Auch die engen Kontakte in den organisierten Rechtsextremismus lassen sich im Falle von Octagon UK nicht in der Intensität feststellen, wie es etwa in Polen, Tschechien und der Slowakei der Fall ist. Ob sich der Einfluss auf den Kampfsportbereich und die Kontakte in einschlägige Milieus mit dem Verlauf der Zeit intensivieren werden, bleibt offen. Die Problematik der zunehmenden Popularisierung einer ritualisierten Gewaltkultur in Kombination mit der Vermarktung eines nationalistischen und rechtsextremen Lifestyles verdeutlichen aber, dass auch Octagon UK Teil des äußerst problematischen transnationalen Franchise-Unternehmens ist.

Octagon international. Die neuen Franchises Octagon.ro, Octagon.bg und Octagon.ir und: Octagon – das größte Fightwear-Franchise in Europa?

Wir haben bisher die zentralen Ableger des Octagon-Franchise dargestellt und auf deren Verbindungen in den organisierten Rechtsextremismus sowie auf die Problematik der Kommerzialisierung einer ritualisierten Gewaltkultur nationalistischer und rechtsextremer Prägung durch das Unternehmen hingewiesen. Dadurch, dass Octagon in den jeweiligen Ländern zu einem relevanten Player der Kampfsportlandschaft geworden ist, prägt es die Kampfsportszene und die in dieser vorherrschenden Kultur mit und kann keinesfalls mehr als Nischenphänomen betrachtet werden. Die engen Kontakte in die unterschiedlichen Milieus der Szene, die Möglichkeit gezielter Unterstützung von Kampfsportgyms und einzelnen Kämpfer*innen sowie die erfolgreiche Marketingstrategie des Unternehmens haben dazu geführt, dass Octagon erfolgreiche eine Brückenfunktion zwischen gewaltorientierten, rechtsextremen Hooligan-Strukturen und der Welt des kommerzialisierten Kampfsportes eingenommen hat. Durch diese Funktion trägt Octagon wesentlich zu einer rechtsextremen Diskursverschiebung innerhalb der Kultur des Kampfsportes bei und hilft rechtsextremen Akteur*innen und Organisationen innerhalb der internationalen Sportcommunity Fuß zu fassen und sich finanziell abzusichern.

Und: Octagon expandiert. In den letzten Jahren hat sich das Unternehmensnetzwerk in Rumänien, Bulgarien, Irland und wie bereits dargestellt auch in Österreich niedergelassen. Es wird sich zeigen, ob sich das Muster Octagons auch in Rumänien und Irland wiederholen wird – es wäre in jedem Fall nicht verwunderlich. In der Bilanz ist Octagon mit 2023 in sieben europäischen Staaten vertreten, wobei vor allem das Unternehmen in den Viségrad-Staaten über Prestige und Einfluss verfügt. Ein Blick auf die Vertriebsstrukturen von Octagon zeichnet ein deutliches Bild: wie eine polnische Lokalzeitung berichtete, handelt es sich bei Octagon um einen der größten Fightwear-Retailer, der in Europa seine Produkte produziert. Der stattfindende Aufbau einer neuen Produktionsstätte im Wert von etwa 10 Mio. Złoty verdeutlicht die Produktionskapazitäten des Unternehmens.

Ausblick: Der Siegeszug des hooliganistischen Kampfsportes, die militante Rechte und die Gesellschaft des Spektakels.

Octagon hat seinen Erfolg nicht nur dem gekonnten Management der jeweiligen Ländergruppen zu verdanken, sondern muss als Produkt einer sich zunehmend wandelnden Kampfsportszene verstanden werden, die entgegen konventioneller Sportbereiche auf brutale Formen der ritualisierten und martialischen Gewaltanwendung setzt. In den letzten Jahren lässt sich der Siegeszug neuer „hooliganistischer“ Kampfsportformate beobachten, die zur blinden Affirmation schonungsloser Gewaltanwendung einladen und eine archaische Kultur des Kampfes um Sieg oder Vernichtung transportieren. Es ist nicht verwunderlich, dass aufgrund der weltanschaulichen Anknüpfungspunkte und der Amplifizierung des Kampfes als existenzielle Kategorie, Kampfsportformate dieser Art ein attraktives Betätigungsfeld für rechtsextreme Akteur*innen sind.

Personell rekrutiert sich diese zunehmend auch kommerziell erfolgreiche Szene großteils aus – häufig rechtsextremen – „Hooligan-Firms“, deren Kämpfer*innen ihre Gruppe im Ring repräsentieren und auch abseits der Kampfsportevents sich der Gewalt gegen den „Feind“ verschrieben haben. Neben den involvierten Personen simuliert auch das Regelwerk dieser Events den für die teilnehmenden Kämpfer*innen bereits bekannten Kampf auf der Straße: Bareknuckleformate, „No Rules Fights“, „Less Rules-Fights“ oder Auseinandersetzungen zwischen Hooligan-Fraktionen im Ring nehmen nicht nur schwere Verletzungen der Teilnehmenden in Kauf, sondern glorifizieren eine bellizistische Lebensphilosophie, die archaische Männlichkeitsformen, brachiale Gewaltanwendung, sippenhafte Gruppenmentalitäten und den Kampf bis zur Vernichtung des Gegenübers kultiviert.

Events wie Králi Ulice, Wotore, Gromda, Valhalla Fighting oder KOTS eint zudem, dass diese von professionellen Video- und Kamerateams aufgezeichnet werden und die Endprodukte sowie deren mediale Bewerbung durchaus mit kommerziell etablierten Formaten in ihrer Qualität mithalten können. Bei den Veranstaltungen werden Moderator*innen eingesetzt, professionelle Models fungieren häufig als „Ringgirls“, die Videos werden gegen eine Gebühr für die eingeschweißte Community live zur Verfügung gestellt und zu einem späteren Zeitpunkt auf dem jeweiligen YouTube-Kanal veröffentlicht und erhalten dort Aufrufe im Millionenbereich. Kommerziell besonders erfolgreiche Formate wie KOTS verfügen mittlerweile sogar über ein eigenes Wettportal im DeepWeb-Bereich. Man wird kaum eine für Kampfsport interessierte Person in Europa finden, die nicht zumindest eines der Videos des erfolgreichen Gewaltformats gesehen hat und reichweitenstarke Kampfsport-Influencer tragen durch breitenwirksame „Reaction-Videos“ zu dem Hype des Phänomens bei. Aktuell können wir die Kommerzialisierung einer ehemals im Untergrund gelebten Kultur beobachten, die mit zunehmenden kulturindustriellen Erfolg auch an Einfluss auf ihre oft sehr jungen Rezipient*innen gewinnt.

Während die UFC und andere professionelle MMA-Tournaments, die im UFC Fight Pass enthalten und somit global konsumierbar sind, die Grenzen der Brutalität sukzessive verschoben und statt des sportlichen Olympia-Gedanken des Miteinander-Messens zunehmend eine performativ inszenierte Kultur des Gegeneinanders etabliert haben, überbieten die in dieser Recherche thematisierten Formate diese im Ringen um einen Platz am Markt und tragen zur weiteren Verschiebung dessen, was möglich ist bei. Die aus der Funktionslogik der Warenwelt folgende „Gesellschaft des Spektakels“ verlangt auch mit Blick auf das Geschäft mit dem Kampfsport nach ständiger Überbietung, in der die ursprünglich sozial geächteten „Underdogs“ zum Projektionsobjekt einer sich zunehmend bewusstlos erlebenden und nach scheinbar authentischen Reizen sehenden Gesellschaft werden. Wer Zusehende will, muss etwas Neues bieten, muss Innovation schaffen und das ist im Falle des Kampfsportes ohne Zweifel die Erhöhung des Gehalts an offener, brutal ausgelebter und authentisch wirkender Gewalt.

Die kulturindustriell im Hooligan-Kampfsport vermittelte Lebenshaltung bietet außerdem eine auf den ersten Blick rebellierende, zugleich aber an die spätkapitalistische Mentalität anknüpfungsfähige Kultur, die im Sinne einer „konformistischen Rebellion“ nicht die Überwindung, sondern die Verewigung und Übersteigerung derselben zeitigt. In dem Spektakel der Gewalt wird der sozialdarwinistische Wesenskern neoliberaler Marktwirtschaftsapologetik zur archaisch inszenierten Mimikry: Im Kampf gewinnt der Stärkere, der so lange auf den am Boden Liegenden einzuprügeln hat, bis dieser sich nicht mehr regen kann. Auch in dieser Dimension sind sich Rechtsextremismus und inszenierte Hooligan-Kultur nahe, vertritt doch der Kämpfende oft das Kollektiv der Gruppe und trägt so den Kampf der Einzelnen verschoben auf Ebene der Gemeinschaft aus. Die spätkapitalistische Gesellschaft wird so zur Schicksalsgemeinschaft einer eingeschworenen Clique, die nur mittels der Feindschaft und Gewalt gegen eine Exteriorität ihre Gruppenidentität herzustellen und sich ihrer Stärke zu versichern vermag. Der Einzelne ist nur so lange etwas wert, insofern er sich für die Gemeinschaft opfert und dazu bereit ist, sich erhebliche physische Schäden zufügen zu lassen oder diese dem Gegner zufügt.

Während die Besucher*innenzahlen bei hooliganistischen Events im Vergleich zu Großformaten wie der UFC oder ONE weitaus niedriger sind, erhalten die Videos hooliganistischer Kämpfe auf Plattformen wie YouTube Views im Millionenbereich. Der virtuelle Raum ermöglicht den Organisator*innen hooliganistischer Formate ihre Zielgruppen zu erreichen und ihre „Unique Selling Points“ zu verwerten: mehr Gewalt, mehr Risiko, mehr Verletzungsgefahr und vor allem: mehr Realitätswirkung. Den Konsument*innen soll vermittelt werden, dass es sich nicht um ein inszeniertes und kommerzialisiertes Marketingspektakel handelt, sondern um Auseinandersetzungen zwischen realitätserprobten Kämpfer*innen, die Streetfights wie im echten Leben vor der Kamera ohne Erbarmen austragen. Die Konsument*innen bekommen Kämpfe ohne Handschuhe und ohne sichernde Bodenmatten, wahlweise auch auf blankem Beton geboten. Knietritte und vertikale Tritte gegen den auf dem Boden fixierten Kopf, sogenannte „Elfmeter“ – wuchtige Kicks, die an die Motorik des Strafstoßes im Fußball angelehnt sind und auf den Kopf des am Boden liegenden Kontrahenten zielen – sind erlaubt und kommen systematisch zum Einsatz.

Die gegenkulturelle Inszenierung der Szene darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Organisator*innen mit den Formaten gezielt versuchen, Marktlücken zu kapitalisieren, um aus der brutalen und ritualisierten Gewalt Klickzahlen zu akkumulieren. Insgesamt kann zwischen der performativen Selbstinszenierung und dem realen Verhalten des Milieus eine drastische Diskrepanz festgestellt werden. Gerne gibt man sich „respektvoll“ und „ehrenhaft“ und betont den ritterlichen Kampfgeist zwischen den zwei gegeneinander antretenden Kontrahent*innen. Mit Beginn des Kampfes werden aber alle Hemmungen abgelegt und der Gegner als entmenschlichtes Objekt zur Zielscheibe jeder verfügbaren Form der Gewaltanwendung. Auch wenn der Gegner bereits regungslos am Boden liegt, versuchen viele Kämpfer*innen diesem noch einen möglichst großen Schaden zuzufügen und müssen von den Ringrichter*innen teilweise mit Gewalt von ihrem in Strömen blutenden Kontrahenten entfernt werden. Es ist nicht die Qualität der Kämpfe, die diese Formate so erfolgreich macht, sondern die spektakuläre und enttabuisierte Bildproduktion von roher Gewalt, die unter spätkapitalistischen Vorzeichen zum breitenwirksamen Spektakel wird.

Diese gesteigerte Künstlichkeit, die die anonym agierende Hype Crew ihren Settings angedeihen lässt, verleiht dem Event allerdings auch die Möglichkeit, aus den Antretenden alles rauszuholen, um möglichst „realitätsnahe“ Kämpfe zu garantieren. In einem Reportageformat des Hessischen Rundfunkes berichtet etwa der „Brigade Nassau“-Hooligan mit dem Rufnamen „Goscha“, dass es verboten sei, bei KOTS Vaseline zu verwenden – denn dort wolle man wirklich „das Blut spritzen sehen“. Das dumpfe Aufschlagen der Fingerknöchel auf dem Körper des Gegenüber erfülle bei Fights die ganze Halle, die Begleitpersonen betrachteten die Fighter beinahe andächtig, es sei kein Mucks zu hören. Erst wenn das Blut spritzt oder ein Kämpfer krachend auf den Betonboden knallt und der Opponent noch auf dem Schädel des Fallenden rastlos herumtritt, wird das erzeugte Bildmaterial für den Onlinemarkt als genügend befunden.

Dass faschistoide Akteur*innen solche Räume für sich nutzen, ist zwar einer Professionalisierung und stark überzeichneten Inszenierung eines hypermaskulinen Subjektverständnisses geschuldet, aber auch der politischen Agenda, via den Konsum solcher Bilder die Rhetorik der Gewalt voranzutreiben. Die immer fortschreitende Verrohung der kulturindustriellen Zerstreuungsindustrie, die das isolierte, vereinzelte Individuum mit ubiquitärer Vergnügung am Funktionieren halten muss, ist für die extreme Rechte ein Stein im Brett ihrer politischen Propaganda: Denn die kann in den spätkapitalistischen Konsumräumen ihre politischen Inhalte ästhetisch getarnt vermitteln. Und ohnehin: Die Apologetik des „natürlich“ Stärkeren wird in hoher Frequenz und ohne Umschweife auch in der allgegenwärtigen Kulturindustrie als Ideologem reproduziert. Wenn völlig kommerzialisierter Kampfsport, der den Aspekt des Gewaltvollen und intersubjektiven Verletzens ohnehin schon als primäre Marketingstrategie setzt, nicht mehr ausreicht, muss etwas noch Extremeres her, das dem spätkapitalistischen Subjekt das verächtliche Lächeln kulturindustrieller Befriedigung ins Gesicht zaubert: Adornos weitsichtige, viel zitierte Sentenz, dass „Fun […] ein Stahlbad“ sei, wird so in ihrer Drastik von KOTS beinahe noch übertroffen. Und so muss subsumiert werden: KOTS ist per se weniger ein faschistoides Format, als ein Grenzprodukt, das die Limitationen der Vergnügungsindustrie ausreizt. Die ständig voranschreitende Ästhetisierung von Gewalt zum Zwecke der besseren Konsumierbarkeit ist dabei für faschistische Akteur*innen ein wohltrabendes Steckenpferd: Denn die Rezeptionsästhetik lässt die rezipierenden Individuen ja nicht kalt, im Gegenteil, das Bewusstsein des der Abnehmer*innen verroht und stumpft ab.

Dass ästhetisch entpolitisierter Raum potenziell politisch beeinflussbarer Raum für die extreme Rechte ist, ist keine neue Erkenntnis: Denn natürlich ist es als politischer Sachverhalt zu bewerten, wenn Neonazis und Islamisten bei KOTS in den Ring steigen. Das lässt sich an folgendem Beispiel verdeutlichen: Anfang 2023 gab Tomasz Szkatulsky dem bulgarischen mma.bg Kampfsportportal ein Interview in seiner Funktion als KOTS-Fighter, weil die angekündigten Fragen „apolitische“ seien. Doch selbstverständlich macht Szaktulsky im scheinbar „apolitischen“ Interview keinen Hehl aus seinem neonazistischen Weltbild und kruden Rassenwahn – besonders prekär ist, dass er sein Dasein als Kampfsportler mit seiner Ideologie rechtfertigen kann, ohne auch nur eine einzige kritische Gegenfrage gestellt zu bekommen. Und so können Neonazis wie Szkatulsky, Petriš, Panač, Beranek oder Maxime „Orsu Corsu“ Bellamy über die reichweitenstarke Kollektivrezeption der KOTS-Plattform ohne Einschränkung ihre neonazistischen Symbole zur Schau stellen, ihre politische Message schon allein durch ihre Präsenz verbreiten und ferner auch soziopolitischen Raumgewinn – sowohl virtuell wie reell – erzielen, denn: Je mehr extrem rechte oder eindeutig neonazistische Kampfsportler bei KOTS teilnehmen, desto eindeutiger ist die Plattform auch gelabelt, ob der Hype Crew das passt oder nicht. Und die dabei produzierten Gewaltakte, die virtuell hunderttausende Zuseher*innen erreichen, werden als Medium für politisch-kulturelle Agitation verwendet: Might is right, oder: Recht hat der, der stärker und hemmungsloser dabei ist, dem Gegenüber schwere Verletzungen zuzuführen.

Als Gesellschaft werden wir die Frage, wie mit solchen Kampfsportformaten und v. a. Akteur*innen wie Octagon, die sowohl hooliganistische als auch gängige Breitensportformate bedienen, umzugehen ist, bald beantworten müssen: Die Zeit drängt, da die extreme Rechte gezielt Deutungshegemonie gerade über großen medialen Verteilerstrukturen anstrebt bzw. bereits partiell erreicht und abgesichert hat. Politische Apathie, Stillschweigen oder affirmierende Beschwichtigung gegenüber der Problematik helfen nur der Rechten, Pauschalverurteilungen (der entgegengesetzte Fall), tragen keineswegs zum Verständnis des Problemfelds bei. Denn nicht nur ist Kampfsport – gerade auch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen – beliebter denn je, was zu stetig steigenden Zuschauer*innenzahlen führt, auch die Einflussnahme von islamistischen und neonazistischen Kräften auf diesem Feld ist groß und etabliert. Unternehmen wie Octagon, die extrem rechten Kampfsport- und Hooligan-Milieus hofieren wie jeder anderen x-beliebigen Kampfsportgala, verschärfen diese Raumnahme noch in einem verstärkten Maße und erzeugen so eine scheinbare Normalität, die die extreme Rechte zu einem regulären Teil des Kampfsportbetriebes macht.

Einer der letzten Zeugen der SS: Transnationale rechtsextreme Vernetzung bei Herbert Bellschan-Mildenburgs Bestattung in Celovec/Klagenfurt

Das Begräbnis von Herbert Bellschan-Mildenburg in Celovec/Klagenfurt

Am 12. November 2022 fand am Klagenfurter Friedhof Annabichl das Begräbnis des Waffen-SS-Veteranen Herbert Bellschan-Mildenburg statt. Abseits einer kleinen Traueranzeige in der Kleinen Zeitung Kärnten, erfuhr man in der breiten Öffentlichkeit nichts über die rechtsextreme Gedenkveranstaltung. Die europäische extreme Rechte vermied es, zum Gedenken an ihren Mitstreiter und Helden aufzurufen und sendete klandestin Einladungen zur Bestattung des Veteranen an einen ausgewählten Personenkreis aus. Dem Aufruf folgten zahlreiche rechtsextreme Akteur*innen aus dem In- und Ausland, um sich kurz vor 12 Uhr vor der großen Zeremonienhalle des Friedhof Annabichl einzufinden. Nach einer musikalischen Einleitung folgten die Trauerreden von Angehörigen Bellschans und Vertretern der österreichischen Kameradschaftsszene, vermutlich jenen der Kameradschaft IV, deren offizielles Mitglied der verstorbene Waffen-SS-Veteran war. Die Rede des Vertreters der Kameradschaft stand ganz im Zeichen einer Lobeshymne auf das unverzagte, mutige und tapfere Leben des Herbert Bellschan-Mildenburg – gespickt mit Revisionismus gegen die „Geschichtsverdrehung“ der Feinde des deutschen Volkes, gegen die der Verstorbene zeitlebens angekämpft hatte.

Auffällig bei der Trauerrede war der Umstand, dass der Redner trotz seiner Verachtung für die etablierte Geschichtsschreibung, seine revisionistischen Positionen hinsichtlich des NS-Regimes an manchen Stellen schon fast übertrieben vorsichtig zum Ausdruck brachte. So formulierte dieser verklausuliert, dass der verstorbene Bellschan-Mildenburg nach seiner Zeit beim Wandervogel zu einem Jugendbund ging, „der den Namen des damaligen Reichskanzlers“ trug – also die Hitlerjugend. Warum der Redner es vermied, den Namen Adolf Hitlers auszusprechen, bleibt unklar, folgte darauf doch in revisionistischer Manier die Charakterisierung des Überfalls auf Polen am 1. September 1939 durch die deutsche Wehrmacht „als Antwort auf permanente Übergriffe auf das Reichsgebiet der polnischen Kavallerie“ sowie die Verklärung der Kriegs-einleitenden Worte Hitlers „Ab heute wird zurückgeschossen“ als einen „unglücklichen Ausspruch“, der als „diplomatischer Fehler“ zu betrachten sei. Diesen diplomatischen Fehler hätten die Sieger des Ersten Weltkriegs instrumentalisiert, um Deutschland ein zweites Versailles zu bescheren.

Im Anschluss daran folgte eine Lobpreisung der deutschen Jugend der 1920er und 30er-Jahre, die vor dem Hintergrund von Bellschans Biografie zugleich als Rehabilitierung der Hitlerjugend und der SS-Junkerschulen zu verstehen ist, in welchen der Führungsnachwuchs für den nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug herangezogen wurde und in die Bellschan-Mildenburg maßgeblich involviert war:

Was Dichter und Musiker in das Wort Deutschland hineingelegt haben, hat diese Jugend hineingelebt. Der Schlüssel zum Verständnis jener Jugend liegt nicht bei analytischer Rationalität, sondern im sehnlichen Erlebnis. Volk und Heimat, Deutschland und Vaterland wurden von dieser Jugend konkret erfahren und erlebt, ganz im Sinne Goethes, dessen Geistigkeit sich die Jugend zum Vorbild gemacht hat.

Als paradigmatisch zu betrachten, ist der Rekurs auf und die Affirmation des triebhaften Irrationalismus, im Sinne einer Befreiung von Geist und Körper durch die erneuerte lebensphilosophische Bindung an die vitalisierende Kraft des ursprungsmythologisch gedachten Bodens – nur in der Heimat, im Vaterland würde die Jugend dazu in der Lage sein, den Status quo zu überwinden und an dessen Stelle die deutsche Volksgemeinschaft als Schicksals- und Blutsgemeinschaft zu etablieren. Das in der Rede hervorgehobene „Sehnen“ der Jugend bezieht sich auf den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich – der Überlebenskampf gegen „den Schandvertrag von Versailles“ wirkte daher kraftvoll als „eine Art Ersatzreligion gegen den materiellen Zeitgeist“ resümierte der Redner mit weltanschaulichem Pathos und fügte dem heroisch hinzu, es sei beinahe unbegreiflich „in welcher Liebe zur Heimat und in welcher Opferbereitschaft damals die Jugend war.“

In diesem Duktus setzte sich die Rede des Kameradschaftsvertreters fort, der in seiner Erzählung die Biografie Herbert Bellschan-Mildenburgs stellvertretend für die willensstarke deutsche Jugend Revue passieren ließ: Von der Hitlerjugend über die Waffen-SS bis hin zum Widerstand gegen das Meinungsdiktat der „sogenannten Elite“ wäre er dazu bereit gewesen, für Deutschland sein Leben zu lassen. Als einer der wenigen wäre er nicht davor zurückgeschreckt, dem dominanten Geschichtsnarrativ zu widersprechen und stattdessen die „Wahrheit“ an die neuen Generationen weiterzugeben:

Das war mit der Grund, warum Herbert gegen diese offizielle, von den Siegern diktierte Geschichtsschreibung, wo sie unredlich seiner Meinung nach war, aufgetreten […] ist. Das ist doch ein wichtiges, für einen Patrioten wichtiges, Anliegen. 2012 konnte Herbert die Festansprache auf dem Ulrichsberg halten. Er nutzte diese Festansprache für eine offene Diskussionsmöglichkeit, damit die Geschichte zur Sprache komme. Herbert erwähnte das Menschnrechtskomitee in Genf, das 2011 beschlossen hat und zwar sagte er wörtlich am Ulrichsberg: ‚Wir alten Soldaten anerkennen nämlich voll die derzeit geltenden Gesetze und respektieren diese auch.‘ Obwohl wir nicht ganz verstehen können, warum die Republik Österreich nicht gemeinsam mit den Staaten der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und der Schweiz schon im Juli 2011 in Genf beim UN-Menschenrechtskomitee verbindlich und verpflichtend eine Konvention geschrieben haben, wonach gesetzlich zur Meinungsfreiheit der Ausdruck einer irrtümlich gemeinten und unrichtigen Interpretation vergangener Geschehnisse völkerrechtlich [Anm. d. Verf.: zu ergänzen ‚erlaubt ist‘] und somit nicht bestraft werden darf.‘ Und weiter: ‚Wo aber noch immer und seit vielen Jahren Personen im Gefängnis sitzen, weil sie ihre Wahrheit verkündet haben.‘

Der Verweis auf die Menschenrechte, Meinungsfreiheit und die besagte UN-Konvention sind dabei ganz in der Tradition eines gängigen Argumentationsmusters neonazistischer Akteur*innen nach 1945. Es handelt sich um die bewusste Instrumentalisierung und Verkehrung demokratischer Werte in ihr Gegenteil – die Wehrhaftigkeit der Demokratie gegen jene, die sie zugunsten einer auf Abstammung basierenden Gemeinschaft ersetzen wollen, wird als „Meinungsdiktat“ der „Scheindemokratie“ umgedeutet und die wegen Holocaustleugnung inhaftierten Szene-Ikonen wie Ursula Haverbeck, Horst Mahler, Richard Melisch und viele mehr zu „Freiheitskämpfer*innen“ verklärt. Ein „widerständiger“ Geist wie Bellschan hätte allerdings gewusst, dass „die Geschichtsschreibung nicht der Wahrheit entsprach“ und sich dagegen eingesetzt, dass jene, die für das deutsche Volk kämpften, kriminalisiert und die „Waffen-SS als verbrecherisch“ verleumdet wird.

Auf die Beschwörung der Vergangenheit folgte dann die Darstellung von Bellschans Vision eines zukünftigen „Europas der Völker“, ganz nach dem Vorbild des Europakonzepts der Waffen-SS, in dessen Zentrum kein politisches Gemeinwesen im Sinne einer Assoziation freier Menschen, sondern die Volksgemeinschaft als rassisches Abstammungskollektiv steht: Hinter den in der Rede durchaus subtil gewählten Begriffen steht vor dem Hintergrund von Bellschan-Mildenburgs Biografie kein auf liberalen Werten basierendes Europa-Konzept, sondern die ideologische Internationalisierung des nationalsozialistischen Vernichtungsprojekts durch die SS und Waffen-SS, die als Reaktion auf die Imagination eines global agierenden und daher auch auf selber Ebene zu bekämpfenden Judentums zu verstehen ist. Auch heute noch beziehen sich große Teile des internationalen Neonazi-Milieus auf die Vision eines Zusammenschlusses der vom „Weltjudentum“ unterdrückten „Herrenrassen“ und streben einen gemeinsamen Feldzug gegen den wahnhaft imaginierten, übermächtigen und im Verborgenen agierenden Feind an – also gegen jenen Feind, der mittlerweile schon salonfähig unter dem Begriff des „Globalismus“ Einzug in die breite Öffentlichkeit erhalten hat und letztlich die popularisierte Form der alten antisemitischen Weltverschwörungstheorie darstellt, der Bellschan und seine Kameraden anhängen.

Vor dem Hintergrund dieser internationalisierten Ideologie ist es auch nicht verwunderlich, dass Neonazis aus verschiedenen europäischen Staaten angereist waren, um gemeinsam einem verstorbenen Kameraden zu gedenken – der zeitgenössische Neonazismus ist lokal verankert, international ausgerichtet und transnational vernetzt, was sich nicht zuletzt auch an Zusammenkünften wie diesen zeigt. Die Rede abschließend wendete sich der Kamerad des verstorbenen Waffen-SS-Veteranen, an die zum Gedenken Angereisten und schwor diese auf den Kampf ein, den Bellschan-Mildenburg sein Leben lang geführt hatte. Das Vermächtnis Bellschans sei es, „der Wahrheit zu dienen […] und unserem Volk die Treue zu halten und nie die Worte Friedrich Schillers zu vergessen: ‚Denn wenn kein Mensch mehr die Wahrheit sucht und verbreiten wird, dann verkommt alles Bestehende auf der Erde, denn nur in der Wahrheit sind Gerechtigkeit, Frieden und Leben.'“ Mit dem abgewandelten SS-Treueschwur „Seine Ehre hieß Treue“ beendete der Redner schlussendlich andächtig die Ansprache.

K IV und KAB bilden ein gemeinsames Ehrenspalier beim Hinaustragen der Urne Bellschan-Mildenburgs.

Nach dem Zeremoniell folgte ein Trauerzug zum Familiengrab der Bellschan-Mildenburgs, bei dem unterschiedliche Vertreter rechtsextremer Organisationen aus Österreich, Deutschland, Ungarn und Italien kondolierten und Kränze im Gedenken an den „Kameraden“ niederlegten. Zahlreiche Besucher*innen ließen es sich außerdem nicht nehmen, einige Meter von Bellschan-Mildenburgs Grab entfernt einem weiteren „Ehemaligen“ Ehrenbekundungen zu bezeugen, der jedoch eine deutlich höhere Funktion im nationalsozialistischen Staat innehatte. Die Rede ist von Friedrich Rainer, dem ehemaligen NS-Gauleiter von Salzburg und Kärnten, dessen „Ruhestätte“ eine große Elhaz-Rune und ein Ausspruch Adolf Hitlers „ziert“. Auch dort legte die Kameradschaft IV eine Grabkerze zum Gedenken ab – danach verharrte eine größere Gruppe Grazer, Wiener und Kärntner Neonazis an dem Grab, bevor sie als letzte Gruppe zurück in Richtung Ausgang marschierte. Der Leichenschmaus fand, an das Gedenken anschließend, im nahegelegenen Gasthof Krall statt, bei dem sich auch viele der österreichischen Neonazis einfanden. Das Milieu, welches am Begräbnis des Waffen-SS-Veteranen teilnahm, setzte sich dabei hauptsächlich aus langjährig organisierten Neonazis sowie Gruppierungen, die vornehmlich der österreichischen Kameradschaftsszene zuzurechnen sind, zusammen. Neben der Kameradschaft IV war auch der Kärntner Abwehrkämpferbund (KAB) mit einigen Mitgliedern, sowie die Kameradschaft der ehemaligen Angehörigen des Gebirgsjäger Regiments 139, einer Wehrmachtskameradschaft, die Teil des Kärntner Kameradschaftsbundes und damit auch Teil des Österreichischen Kameradschaftsbundes (ÖKB) ist, vertreten – nicht zu vergessen der Ulrichsbergveteran und aB! Tauriska zu Klagenfurt Burschenschafter Peter Mussi.

Neben der Kameradschaftsszene fanden sich im Gleichschritt mit Gottfried Küssel und Franz Radl ein Skinhead der Gruppe Sozialismus Jetzt (SoJ) und der Corona Querfront (CQ), einschlägige Neonazis aus dem ehemaligen alpen-donau.info Umfeld Wiens und mit Christoph Schober auch ein Exponent der Grazer Szene rund um alpen-donau.info ein. Küssel samt Anhang marschierten nach der Trauerbekundung direkt zum Grab von Friedrich Rainer: Geleitet wurde die Gruppe neben Küssel von Erika Hannesschläger, der Tochter Friedrich Rainers, die ebenso als „Zeitzeugin“ agiert, aktuell in Klagenfurt wohnhaft ist und das Grab ihres Vaters betreut – ein Umstand, der ihr im Übrigen schon eine Anzeige nach dem Verbotsgesetz eingebracht hat. Weiters nahmen die obersteirischen Neonazis Hans Ploderer und Martin Ploderer, die der in den 2010er-Jahren aktiven neonazistischen Vereinigung Skinheads Steiermark zuzurechnen sind, teil. Auffällig war die Präsenz der Familie Larisch, also Nils Larisch und Conny Larisch samt beider Kinder – Nils Larisch stammt aus dem neonazistischen Hooligan-Umfeld von Lokomotive Leipzig und der lokalen Leipziger NPD-Szene. Mit Peter Dingsleder schaffte es auch ein Aktivist aus dem Umfeld der steirischen Identitären Bewegung (IB) zum Szenetreff in Klagenfurt Annabichl. Dingsleder ist langjähriger Aktivist der Identitären Bewegung, sowie Alter Herr der deutschnationalen Burschenschaft aB! Cheruskia Graz. Auch Tobias Faethe, ein aus München stammenden Neonazi aus dem Umfeld der deutschnationalen Burschenschaft Danubia München, der nun schon seit einigen Jahren in der Steiermark lebt und über gute Kontakte in die völkische und neonazistische Szene verfügt, war angereist. Obgleich die ungarischen und italienischen Kameraden nicht identifiziert werden konnten, zeugten deren Kränze und Symbole von deren Anwesenheit. In dieser Recherche wird auf die unterschiedlichen zu dem Gedenken angereisten Milieus und deren Vernetzung noch vertiefend eingegangen. Für das Verständnis der Zusammenkunft am 12. November ist es aber zunächst notwendig, einen Blick auf Herbert Bellschan-Mildenburgs Biografie zu werfen und seine Funktion innerhalb der europäischen Neonazi-Szene nach 1945 zu beleuchten.

Biografische Skizze Herbert Bellschan-Mildenburgs

Bellschan-Mildenburg mit dem Dortmunder Neonazi Michael Brück, der mittlerweile nach Chemnitz verzogen ist.

Herbert Bellschan-Mildenburg wurde am 24. Juni 1923 als Sohn des Hermann Bellschan von Mildenburg und der Fini Schüst geboren. Er entsprang dem Adelsgeschlecht Bellschan von Mildenburg, das vor allem durch die gefeierte Mahler- und Wagner-Sopranistin Anna von Mildenburg Bekanntheit erlangte. Wie aus der Rede eines Kondolenten zu entnehmen ist, dürfte Herbert Bellschan-Mildenburg schon in seiner frühen Jugend in den österreichischen Wandervogel eingetreten sein, der, wie der Historiker Peter Dudek feststellt, als 1911 gegründeter Ableger des deutschen Wandervogels ideologisch besonders „bewusst deutsch-national und antisemitisch“ auftrat, auch wenn dieser später entgegen der historischen Quellenlage als Opposition zur späteren Hitlerjugend (HJ) und dem Bund Deutscher Mädel (BDM) dargestellt und damit gewissermaßen rehabilitiert wurde. Gerade im Falle Österreichs muss diese historische Einschätzung zurückgewiesen werden. Der Wandervogel wurde zwar auch in Österreich 1938 verboten, legte zugleich aber in Form der völkischen Gesinnung, des Körperkults und der Fixierung auf das Primat des Natürlichen die ideologischen Grundsteine für die Jugend- und Nachwuchsorganisationen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Die nahtlose Integration völkischer Sozialisierung von den Wandervögeln in die Strukturen des NS-Regimes wird auch in der Biografie Bellschan-Mildenburgs sichtbar, dessen frühe ideologische Prägung ihn sein ganzes Leben lang begleitete.

Bevor Bellschan-Mildenburg mit 17 freiwillig in die Waffen-SS eintrat, war er bereits aktives Mitglied des Deutschen Jungvolk (DJ) sowie der Hitlerjugend. Laut eigenen Angaben, die seiner im Dezember im rechtsextremen Nation und Wissen Verlag erschienenen Biografie zu entnehmen sind, sei er (auch schon in der Illegalität) maßgeblich für den Aufbau und die Führung der Klagenfurter HJ-Ortsgruppe mitverantwortlich gewesen – ob dies den historischen Tatsachen entspricht, kann nicht bestätigt werden, zeugt aber von Bellschan-Mildenburgs klarem Bekenntnis zum Hitlerismus, von dem er sich nie loslöste. Im Jahre 1941 wurde Bellschan in den aktiven Dienst der Waffen-SS einberufen und in die 6. SS-Gebirgsdivision „Nord“ eingegliedert, die an der „Finnlandfront“ in Karelien kämpfte und sich ursprünglich aus der 6., 7. und 9. SS-Totenkopfstandarte zusammensetzte. Der Eintritt in den militärischen Verband wäre das Schicksal von Bellschan-Mildenburg gewesen, wie er in einem Interview festhält: „Meine vorangegangenen Jahre, die Erziehung und das Erleben war gar nicht anders möglich, als dass man als Freiwilliger zur Waffen-SS gegangen ist.“ Bellschan selbst brachte es in dem Regiment bis zum SS-Untersturmführer, verbrachte die letzten Kriegsmonate als Lehroffizier an der SS-Junkerschule in Bad Tölz und wurde nach dem Sieg der Alliierten in Kriegsgefangenschaft genommen und nach Hallein überstellt. Die Urkunde der Beförderung zum Untersturmführer, signiert durch den Reichsführer SS Heinrich Himmler höchstpersönlich, bewahrte Bellschan laut Angaben des Rechercheportals Blick nach Rechts bis zumindest 2005 neben anderen Devotionalien in seiner Wohnung als Andenken auf.

Nach der Kriegsgefangenschaft begann für Bellschan-Mildenburg das, wofür er innerhalb rechtsextremer Milieus in ganz Europa und darüber hinaus bekannt werden sollte: Seine Lebensmission bestand darin, die Waffen-SS als vierten Teil der Wehrmacht zu verharmlosen und die von dem nationalsozialistischen Terror-Regime begangenen Verbrechen öffentlich zu leugnen oder zu relativieren. Nachdem er 1947 als unter einem Pseudonym Studierender der Universität Wien vom US-amerikanischen Geheimdienst als entflohener SS-Kriegsverbrecher enttarnt wurde, floh Bellschan ins Ausland. Über zahlreiche Umwege und Langzeitaufenthalte erreichte er 1986 laut der Gazette abc Paraguay, wo er sich, wie so viele andere Kriegsverbrecher auf dem südamerikanischen Kontinent, niederließ und ein Landstück von 1.000 Hektar erstand. Während er zwar sein Haus in Klagenfurt in der Aichelburg-Labia-Straße 18 bis zu seinem Tod besaß, lebte Bellschan-Mildenburg bis etwa 2017 in der Provinz Ciudad del Este in Paraguay, besuchte Europa mehrmals aus geschäftlichen Gründen, oder um Shoah-Leugnern wie Ernst Zündel vor Gericht beizustehen.

In Paraguay wurde Bellschan – wie mutmaßlich auch in anderen Ländern – durchaus ambitioniert als Geschäftsmann tätig: Er erlangte die Stellung eines Vertreters des staatlichen Bahnbetriebes Cooperativa Ferroviaria, Pdte. Carlos A. López, für europäische Belange. Im Auftrag der Coop. Ferroviaria und der staatlichen Bahngesellschaft Ferrocarriles del Paraguay (Fepasa) verhandelte er unter anderem mit Schweizer Investment-Firmen um den Ausbau und die Neu-Erschließung staatlicher Eisenbahn-Linien ausgehend von der Hauptstadt Asunción – das Verhandlungsvolumen betrug mutmaßlich zwischen 600 und 800 Millionen US-Dollar. Als Geschäftspartner führte Bellschan in einem Interview 2014 den Ingenieur sowie RFJ-, FPÖ– und späteren BZÖ-Politiker Karlheinz Klement an, also jenen wüsten Antisemiten, der auch im EA-Komplex (Europäische Aktion) eine nicht geringe Rolle einnahm, da er 2010 das erste Treffen der EA in Österreich mit führenden NVP-Kadern und Bernhard Schaub ausrichtete. Interessant ist die Beteiligung Klements an den Geschäften Bellschan-Mildenburgs alleine schon deshalb, weil Bellschan wohl zeitnah zur Gründung der Europäischen Aktion auf die Idee kam, in Paraguay einen Millionendeal mit Schweizer Partnern zu realisieren und aktiv für den Bau der Bahnstrecke von Ascunión bis Encarnación zu lobbyieren. Als dieser Plan zu scheitern drohte, schickte Bellschan im ersten Quartal des Jahres 2014 Klement nach Asunción, um das Geschäftsmodell mit Fepasa und der Coop. Ferroviaria zu besprechen. Es ist also anzunehmen, dass Klement schon vor der öffentlichen Bekanntgabe durch Bellschan dessen Geschäftspartner war – warum auch sollte Bellschan wahllos einen Bekannten nach Asunción schicken, um einen Millionendeal auszuhandeln. Schlussendlich dürfte der Deal jedoch gescheitert sein, auch wenn Bellschan noch bis 2017 versuchte, die staatlichen Betriebe in Paraguay vom Gegenteil zu überzeugen. Auch wenn in diesem Komplex viele Fragen offen bleiben, so sind die geschäftlichen Tätigkeiten von Bellschan-Mildenburg in Paraguay auch für den Gegenstandsbereich Rechtsextremismus von potenziellem Interesse, steht doch zur Disposition, ob Gelder aus Bellschans Tätigkeiten in die Finanzierung rechtsextremer Strukturen geflossen sind. Auch wenn Finanzierungsmodelle dieser Art aktuell nicht nachgewiesen werden können, ist es dennoch wichtig auf die Möglichkeit hinzuweisen.

Klement bei einer Gedenkveranstaltung des KAB. Oft in seiner Funktion als Chorleiter der Sängerrunde Emmersdorf.

Rückzug nach Europa, Österreich, Klagenfurt

Um das Jahr 2017 kehrte Bellschan dann, womöglich auch auf Grund gescheiterter Geschäfte, wieder nach Europa zurück und dürfte sich von diesem Zeitpunkt an in Österreich, Ungarn und Deutschland aufgehalten haben. Schon vor seiner permanenten Rückkehr war der Waffen-SS-Veteran gelegentlich nach Europa gereist, so zum Beispiel 2012 und 2016, um am Ulrichsbergtreffen eine Festrede zu halten und auch 2016 am Vortag des Treffens an einer klandestin organisierten Zusammenkunft der Kameraschaft IV in Krumpendorf teilzunehmen, bei der er als Szenegröße hofiert und gefeiert wurde. Auch die bayrische Sektion der neonazistischen Partei Der III. Weg lud Bellschan-Mildenburg 2017 nach München ein, wo er im Gasthof Flügelrad vor versammelten Publikum die Hauptrede des Abends hielt. Ebenso 2017 hielt Bellschan einen Vortrag bei der neonazistischen, vom thüringischen Staatsschutz überwachten Burschenschaft Normannia zu Jena, die der Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG) angehörte, in der sogenannten Wilhelmsburg tagte wie auch im Braunen Haus in Alt-Lobeda, das auch im Kontext des NSU-Komplexes eine wichtige Rolle spielte. 2019 dann erschien Bellschan auf Einladung der langjährigen Unterstützer*innen rund um die Partei Die Rechte in Dortmund, um dort bei der revisionistischen Vortragsreihe „Soldaten berichten“ als „Zeitzeuge“ aufzutreten – eine Delegation von Die Rechte Rhein-Erft hatte im Übrigen bereits 2016 am sogenannten „Kärntner Abend“ der Kameradschaft IV teilgenommen, an der auch Bellschan-Mildenburg anwesend war und partizipierte am darauffolgenden Ulrichsberggedenken, an dem Bellschan eine Festrede hielt.

Bellschan-Mildenburg war über seine Vortragsreihen hinaus mit Altnazi-Szenegrößen vernetzt, die als intergenerationeller Kitt und ideologische Stichwortgeber der europäischen extremen Rechten fungierten und teilweise immer noch fungieren. So sprach sich Bellschan-Mildenburg etwa mehrfach für den wegen Wiederbetätigung verurteilten und 2021 verstorbenen Shoah-Leugner Wolfgang Fröhlich aus, erschien bei dessen Haftentlassung und lies sich mit ihm gemeinsam vor der Justizanstalt Stein in Krems ablichten. Auch mit dem Altnazi, Auschwitz-Leugner und Szeneanwalt Herbert Schaller war Bellschan-Mildenburg befreundet und pflegte außerdem Kontakte zu Akteur*innen der militanten ungarischen Neonazi-Szene. Darüber hinaus verfügte die K IV über gute Kontakte zur nicht mehr existenten ungarischen MNA (Magyar Nemzeti Arcvonal) unter der Leitung von Györkös István snr., wo sie auch an „Heldengedenken“ in Dég teilgenommen hatte.

Bellschan-Mildenburg vor der JV Krems nach der Haftentlassung von Wolfgang Fröhlich.

Die Vernetzung zu europäischen Neonazi-Gruppen bzw. Personen des rechtsextremen Spektrums Europas, sowie Bellschans Ansehen innerhalb der NS-Szene Europas spiegelt sich auch in den vor seinem Grab niedergelegten Kränzen wieder: Ungarische Kameraden widmeten dem Waffen-SS-Soldaten letzte Grußworte und zeigten sich überzeugt, man würde sich in „Valhalla“ wiedersehen, die Familie Larisch widmete Bellschan einen Kranz in den Farben der Reichskriegsfahne und auch die italienischen Neonazis sowie die Vertreter der Kameradschaft IV und die aus Graz und Wien angereisten Neonazis ließen es sich nicht nehmen, dem Kameraden letzte Worte mitzugeben. Auch online mangelte es nicht an einschlägigen Szenebekundungen: Sowohl Die Rechte, Der III. Weg sowie kuruc.info, das antisemitische Portal des Jobbik-Politikers Novák Előd, bezeugten Kondolenz.

SS-Zeugen zwischen Szenekult und Integrationsfunktion

Bellschan-Mildenburgs Wirken reiht sich in eine Tradition der revisionistischen Zeitzeug*innen ein, die für die nach 1945 agierende extreme Rechten in Europa integral gewesen ist. Er war einer von vielen Überlebenden des Weltkriegs, die nach der Kriegsniederlage ihr Leben ungebrochen der Agitation für den Wiederaufbau der NSDAP widmeten und dem „Ruf des Werwolfs“ folgten. Sie nahmen und nehmen innerhalb der extremen Rechten eine wichtige Scharnierfunktion zwischen der Generation, die den Nationalsozialismus noch erlebte und jenen, die erst nach 1945 politisch aktiv wurden, ein und stehen mit ihrer Biografie und ihren Erfahrungen innerhalb der Szene für die unverfälschte Weitergabe der „wahren“ Geschichte. Vortragende wie Bellschan-Mildenburg konnten über den Nationalsozialismus aus erster Hand berichten, Wissen und Kontakte vermitteln und auf bereits etablierte Netzwerke zurückgreifen, die für die Szene von Relevanz waren – von den gesuchten SS-Männern und anderen hochrangigen Mitgliedern der NSDAP, der Gestapo und des Reichssicherheitshauptamtes über die rechtsterroristischen Werwolf-Gruppen bis hinein in die staatlichen Institutionen der neuen Demokratien.

Symbolisch steht für diesen intergenerationellen Schulterschluss die im vom Antifaschistischen Autorenkollektiv in ihrem Standardwerk zur rechtsextremen Organisierung in Deutschland und Österreich enthaltene Abbildung des schwedischen Altnazis Per Engdahl, der kaum mehr fähig zu gehen, sich auf seinem Stock abstützend, die Hand eines stramm stehenden jungen Neonazis schüttelt mit der Unterschrift, Engdahl würde „Vermögen und Kontakte an die ‚Enkelgeneration'“ weitergeben. Das Modell Engdahl wurde in Europa nach 1945, von vielen ehemaligen Spitzenfunktionär*innen wie Otto Skorzeny, Himmlers Tochter Gudrun Burwitz, dem ehemaligen Kommandeur des Wach-Battalions Großdeutschland Otto-Ernst Remer, dem SS-Untersturmführer der Leibstandarte Adolf Hitler Herbert Schweiger oder dem SS-Sonderführer Thies Christophersen praktiziert – sie alle haben die Formierung des organisierten Neonazismus nach 1945 personell und ideologisch geprägt und mit ihren biografischen Erzählungen zur Etablierung der revisionistischen Gegenerzählung beigetragen. Das Antifaschistische Autorenkollektiv charakterisiert diese Riege an Altnazis als „Kartell“, das über legale und illegale Kommunikationsformate verfügte und sowohl den legalen politischen Kampf als auch die klandestine Organisation von NS-Terrorzellen förderte. Zu diesem weit verzweigten Netzwerk an „Ehemaligen“ dürfte auch Bellschan-Mildenburg gezählt haben, der zugleich aber im Vergleich zu anderen Exponenten relativ wenig wahrgenommen wurde. In dem zitierten Band wird sein Name etwa gar nicht erwähnt, was vermutlich auch dem Umstand geschuldet ist, dass er sich lange Zeit im außereuropäischen Ausland aufgehalten hat. Die Erkenntnis über Bellschan-Mildenburgs Involvierung in millionenschwere Geschäfte bei gleichzeitiger bestehender Vernetzung in die Neonazi-Szene Europas wirft allerdings neues Licht auf diesen Sachverhalt und wirft die Frage auf, ob es sich bei ihm um einen Geldgeber beziehungsweise finanziellen Vermittler der rechtsextremen Szene gehandelt hat.

Fest steht in jedem Fall, dass Bellschan-Mildenburg Teil des engen Netzwerkes an „Ehemaligen“ war. In Österreich war der Waffen-SS-Veteran in der Kameradschaft IV organisiert, die als radikalere Schwesterorganisation der deutschen Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS (HIAG) eingestuft werden kann und zu einem späteren Zeitpunkt in dieser Recherche noch im Detail vorgestellt wird. Über die Kameradschaft war Bellschan mit dem bekannten Oberleutnant der Wehrmacht und Szeneanwalt Herbert Schaller eng verunden, sowie mit dem Shoah-Leuner Ernst Zündel. Auch mit dem etwas jüngeren Shoah-Leugner Wolfgang Fröhlich verband Bellschan-Mildenburg eine freundschaftliche Beziehung. Sowohl Fröhlich, als auch Schaller waren im Umfeld beziehungsweise auch als Redner des rechtsextremen Medienkartells Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) aktiv, das als zentrales Medium der militanten rechtsextremen Szene Deutschlands und Österreichs galt. Die Gesellschaft gab die Zeitschrift Das freie Forum heraus, vergab den sogenannten Ulrich-von-Hutten-Preis und wurde von dem aus Heidelberg stammenden Neonazi Peter Dehoust geleitet. Die GfP selbst ging aus der Organisation Deutsches Kulturwerk des europäischen Geistes hervor, die von dem „SA-Barden“ Herbert Böhme gegründet worden war. Der in Österreich gegründete Ableger der DKEG war vordergründig in Kärnten aktiv und wurde von Otto Scrinzi sowie der FPÖ-Politikerin Gerhild Mattuschka geleitet, wobei auch Getraud und Manfred Roeder unterstützende Tätigkeiten übernahmen.

Es ist daher auch alles andere als zufällig, dass die militanten neonazistischen Aktivitäten der neuen Generationen in Deutschland und Österreich auf diesen bereits etablierten Strukturen aufbauten. Die Kameradschaft IV beziehungsweise die darin organisierten Waffen-SS-Veteranen galten als Vorbilder der jungen Neonazis und zogen die Mitglieder des österreichischen Ablegers der Nationalen Front (NF), namentlich Franz Radl jun., Helmut Adolf Schatzmayr, Andreas Thierry, Markus Adam, Georg Lobnig jr. und Ewald Friesacher an, die mittels programmatischen Flugblättern wie „Die Wahrheit über die Waffen-SS“ für die gemeinsame Sache kämpften. In diesen Flugblättern hieß es dann etwa: „Der Helden-Ruhm der Waffen-SS wird auch in den Zeiten der geistigen Leichenschänder überdauern, gleichgültig, was die ewig Heutigen, die Menschenjäger auch versuchen“. Jene jungen Neonazis, die sich im Kampf für die „Wahrheit“  besonders hervortaten, wurden dann zu den Tagungen der alten Generation geladen, konnten dort als Securitys tätig sein oder andere Hilfstätigkeiten ausführen. Bei den, für die internationale Neonazi-Szene wichtigen Gästewochen der DKG, die unter der Führung von Lisbeth Grolitsch, der Grazer Leitern des Freundeskreises Ulrich von Hutten zahlreiche bedeutende rechtsextreme Organisationen Europas an einen Tisch holte, ware somit auch der Nachwuchs in Form von Franz Radl. jr., Helmut Adolf Schatzmayr und Georg Lobnig jr. vertreten.

Doch wichtig zu betonen ist, dass das Versterben der alten Nazi-Größen die Szene durchaus trifft und potenziell schwächt, da mit ihnen zentrale ideologische Bezugspunkte und wichtige Projektionsflächen wegbrechen, die für die identitätspolitische Selbstbestätigung der Szene eine zentrale Schlüsselfunktion eingenommen haben. Dies verdeutlicht sich auch in einem Statement der Redaktion von N.S. Heute, Nr. 19 aus dem November/Dezember 2019, das direkt auf Bellschan-Mildenburg und das Ulrichsberg-Treffen Bezug nimmt und die Leerstelle beklagt, die die „Erlebnisgeneration“ hinterlässt:

Der November ist traditionell der Monat des Gedenkens und des Erinnerns. Am Volkstrauertag gedenken wir all jenen, die während und nach den Weltkriegen für Deutschland starben, und am Totensonntag besuchen wir die Gräber unserer verstorbenen Angehörigen und Freunde. Noch leben auch einige Kameraden, die die Zeit des großen Völkerringens aktiv miterlebt haben – doch es werden leider immer weniger, erst vor wenigen Wochen starb unser lieber Kamerad Karl Münter aus Nordstemmen (Niedersachsen) im Alter von 97 Jahren. Unsere Gastautoren Alex, Christoph und Micha waren für uns beim diesjährigen Ulrichsberg-Gedenken in Kärnten, wo sie auf den letzten noch lebenden Lehroffizier der SS-Junkerschule Bad Tölz, Herbert Bellschan von Mildenburg, trafen.

Der Ahnenkult der extremen Rechten und das inszenierte Märtyrertum derer, die für das NS-Regime ihr Leben gelassen haben, verlangt gewissermaßen nach als authentisch wahrgenommenen Bezugspersonen wie Bellschan-Mildenburg, die der Lüge über den Nationalsozialismus durch ihren väterlich-autoritären Gestus erst den Schein von Wahrheit verleihen können. Zugleich stellt sich mit dem sukzessiven Versterben der Kriegsgeneration die Frage, wie die extreme Rechte diese stark integrierende Funktion der Ehemaligen zu füllen versuchen wird. Hinsichtlich der materiellen Dimension ist damit zu rechnen, dass überzeugte, auch noch nach 1945 für die deutsche Volksgemeinschaft kämpfende Akteur*innen ihr Erbe in der Szene verteilt haben und verteilen werden. Gerade jene, wie Gottfried Küssel oder Franz Radl jr., die sich seit vielen Jahrzehnten dem Kampf für die Wiedererrichtung des Deutschen Reiches einsetzen, dürften als geeignet betrachtet werden, das Vermächtnis der Alten weiterzuführen – auch wenn diese mittlerweile selbst gewissermaßen aus der Zeit gefallen sind. Ob die zweite Generation an Überzeugungstäter*innen über die gleiche politische Strahlkraft verfügt, wie ihre Vorbilder der Kriegsgeneration, wird sich erst zeigen, lässt sich aber doch bezweifeln.

Der KAB, die Kameradschaft der ehemaligen Angehörigen des Gebirgsjäger Regiments 139 (K 139) und die Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes (OdR)

KAB und K 139 bilden die eine Seite des Ehrenspaliers.

Wie bei dem alljährlichen rechtsextremen Treffen am Ulrichsberg waren auch zu Bellschan-Mildenburgs Begräbnis Kameradschaftsgruppen anwesend, die sowohl dem Österreichischen Kameradschaftsbund (ÖKB) als auch dem Kärntner Abwehrkämpferbund (KAB) zuzurechnen sind. Während sich sowohl der ÖKB als auch der KAB traditionell von rechtsextremen Aktivitäten distanzieren und behaupten, sie würden lediglich Gedenk- und Betreuungsarbeit für ihre älteren Kameraden leisten, bestätigt ihre Anwesenheit beim Ulrichsbergtreffen und ihre aktive Rolle bei dem Begräbnis des Waffen-SS-Veteranen Bellschan-Mildenburg, dass es sich um Verbände handelt, die aktiv am rechtsextremen Geschehen Österreichs partizipieren. In vollem Prunk, mit Fahne und Tracht marschierte der KAB unter der Leitung von Wilhelm Überfellner bei dem Gedenken auf, um das Zeremoniell nach den Trauerreden standesgemäß über die Bühne zu bringen. Schon in der Trauerhalle hatten es sich KAB, K 139 und K IV nicht nehmen lassen, neben der Urne im Appell zu stehen und Bellschan-Mildenburg die letzte Ehre zu erweisen und ihm Kränze zu spenden. Anwesend war Peter Stockner, der Obmann der K 139, sowie Thomas Schinnerl, der Schriftführer der Kameradschaft. Die K 139 ist ein aus ehemaligen Wehrmachtssoldaten bestehender Verband, der wie auch Bellschan an der Finnlandfront eingesetzt wurde und zentral in der Schlacht um Narvik aktiv war. Sie ist Teil der ÖKB-Sektion Kärnten und gut mit dem KAB und anderen Akteur*innen, die regelmäßig am rechtsextremen Ulrichsbergtreffen teilnehmen, vernetzt – so auch mit Peter Mussi, dem alten Herrn der aB! Tauriska zu Klagenfurt, der auch am rechtsextremen und mittlerweile verbotenen Ustaša-Gedenken in Bleiburg/Pliberk teilgenommen hatte und wie bereits erwähnt ebenso dem Begräbnis Bellschans beiwohnte.

Neben den beiden österreichischen Kameradschaften und der Kameradschaft IV nahm eine weitere elitäre NS-Ehrenkameradschaft, die Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes an dem Gedenken teil. Die im Jahr 1954 vom Generaloberst der deutschen Luftwaffe Alfred Keller gegründete Vereinigung besteht nur aus solchen Soldaten der Wehrmacht, Luftwaffe oder Marine, welchen das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes, sowie höhere Auszeichnungen, verliehen wurden. Die Orden wurden von Adolf Hitler persönlich ausgehändigt und die Ehrenträger firmierten als Propagandaidole und nahmen an öffentlichen Auftritten, Schulbesuchen und Veranstaltungen der Hitlerjugend teil – manche der Würdenträger besaßen sogar eigene Autogrammkarten. Die Ordensgemeinschaft ist als neonazistisch zu klassifizieren, die in ihren Statuten jene Personen hervorhebt, die sich in besonders großem Ausmaß an der Front für den Nationalsozialismus eingesetzt, oder als Propagandisten der Sache gedient haben. Delegationen der Ordensgemeinschaft nahmen regelmäßig am Ulrichsbergtreffen teil – ihr Erscheinen bei dem Begräbnis von Bellschan-Mildenburg verdeutlicht das hohe symbolische Kapital, über das dieser innerhalb der NS-Szene verfügt haben muss. Im Kontext der Ordensgemeinschaft muss zur Vollständigkeit hinzugefügt werden, dass bis zumindest 2022 der in St. Pölten ansässige Andreas Cesanka der erste stellvertretende Vorsitzende der Ordensgemeinschaft war, dann aber offenbar nicht mehr bestellt wurde und nun als reguläres Mitglied tätig ist. Mit den anderen Kameradschaften gemeinsam trat auch die Kameradschaft IV auf, deren Mitglied Bellschan-Mildenburg war.

Die K IV – rechtsextreme Kameradschaft und Schwesterorganisation der HIAG

Die K IV im Spalier gegenüber von KAB und K 139 am Vorplatz.

Bei dem Bundesverband der Kameradschaft IV handelte es sich um eine 1954 gegründete rechtsextreme Veteranenorganisation ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS, die sich in der Nachkriegszeit vor allem durch ihren Revisionismus und die Relativierung und Rechtfertigung der Taten und der Rolle der Waffen-SS im NS-System hervortat. Entgegen der Klassifizierung der Waffen-SS als verbrecherische Organisation durch den Internationalen Militärgerichtshof (IMG) im Rahmen der Nürnberger Prozesse, hielten die Repräsentanten und Mitglieder der K IV daran fest, es hätte sich bei den militärischen Verbänden der Waffen-SS neben Heer, Luftwaffe und Marine bloß um einen vierten Teil der Wehrmacht gehandelt – ein Rehabilitierungsversuch, der nicht nur hinsichtlich der Verharmlosung der Waffen-SS historisch falsch ist, sondern in doppelter Verleugnung außerdem die Beteiligung der deutschen Wehrmacht an der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten in deutsch-österreichischer Tradition zur Disposition stellte. Wie Anna Giulia Fink unter Verweis auf die historischen Primärquellen belegt, warnte bereits 1955 der Kärntner Friedensrat in einem Rundschreiben davor, dass „es sich bei diesem SS-Verband nicht um eine österreichische Kameradschaftsgruppe handeln kann, sondern um eine Gruppe zur Fortführung der großdeutschen Hitlertraditionen“ – eine Einschätzung, die sich auch heute noch bestätigt.

Trotz der Warnungen etablierte sich unter anderem durch die rege Unterstützung des Kameradschaft vom Edelweiß Mitglieds Balsius Scheicher, dem ehemaliger Vizebürgermeister von Klagenfurt und Mitbegründer der Ulrichsberggemeinschaft, die Kameradschaft IV als erfolgreicher Kameradschaftsverband in Österreich, der über eine hohe Zahl an Mitgliedern, die in relativ autonomen Ortsgruppen und Landesverbänden organisiert waren, verfügte. Als zentrales Publikationsorgan der K IV fungierte die von Günther M. K. Glotz herausgegebene und 2005 eingestellte Zeitschrift Die Kameradschaft, deren Inhalte im Rahmen einer Analyse durch das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) als rechtsextrem bis neonazistisch eingestuft und die Kameradschaft daher auch 1992 wegen der Überschreitung der Vereinsstatuten und rechtsextremer Tätigkeiten angezeigt wurde – eine Einschätzung, die im Übrigen der damals amtierenden Innenminister Franz Löschnak bestätigte, in dem er der Kameradschaft IV die Verharmlosung des NS-Regimes und die Glorifizierung der SS attestierte und eine vereinsrechtliche Überprüfung initiierte.

Auch wenn bezüglich dieser Charakterisierung der K IV weitgehend Einigkeit herrschte, wurde der Herausgeber von Die Kameradschaft, Günther Glotz, freigesprochen und ein Vereinsverbotsverfahren in Folge ruhig gestellt. Das Innenministerium versicherte vor diesem Hintergrund, die Kameradschaft weiterhin zu beobachten und bei neuen Indizien erneut gegen diese vorzugehen. Ein weiteres Vorgehen gegen die legalen Bundesstrukturen erübrigte sich aber insofern, als es im Oktober 1995 zu freiwilligen Selbstauflösung des Bundesverbandes kam. Für die Organisationsentwicklung des österreichischen Rechtsextremismus nach 1945 war infolge dieser Auflösung allerdings von Bedeutung, dass mit dem offiziellen Ende des Bundesverbandes nicht automatisch die Auflösung der relativ autonomen Landesverbände der Kameradschaft IV einherging.

Der politische Charakter der Kameradschaft IV zeigte sich auch an dem Umstand, dass diese entgegen der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS (HIAG), dem deutschen Pendant der K IV, nicht nur als Veteranenorganisation auftrat, sondern auch aktiv Mitglieder für den Verband rekrutierte, die nicht Teil der Kriegsgeneration waren. Dieser Erhaltungsanspruch führte 1991 durch eine Initiative des Landesverbandes Steiermark und Südburgenland auch zu einer Änderung der Vereinsstatuten, sodass neben ehemaligen Soldaten der Weltkriege nun insgesamt „ehemalige und aktive Soldaten“ Mitglieder werden konnten. Trotz dieser großflächigen Öffnung der Kameradschaft IV, nahmen über die Jahre die Mitgliedszahlen doch stark ab, sodass ab den 1990er-Jahren die Landesverbände sukzessive aufgelöst wurden: 1994 der Landesverband Tirol, 2005 der in Wien, 2008 der Landesverband Salzburg. Die einzige Ausnahme bildete der Landesverband Steiermark und Südburgenland, der bis heute besteht und Drehscheibe und Netzwerkknoten des organisierten Rechtsextremismus in Österreich und insbesondere in der Steiermark ist.

Die Kameradschaft IV Landesgruppe Steiermark-Südburgenland

Der K IV Landesverband Steiermark-Südburgenland nimmt innerhalb der Geschichte der Kameradschaft IV eine zentrale Rolle ein, handelte es sich doch stets um den aktivsten und mitgliederstärksten Landesverband der Kameradschaft IV, der mit dem oberösterreichischen Landesverband auch über die meisten Ortsgruppen verfügte. Der Landesverband Steiermark-Südburgenland war entgegen dem Bundesverband außerdem auch vor 1991 statutarisch für Mitglieder geöffnet, die nicht in den Weltkriegen dienten. In den Statuten des Verbandes werden Ziel und Zweck dabei in Paragraph 2 wie folgt bestimmt:

Förderung des traditionellen Kameradschafts, Vaterlands, Heimat und Kulturgedankens unter den ehemaligen Angehörigen aller Wehrmachtsteile der deutschen Wehrmacht und den Teilnehmern des I. Weltkrieges, sowie deren Angehörigen und Nachkommen, den Angehörigen und ehemalig Angehörigen des österreichischen Bundesheeres, Pflege der Kameradschaft unter den Mitgliedern, Zusammenarbeit mit Organisationen die der EuropaIdee dienen, sowie anderen Kameradschaften der Teilnehmer am I. und II. Weltkrieg, sowie am Kärntner Abwehrkampf.

Gerhard Kurzmann mit dem Neonazi und ehemaligen FPÖ-Lokalpolitiker Hans Ploderer.

Hinsichtlich der Mitglieder sind (neben dem derzeitigen statutarischen Leitungsgremium, bestehend aus: Ludwig Wagner (Vorsitzender), Walter Vortisch (Stv. Obmann) und Gustav Bayer (Stv. Obmann)) prominente Personen aus dem FPÖ-Umfeld wie der ehemalige FP-Landesparteiobmann Gerhard Kurzmann, oder der FPÖ-Gemeinderat und bürgerwehr-affine ehemalige Bundesheeroberst, Teutone und Publizist Helge Endres, vertreten. Gerade Gerhard Kurzmann wird uns in dieser Recherche noch an anderer Stelle begegnen, stellte er sich wiederholt schützend vor rechtsextreme und neonazistische Akteur*innen des steirischen Neonazi-Milieus und nahm stets eine zentrale Vermittlerrolle an der Schnittstelle der steirischen FPÖ zum organisierten außerparlamentarischen Rechtsextremismus ein.

Hans Ploderer mit „Skinheads Steiermark“-Shirt in der Silvana-Bar 2010.

Dass es sich gerade bei dem steirisch-südburgenländischen Ableger der Kameradschaft IV um einen intergenerationellen Verband handelt, in den relevante Akteur*innen der rechtsextremen Szene Österreichs eingebunden sind, die die revisionistische Tradition ihrer an der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie partizipierenden „Kameraden“ bis heute fortsetzen, konnte bei dem Gedenken an Bellschan gut beobachtet werden. Während die Gedenkstätte selbst mit den Wappen und Fahnen der Kameradschaft IV geschmückt war, salutierten neben den älteren Kameradschaftsmitgliedern auch zwei bekannte rechtsextreme Akteure, die fester Teil des in Österreich organisierten Neonazismus sind. Wenn sie nicht Mitglieder des revisionistischen Verbandes sind, so stehen sie doch zumindest in einem eindeutigen Naheverhältnis zu diesem: Hans Ploderer und Thobias Faethe.

Die Obersteiermark-Connection

 

Bei Hans Ploderer handelt sich um einen der führenden Köpfe der obersteirischen Neonazi-Szene und einen ehemaligen FPÖ-Funktionär, der bereits in den 2010er-Jahren wegen seines offenen Bekenntnisses zum Nationalsozialismus mediale Aufmerksamkeit erhielt. Die späten 2000er-Jahre waren in der Steiermark insgesamt durch das zunehmend militante und neonazistische Auftreten einiger RFJ-Mitglieder und Funktionäre sowie durch deren Kontakte in das subkulturelle Neonazi-Milieu geprägt, deren Aktivitäten von der damaligen FPÖ-Führungsriege rund um Gerhard Kurzmann, wenn nicht sogar geschützt, so doch eindeutig geduldet wurden – einige der zum Teil außerordentlich gewalttätigen Aktionen werden in dieser Recherche noch thematisiert werden, weil die damaligen Aktivisten heute noch Teil des organisierten Rechtsextremismus sind und bei dem Gedenken an Bellschan teilweise auch personell vertreten waren.

Zwei Exemplare der „Sammlung“ Ploderers.

In der Obersteiermark galt Mariazell zu dieser Zeit und inbesondere die von Silvana Wallmann, der damaligen Jugendreferentin der FP-Ortsgruppe Mariazell, geführte „Silvanabar“ als beliebter Szenetreffpunkt der regionalen Neonazi-Szene. Auf der Facebook-Seite der Bar konnte man Fotos von feiernden Skinheads mit T-Shirts der rechtsextremen Bands „Landser“, „Skrewdriver“ und auch „Faustrecht“ sehen. Einige der Neonazis wurden auch bei dem Zeigen des Hitlergrußes abgebildet. Von einem 2007 in der Silvanabar stattgefundenen Konzert der Neonazi-Band „Agiator“ tauchten weiters Fotos auf, die unter anderem Hans Ploderer zeigten, der in dieser Zeit auch als FP-Spitzenkandidat von St. Sebastian im Bezirk Bruck an der Mur kanditierte. Auf einem der Fotos war Ploderer in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Skinheads Steiermark“, dem steirischen Wappen und einem SS-Totenkopf zu sehen, die durch Recherchen von Grazer Antifaschist*innen an die Öffentlichkeit gelangten. In selbigen Recherchen wurde auch publik gemacht, dass Dominik Ungerböck, der Schriftführer der FPÖ-Ortsgruppe auf der Seite der FPÖ-Ortsgruppe selbst in einer Jacke mit Lorbeerkranz und der neonazistischen Zahlenkombination 88 („Heil Hitler“) posierte.

Lange Freundschaften prägen das obersteirische Neonazi-Milieu. V.l.n.r.: Ungerböck, Ploderer, Tobias Weissensteiner (siehe unten).

Bei den Skinheads Steiermark handelte es sich um eine konspirativ organisierte Gruppe nach dem Vorbild von Blood & Honour, die in der Steiermark und Umgebung Rechtsrock-Konzerte veranstaltete und sowohl im In- als auch Ausland an Szeneveranstaltungen teilnahm. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Hans Ploderer tonangebend in die Gruppe involviert war, tauchte sein Name in vielen Zusammenhängen, unter anderem auch im Rahmen eines Hacking-Angriffs, im Verzeichnis eines internationalen B&H-Forums auf. Ein weiterer Akteur der obersteirischen NS-Szene, der ebenfalls bei dem Gedenken an Bellschan neben Küssel und Konsorten teilnahm und in den letzten Jahren bei internationalen Neonazi-Vernetzungstreffen wie dem Tag der Ehre in Budapest im Gleichschritt mit Andreas Linhart identifiziert wurde, ist Martin Ploderer, der mutmaßliche Bruder von Hans Ploderer. Auch wenn die Obersteiermark vor allem in den 2010er-Jahren durch eine aktive Neonazi-Szene aufgefallen ist, belegt die Anwesenheit der Ploderer-Brüder, dass diese nach wie vor Teil der NS-Szene sind, auch wenn sie vorsichtiger geworden sind und nach außen hin nicht mehr mit derselben Militanz auftreten wie in ihren Jugendjahren.

Martin Ploderer (rote Jacke) neben Andreas Linhart 2020 beim Beginn des Ausbruchsmarsches.

Die Teilnahme an der Gedenkveranstaltung, internationalen Vernetzungstreffen der Neonazi-Szene und die Partizipation an Demonstrationen belegen, dass die obersteirische Zelle nach wie vor aktiv ist und auch gute Kontakte zu den „Ehemaligen“ pflegt – Hans Ploderer hat sich mehrmals mit Bellschan selbst ablichten lassen und fühlt sich offenbar dazu verpflichtet, sich in die revisionistische Tradition der „Erlebnisgeneration“ zu stellen. Neben den Kontakten zum Kameradschafts-Milieu sind die Ploderer-Brüder außerdem eng über obersteirische Kameraden aus der Jugendzeit mit neonazistischen Hooligans der Alten Garde (AG) des SK Rapids vernetzt. Dabei dürfte der Kontakt primär über drei Kameraden laufen, die – wie die Ploderer Brüder – aus der Obersteiermark stammen und wohl dem Skinhead-Milieu der Silvana-Bar zugerechnet werden können: Andreas Durchlaufer und eine Person, die unter dem Spitznamen „Zrissl“ bekannt ist, sowie Mario Schliber, der wohl nicht als Mitglied der AG aktiv ist, sich aber in deren Umfeld bewegt.

Während die obersteirischen Kameraden ihre Gesinnung mittlerweile nicht mehr mit der gleichen Aggressivität nach außen tragen wie in ihren Jugendjahren, besteht dennoch kein Zweifel hinsichtlich ihrer rechtsextremen Weltanschauung. Neben der Selbstbeschreibung als „Kategorie C“ und der Vernetzung in das rechtsextreme Hooligan-Milieu treffen sich die alten Kameraden auch gerne für Bergwanderungen oder Leistungsmärsche in den obersteirischen Wildalpen oder auch in Ungarn: Einem Foto kann etwa entnommen werden, dass Martin Ploderer, „Zrissl“ und Schliber im Rahmen der neonazistischen Festivitäten rund um den „Tag der Ehre“ am 10. Februar gemeinsam einen 60 Kilometer langen „Aufbruchsmarsch“ bestritten haben – gemeinsam mit dem ebenso aus Mariazell stammenden Neonazi Tobias Weissensteiner und dem hinlänglich bekannten Wiener Neonazi Wolfgang Lechner, der sich seit vielen Jahren im direkten Umfeld Gottfried Küssels bewegt. Die obersteirische Zelle rund um die Ploderers hat sich also keineswegs aus dem organisierten Rechtsextremismus zurückgezogen, sondern partizipiert weiterhin aktiv an neonazistischen Events und ist bestens in den organisierten Rechtsextremismus vernetzt.

V.l.n.r.: Schliber, Weissensteiner, „Zrissl“, Ploderer, Lechner.

Von der Danubia in die Ostmark

Die zweite Person, die neben Hans Ploderer mit den alten Mitgliedern der Kameradschaft IV bei der Gedenkveranstaltung für Bellschan salutierte, war Tobias Faethe, ein aus Deutschland stammender Neonazi, der nun schon seit einigen Jahren in der Steiermark lebt und in die dort ansässige völkische NS-Szene involviert ist. Faethe wurde in den letzten Jahren bei Veranstaltungen der Identitären Bewegung (IB), wie etwa der Demonstration am 16.11.2015 gemeinsam mit dem ehemaligen Grazer FP-Vizebürgermeister Mario Eustacchio, dem Identitären Peter Dingsleder und dem Grazer FP-Gemeinderat mit intensiven Kontakten in das neofaschistische Milieu Heinrich Sickl in Spielberg gesehen. Auch am bereits erwähnten Tag der Ehre im Jahr 2020 marschierte Tobias Faethe mit anderen österreichischen Neonazis wie Richard Pfingstl, Christoph Schober und Benni Wolf uniformiert und im Gleichschritt mit hunderten Neonazis aus ganz Europa durch Budapest. Für die Einordnung von Tobias Faethe ist weiters wichtig zu wissen, dass der als Entwicklungsingenieur bei Siemens Graz (mutmaßlich in der Suspensionsabteilung) tätige Aktivist bereits vor seinem Umzug nach Österreich in Deutschland rege in die organisierte extreme Rechte eingebunden war.

Vorne Faethe, rechts dahinter Schober, verdeckt hinter Schober, Wolf, mit Brille links hinter Schober Pfingstl beim Tag der Ehre 2020.

Faethe war Sprecher der Burschenschaft Danubia München, in der viele Rechtsextreme Kader wie Walter Post, Karl Richter, Michael Vogt und Hans-Ulrich Kopp Mitglieder waren bzw. sind. Die Burschenschaft Danubia wird vom bayrischen Verfassungschutz als „rechtsextremistische Organisation“ eingestuft und tat sich in der Vergangenheit nicht nur durch die rechtsextreme bis neonazistische Weltanschauung ihrer Mitglieder, sondern auch ihre Verbindungen zu rechtsterroristischen Akteur*innen hervor. Der im Jänner 2001 stattgefundene rassistische Mordversuch von 18 rechtsextremen Schlägern an dem Griechen Artemios T. ging etwa von Gästen einer gemeinsamen Feier des Danubia-Burschenschafters Reiner Mehr und dem Rechtsterroristen Martin Wiese aus. Auch der zu 6 Jahren Haft verurteilte Neonazi Christoph Schulte konnte sich im Haus der Danubia verstecken, bevor er sich in den Niederlanden absetzte um den deutschen Behörden zu entkommen. Dass Tobias Faethe Sprecher der Danubia war und nun in Österreich in die neonazistische Szene involviert ist, ist also alles andere als ein Zufall, sondern bestärkt die Einschätzung, dass es sich bei ihm um einen hochideologisierten und potenziell gefährlichen Neonazi mit guten Verbindungen nach Deutschland handelt.

Neben seiner Tätigkeit für die Burschenschaft Danubia München war Faethe außerdem laut der Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (a.i.d.a.) in der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) aktiv, einem neonazistischen Jugendverband der militärische Sommerlager für Kinder und Jugendliche abhielt und im März 2009 behördlich verboten wurde. Vor diesem Hintergrund ist es auch wenig verwunderlich, dass Faethe in Österreich Kontakte zu alteingesessenen Neonazis wie Gottfried Küssel und Franz Radl, aber auch jüngeren Aktivisten der NS-Szene wie Richard Pfingstl pflegt, die bereits als Jugendliche bei den Sommerlagern des 2007 aufgelösten Bund Freier Jugend (BfJ) teilnahmen – das österreichsiche Äquivalent zur HDJ und die Jugendorganisation der Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AFP), eine der zentralen Drehscheiben des organisierten Rechtsextremismus in Österreich nach 1945. Schon in der Zeit vor den behördlichen Vereinsverboten bestanden grenzübergeifende Kontakte zwischen den beiden neonazistischen Jugendorganisationen. Im Falle der in dieser Recherche behandelten Akteur*innen, bestehen diese auch heute noch.

Alpen-donau.info Graz und Wien – Abwesenheit mit Ausnahmen

Dass auch Neonazis aus der Organisationsriege von alpen-donau.info beim Begräbnis von Bellschan-Mildenburg Präsenz zeigen würden, war durchaus erwartbar – hervorgehoben werden sollte aber eher die auffallende Abwesenheit vieler amtsbekannter Akteur*innen aus diesem Umfeld. Dass es sich weder Gottfried Küssel noch Franz Radl jr. nehmen lassen würden, beim Heldengedenken teilzunehmen und gemeinsam mit dem jungen Neonazi, der aus den Reihen von SoJ und CQ stammt, aus Wien in Küssels Dacia anzureisen, liegt auf der Hand. Küssels Auftritt lässt ferner ahnen, dass er sich weiterhin als Führer des österreichischen Neonazismus fühlt und inszeniert und Radl nach wie vor in der ihm seit jeher zugeteilten Rolle des „Leibfuchs des Küssel“ agiert – wie es in alten Ermittlungsakten hieß. Dennoch ist im Falle Wiens auffällig, dass zahlreiche langjährig aktive Kader absent waren: So etwa Wolfgang Lechner, Andreas Linhart, Paul Blang, Thomas Cibulka sowie diverse deutschnational-nazistische Burschenschafter, die sich im Umfeld Küssels bewegt haben. Womöglich versuchen die genannten Personen nicht allzu auffällig am Szene-Geschehen mitzumischen, stehen sie doch aktuell am Radar der Behörden und müssen beziehungsweise mussten sich vor dem Gericht verantworten.

Entgegen der Abwesenheit vieler amtsbekannter Neonazis war der ebenso bereits seit vielen Jahren als rechtsextremer Aktivist bekannte Christoph Schober aus Graz-Umgebung angereist, dessen politische Aktivitäten so wie die der obersteirischen Neonazis rund um Hans Ploderer in den 2010er Jahren das erste mal dokumentiert wurden. Der am 30. März 1990 in Graz geborene und aktuell als Stahlbautechniker in Gratwein arbeitende Christoph Schober bewegte sich in seinen Jugendjahren im Umfeld der steirischen Neonazi-Aktivisten von Alpen-Donau.info und war maßgeblich an den brutalen Attacken im Rahmen einer Geburtstagsfeier am 30. Jänner 2010 in dem Grazer Lokal Zeppelin und den Übergriffen bei einem Public-Viewing-Event im Rahmen des WM-Spiels Deutschland gegen Ghana am 23. Juni 2010 in der Grazer Innenstadt beteiligt. Schon im Mai 2009 waren RFJ-Mitglieder in Bomberjacken am Grazer Hauptplatz bei einer FPÖ-Kundgebung mit Hitlergrüßen aufgefallen, bevor sie mit dem vielfach erwähnten FP-Landesobmann Gerhard Kurzmann Bier trinken gingen. Obwohl Kurzmann während der Kundgebung neben den RFJ-Nazis fotografiert wurde, wollte er auf Medienanfragen nichts über die Hitlergrüße seiner jungen Kameraden wissen – ein altbekanntes Muster.

Zu den Attacken unter Schobers beteiligung selbst: Gemeinsam mit u.A. dem ehemaligen RFJ-Mitglied und amtsbekannten Neonazi Richard Pfingstl, dem ehemaligen Obmann der RFJ-Deutschlandsberg, Burschenschafter und mittlerweile im Umfeld der Identitären Bewegung angekommenen Stefan Juritz, seinem ebenso korporierten Bruder Christian Juritz und dem Neonazi-Kickboxer Gerhard Taschner attackierte Schober am Abend des 30. Jänner 2010 mehrere Personen, die sich bei einer Geburtstagsfeier in dem Grazer Lokal Zeppelin zusammengefunden hatten. Als Reaktion darauf, dass die Geburtstagsgäste den Anti-Nazi-Song „Schrei nach Liebe“ abspielten, positionierten sich die halbuniformierten Neonazis mit gehobenem Arm in dem Lokal und antworteten mit dem verbotenen Horst Wessel Lied und Heil-Hitler-Rufen. Daran anschließend griffen die Neonazis die Partygäste an und fügten diesen durch gezielte Faustschläge und Tritte gegen den Kopf und Oberkörper schwere Verletzungen zu. Das Resultat der brutalen Attacke: Nasenbeinbruch, der Bruch beider Augenhöhlen, der mehrfache Bruch des Nasenbeines, Prellungen und Blutergüsse bei einem der Opfer sowie zahlreiche Prellungen und Blutergüsse bei den anderen und schwere psychische Folgeschäden bei den Attackierten bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung.

Auch hier herrschen lange Bekanntschaften vor: Ganz rechts Taschner neben dem jungen Pfingstl, im braunen Hemd Küssel und neben ihm Budin bei einem Sommerlager des BfJ 2010.

Dass es sich bei diesem Übergriff um keinen spontanen Raufhandel handelte, sondern um die vorsätzliche politische Gewalt militanter Neonazis belegt der Umstand, dass einige der Beteiligten inklusive Richard Pfingstl und Christoph Schober bereits am 23. Juni 2010 bei einem Public-Viewing-Event erneut zuschlugen. Die Parolen „SS-SA die Wehrmacht ist da“, „SS-SA wir sind wieder da“ rufend attackierten die Neonazis einen Zuseher bei dem Event und fügten ihm unter Todesdrohung eine schwere Körperverletzung zu. Seit den Attacken sind 12 Jahre vergangen und doch sind einige der damals militant auftretenden Aktivisten nach wie vor aktiv. Christoph Schober wurde etwa gemeinsam mit Richard Pfingstl und dem Neonazi-Nachwuchs der Roten Armee Graz (RAG) rund um Benni Wolf, einem großteils rechtsextremen Fanclubs des Grazer GAKs, in alpen-donau.info-Shirt beim Schild und Schwert-Festival im April 2018 in Ostritz gesehen (auch wenn Schober selbst eine Jacke über seinem T-Shirt trägt, ist davon auszugehen, dass er ebenso den alpen-donau.info-Aufdruck trug, hatten alle anderen angereisten Kameraden doch dasselbe T-Shirt an). Wäre dies nicht ohnehin Beweis genug, reiste Schober mit Pfingstl und Wolf zum „Ausbruchsmarsch“ während der „Feierlichkeiten“ rund um den Tag der Ehre 2020 nach Budapest, um die 60 Kilometer in paramilitärischer Kleidung zu bestreiten. Auch Christoph Schober ist also ein alter Bekannter, der nach wie vor im rechtsextremen Milieu mitmischt und an internationalen Großevents der Neonazi-Szene und klandestinen Gedenken wie der an den Waffen-SS-Veteranen Bellschan-Mildenburg partizipiert.

Hier besser sichtbar: Wolf neben Pfingstl, davor wieder Schober und Faethe.

Neben Christoph Schober war ein weiterer rechtsextremer Aktivist aus Graz beziehungsweise Graz-Umgebung bei dem Gedenken an Bellschan-Mildenburg anwesend: Peter Dingsleder. Wie die Kolleg*innen von Recherche Graz bereits aufgearbeitet haben, bewegte sich Peter Dingsleder seit ihrer Gründung 2012 in den Strukturen der steirischen Identitären Bewegung. Dingsleder nahm bei so gut wie allen Aktionen der IB in der Steiermark teil und wurde wegen der Besetzung der Grünen Parteizentrale auch im Rahmen der IB-Prozesse angezeigt. Er agierte als Kassier des identitären Verein für nachhaltige Völkerverständigung und Jugendarbeit und nahm innerhalb der IB Steiermark eine zentrale Rolle ein. Entgegen den meisten rechtsextremen Akteur*innen aus der Steiermark war/ist Dingsleder nicht innerhalb der RAG des GAKs organisiert, auch wenn er mit deren Umfeld über den organisierten Neonazismus Kontakt hat, sondern kommt aus dem Umfeld der Leibnitzer SK Sturm Fan-Szene (SWS), wurde aber schon seit längerem nicht mehr im Stadion beziehungsweise in Fußballzusammenhängen gesehen.

Stockner nach dem Gespräch mit Dingsleder, direkt hinter der Gruppe um Küssel.

Neonazismus aus Leipzig: Familie Larisch und Bellschan-Mildenburg

Dass die alpen-donau.info-Kerngruppe aus Wien Kontakte nach Deutschland hat, ist bekannt. Im gegenständlichen Fall beschäftigt uns konkret jene Connection von Gottfried Küssel nach Leipzig, die schon oft zu Zusammenkünften am Ulrichsberg führte: Zentraler Knotenpunkt ist der Leipziger Neonazi Riccardo Sturm, der neben Küssel auch Hans-Jörg Schimanek jr. zu seinen Bekannten zählt. Schimanek jr., der schon seit seiner vorzeitigen Haftentlassung 1999 in Sachsen wohnhaft ist, betreibt eine Baufirma in Leipzig Lindenthal, ist aber seit seinem letzten Auftritt am Ulrichsberg kaum mehr öffentlich zu sehen. Die Genese Sturms sparen wir hier aus, wollen aber auf die zahlreichen Artikel im AIB zur Person Sturms verweisen – wichtig ist für die vorliegende Analyse seine Begleitung am Ulrichsberg 2017: Dort erschien er u. a. mit dem Leipziger NPD-Langtagsabgeordneten Nils Larisch und dessen Ehefrau Conny Larisch.

Larisch ist im Raum Sachsen durchaus als Szenegröße zu begreifen und sein neonazistischer Werdegang lang: politischer Ursprung in der neonazistischen Hooligangruppierung Blue Caps Lok, darüber hinaus Mitbegründer von Lokomotive Leipzig, über die Szene Kontakt zum Blue Caps-Capo Enrico Böhm. Auch Böhm ist in der NPD aktiv, genauer in der Odermannstraße 8, saß für die NPD im Leipziger Stadtrat und betreibt den nazistischen Buchversand Der Schelm. 2014 dann tritt Larisch mit dem Leipziger Neonazi Mirko Beier als Organisator eines Lunikoff Verschwörung-Konzerts in Zobes, Sachsen, auf – er wickelt den Kartenvorverkauf selbstständig ab, während die Rechte das Konzert offiziell ausrichtete. Dass Larisch mit der Band mehr als nur die Organisation dieses Events verbinded, beweist seine Leitung des in Leipzig ansäßigen Hermannsland-Versandes: Offizielle angemeldet hat das Label zwar ex-Spreegeschwader-Mitgründer Alexander Gast, der nun mit Michael Regener bei Lunikoff Verschörung spielt, im Impressum allerdings wird als Betreiber Nils Larisch und die Odermannstraße 8 genannt – Larisch dürfte so eine durchaus zentrale Rolle im Vertriebsnetzwerk von Regener einnehmen.

Dass Larisch seine politische Agitation offenbar auch auf das Unterstützen von bedeutenden Altnazis ausdehnt, zeigt u. a. die Lancierung einer Kampagne für den Kriegsverbrecher und ehemaligen SS-Hauptsturmführer Erich Priebke: Im Rahmen einer Reihe von „Zeitzeugen“-Vorträgen in der Odermannstraße 8 präsentierte Larisch die Kampagne „Freiheit für Erich Priebke“, bewarb u. a. Solidaritäts-Shirts und einen eigens etikettierten Wein, der sich – besonders originell – „Erich Priebke Wein“ nannte. Larischs Kampagne endete unfreiwillig erfolglos, als Priebke 2013 verstarb. In diesen Rahmen passt auch die Beziehung der Familie Larisch zu Bellschan-Mildenburg: Auffälig ist, dass Larisch beim Verlassen der Zeremonienhall weint – als einziger (und Nicht-Familienanghöriger, wie etwa Elke Bellschan-Mildenburg). Schon 2017 hatte Larisch fröhlich zusammen mit Bellschan-Mildenburg und Sturm am Ulrichsberg posiert – offenbar waren die Verbindungen Larischs zu Bellschan ausführlich und gut. Das verdeutlicht auch der Kranz, den die Familie eigens spendete, in den Farben der Reichskriegsfahne und mit letzten Wünschen von „Nils und Conny“.

Nachbetrachtung und Ausblick

Was bleibt vom Begräbnis des einflussreichen „Zeitzeugen“ der Waffen-SS ist zweifelsohne die Bestätigung, wie intergenerationell und transnational vernetzt die rechtsextreme Szene Österreichs ist und dass es weiterhin wenige Bruchlinien zwischen Kameradschaften von Ehemaligen, neonazistischen Aktivist*innen, die sich schon seit den Anfängen der transnationalen Organisation rund um die NSDAP-AO nazistisch betätigen und einer jungen Generation, die sich durch hohe Gewaltaffinität und einen starken direkten ideologischen Bezug auf den NS auszeichnet, gibt. Ganz im Gegenteil werden bei Veranstaltungen wie dem Gedenken an Bellschan-Mildenburg personelle Kontinuitäten und Überschneidungen sichtbar, die den organisierten Rechtsextremismus in Österreich kennzeichnen. Wichtig ist auch die Feststellung, dass solche Szene-Veranstaltungen deutlich werden lassen, dass sich viele der langjährig Aktivist*innen vielleicht oberflächlich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen haben, aber nach wie vor einer neonazistischen Weltanschauung anhängen, sowie weiterhin Kontakte in den organisierten Rechtsextremismus pflegen.