Das Octagon-Netzwerk in Europa – Rechtsextreme Kommerzialisierung des Kampfsports.

Im Mai 2022, vor rund einem Jahr, wurde in der Kalvarienberggasse 35 in Wien, Hernals der erste Octagon-Store und damit die erste österreichische Dependance des mittlerweile europaweit agierenden Franchise-Unternehmens Octagon eröffnet. Bei Octagon handelt es sich zunächst um eine Marke, die sich auf Fightwear im Kampfsportbereich spezialisiert hat. Zusätzlich fällt das Unternehmen aber durch seine Nähe zu diversen gewaltorientierten Hooligan-Milieus Zentral- und Osteuropas und den mit diesen verbundenen Streetfighting- und Bareknuckleszenen auf. Neben konventionellen Kampfsportartikeln der Eigenmarke Octagon wie etwa Thaibox- und MMA-Shorts, Boxhandschuhen, Kickpads und Boxpratzen findet man im Sortiment der Marke auch Streetfighting-Artikel wie Balaclavas mit Hooligan-Symbolen, Baseballschläger und Schlauchschals mit einschlägigen Motiven.

Der gezielte Verkauf von Szene-Artikeln für gewaltorientierte Hooligan-Milieus ist mit Blick hinter die Kulissen der Marke nicht weiter verwunderlich, stammen die führenden Köpfe des Unternehmens doch selbst aus der rechtsextremen Hooligan- und Kampfsportszene Polens. Der erste Octagon-Store wurde 2010 in der polnischen Kreisstadt Zawiercie von dem rechtsoffenen Kampfsportler, Amateurfußballer, Fußballfan und Unternehmer Radosław Szumliński gegründet. Wie wir in dieser Recherche zeigen wollen, hat Szumliński mit seinem Franchise ein transnationales Kampfsport-Geschäftsnetzwerk aufgebaut, das als lukratives und zunehmend erfolgreiches Unternehmensmodell gelten darf, in das zahlreiche rechtsextreme Akteur*innen und Strukturen aus den jeweiligen europäischen Ableger-Staaten rege eingebunden sind.

Den Wiener Octagon-Store führt so etwa Julius Bukaí, ein slowakischer Neonazi und Full Member des Hells Angels Vienna-Charter, dem wir uns als Erstes in dieser Recherche widmen, bevor wir das gesamteuropäische Octagon-Unternehmensnetzwerk beleuchten. Bukaí ist Kampfsportler und trainiert seit vielen Jahren in Wien, unter anderem im „Boxteam Riders Vienna“ und zuletzt im vom Eisern Wien-Exponenten Henry Bannert geleiteten Fox Gym. Erst kürzlich trat Bukaí bei der Octagon-Veranstaltung Way of Warrior-Gala im tschechischen Hodonín im Boxen an – ohne ersichtliches Bemühen, die große tätowierte schwarze Sonne auf seinem linken Oberarm zu kaschieren.

Wie wir in dieser Recherche zeigen wollen, ist das „Geschäftsmodell Octagon“ besonders alarmierend, weil das Franchise kein subkulturelles Nischendasein pflegt, sondern eine zunehmend kommerziell erfolgreiche Marke im Kampfsport-Bereich darstellt. Während Octagon in Tschechien, der Slowakei und Polen schon längere Zeit etabliert ist, tritt auch der österreichische Ableger „Octagon AT“ mittlerweile bei renommierten Kampfsportveranstaltungen wie „Boxen in der Südstadt“ und auch bei zahlreichen kleineren Veranstaltungen als Sponsor auf und finanziert darüber hinaus einige Kampfsportler*innen, die teilweise auch aus extrem rechten Hooligan-Milieus und deren Umfeld stammen.

Octagon AT: Julius Bukaí und die Eröffnung des ersten Octagon-Stores in Österreich.

Das Octagon-Netzwerk ist mit Julius Bukaí in Österreich angekommen. Ein Blick auf Bukaís Biografie verdeutlicht dessen langjährige Einbindung in militante und neonazistische Hooligan-Milieus vor allem in der Slowakei: Der aus Trnava stammende rechtsextreme Kampfsportler sozialisierte sich in seinen Jugendjahren in der organisierten Ultraszene des slowakischen Fußballvereins Spartak Trnava und fühlt sich mit dieser bis heute verbunden. Bis Mitte der 2010er Jahre teilte Bukaí regelmäßig das mediale Outlet der Kurve von Trnava „Bíli Adeli“ sowie Fotos der großen Fangruppierung „Ultras Spartak“ in den sozialen Medien. Fotos von ihm mit anderen Skinheads auf den Straßen Trnavas legen ferner nahe, dass Bukaí vor allem seit seiner Jugend in einer kleineren, jüngeren neonazistischen Skinhead-Subgruppe der Ultras Spartak organisiert war. Ebenso dürfte Bukaí im Umfeld der Ultras Spartak mit dem lokalen Charter der Hells Angels in Kontakt gekommen sein – Fotos, datierend auf die Anfänge der 2010er Jahre, zeigen ihn mit anderen Skinheads in den Supporter-Shirts der Hells Angels.

Neben Bukaís Einbindung in das organisierte Hooligan-Milieu geben seine Social-Media-Kanäle auch einen tiefen Einblick in seine Geisteshaltung: Seiner Timeline lassen sich etwa Bilder und Zitate von Adolf Hitler und Gewaltfantasien gegenüber BPoC sowie Jüdinnen*Juden entnehmen. Auch teilt der slowakische Kampfsportler Songs neonazistischer Rechtsrockbands wie Krátky Proces und befeuert antiziganistische Ressentiments. Als Profilbild hatte Bukaí zeitweise das Bild eines Hooligans mit Balaclava – mutmaßlich Bukaí selbst –, der einen Hitlergruß im Stadion zeigt, eingestellt. Besonders verstörend mutet auch ein geteiltes Video an, dass den Oktober 2013 in Nitra stattgefundenen Angriff neonazistischer Skinheads des Walhala Clubs auf die gegenüber liegende „Mariatchi Bar“ und seine Gäste in Nitra zeigt. Neonazis aus dem Spektrum des Národní Odpor, der L’SNS und der Slovenská Pospolitost prügelten dabei ihre Opfer zu Boden und traten mit Springerstiefeln wild auf die Schädel der Opfer ein. Der zu einem Justizskandal führende Vorfall (siehe summarischer Bericht hier) schien dabei in einer geschlossenen Facebook-Gruppe, in der die führenden Köpfe der genannten rechtsextremen Organisationen Admin-Fuktionen bekleideten, koordiniert worden zu sein: Dabei wies die Facebook-Gruppe als Logo zwei Skinheads, eine slowakische Nationalflagge und das Logo von Combat 18 auf. Die CCTV-Aufnahmen kommentierte Bukaí so affirmativ wie verachtend mit „Die richtigen Typen aufmarschieren lassen“ – so viel zum Weltbild eines zunehmend relevanten Geschäftsmanns im österreichischen Kampfsport mit Verbindungen in die gesamte Szene.

Mitte bis Ende der 2010er-Jahre dürfte Bukaí in weiterer Folge zum Full-Member bei den Hells Angels aufgestiegen sein – er trug nun die Kutte des Nové Zamky-Charters und Fotos zeigen ihn häufig mit den Mitgliedern des Bratislava-Charters. Teile der alten Skinhead-Crew, wie etwa Michal Varga, dürften den Integrationsprozess in die Angels-Strukturen mit Bukaí gemeinsam absolviert haben, einige mehr scheinen sich noch aus ihrer Zeit bei Spartak Trnava zu kennen. Bald darauf dürften auch die ersten Teilnahmen an Kampfsport-Turnieren stattgefunden haben – im Juni 2017 posiert Bukaí noch als Prospect mit weiteren Hells Angels-Members bei einer Kampfsportveranstaltung in der Slowakei im Ring. Wenige Zeit danach, wahrscheinlich um das Jahr 2018, dürfte Bukaí sowohl zum Full Member aufgestiegen und auch nach Wien verzogen sein. Es lässt sich nur darüber spekulieren, ob Bukaí mittels Weisung, oder aus freien Stücken nach Wien übersiedelt ist, doch es ist belegbar, dass er den Wechsel vom Nové Zamky-Charter ins Vienna-Charter der Angels in dieser Zeit vollzogen hat.

In Wien angekommen trainierte Bukaí zuerst im Gym des Boxteam Vienna in der Richard Neutra-Gasse in Wien, Floridsdorf. Das arrivierte Gym richtet neben den Trainings auch Veranstaltungen mit Titelkämpfen aus und Bukaí brachte sich mittels seiner Funktion als Angels-Member in die Bewerbung der Events ein: So postete er etwa Support-Bekundungen für einen Titelkampf von Eva Voraberger, verlinkte sie unmittelbar im Beitrag und fügte dem Posting die obligaten Hashtags der Hells Angels hinzu. Auch sporttechnisch ist Bukaí mit dem Boxteam Vienna verbunden – im Juli 2019 etwa trat er in einem Vorkampf eines Matches von Eva Voraberger  in Znojmo für das Gym an – die schwarze Sonne als explizit neonazistisches Symbol oder das Logo der Hells Angels schienen beim Boxteam Vienna niemanden gestört zu haben.

Zu Bukaí und den Hells Angels kann angenommen werden, dass dieser keine allzu niedrige Stellung in den hierarchischen Strukturen des Wiener Charters einnimmt. Das legt seine Involvierung in den Support 81-Store nahe, der zwar in der Tomschlikgasse 8/4, Wien, Donaustadt gemeldet ist, dessen Produkte aber auch im hiesigen Octagon-Store vertrieben werden. Im Firmenbuch der Support 81 Vienna & Streetwear e.U. scheint Bukaí außerdem als offizieller Betreiber auf. Zum Hintergrund der Stores: in diesen wird Merchandise der Hells Angels vertrieben – wer sich ihnen nahe fühlt, von ihren Geschäften profitiert oder von diesen gesponsert wird, zeigt sich häufig als Ehrenbekundung gegenüber den regulären Charter-Mitgliedern in den Support-Shirts. Eine symbolische Praxis, die innerhalb des Milieus einen hohen Stellenwert genießt.

Im Mai 2022 eröffnete Bukaí schließlich den für diese Recherche zentralen Franchise-Ableger des polnischen Octagon-Stores: zuerst in Wien-Hernals, dann in der Steinbauergasse 34 in Wien-Meidling. In diesem Kontext muss betont werden, dass es sich bei der Adresse um keinen Zufall handelt, denn in der Steinbauergasse befindet sich auch das MC-Lokal The Other Place, das unter der Schirmherrschaft der Wiener Hells Angels steht. Bei dem Lokal The Other Place handelt es sich um einen Hotspot der 1%er- Szene: Bei Veranstaltungen und Feiern kommen regelmäßig die verschiedenen 1%-MCs zusammen und demonstrieren ihre Stärke als Outlaw-Community. In einer vorangegangenen Recherche haben wir bereits auf die Verstrickungen der Wiener Hells Angels mit anderen MCs, lokaler Kampfsportszene, Hooligans der Wiener Clubs und organisierten Neonazis hingewiesen – auch Octagon ist in diesem Milieu beheimatet, rekrutiert in der Szene und stattet das Milieu mit seiner Street- und Fightwear aus. Die Kommerzialisierung des rechtsextremen Kampfsports schreitet auch in Österreich voran.

Neben der Person Julius Bukaí und dessen Geschäften lohnt es sich auch, die Verbindungen des rechtsextremen Kampfsportlers und Octagons in die österreichische MC-/Kampfsport- und Hooligan-Szene etwas konkreter zu beleuchten. Denn diese verdeutlichen die enge Einbindung und Vernetzung des transnationalen Octagon-Franchise in Österreich. Schon kurz nach der Eröffnung des Octagon-Stores kam es zu den ersten Sponsorings und Kooperationen: Jakob Berger, der President des Wiener Red Dogs-Chapter, der mit den Wiener Hells Angels bestens vernetzt ist, machte Bukaí seine Aufwartung und vertreibt nun Streetwear-Artikel des Red Dogs-Labels Radaubruder in dem Octagon-Store. Als Begleitung von Berger kam auch der Neonazi und Rapid-Hooligan Christian Lhotan, der selbst MMA unter anderem bei Dorian Pridal und mit Henry Bannert trainiert hat und mit beiden auch freundschaftlich verbunden zu sein scheint. Man kennt sich und macht Geschäfte miteinander – trotz oder gerade wegen der rechtsextrem bis neonazistischen Gesinnung.

Kurz nach der Gründung von Octagon AT folgte so dann auch ein Sponsoring-Vertrag mit Ahmet „Ronin“ Simsek, einem bestens in das MC-Milieu und vor allem in das Umfeld der Wiener Hells Angels vernetzten Kampfsportler. Auch zu ihm haben wir bereits in einer Recherche berichtet – der beim Bundesheer angestellte Simsek leitet aktuell das Training im „Garage Combat Gym“ in Wien-Landstraße, in dem unter anderem auch der IB-Kader Laurenz Grossmann Kickboxen trainiert. Außerdem hält Simsek Trainings in der Wiener Neustädter MMA-Academy von Christian Draxler ab, in dem mehrfach Neonazi-Hooligans von Unsterblich Wien, sowie der IB-Faschist Julian Hofer gesichtet wurden. Sowohl Grossmann als auch Hofer standen erst in jüngster Vergangenheit mit Unterstützung von Simsek und Draxler bei der „WKF Fight-Gala“ in Eichgraben, Niederösterreich im Ring – ein Umstand, der auch medial für Aufsehen sorgte.

Dass die Expansion Octagons allerdings auch in weit weniger politisch auffälligen Milieus zügig voranschreitet, verdeutlichen Sponsoring-Verträge mit Events und Veranstaltungen: Als Beispiel kann an dieser Stelle das Boxmanagement und Promoting-Unternehmen Simbasports Management angeführt werden, das jährlich mit anderen Partnern das renommierte „Boxen in der Südstadt“ ausrichtet, bei dem dieses Jahr am 24. März 2023 um den IBO Continental Light Heavyweight-Titel sowie um die österreichische Meisterschaft im Weltergewicht geboxt wurde. Octagon AT war hierbei nicht nur Werbepartner, sondern auch offizieller und einziger Ausrüstungspartner. Die normierten Boxhandschuhe wurden von Octagon gesponsert und Bukaí posierte im Vorfeld mit den Kämpfenden und dem Organisationsteam des Events – ein in die organisierte Kriminalität vernetzter Neonazi mit Gewaltfantasien Hand in Hand mit dem Who’s who des österreichischen Kampfsports.

 

Um das Ausmaß der Etablierung von Kampfsportveranstaltungen dieser Art zu verdeutlichen, muss erwähnt werden, dass das Boxen in der Südstadt mittels Live-Berichterstattung von ORFSport+ sowohl online als auch per TV-Format ausgestrahlt wurde. Ein Sponsoring-Vertrag von Octagon bei einem Event dieser Größenordnung kann somit als kommerzieller Meilenstein des transnational agierenden Franchise-Unternehmens rechtsextremer Prägung angesehen werden. Es ist als außerordentlich problematisch zu beurteilen, dass ein Neonazi mit unmittelbaren Verbindungen in die organisierte Kriminalität einen so prestigeträchtigen Auftrag lukrieren konnte und von der österreichischen Kampfsport-Szene die Möglichkeit erhält, symbolisches Kapital dieser Größenordnung zu akkumulieren. Dass keinerlei Background-Check seitens des Organisationsteams durchgeführt wurde bzw. man trotz des Wissens über die Hintergründe des Unternehmens umfassende Sponsoring-Verträge mit diesem eingeht, kann als maximales Versagen bewertet werden und bestätigt die allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber rechtsextremen Strukturen im österreichischen Kampfsport.

Sponsoring auch durch STB (1. Reihe Sponsoring, 4. v. l.).

Zugleich ist Octagon nicht das einzige politisch auffällig Unternehmen, dass bei dem Event vertreten war: Auch STB-Bau, das Bauunternehmen des Sportgemeinschaft Noricum (SGN)-Fullmembers Robert Burger schien als Sponsor auf den Plakaten von Simbasports auf. Burgers Unternehmen gilt als finanzielle Basisstruktur der SGN: Die Vermietung des Noricum-Clubhauses in der Klosterneuburger Straße in Wien-Brigittenau läuft über Burgers Firma und auch das Fox Gym, diverse Charity-Veranstaltungen aus dem MC- und Ultra-Bereich, sowie Henry Bannert selbst werden durch das Unternehmen unterstützt. Burger hat ausgezeichnete Kontakte ins MC-Milieu – vor allem zum Wiener Hells Angels Charter und dessen Umfeld. Auch hier fehlt jede kritische Beurteilung der Person und auch hier hofiert man einen Rechtsextremen, der Teil eines rechtsextremen Kampfsportbundes ist und dessen Mitglieder eine lange Vergangenheit in die militante Neonazi-Szene Wiens aufweisen.

2. Reihe 2. v. l. Octagon, letzte Reihe 1. v. r. STB-Bau.

Neben Großevents wie dem Boxen in der Südstadt ist Octagon zusätzlich in kleinere Veranstaltungen des Kampfsport-Milieus als Sponsor involviert, wie etwa in das von Henry Bannert und Fadi Merza im Juni 2023 organisierte Branchenboxen in den Wiener Sofiensälen. Wenig verwunderlich trat auch STB-Bau neben Ottakringer und Kattus als einer der Hauptsponsoren bei dem Event auf. Das Catering wurde von „Lugeck Alm“ und „von franz“ gestellt – keines dieser großen Unternehmen hatte offenbar ein Problem damit, bei einem durch einen Rechtsextremisten organisierten Event an der Seite von einem als rechtsextrem zu bewertenden Sponsoren aufzutreten. Nicht nur innerhalb der Kampfsport-Szene und den bei den Veranstaltungen tätigen Firmen, sondern auch vonseiten renommierter Medienhäuser herrscht weitgehende Ahnungslosigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber der rechtsextremen Einflussnahme und Unterwanderung des österreichischen Kampfsports. So wurde auch die Kronen Zeitung, das auflagenstärksten Boulevardblatt Österreichs, offensiv auf der Fight Card des Events beworben und Krone Plus stellte ihren Abonnenten einen Live-Stream der Veranstaltung zur Verfügung.

Octagon PL – der Beginn: Das polnische Franchise.

Nach der Rekonstruktion der zentralen Personen rund um den Ableger von Octagon in Österreich und deren Netzwerke sollte evident sein, dass es sich bei dem Franchise-Unternehmen um ein rechtsextremes Phänomen handelt, das im kommerziellen Kampfsport Fuß gefasst hat. In Österreich wiederholt sich aber bloß die bereits in anderen Ländern Europas eingeübte Strategie der Unterwanderung und Vereinnahmung des Kampfsport-Bereichs durch die Marke Octagon. Bevor Octagon sich in Österreich etablierte, florierte nämlich bereits das Geschäft des Franchise-Unternehmens in Polen, der Slowakei und Tschechien und auch hier sind Personen und Organisationen aus dem militanten Neonazismus tonangebend. Nach der Ersteröffnung in Polen – wo mittlerweile 23 Stores existieren und eine eigene Produktionsstätte im monetären Gegenwert von rund 2.23 Millionen Euro eingerichtet wird – expandierte man rasch in die Slowakei und Tschechien.

Das Sortiment der Läden im Osten unterscheidet sich durchaus von den Produkten, die im österreichischen Shop erhältlich sind: So findet man politisch explizitere Druck-Motive auf Sport- und Streetwear, wie etwa in den slowakischen Shops Shirts in Nationalfarben mit dem Kolowrat als Aufdruck, oder auch eindeutig an das regionale Hooligan-Milieu angelehnte Symbole lokal- und regionalpatriotischer Prägung. Besonders stark vertreten sind die Subbrands des polnischen Franchise, die mutmaßlich durch den Octagon-Gründer parallel vertrieben werden und exklusiv in den Octagon-Stores erhältlich sind. Es handelt sich dabei um die Marken Ofensywa Polska und Public Enemy – vor allem Ofensywa fällt durch aggressiv-nationalistisches und rechtskatholisches Branding auf. Von Bedeutung ist ferner die alte Vertriebsstruktur und ehemalige Eigenmarke odziez-uliczna.pl: Diese hatte noch vor der Gründung von Octagon Hooligan- und Kampfsport-Artikel über einen Webstore vertrieben. Nun wird auch odziez-uliczna.pl via die regulären Octagon-Salesstrukturen verkauft, laut öffentlicher Beschreibung auf Instagram fungiert odziez-uliczna allerdings weiterhin als legalistische Distributionsplattform von Octagon, Ofensywa und Public Enemy. Auch im Bekleidungssortiment von odziez-uliczna fanden sich wiederum – wenig überraschend – insbesondere in der Sektion „Patriotyczna“ stark nationalistische und auch hier rechtsktaholische Motive.

Ofensywa und Public Enemy scheinen dabei ursprünglich von dem Octagon-Urheber Radosław „Radman“ Szumliński im Verbund mit mindestens drei weiteren Personen gegründet worden zu sein, die nun auch für Octagon PL sowohl als öffentliche Brand-Ambassadors tätig, aber vermutlich auch in das operative Geschäft eingebunden sind. Namentlich handelt es sich hierbei vorrangig um Sebastian KonsekSzymon Nowowiejski und Maciej Korzym – während ersterer aus der polnischen Hooligan-Szene stammen dürfte und regelmäßig Kampfsport zu betreiben scheint, können die anderen zwei Akteure etwas genauer in den für Octagon einschlägigen Milieus zugeordnet werden. Nowowiejski ist Member des Bad Company MC Poland, der in Gdansk und Olsztyn Chapter unterhält, sowie über zwei Prospect-Chapter in Płock und Wrocław und ein Nomads-Chapter im Süden Polens verfügt. Der MC tritt offen radikal-nationalistisch auf und nahm sowohl am rechtsextremen Marsch zum polnischen Unabhängigkeitstag, als auch am Gedenken an die polnischen Inhaftierten des NS-Regimes und die „Armia Krajowa“ („Heimatarmee“) teil. Bei der Gedenkprozession am 23. Juni 2019 marschierte der MC straff formiert in Kutten martialisch in das KZ Auschwitz ein, um den polnischen und nur den polnischen Opfern zu gedenken.

Der BCMC in voller Montur am Eingangstor des KZ Auschwitz.

Wie selektiv das von nationalem Chauvinismus geprägte Gedenken des MCs ist, kann an einem Beispiel illustriert werden: Kaum ein Jahr nach der Gedenkveranstaltung wurde der medial bekannte polnische Rechtsextremist und ehemalige Kampfsportler Marcin „Różal“ Różalski in den MC aufgenommen. Bekannt ist Różalski vor allem wegen seiner menschenverachtenden Aussagen, insbesondere gegenüber geflüchteten Menschen und LGBTIAQ*-Personen. Regelmäßig posiert Różalski im neonazistichen Thor Steinar-Look, nimmt an Schießtrainings teil und verkehrt mit anderen rechtsextremen Kampfsportlern wie etwa dem Boxer Artur Szpilka, der mittlerweile international erfolgreicher Profiboxer ist, jedoch früher in der Hooligan-Szene von Wisła Kraków aktiv war und auch in den lokalen Drogenhandel involviert gewesen sein soll. Wie der Rechtsextremismusforscher Przemysław Witkowski in einem Aufsatz zur polnischen Rechten und dem Kampfsport festgestellt hat, ist Różalski weiters eng mit dem aktiven Neonazi, Kampfsportler und Bodybuilder Patrycjusz „Patrex“ Wróblewski vernetzt. Wróblewskis Kontakte gehen dabei weit in die militante Neonazi-Szene Polens und Russlands hinein: Er gilt als Teil der sehr aktiven polnischen B&H-/C18-Sektion.

Der BCMC scheint jedes Jahr am extrem rechten Unabhängigkeitsmarsch in voller Personenstärke teilzunehmen.

Maciej Korzym hingegen entstammt der organisierten Ultraszene des Warschauer Klubs Korona Kielce, genauer dem Fanklub „Zjednoczona Korona“. Korzym trainiert außerdem regelmäßig im „Fight House Nowy Sacz“ und tritt bei K1-Kämpfen an. Obgleich er zwar nationalistische Tattoos zur Schau trägt und auch sein Fanklub patriotisch-nationalistische Tendenzen aufweist, kann unseres Erachtens auf kein geschlossen rechtsextremes Weltbild aus dem vorhanden Material geschlossen werden. Dennoch komplettiert er das Milieu, in dem sich Octagon und seine Submarken bewegen: rechte Hooligan- und Ultra-Szenen, rechte MCs, organisierter Rechtsextremismus und Neonazismus, sowie Kampfsport-Milieus jeder Art. In diesem Zusammenhang sticht eine Verbindung besonders ins Auge: Octagon Polen ist über den Bad Company MC eng mit dem internationalen Neonazi-Netzwerk von Blood & Honor vernetzt. Wie zusätzlich festgestellt werden kann, beschränken sich Octagons Kontakte zu B&H nicht auf Polen. Auch in der Slowakei und in Tschechien findet Austausch zwischen Octagon und militanten Neonazi-Kreisen statt und auch die Sponsorings der Marke reichen unmittelbar in das internationale B&H-Netzwerk.

Im Falle des polnischen Franchise spielt der bereits erwähnte Bad Company MC, in dem Octagon-Akteur Nowowiejski Full Member ist, eine zentrale Rolle. Denn der MC ist bestens mit Rechtsrock-Größen und Mitgliedern der polnischen B&H-Sektion vernetzt und regelmäßig kommt es zu Zusammenkünften und Teilnahmen des MCs an internationalen Neonazi-Vernetzungstreffen. Dass der Konnex des MC zu B&H Poland keinesfalls verwunderlich ist, zeigt ein Blick in die Geschichte der Sektion: Hooliganismus, Rotlicht-Business und Draht zur organisierten Kriminalität durchziehen die Geschäftsfelder der polnischen B&H-Gruppierung. Zwar scheint die Organisation von Rechtsrock-Konzerten und Produktion von RAC-Tonträgern immer noch zentraler ökonomischer Angelpunkt der Neonazis zu sein, dennoch sind die anderen Geschäftsbeziehungen und zunehmend auch das Geschäft mit dem Kampfsport keinesfalls als nebensächlich zu erachten.

Zum Hintergrund: Laut dem Rechtsextremismusforscher Przemysław Witkowski existierten in Polen historisch zwei Strukturen, die dem internationalen Blood & Honour- bzw. C18-Netzwerk zuzurechnen sind. Die erste Struktur formierte sich in den späten 2000er-Jahren rund um Andrzej „Szubert“ P. und war für eine Website verantwortlich, die Feindeslisten von politischen Gegner*innen inklusive deren persönliche Daten veröffentlichte. Auf die Veröffentlichung der Daten folgten Drohungen, Übergriffe und ein Mord an einem polnischen Anarchisten. Als Reaktion griffen die polnischen Behörden ein, sperrten die Website und verurteilten 2010 P. und zwei weitere Personen zu einer Haftstrafe. Nach diesem Einschnitt in die Neonazi-Strukturen gründete sich die bis dato aktive und in dieser Recherche relevante B&H/C18-Fraktion in Polen, deren Akteure gänzlich aus dem Kraft- und Kampfsport-Umfeld stammen und gute Verbindungen in die organisierte Kriminalität und rechte Hooligan-Szenen unterhalten.

Laut Witkowskis Recherchen zählen zu dem neuen vornehmlich im südpolnischen Raum aktiven Netzwerk wesentlich Grzegorz „Jastrząb“ Jastrzębski (Sänger der Neonazi-Band Legion Twierdzy Wrocław), Marek Bialy (Zuhälter und Rotlichtlokalbetreiber in Wrocław), Piotr „Dziki“ Gierczak (zentrale Führungsfigur der Division), Grzegorz „Śledziu” Horodko (u. a. Hooligan bei Lechia Gdansk), Krzystof „Słowik“ Słowínski (neben Gierczak eine international ebenso gut vernetzte Führungsfigur) und Robert „Kadi“ Orsolinsz (Leadsänger der Rechtsrockband Obled). Mehreren Berichten durch Witkowski sowie den Fachjournalisten Jacek Harłukowicz zufolge, ist die polnische Division von B&H/C18 gut strukturiert und organisiert: Das Netzwerk konnte bereits zahlreiche internationale Konzerte in Polen ausrichten und verfügt über ein etabliertes internationales Netzwerk in andere Neonazi-Strukturen.

Jastrzębski als Leadsänger von LTW.

2017 besuchten der prominente Akteur der internationalen Neonazi-Szene Marko Gottschalk und dessen Band Oidoxie auf deren Initiative Polen und sollten neben LTW, Obled, Terrorsphära und anderen für das einschlägige Publikum spielen. Für die Beurteilung des Grads an Vernetzung sind zusätzlich auch die B&H/C18-internen Kontakte zu dem deutschen C18-Exponenten Michael Hein aus Frankfurt a. d. Oder zu erwähnen, der die Gruppe immer wieder in Polen besuchte. Am Back to the Roots-Festival in Mücka März 2019 traf die polnische LTW-Crew zudem Thorsten Heise und Michael Hein, wo – wie EXIF berichtete – parallel zum Back to the Roots-Konzert ein konspiratives C18-Treffen samt Oidoxie-Konzert stattfand.

Neben der Vernetzung nach Deutschland pflegen die B&H-Mitglieder zudem Kontakte nach Frankreich, Russland und Finnland. So nahm Gierczak mit anderen Neonazis am 20. März 2017 an dem von den Hammerskins Lorraine organisierten Hammerfest teil. Auch zwischen B&H Polen und der russischen militant-neonazistischen Gruppe PPDM („Po programme Dedushki Moroza“ oder auch „Father Frost Program“), die von den Neonazi-Kampfsportlern Maxim Savelyev und Konstantin „Truvor“ Brjuchanow gegründet wurde, findet reger Austausch statt. Mehrmals besuchten die beiden B&H-Mitglieder Wróblewski und Jastrzębski​​​​​​​ ihre Kameraden in Russland und auch Brjuchanow war mehrmals nach Polen gekommen, um sich mit der Neonazi-Szene zu vernetzen.

Im Jahr 2019 unterbanden die Behörden die Bemühungen grenzüberschreitender Vernetzung, wiesen Brjuchanow aus Polen aus und belegten ihn mit einem Einreiseverbot weil von einer Gefährdung der nationalen Sicherheit ausgegangen wurde. Der zentrale Verbindungsmann zur finnischen Neonazi-Szene ist der MMA-Kämpfer Niko Puhakka, der mehrmals nach Polen reiste um sich mit Mitgliedern der polnischen B&H-Sektion zu vernetzen, Seminare abzuhalten und an Kämpfen teilzunehmen – man sieht an Beispielen wie diesen, dass ähnlich dem Phänomen Rechtsrock auch Kampfsport nicht nur als subkulturelles Betätigungsfeld genutzt wird, sondern zugleich auch als Möglichkeit der transnationalen Vernetzung wahrgenommen wird. Bei Niko Puhakka dürfte es sich um einen besonders gut in die neonazistische Kampfsport- und Hooliganszene vernetzen Akteur handeln – das belegen etwa seine Kontakte zum Pro Patria Fightclub in Athen, für den er bereits Seminare abhielt. Was aber hat die B&H-Sektion Polen nun genau mit Octagon zu tun?

Der Punkt ist: Die militanten Neonazis von B&H Polen pflegen nicht nur rege Kontakte in den international vernetzten Neonazi-Milieu, sondern verfügen auch über enge Verbindungen in die polnische MC-Landschaft und insbesondere zum Bad Company MC und damit auch zu den Hintermännern von Octagon Polen: Vor allem Robert Orsolinsz, der Leadsänger der Neonazi-Band Obled und der langjährige Lechia Gdánsk-Hooligan Grzegorz Horodko sind mit den Full Members des MCs gut vernetzt und teilen sich die selben Betätigungsfelder: Sowohl die polnischen B&H-Exponenten wie auch die Member des Bad Company MC sind aktiv in die Förderung von polnischen MMA-Kämpfern involviert. So treten etwa die B&H-Akteure und Obled-Mitglieder Orsolinsz und Wojciech Emer als Unterstützer des MMA-Fighters Robert Parzęczewski auf, der im Übrigen auch mit dem B&H-Führungskader Gierczak verkehrt. Dasselbe Geschäftsfeld bespielt auch der Bad Company MC, der nicht nur über eigene Trainingsräumlichkeiten für Members wie Nowowiejski verfügt, der an Bareknuckle-Events wie Wotore oder Gromda teilnahm, sondern auch öffentlich Kämpfer wie den Hooligan und Bareknuckle-Fighter Daniel „Hunter“ Więcławski fördert. Das Event Wotore wird im übrigen wenig überraschend von Octagon offiziell gesponsert und das Fightwear der Marke wird häufig von Fightern und Ringrichtern getragen – Octagon, Bad Company MC und Kampfsport in Polen lassen sich kaum voneinander trennen und B&H Polen mischt auch kräftig mit.

Mit Blick auf die polnische Kampfsportlandschaft kann festgestellt werden, dass Octagon Polen kein subkulturelles Nischenphänomen, sondern ein etabliertes und einflussreiches Unternehmen ist. Octagon organisiert eigene Kampfsportevents wie die No Mercy Gala, sponsert zahlreiche Kampfsport-Zentren, viele polnische Kampfsportler*innen tragen die Fightwear der Marke Octagon und in den sozialen Medien trendet der Hashtag #octagonfightwear. Jede größere Stadt Polens verfügt über einen Octagon-Store, die mittlerweile über ein breites Sortiment bis hin zu eigenen Nahrungsergänzungsmittel verfügen – der österreichische Ableger verkauft im übrigen Mineralwasser mit Octagon-Branding. Trotz der Kommerzialisierung des Unternehmens inszeniert sich dieses nach wie vor in subkultureller Hooligan-Ästhetik und unterstützt und fördert aktiv rechtsextreme sowie neonazistische Akteur*innen und Strukturen aus dem Milieu. Vielleicht ist der Erfolg des Unternehmens auch gerade dadurch zu erklären, dass es sich als aus der gewaltaffinen Subkultur von Schlägern und „Outlaws“ kommend inszeniert und dieses vermeintlich authentische Alleinstellungsmerkmal geschickt kulturindustriell vermarktet.

Förderung von rechten polnischen Hooligan- und Neonazigruppierungen.

So unterstützt und sponsert Octagon Polen etwa die rechtsextreme Hooligan-Gruppierung Bielskie Zagłębie des Vereins Zagłębie Sosnowiec: Das vereinseigene Gym Sportowe Zagłębie wird mit Fightwear von Octagon, Sporttaschen, Shirts, die im Fanshop von Zagłębie verkauft werden, bishin zu Getränke-Kühlschränken ausgestattet und beim hauseigenen Octagon-MMA-Event No Mercy verpflichtete man Mitglieder von Zagłębie, wie unlängst etwa Adrian Dudek, der Ende Mai 2023 bei dem Event antrat. Bei Bielskie Zagłębie handelt es sich um eine Fangruppe, die mit Bannern im Stil von Blood & Honour mit den Aufschriften „Hier war immer reines Land und das wird es auch auf Ewigkeit bleiben“ und „Weiße Menschen, die wir kennen, werden immer gegen den Kommunismus kämpfen“ posieren. Neben der Referenzierung von Blood & Honour verfügt der Fanclub außerdem über Kontakte in das militante NS-Milieu: Fotos zeigen zwei Mitglieder von Bielskie Zagłębie in T-Shirts von B&H mit den B&H-Neonazis Horodko und Orsolinsz sowie weiteren Personen im Rahmen einer nicht näher bekannten Festivität.

Der Fanclub Zagłębie ist allerdings nur ein Beispiel für die Verstrickungen von Octagon Polen in das rechtsextreme Hooligan-Milieu Polens. Auch im vom polnischen Neonazi Radosław „Wolf“ Brzuszczyński geführten Fight Club Fanga, das als internes Gym der autonomen Nationalisten von Autonom.PL und Nacjonalista.PL fungiert, wird von Octagon gesponsert. Brzuszczyński sowie viele andere aus dem Fanga-Gym stammen aus dem Hooligan-Umfeld der „Żyleta“ („Rasierklinge“), der berüchtigten Nordkurve von Legia Warszawa – dass man sich der Kurve zugehörig fühlt, verdeutlichen die Klubfarben an den Wänden des Gyms sowie das aufgemalte Emblem von Legia. Dass die Kurve selbst als „berüchtigt“ gilt, darf mittlerweile vor allem einer extrem rechten, großen Gruppierung zugeschrieben werden: der neonazistischen Fangruppe Teddy Boys ’95, die im Übrigen auch mit den extrem rechten Fans von Zagłębie befreundet ist. Die Teddy Boys zeigen Hitlergrüße und Keltenkreuze, schmücken ihre Kurve mit antikommunistischen Anti-Antifa-Bannern, zeigten öffentliche Bekenntnisse zum islamistischen Jihad gegen Israel, fallen regelmäßig mit rassistischen Gesängen auf und gelten als extrem gewalttätig.

Der Octagon-Kooperationspartner und Leiter des Fanga-Gyms Brzuszczyński selbst macht aus seiner Weltanschauung ebenso keinen Hehl – Kolowrat, Perun, Nationalflagge, nazistische Slogans und Bekleidung der neonazistischen Kampfsportmarke White Rex prägen seinen Social-Media-Auftritt und in den Räumen des Gyms fand 2017 ein Kampfsport-Workshop unter dem einschlägigen Titel „Polska dla Polek“ („Polen den Polen“) statt. Um das General-Sponsoring zu beschließen, bemühte sich der Octagon-Chef Szumliński sogar persönlich in das Gym: Gemeinsam mit Brzuszczyński, der sein Octagon-Shirt zur Schau trug und seit dem Sponsoring auf fast allen Fotos im Octagon-Branding zu sehen ist, posierte man und stellte die neue Partnerschaft entschlossen zur Schau. Und um das Agreement noch zu toppen, kündigte Octagon Anfang September 2023 an, die Nordkurve der Legia mit Sportswear und Kampfsportequipment auszustatten: So finanziert Octagon nicht nur ein Gym, dass einschlägig dem organisierten Neonazismus zuzurechnen ist und aus dem gewalttätigen Hooligan-Milieu Polens stammt, sondern auch noch die erlebnisorientierte Hooliganfraktion im Hintergrund.

Wie sehr man dabei dem – ohnehin als schwer gewalttätig geltenden – polnischen Hooliganismus verpflichtet ist, verdeutlicht auch das Sponsoring des polnischen Ablegers der Team Fighting Championship: Das 2014 erstmals in Riga ausgerichtete Event brachte  internationale Hooligan-Gruppierungen in einem KO-Turnier zusammen, wo jeweils fünf gegen fünf Fighter in einer Lagerhalle auf einer rudimentär abgegrenzten Matte in einem Less-Rules-Fight antraten (nicht erlaubt waren lediglich Beißen und Augenstechen, sowie Tritte/Schläge in die Genitalregion). Als Preisgeld wurden 5.000€ ausgezahlt – organisiert wurde das Ganze von einem Hongkonger Businessmann, der neben der TFC mutmaßlich noch weitere private Fightingleagues betrieb. Um 2020 dürfte sich dann das polnische Pendant Hooligans Team Fights Challenge gegründet haben. Hauptunterschied bestand lediglich darin, dass bei der polnischen TFC lediglich polnische Hooligans antraten – das Setting war das gleiche. Dem vorherrschenden polnischen Hooliganbild entsprechend wurde auch bei der polnischen TFC der Armija Krajowa gehuldigt, rechtskatholische Symbolik und mittelalterliche Bezüge eingesetzt. Noch 2020 dürfte dann auch Octagon seine Unterstützung zugesagt haben – schon im Juni hatte man Shirts im Verkauf und die Bewerbung der polnischen TFC lief an. Das erste Event, das noch 2020 hätte stattfinden sollen, musste allerdings auf 2021 verschoben werden – die Gründe dafür verbleiben im Dunkeln. Wie auch bei der internationalen TFC ist die Website des polnischen Pendants momentan down, der Social Media-Auftritt allerdings noch belebt, was durchaus darauf hindeutet, dass die polnische TFC ihre tatsächlichen Fight-Events abseits der Öffentlichkeit durchführt.

Dass Octagon die polnische TFC unterstützt verdeutlicht hierbei nur die strategisch-politische Linie, die das Unternehmen Octagon fährt – die gezielte Förderung von Strukturen und Akteur*innen, die sich an der Schnittstelle von Fußballfanszenen, Kampfsport und extremer Rechter bewegen lässt sich dabei als Muster begreifen, das sich bei den anderen Octagon-Franchise-Unternehmen außerhalb Polens wiederholt.

Octagon SK – der Vormarsch von Octagon: Das Franchise in der Slowakei am rechten Rand.

Neben Polen haben sich in den letzten Jahren Tschechien und die Slowakei zu zentralen Geschäftsfeldern des Octagon-Franchise entwickelt. So lassen sich Octagon-Stores bereits in Ostrava (CZ), Bratislava (SK) und Žilina (SK) finden. Hinter den Ablegern stehen Martin Majovsky in der Slowakei und Daniel Švarc in Tschechien.

In der Slowakei führt das Octagon-Netzwerk direkt in die Strukturen des lokalen Club 28. Dabei handelt es sich um ein v. a. in Osteuropa verbreitetes Neubranding von Blood & Honour- und Combat 18-Netzwerken, deren  Aktivitäten allerdings auf das moderne Kampf- und Kraftsportbusiness erweitert wurden. Die Neonazis des Club 28 trainieren in von Octagon gesponserten Gyms, treten regelmäßig bei von Octagon organisierten oder unterstützten Kampfsportveranstaltungen an und repräsentieren die Marke Octagon, durch die Zurschaustellung des Franchise auf Social Media. In der Gesamtheit kann daher festgestellt werden: Octagon, Kampfsport, Rechtsextremismus und Hooliganismus sind auch in der Slowakei kaum voneinander zu trennen.

Der extrem rechte Konnex von Octagon nach Žilina.

Die Verbindungen von Octagon-Slowakei in den militanten Rechtsextremismus führen zunächst in das Wolf Pride Gym in Žilina, im Norden der Slowakei nahe der polnischen und tschechischen Grenze. Obwohl das Kampfsportzentrum formal unabhängig agiert, wird es von Octagon-SK ausgestattet und bei der Bewerbung von Kampfsportevents sowie der Förderung von Kämpfer*innen unterstützt. Die Trainings im Wolf Pride Gym werden von dem bereits erwähnten Bareknuckle- und MMA-Fighter Tomáš „Bolo“ Meliš angeleitet. Bei seinen Kämpfen und in den sozialen Medien trägt der Kampfsportler meist Octagon in nationalistischer und hooliganistischer Ästhetik, oder einschlägigere rechtsextremen Szene-Marken wie Beloyar – Pagan Company, eine russische Marke, die für ihr „Svarozhich“-Kreuz bekannt ist, in dessen Mitte ein Hakenkreuz platziert ist.

Zusätzlich inszeniert sich Meliš nicht nur öffentlich als rechtsoffener Kampfsportler, sondern verfügt über gute Kontakte in das militante Neonazi-Milieu der Slowakei. So zeigen ihn etwa Fotos Arm in Arm mit Kubko Kondelcik im Wolf Pride Gym – einem in Žilina wohnhaften Neonazi, der dem Spektrum des slowakischen Club 28 und der lokalen B&H-Sektion zugerechnet werden kann und auf seinem Oberarm sowohl ein Kolowrat als auch ein großes Hakenkreuz tätowiert hat. Kondelciks Gesinnung kann auch seinen Social-Media-Postings entnommen werden, etwa wenn er ein Bild der Einfahrtstore des KZ Auschwitz mit der darüber platzierten Überschrift „Refugees Welcome“ postet. Barbora Almášiová, die Partnerin von Kondelcik, wiederum besitzt ein Tattoo-Studio namens White Tattoo in Rimavská Sobota, einem weiteren für den Club 28 in der Slowakei relevanten geographischen Knotenpunkt und posiert selbst vorzugsweise in einschlägigen Runen-Shirts. Die wechselseitig amikalen Kommentare, Likes und Interaktionen belegen, dass die Kontakte zwischen Meliš und Kondelcik keinesfalls zufällig sind und der Gym-Betreiber sich im Netzwerk des slowakischen Club 28 bewegt.

Tomáš Meliš verfügt aber nicht nur über Kontakte in das slowakische Neonazi-Milieu, sondern ist auch international in den militanten Neonazismus vernetzt. Wie es scheint, hat Meliš vor Kurzem mit Hilfe von Octagon eigene Shirts mit dem klingenden Namen „Meliš Army“ kreiert. Während dieser Umstand lediglich erneut die Verbindungen des rechtsextremen Kampfsportlers zu dem Octagon-Franchise verdeutlicht, wollen wir an dieser Stelle auf ein Detail am Rande hinweisen: Der Athener Kampfsportler und Neonazi Konstantinos Kandiliotis posierte kurze Zeit später in dem Octagon-Shirt von Meliš in den sozialen Medien und bedankte sich bei diesem für die private Zusendung. Warum ist das relevant? Kandiliotis ist jener Neonazi, der als einer der Zahlungsabwickler der diesjährigen European Fight Night, einem der größten transnationalen Kampfsportevents des organisierten Neonazismus Europas, auftrat. Die Bestellung der Karten über die mutmaßlich von Tomasz Szkatulsky betreute Mail-Adresse der EFN lief wenig klandestin über das Paypal-Konto von Kandiliotis. Ob Konstantinos Kandiliotis in das in Athen operierende Kamfsportnetzwerk Pro Patria Fight Club eingebunden bzw. Teil der diesen umgebenden B&H/C18-Strukturen der neonazistischen Chrysi Avgi ist, bleibt unklar – es wäre in jedem Fall nicht verwunderlich.

Neben Kondelcik und Kandiliotis wollen wir abschließend noch auf eine letzte Bekanntschaft von Meliš hinweisen: Im Ring des Králi Ulice II posierte er mit Zdeněk „Gauny“ Pernica, einem tschechischen neonazistischen Hooligan, der früher als Kader der Cheeky Boys galt, der Jugendorganisation der gewaltorientierten und rechten Johny Kentus Gang (JKG) des FC Zbrojovka Brno. Pernica war außerdem Gründungsmitglied der Slušny lidé (in etwa „Anständige Menschen“), die unter anderem an klerikalfaschistischen Aufmärschen und Angriffen wie etwa auf eine Theateraufführung 2018 in Brno teilnahm. Gegründet hatte Pernica die Gruppe mit Martin Korc, dem ehemaligen Gründer der Bohemian Hammer Skinheads, dem damaligen (schon länger aufgelösten) tschechischen Chapter der Hammerskin Nation (vgl. hier den Text der antifa.cz). Pernica trat u. a. schon in der BKFC 46 an, ist überdies seit längerem Trainingspartner von Petr „Bery“ Beránek, einem bekannten Neonazi-Hooligan und Gewalttäter der JKG, der auch Teil des White Rex Czech Fight Team ist – dazu später noch mehr.

Die Ultras von Slovan Pressburg.

Auch wenn Tomáš „Bolo“ Meliš für die Verbindungen Octagons in das militante Neonazi-Milieu der Slowakei relevant ist, beschränken sich diese nicht auf ihn. Im Jahr 2020 verkündete Octagon, man würde nun für die Hooligan-Abteilung der neonazistischen Ultras von Slovan Pressburg maßgeschneidertes Fightwear produzieren – unter anderem Trainingshosen, Sportoberteile und Mützen. Dazu muss man wissen: Die Hooligans von Slovan Pressburg sind international für ihre Gewalttätigkeit und ihre Einbindung in rechtsextreme Fußballmilieus bekannt. Unter ihren Mitgliedern finden sich mehrfach international bekannte Neonazis, die auch politisch aktiv sind. Dies trifft etwa auf den Kampfsportler, WRC-Mitglied und KOTS-Kämpfer Michal „Panzer“ Petriš sowie auf Milan „Punky“ Panač zu. Auch Panač ist Teil des WRC, trug auf seinem Bauch bis vor Kurzem den Treueschwur der SS als Tätowierung und nahm mehrfach an einschlägigen Kampfsport-Events wie dem 2014 veranstalteten Tana delle Trigri in Rom teil, das alljährlich in den Räumlichkeiten von CasaPound Italia ausgerichtet wird. Panač trat außerdem auch bei Events wie dem Králi Ulice II, oder bei KOTS an – zu zweiteren war er gemeinsam mit Michael Petriš und Simon Jusko angereist, die regelmäßig zusammen trainieren und wohl auch freundschaftlich verbunden sind.

Panač mit Zahradník – beide dürften gut miteinander befreudet seien.

Panač ist für diese Recherche zusätzlich relevant, weil er über gute Kontakte zum slowakischen Club 28 pflegt – vor allem zu dem Neonazi, Kampfsportler und Hooligan Michal Zahradník, der Teil der Gemer Division – Ultras Rimavská Sobota des „MŠK Rimavská Sobota“ ist. Die Intensität der Verbindungen kann zum Einen dadurch belegt werden, dass Zahradník Panač als „Brother in arms“ bezeichnet und zwischen der Gemer Division und den Ultras Slovan eine enge Fanfreundschaft besteht. Regelmäßig besuchen sich die Fangruppierungen bei Spielen, oft hängen die „Fetzen“ der beiden Gruppen in den Stadien unmittelbar nebeneinander. Das ist also das Milieu, mit dem das Octagon Slowakei-Franchise freundschaftlich und geschäftlich verbunden ist.

Die Gemer Division – Ultras Rimavská Sobota und der Club 28.

Zahradník selbst stammt aus Rimavská Sobota und trainiert im dort ansässigen Combat Club RS diverse Kampfsportarten. Seine Relevanz für die europäische Neonazi-Szene verdeutlichen etwa seine Teilnahme an der European Fight Night in Ungarn, Csókakö in diesem Jahr. Angetreten war Zahradník für das Panzer Tattoo Crew-Team, das von Michal Petriš geleitet wird. Zahradník dürfte außerdem mit Petriš und Zdenko Laudar, einem rechtsextremen Bauunternehmer, der ebenso in Rimavská Sobota wohnt, nach Budapest zur EFN angereist sein. Vor Ort in Csokakö posierte Zahradník u. a. mit Dávid Németh, einem Kampfsportler und Aktivisten der Légió Hungaria und Michaël Biolley (der sich mittlerweile „Mischa Biolet“ nennt), der bis 2012 den Schweizer Hammerskins angehörte, dann nach Tschechien, České Budějovice, verzog und – wie EXIF Recherche berichtete – beim SK Boxing z. s. České Budějovice trainiert. Er scheint ferner Teil der Ackermatch-Gruppe von „Dynamo České Budějovice“ zu sein, nahm am neonazistischen Box-Turnier Virtus et Honor II in Brno teil, das von der Neonazigruppe Nacionalisté ausgerichtet worden war, die u. a. am neonazistischen Lukovmarsch Februar 2023 in Sofia teilnahm – bei Virtus et Honor II waren im Übrigen auch die österreichischen Neonazis von alpen-donau.info, wie etwa der Grazer Neonazi Richard Pfingstl, vertreten.

Zahradníks Trainingsgruppe. Vorne v. l. n. r.: Unbekannt, Michaela Oštromová, Johny Koreny, Lukáš Koóš, Rišo Lengyel, Stefan Molnar. Hinten: Zahradník, Patrik, Roman Kucej, Ondrej Tomko, Dominik Kucej, Marek Majlo Beňo.

Neben Zahradník  als Person ist auch dessen soziales Umfeld in Rimavská Sobota, der Gemer Division und im Combat Club RS auffällig: Es handelt sich um einen größeren befreundeten Kreis an Männern, die Kampfsport betreiben, gemeinsam ins Stadion und zum Ice-Hockey gehen, aus ihrer rechtsextremen Gesinnung keinen Hehl machen und sehr gerne Fightwear von Octagon tragen. Die offizielle Facebook-Seite Gemer Rascals bewirbt Kämpfe von Zahradník, u. a. beim Králi Ulice II Ende Juni 2023, wo er gegen Pavol Tajboš in den „Ring“ stieg, der selbst auch eine Kolowrat auf der Brust tättowiert hat. Begleitet wird Zahradník des Öfteren von den befreundeten Kampfsportlern Miloš Siminsky (der ihn etwa in den Ring des Králi Ulice II brachte) und Janicko Tabacek: Siminsky trainiert u. a. im Wolf Pride Gym in Žilina bei Tomáš Meliš – der Kreis schließt sich hier also: Auch hier zeigt sich, dass Octagon Teil eines rechtsextrem bis neonazistischen Netzwerkes von gewaltorientierten Kampfsportlern und Hooligans ist.

Zur Veranschaulichung der Dichte extrem rechter Akteure in der Gemer Division seien noch weitere Beispiele angeführt: Da wäre noch der Gemer-Hooligan Ondrej Tomko, der ebenso Teil des genannten Freundeskreises ist, der sich gerne zur European Brotherhood bekennt, T-Shirts der Neonazi-Marke Ansgar Aryan trägt und über gute Kontakte in das Netzwerk des Club 28 verfügt. Weiters sind auch Roman und Dominik Kucej in die Trainingsgruppe von Zahradník involviert – auch sie gehören der Gemer Division an. Online posieren die zwei mit der rechtsextremen Parole „White Lives Matter“ und „Defend Europa“ sowie mit einschlägig bekannten neonazistischen Szenecodes und -symbolen wie „88“, Keltenkreuzen und der schwarzen Sonne. Ferner scheinen sie sich in der extrem rechten L’SNS politisch zu betätigen. Hierbei handelt es sich nur um einige Beispiele, die das Milieu illustrieren sollen, in dem sich das slowakische Octagon-Franchise bewegt.

Im folgenden Absatz wollen wir in gebotener Kürze auf das slowakische Netzwerk des Club 28 eingehen. Da dieses als unmittelbares, militantes Nachfolgenetzwerk von B&H/C18-Slovakia gilt, erscheint dies für den vorliegenden Text insofern relevant, als Akteure, die mit Octagon verbunden sind, entweder Teil des Club 28 oder aber – wie im Falle von Tomaš Meliš – unmittelbar mit Akteuren des Clubs freundschaftlich verbunden sind.

Der Club 28 als Nachfolger der alten B&H-/C18-Division Slovakia.

Blickt man auf die Geschichte der B&H-/C18-Organisierung in der Slowakei, fällt v. a. auf, dass es eine gewisse Diskontinuität zu geben scheint: Etwa von 1994 bis mindestens Anfang der 2010er-Jahre scheint es mehrere Sektionen von B&H/C18-Slovakia gegeben zu haben. Slowakische Behörden konzedierten etwa 2004, dass sie mehrere Sektionen des Neonazi-Netzwerks in der Slowakei beobachten würden: die B&H Division Slovakia (Bratislava), B&H Division Tatras Slovakia (Prešov), B&H Division Engerau Slovakia (Bratislava-Petržalka), B&H Division Cassovia (Košice) sowie eine lokale, slowakische Combat 18-Division. Die einzelnen Sektionen wie auch der lokale C18-Ableger dürften nun aber schon länger nicht mehr bestehen – ein letzter Hinweis auf eine Assoziierung von neonazistische Netzwerken mit dem C18-Organisationsmodell findet sich bei dem weiter oben erwähnten Vorfall 2013 in Nitra – doch auch hier wurden die beteiligten Neonazis schlussendlich zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Nun scheinen seit 2020 erneut slowakische Neonazis – vornehmlich aus der Süd- und Westslowakei – unter einem abgewandelten B&H-Label aufzutreten, mit dem auch eine veränderte Priorisierung von politischen Betätigungsfeldern einhergegangen ist: Denn für die aktuell als B&H-Sektion auftretenden slowakischen Akteure steht nicht die Organisation von RAC im Vordergrund, sondern Kampfsport – sowohl in ideologisch aufgeladener Selbstausübung, in Verbindung mit organisierten Fußball-Fanszenen, zum Zwecke transnationaler neonazistischer Vernetzung wie auch aus ökonomischen Gründen. Eine Entwicklung, die auch durch die Förderpolitik von internationalen Sponsoren wie Octagon verstärkt wird, da Kampfsport sowohl für Ausrichter*innen wie auch für Fighter*innen immer rentabler wird und auch abseits des rechten Lagers großen Widerhall erfährt. Dennoch weist die Club 28-Slovakia-Struktur Merkmale älterer typologischer B&H-Organisierung auf: Es handelt sich großteils um einen Freundeskreis, der wohl teils zellenartig agiert und nach außen hin gegen Einblick und staatliche Überwachung abgeschirmt ist; man rekrutiert über Ultra- und Hooliganszenen und bezieht in den Kurven durchaus aktiv Position (v. a. von Relevanz Rimavská Sobota, Trnava und Nitra); alle betreiben in den gleichen Räumen und Gyms Kampfsport (RS Combat, Wolf Pride, Kickbox Fight Club Sparta); alle Mitglieder weisen ein geschlossen neonazistisches Weltbild auf, das auch politischen Aktivismus inkludiert. Konzediert werden muss allerdings, dass es bei dem momentanen Wissensstand nicht zur Gänz geklärt werden kann, ob und inwiefern der Club 28-Slovakia eine völlig konzise Gruppierung darstellt oder doch lose Enden aufweist, die sich um einen aktiven Gruppenkern (Kondelcik, Zahradník) positionieren.

Wir wollen an dieser Stelle in Kürze einige Personen, die dem momentanen Club 28 zuzurechnen sind aufführen, um die oben angestellte Darstelleung zu konkretisieren: So etwa dürfte Tomáš Brozman zum Club 28 zählen, der mit „Defend Europe“-Branding, Thorhammer, Triskelen und Runen posiert und ebenso Gemer-Hooligan ist. Fotos zeigen ihn gemeinsam mit Zaradník und weiteren Personen, die regelmäßig in den gleichen Konstellationen mit einschlägigem Ausdruck zu sehen sind: der deutsch-slowakische Neonazi Norbert Kirchhoff, den Gemer-Hooligans Ondrej Tomko und Rišo Lengyel, der wiederum ebenso zur Trainingsgruppe von Zahradník zählt, sowie Johny Koreny, der einen Hitlergruß zeigt und ebenso mit Zahradník trainiert. An anderer Stelle posiert Tomko mit Zahradník, Miššulko Sojka und Dominik Farkaš bei einem Ausflug nach Budapest unter dem extrem rechten Hooligan-Motto „Budapest Defend Europe“.

Farkaš scheint ein integrales Mitglied des Club 28 zu sein – so zeigt ihn ein Foto mit Kondelcik und einem Mitglied der B&H-/C18-Sektion Bulgaria bei einer szeneinternen Festivität (siehe oben). Auch Števko „Pampúx“ Gabera sowie eine Person, die auf den Rufnamen „Embrio“ hört, zählen zum Umkreis von Zahradník, Kondelcik und Meliš: Bei Gabera handelt es sich um einen Spartak Trnava-Hooligan, der Landser- und Thor Steinar-Shirts trägt, Content von Marian Kotleba teilt, und mehrfach Rechtsrockkonzerten beigewohnt hat; so etwa erst letztes Jahr am 22. August 2022 in Zbehy nördlich von Nitra bei einem Solokonzert von Ondrej Ďurica, dem Leadsänger der bekannten slowakischen Rechtsrockband Biely Odpor.

Bei der unbekannten Person mit Rufnamen „Embrio“ hingegen handelt es sich um einen MMA-Kämpfer, der u. a. mit Kondelcik zusammen im Kickbox Fight Club Sparta in Nitra trainiert und auch mit Tomáš Meliš freundschaftlich verbunden sein dürfte. Auch den Kickbox Fight Club Sparta scheint Octagon zumindest partiell zu sponsern, worauf Octagon-Tafeln im Gym sowie Bewerbung von reinen Octagon-Veranstaltungen (Way of Warrior Fight Night in Hodonín) schließen lassen. Neben eindeutigen Symboliken, die er zur Schau stellt, betätigt sich der Neonazi auch rege am Verkauf und Erwerb von nationalsozialistischen Devotionalien. So etwa versucht er den wüst antisemitischen Text „Der Giftpilz“ des nationalsozialistischen Autors Ernst Hiemer zu erstehen, bietet für 22€ ein „Arbeitsbuch“ der DAF an wie auch weitere NS-Plaketten.

Kontakt des slowakischen Club 28 zu Betyársereg.

Von Interesse ist noch eine weitere Person des slowakischen Club 28: Zusammen mit Zahradník und Kondelcik posiert auch mindestens einmal ein Neonazi namens Erik (Nachname ist der Redaktion an an dieser Stelle unbekannt, sie Foto oben) im Club 28-Shirt, der ursprünglich aus Ungarn stammen dürfte. Er scheint der Hooligan-Szene von „Ferencváros Budapest“ zu entstammen, ist selbst Kraftsportler und arbeitet als Security für die ominöse Security-Firma Gladiator Security, die von Janko Nemcok geleitet wird. Da diese in der Slowakei ihren Standort hat, ist davon auszugehen, dass Erik aus Ungarn verzogen ist und nunmehr voll und ganz in der Slowakei politisch wie auch arbeitstechnisch seinen Lebensmittelpunkt hat. Von Bedeutung ist allerdings seine politische Laufbahn – denn in Budapest war Erik bei der neonazistischen Betyársereg aktiv. Diese ist wie ein MC organisiert, vergibt an Full Member Kutten mit Patches und ist straff hierarchisch organisiert – Betyársereg gilt als militanter (siehe u. a. Bericht hier) Sammelpunkt für ehemalige Angehörige der Sicherheitskräfte, Polizei und Militär, die ein geschlossen rechtsextremes Weltbild vertreten.

Auffällig ist in Eriks Vita eine zeitliche Korrelation: Zur selben Zeit, als Erik bei Betyársereg aktiv war, dürfte er bereits Kontakte zum slowakischen Club 28 gepflegt haben, was nahelegt, dass die militante ungarische Organisation durchaus Kontakte zum slowakischen B&H/C18-Ableger haben. Die Verbindung von Betyársereg mit B&H-/C18-Slovakia ist offenkundig in höchstem Maße bedrohlich, verbindet sich doch militante neonazistische Akteure transnational, die darüber hinaus u. a. mit Octagon noch über gut ausgebauten finanziellen Rückhalt verfügen. Doch Eriks Kontakte hören hier noch nicht auf: Schon früher scheint M. Mitglied des ungarischen Filleck Knights MC gewesen zu sein, zumindest bis 2022 zeigte er sich noch in der Kutte des MCs. Die scheinbar im Norden Ungarns, nahe der slowakischen Grenze beheimateten Filleck Knights, die auf Ausfahrten des Öfteren auch ins slowakische Nachbarland zu kommen scheinen, dürften auch für Kontakt zum Hells Angels-Prospect-Charter Zvolen gesorgt haben. Aufrufe zur entsprechenden Support-Runs für die Hells Angels-Slovakia teilte M. mehrfach in den sozialen Medien, v. a. jene des Zvolener Prospect-Charters. Im Übrigen jenes Charter, zu dem auch der österreichische Octagon-Leiter Bukaí beste Kontakte hat – zusammen mit Zvolener Prospects und Angels des Bratislava-Charters war Bukaí Februar 2022 auf Urlaub nach Ibiza gefahren.

Was verdeutlicht der Exkurs zum militanten Club 28-Netzwerk? Dass Octagon an beinahe jeder Ecke des Netzwerkes in Erscheinung tritt, entweder durch Förderung der entsprechenden Gyms, durch Sponsoring von Einzelpersonen, die dem Netzwerk nahestehen oder aber der materiellen Unterstützung solcher Gruppierungen, die aktiv neonazistische Kader hervorbringen. Besonders die akute Nähe zu B&H-/C18-nahen politischen Akteuren muss hervorgehoben werden – denn diese Nähe setzt sich auch im Falle des tschechischen Franchise fort.

Octagon CZ: zwischen White Rex und Breitensport.

Wie auch in der Slowakei, ist Octagon in Tschechien mittlerweile stark in das dortige Kampfsportmilieu involviert – und erneut wird neben breit aufgestelltem Sponsoring die extreme tschechische Rechte aus dem organisierten Hooligan-, aber auch einschlägig politischem Neonazi-Milieu mit Sportswear ausgestattet. Auch für den tschechischen Raum rekonstruieren wir daher das Netzwerk von Octagon, um den Grad der Verstrickung der Marke in gewaltorientierte, rechtsextreme Kreise zu belegen.

In Tschechien werden drei Gyms in größerem Umfang von Octagon gefördert: der Fight Club Ostrava, das Draculino Ostrava, sowie das Hodonín Vagabund Gym. Zusätzlich werden von Octagon auch Veranstaltungen organisiert und unterstützt – hier ist vor allem die Way of Warrior Fight Night (WoW) hervorzuheben, die im Hodonín Vagabund Gym stattfindet und exklusiv von Octagon organisiert wird, oder auch das panslawistische Event Noc Slovanských Bojovníků (NSB) in Jablonec nad Nisou, das von Octagon unterstützt wird. Bei der WoW handelt es sich nicht um eine dezidiert rechtsextreme Veranstaltung: Sowohl Hooligans slowakischer und tschechischer Vereine, rechtsextreme Kampfsportler*innen aus unterschiedlichen Ländern, als auch nicht weiter politisch auffällige Kämpfer*innen treten bei den Events an. Bei dem Event finden auch Meisterschaften verschiedener Disziplinen statt, ein Umstand, der die Schlüsselfunktion von Octagon zwischen organisiertem Rechtsextremismus und Mainstream unterstreicht.

Anders ist das bei dem Event NSB (übersetzt bedeutet das in etwa „Nacht der slawischen Krieger“), das bereits im Logo ein schwarzes Kolowrat bewirbt. Die offiziellen Dressen der Veranstaltung stammen von Octagon und weisen ebenso das schwarze Kolowrat vor dem Hintergrund der tschechischen Nationalfarben auf. Bei dem Event treten außerdem dezidiert rechtsextreme Unternehmen als Sponsoren auf, so etwa der Might is Right-Store, der von tschechischen Neonazis betrieben wird und Szene-Marken wie Greifvogel, Svastone, Beloyar, White Rex oder Pride France vertreibt – mehr dazu in der Recherche der antifa.cz.

Neben MMA-Kämpfen werden auch Mittelalter-LARP Schwertkämpfe bei der NSB abgehalten, man posiert mit Falknern und gezähmten Greifvögeln, mittelalterlichen Kriegsäxten und beinahe überall sind die slawischen Nationalfarben und panslawistische Sprüche anzutreffen. Die Kämpfer*innen ziehen in Hooligan-Ästhetik in den Ring: muskulöse mit Hooligan-Balaclavas der Marke Octagon vermummte Männer treten mit Pyrotechnik auf und inszenieren sich martialisch – die Kämpfe werden zudem auf einschlägigen Portalen wie „Hooligans.cz“ beworben. Es ist eine rohe Männlichkeit, die sich für den Erhalt der eigenen Rasse und Nation einsetzt, die hier zelebriert wird. Die Schwert- und Axtkämpfe verdeutlichen die Mentalität des Milieus, das sich in der Tradition des ritterlichen Zweikampfes sieht und bis zum bitteren Ende dazu bereit ist, für die Gemeinschaft zu kämpfen und gegebenenfalls zu sterben.

Es ist kein Zufall, dass Octagon CZ rechtsextreme Events wie die NSB unterstützt. Vor kurzem kündigte das Franchise einen neuen Logo-Entwurf für die Slavia Hooligans, also die Hooligan-Sektion des SK Slavia Praha an. Auch das zugehörige Slavia Gym Praha wird mit eigens kreiertem Fightwear beliefert. Blickt man in die Geschichte der Fanszene des SK Slavia Praha, so muss festgestellt werden, dass diese in den letzten Jahren deutlich gegen die neonazistischen Umtriebe in der Kurve vorgegangen sind und neonazistische Mitglieder der Tribuna Sever, der Sešívaná-Jugend und der Ultras Slavia zwar noch in der Kurve anwesend sind, aber nicht mehr so offen für ihre Sache agitieren können.

Gleichwohl war die Kurve von Slavia Praha jahrelang wegen ihres militanten Rassismus und ihrer hohen Gewaltbereitschaft bekannt – die Fanszene trat so häufig organisiert bei rechtsextremen Aufmärschen auf, verübte Angriffe auf linke Kulturzentren und war in Form einzelner Mitglieder auch in schwere physische Angriffe wie etwa am 23. Juli 2021 auf Rom*nja in Sokolov beteiligt. Zu den Mitgliedern der Slavia-Hooligans zählen Aktivist*innen der Autonomen Nationalisten Praha oder des rechtsextremen Medienportals Pro-Vlast wie etwa Tadeáš Svoboda oder Jan Králik. Auch der führende Exponent des neonazistischen Kampfsportverbundes White Rex Czech Fight Team Lukáš Rod entstammt der Kurve von Slavia und trainierte in dem Gym der Fanszene.

Das White Rex Czech Fight Team (WRC) ist für die anliegende Recherche von weiterer Relevanz, denn: Octagon sponsert den Neonazi und MMA-Kämpfer Vít Mrákota, einen der zentralen Akteure der Neonazi-Gruppe. Auf dem Sponsoring-Shirt von Mrákota finden sich so unter dem angedeuteten Kopf und Flügel des Skrewdriver-Emblems nicht nur die rechtsextremen tschechischen Labels Black Arrows und HateCore, Sebastian Raacks Greifvogel Wear und Denis Kapustins White Rex, sondern auch das Octagon-Logo. Um keinen Zweifel an der Gesinnung des WRC-Kämpfers zu lassen: dieser ersetzt das „o“ in seinem Namen gerne mit einem Keltenkreuz und schmückt seinen Namen in den sozialen Medien mit „28“ – den Insignien von Blood & Honour.

Wie tschechische Antifaschist*innen, aber auch Runter von der Matte berichteten, ist Mrákota langjähriger Kader des WRC. Neben Rod und Mrákota zählen auch die Neonazis Petr „Bery“ Beránek, Pavel Koleček, Marek Henzl, Matús Juráček (ebenso aus der Hooligan-Szene von Slavia stammend, zeitweise wegen Gewalttaten mit Stadionverbot belegt), Tomáš Dubský, Martin Tuček, der Sparta Praha-Hooligan Jiří „Jihik“ Smola und Tomáš Kužela zum Kern von WRC. Die Neonazis des WRC sind auch international gut vernetzt. So berichteten tschechische Antifaschist*innen etwa, dass eine Abordnung des WRC 2014 am bereits erwähnten neofaschistischen Kampfsportevent Tana delle Tigri, das von CasaPound Italia ausgerichtet wird, teilgenommen haben. Im gleichen Jahr nahm die Delegation auch am neonazistischen Event Spirit of Warrior in Lyon teil, das von Pride France und White Rex, also von Szkatulski und Kapustin ausgerichtet wurde. Auch am 2018 in Ostritz stattfindenden Kampf der Nibelungen und 2019 bei dem Pro Patria Fest in Athen nahm das Team des WRC teil.

Dass Octagon auch in Tschechien neonazistische und rechtsextreme Akteur*innen gezielt fördert und dadurch ein militantes und potenziell gefährliches Umfeld mitfinanziert und kostenlos ausrüstet, vervollständigt das Bild von Octagon im Dreiländereck. Nicht nur die gute Vernetzung von Octagon mit rechten Hooligan- und Ackerkampf-Szenen wird dadurch deutlich, sondern auch der Konnex zu neonazistischen Gruppierungen wie etwa lokalen B&H/C18-Strukturen oder aber mit solchen assoziierten bzw. dezidierten Support-Gruppierungen. Denn auch für Tschechien kann festgestellt werden, dass das WRC im Umfeld von B&H-nahen Strukturen zu verorten beziehungsweise mit solchen aus den Nachbarländern eng verbunden ist.

Octagon UK: die polnische Diaspora und der Nationalismus.

Seit etwa 2020 hat sich das Octagon-Franchise auch in Großbritannien niedergelassen und verfügt über zwei Stores in Crewe und Sheffield. Offizieller Betreiber ist die Extreme Adventure Group LLG, deren Geschäftsführer Marcin Pawel Borowski ist. Zentraler Anknüpfungspunkt für das Octagon-Netzwerk scheint dabei die zahlenmäßig große polnische Diaspora in Großbritannien und in diesem Zusammenhang auch polnische Migrant*innen aus dem Ultra- und Hooliganmilieu zu sein. Hierfür sinnbildlich dürfen die beiden primär in der Öffentlichkeit als „Brand Ambassador“ stehenden Hauptakteure des UK-Franchise Marcin Jerzak (Brand Ambassador des Franchise in Crewe) und Lukasz Parobiec (Brand Ambassador des Franchise in Sheffield) gelten: Jerzak etwa entstammt der Ultraszene von Lech Poznań, ist aber mittlerweile in die Fan-Strukturen von Manchester United integriert.

In den Stores von Octagon UK wird neben den polnischen Submarken auch das ausschließlich in Großbritannien erhältliche Branding „Patrioci UK“ vertrieben, das durch sein nationalistisches bis rechtsextremes Branding auffällt. Neben typischer Hooligan-Bekleidung finden sich zahlreiche Motive mit dem Nationalwappen oder den Nationalfarben Polens, aber auch dezidiert rechtsextreme Codes wie etwa ein Poloshirt, welches das mit einer roten Linie durchgestrichene Icon einer knienden Person zeigt – eine Referenz auf den Bürgerrechtler und San Francisco 49ers-Quarterback Colin Kaepernick, dessen Geste zum Symbol antirassistischer sozialer Kämpfe in den USA wurde und dessen Bestrebungen Octagon UK offensichtlich ablehnt.

Weiters finden sich in dem Sortiment des Octagon Subbrandings auch Produkte mit dem Wappen der ehemaligen rechtsextremen und antisemitischen Widerstandsorganisation „Organizacja Wojskowa Związek Jaszczurczy“ – jene militärische Fraktion des bis heute in unterschiedlichen Formierungen existierenden Obóz Narodowo-Radykalny, das unter anderem auch den jährlich stattfindenden rechtsextremen Unabhängigkeitsmarsch in Polen mitorganisiert, bei dem dann wiederum zahlreiche Ultra- und Hooligan-Gruppierungen in einem eigenen Block mitlaufen und relativ geschlossen auftreten.

Das aktuelle Sponsoring von Octagon UK umfasst ein breites Spektrum an Personen aus verschiedene Kampfsportarten, Bareknucklefighting, Armwrestling, Powerlifting und dem Kraftsport. Auch die beiden Octagon UK-Brand Ambassadors betätigen sich selbst als Kraft- und Kampfsportler und organisieren ganze Events unter dem Deckmantel von Octagon: So organisierten Jerzak und Parobiec am 25. Juni 2023 in Sheffield etwa das Street Fighters UK-Tournament, das als Octagon-Event gelabelt wurde. Dabei wurde das Event bilingual (Polnisch – Englisch) beworben, wobei beinahe ein größerer Teil der externen Kommunikation auf Polnisch gehalten wurde – offenbar wollte man vorzugsweise in der eigenen Diaspora mobilisieren, wohingegen man im Rahmen von Octagon durchaus auch britische Kampfsportler*innen fördert.

Auffällig ist ferner, dass sich der mutmaßliche Octagon Sheffield-Akteur Parobiec in jenen Hooligan-Kreisen bewegt, die regelmäßig bei brutalen Bareknuckle- und No-Rule-Fightclubs antreten: So ist Parobiec unter dem Kampfnamen „Goat“ regelmäßig bei dem polnischen Bareknuckle Event Gromda zu Gast, bei dem auch KOTS-Kämpfer wie der New Gen Brondby-Hooligan Simon Henriksson oder Wotore-Kämpfer wie der Octagon Polen-Akteur Simon Nowowiejski angetreten sind. Bei Wotore handelt es sich um ein MMA-Event mit erweitertem Regelset, das etwa Bareknuckle MMA-Fights zulässt, oder auch Tritte gegen einen am Boden liegenden Kopf. Schon die Bewerbung von Wotore verdeutlicht die bizarre Fetischisierung nackter Gewalt: In den martialischen Pre-Fight-Bewerbungsvideos reiben die Kämpfer in einem unterbelichteten Raum ihre um die Fäuste gewickelten Seilbandagen martialisch in Glasscherben. Bei Veranstaltungen dieser Art geht es um die enthemmte Affirmation der Gewalt und den Kampf bis zum absoluten Ende. Der Gegner muss nicht übertrumpft, sondern gebrochen und zerstört werden.

Doch auch abseits der hauseigenen Kämpfer, die sich auf einschlägigen Kampfsportveranstaltungen des Hooligan-Milieus bewegen, ist das britische Octagon-Franchise in reguläre Kampfsport-Events involviert. Octagon UK tritt etwa bei der Almighty Fighting Championship in Barnsley als Sponsor auf. In der Gesamtheit ist der britische Ableger Octagons aber zumindest aktuell deutlich weniger in den kommerziellen Kampfsport integriert als es die Ableger in den anderen Ländern sind. Auch die engen Kontakte in den organisierten Rechtsextremismus lassen sich im Falle von Octagon UK nicht in der Intensität feststellen, wie es etwa in Polen, Tschechien und der Slowakei der Fall ist. Ob sich der Einfluss auf den Kampfsportbereich und die Kontakte in einschlägige Milieus mit dem Verlauf der Zeit intensivieren werden, bleibt offen. Die Problematik der zunehmenden Popularisierung einer ritualisierten Gewaltkultur in Kombination mit der Vermarktung eines nationalistischen und rechtsextremen Lifestyles verdeutlichen aber, dass auch Octagon UK Teil des äußerst problematischen transnationalen Franchise-Unternehmens ist.

Octagon international. Die neuen Franchises Octagon.ro, Octagon.bg und Octagon.ir und: Octagon – das größte Fightwear-Franchise in Europa?

Wir haben bisher die zentralen Ableger des Octagon-Franchise dargestellt und auf deren Verbindungen in den organisierten Rechtsextremismus sowie auf die Problematik der Kommerzialisierung einer ritualisierten Gewaltkultur nationalistischer und rechtsextremer Prägung durch das Unternehmen hingewiesen. Dadurch, dass Octagon in den jeweiligen Ländern zu einem relevanten Player der Kampfsportlandschaft geworden ist, prägt es die Kampfsportszene und die in dieser vorherrschenden Kultur mit und kann keinesfalls mehr als Nischenphänomen betrachtet werden. Die engen Kontakte in die unterschiedlichen Milieus der Szene, die Möglichkeit gezielter Unterstützung von Kampfsportgyms und einzelnen Kämpfer*innen sowie die erfolgreiche Marketingstrategie des Unternehmens haben dazu geführt, dass Octagon erfolgreiche eine Brückenfunktion zwischen gewaltorientierten, rechtsextremen Hooligan-Strukturen und der Welt des kommerzialisierten Kampfsportes eingenommen hat. Durch diese Funktion trägt Octagon wesentlich zu einer rechtsextremen Diskursverschiebung innerhalb der Kultur des Kampfsportes bei und hilft rechtsextremen Akteur*innen und Organisationen innerhalb der internationalen Sportcommunity Fuß zu fassen und sich finanziell abzusichern.

Und: Octagon expandiert. In den letzten Jahren hat sich das Unternehmensnetzwerk in Rumänien, Bulgarien, Irland und wie bereits dargestellt auch in Österreich niedergelassen. Es wird sich zeigen, ob sich das Muster Octagons auch in Rumänien und Irland wiederholen wird – es wäre in jedem Fall nicht verwunderlich. In der Bilanz ist Octagon mit 2023 in sieben europäischen Staaten vertreten, wobei vor allem das Unternehmen in den Viségrad-Staaten über Prestige und Einfluss verfügt. Ein Blick auf die Vertriebsstrukturen von Octagon zeichnet ein deutliches Bild: wie eine polnische Lokalzeitung berichtete, handelt es sich bei Octagon um einen der größten Fightwear-Retailer, der in Europa seine Produkte produziert. Der stattfindende Aufbau einer neuen Produktionsstätte im Wert von etwa 10 Mio. Złoty verdeutlicht die Produktionskapazitäten des Unternehmens.

Ausblick: Der Siegeszug des hooliganistischen Kampfsportes, die militante Rechte und die Gesellschaft des Spektakels.

Octagon hat seinen Erfolg nicht nur dem gekonnten Management der jeweiligen Ländergruppen zu verdanken, sondern muss als Produkt einer sich zunehmend wandelnden Kampfsportszene verstanden werden, die entgegen konventioneller Sportbereiche auf brutale Formen der ritualisierten und martialischen Gewaltanwendung setzt. In den letzten Jahren lässt sich der Siegeszug neuer „hooliganistischer“ Kampfsportformate beobachten, die zur blinden Affirmation schonungsloser Gewaltanwendung einladen und eine archaische Kultur des Kampfes um Sieg oder Vernichtung transportieren. Es ist nicht verwunderlich, dass aufgrund der weltanschaulichen Anknüpfungspunkte und der Amplifizierung des Kampfes als existenzielle Kategorie, Kampfsportformate dieser Art ein attraktives Betätigungsfeld für rechtsextreme Akteur*innen sind.

Personell rekrutiert sich diese zunehmend auch kommerziell erfolgreiche Szene großteils aus – häufig rechtsextremen – „Hooligan-Firms“, deren Kämpfer*innen ihre Gruppe im Ring repräsentieren und auch abseits der Kampfsportevents sich der Gewalt gegen den „Feind“ verschrieben haben. Neben den involvierten Personen simuliert auch das Regelwerk dieser Events den für die teilnehmenden Kämpfer*innen bereits bekannten Kampf auf der Straße: Bareknuckleformate, „No Rules Fights“, „Less Rules-Fights“ oder Auseinandersetzungen zwischen Hooligan-Fraktionen im Ring nehmen nicht nur schwere Verletzungen der Teilnehmenden in Kauf, sondern glorifizieren eine bellizistische Lebensphilosophie, die archaische Männlichkeitsformen, brachiale Gewaltanwendung, sippenhafte Gruppenmentalitäten und den Kampf bis zur Vernichtung des Gegenübers kultiviert.

Events wie Králi Ulice, Wotore, Gromda, Valhalla Fighting oder KOTS eint zudem, dass diese von professionellen Video- und Kamerateams aufgezeichnet werden und die Endprodukte sowie deren mediale Bewerbung durchaus mit kommerziell etablierten Formaten in ihrer Qualität mithalten können. Bei den Veranstaltungen werden Moderator*innen eingesetzt, professionelle Models fungieren häufig als „Ringgirls“, die Videos werden gegen eine Gebühr für die eingeschweißte Community live zur Verfügung gestellt und zu einem späteren Zeitpunkt auf dem jeweiligen YouTube-Kanal veröffentlicht und erhalten dort Aufrufe im Millionenbereich. Kommerziell besonders erfolgreiche Formate wie KOTS verfügen mittlerweile sogar über ein eigenes Wettportal im DeepWeb-Bereich. Man wird kaum eine für Kampfsport interessierte Person in Europa finden, die nicht zumindest eines der Videos des erfolgreichen Gewaltformats gesehen hat und reichweitenstarke Kampfsport-Influencer tragen durch breitenwirksame „Reaction-Videos“ zu dem Hype des Phänomens bei. Aktuell können wir die Kommerzialisierung einer ehemals im Untergrund gelebten Kultur beobachten, die mit zunehmenden kulturindustriellen Erfolg auch an Einfluss auf ihre oft sehr jungen Rezipient*innen gewinnt.

Während die UFC und andere professionelle MMA-Tournaments, die im UFC Fight Pass enthalten und somit global konsumierbar sind, die Grenzen der Brutalität sukzessive verschoben und statt des sportlichen Olympia-Gedanken des Miteinander-Messens zunehmend eine performativ inszenierte Kultur des Gegeneinanders etabliert haben, überbieten die in dieser Recherche thematisierten Formate diese im Ringen um einen Platz am Markt und tragen zur weiteren Verschiebung dessen, was möglich ist bei. Die aus der Funktionslogik der Warenwelt folgende „Gesellschaft des Spektakels“ verlangt auch mit Blick auf das Geschäft mit dem Kampfsport nach ständiger Überbietung, in der die ursprünglich sozial geächteten „Underdogs“ zum Projektionsobjekt einer sich zunehmend bewusstlos erlebenden und nach scheinbar authentischen Reizen sehenden Gesellschaft werden. Wer Zusehende will, muss etwas Neues bieten, muss Innovation schaffen und das ist im Falle des Kampfsportes ohne Zweifel die Erhöhung des Gehalts an offener, brutal ausgelebter und authentisch wirkender Gewalt.

Die kulturindustriell im Hooligan-Kampfsport vermittelte Lebenshaltung bietet außerdem eine auf den ersten Blick rebellierende, zugleich aber an die spätkapitalistische Mentalität anknüpfungsfähige Kultur, die im Sinne einer „konformistischen Rebellion“ nicht die Überwindung, sondern die Verewigung und Übersteigerung derselben zeitigt. In dem Spektakel der Gewalt wird der sozialdarwinistische Wesenskern neoliberaler Marktwirtschaftsapologetik zur archaisch inszenierten Mimikry: Im Kampf gewinnt der Stärkere, der so lange auf den am Boden Liegenden einzuprügeln hat, bis dieser sich nicht mehr regen kann. Auch in dieser Dimension sind sich Rechtsextremismus und inszenierte Hooligan-Kultur nahe, vertritt doch der Kämpfende oft das Kollektiv der Gruppe und trägt so den Kampf der Einzelnen verschoben auf Ebene der Gemeinschaft aus. Die spätkapitalistische Gesellschaft wird so zur Schicksalsgemeinschaft einer eingeschworenen Clique, die nur mittels der Feindschaft und Gewalt gegen eine Exteriorität ihre Gruppenidentität herzustellen und sich ihrer Stärke zu versichern vermag. Der Einzelne ist nur so lange etwas wert, insofern er sich für die Gemeinschaft opfert und dazu bereit ist, sich erhebliche physische Schäden zufügen zu lassen oder diese dem Gegner zufügt.

Während die Besucher*innenzahlen bei hooliganistischen Events im Vergleich zu Großformaten wie der UFC oder ONE weitaus niedriger sind, erhalten die Videos hooliganistischer Kämpfe auf Plattformen wie YouTube Views im Millionenbereich. Der virtuelle Raum ermöglicht den Organisator*innen hooliganistischer Formate ihre Zielgruppen zu erreichen und ihre „Unique Selling Points“ zu verwerten: mehr Gewalt, mehr Risiko, mehr Verletzungsgefahr und vor allem: mehr Realitätswirkung. Den Konsument*innen soll vermittelt werden, dass es sich nicht um ein inszeniertes und kommerzialisiertes Marketingspektakel handelt, sondern um Auseinandersetzungen zwischen realitätserprobten Kämpfer*innen, die Streetfights wie im echten Leben vor der Kamera ohne Erbarmen austragen. Die Konsument*innen bekommen Kämpfe ohne Handschuhe und ohne sichernde Bodenmatten, wahlweise auch auf blankem Beton geboten. Knietritte und vertikale Tritte gegen den auf dem Boden fixierten Kopf, sogenannte „Elfmeter“ – wuchtige Kicks, die an die Motorik des Strafstoßes im Fußball angelehnt sind und auf den Kopf des am Boden liegenden Kontrahenten zielen – sind erlaubt und kommen systematisch zum Einsatz.

Die gegenkulturelle Inszenierung der Szene darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Organisator*innen mit den Formaten gezielt versuchen, Marktlücken zu kapitalisieren, um aus der brutalen und ritualisierten Gewalt Klickzahlen zu akkumulieren. Insgesamt kann zwischen der performativen Selbstinszenierung und dem realen Verhalten des Milieus eine drastische Diskrepanz festgestellt werden. Gerne gibt man sich „respektvoll“ und „ehrenhaft“ und betont den ritterlichen Kampfgeist zwischen den zwei gegeneinander antretenden Kontrahent*innen. Mit Beginn des Kampfes werden aber alle Hemmungen abgelegt und der Gegner als entmenschlichtes Objekt zur Zielscheibe jeder verfügbaren Form der Gewaltanwendung. Auch wenn der Gegner bereits regungslos am Boden liegt, versuchen viele Kämpfer*innen diesem noch einen möglichst großen Schaden zuzufügen und müssen von den Ringrichter*innen teilweise mit Gewalt von ihrem in Strömen blutenden Kontrahenten entfernt werden. Es ist nicht die Qualität der Kämpfe, die diese Formate so erfolgreich macht, sondern die spektakuläre und enttabuisierte Bildproduktion von roher Gewalt, die unter spätkapitalistischen Vorzeichen zum breitenwirksamen Spektakel wird.

Diese gesteigerte Künstlichkeit, die die anonym agierende Hype Crew ihren Settings angedeihen lässt, verleiht dem Event allerdings auch die Möglichkeit, aus den Antretenden alles rauszuholen, um möglichst „realitätsnahe“ Kämpfe zu garantieren. In einem Reportageformat des Hessischen Rundfunkes berichtet etwa der „Brigade Nassau“-Hooligan mit dem Rufnamen „Goscha“, dass es verboten sei, bei KOTS Vaseline zu verwenden – denn dort wolle man wirklich „das Blut spritzen sehen“. Das dumpfe Aufschlagen der Fingerknöchel auf dem Körper des Gegenüber erfülle bei Fights die ganze Halle, die Begleitpersonen betrachteten die Fighter beinahe andächtig, es sei kein Mucks zu hören. Erst wenn das Blut spritzt oder ein Kämpfer krachend auf den Betonboden knallt und der Opponent noch auf dem Schädel des Fallenden rastlos herumtritt, wird das erzeugte Bildmaterial für den Onlinemarkt als genügend befunden.

Dass faschistoide Akteur*innen solche Räume für sich nutzen, ist zwar einer Professionalisierung und stark überzeichneten Inszenierung eines hypermaskulinen Subjektverständnisses geschuldet, aber auch der politischen Agenda, via den Konsum solcher Bilder die Rhetorik der Gewalt voranzutreiben. Die immer fortschreitende Verrohung der kulturindustriellen Zerstreuungsindustrie, die das isolierte, vereinzelte Individuum mit ubiquitärer Vergnügung am Funktionieren halten muss, ist für die extreme Rechte ein Stein im Brett ihrer politischen Propaganda: Denn die kann in den spätkapitalistischen Konsumräumen ihre politischen Inhalte ästhetisch getarnt vermitteln. Und ohnehin: Die Apologetik des „natürlich“ Stärkeren wird in hoher Frequenz und ohne Umschweife auch in der allgegenwärtigen Kulturindustrie als Ideologem reproduziert. Wenn völlig kommerzialisierter Kampfsport, der den Aspekt des Gewaltvollen und intersubjektiven Verletzens ohnehin schon als primäre Marketingstrategie setzt, nicht mehr ausreicht, muss etwas noch Extremeres her, das dem spätkapitalistischen Subjekt das verächtliche Lächeln kulturindustrieller Befriedigung ins Gesicht zaubert: Adornos weitsichtige, viel zitierte Sentenz, dass „Fun […] ein Stahlbad“ sei, wird so in ihrer Drastik von KOTS beinahe noch übertroffen. Und so muss subsumiert werden: KOTS ist per se weniger ein faschistoides Format, als ein Grenzprodukt, das die Limitationen der Vergnügungsindustrie ausreizt. Die ständig voranschreitende Ästhetisierung von Gewalt zum Zwecke der besseren Konsumierbarkeit ist dabei für faschistische Akteur*innen ein wohltrabendes Steckenpferd: Denn die Rezeptionsästhetik lässt die rezipierenden Individuen ja nicht kalt, im Gegenteil, das Bewusstsein des der Abnehmer*innen verroht und stumpft ab.

Dass ästhetisch entpolitisierter Raum potenziell politisch beeinflussbarer Raum für die extreme Rechte ist, ist keine neue Erkenntnis: Denn natürlich ist es als politischer Sachverhalt zu bewerten, wenn Neonazis und Islamisten bei KOTS in den Ring steigen. Das lässt sich an folgendem Beispiel verdeutlichen: Anfang 2023 gab Tomasz Szkatulsky dem bulgarischen mma.bg Kampfsportportal ein Interview in seiner Funktion als KOTS-Fighter, weil die angekündigten Fragen „apolitische“ seien. Doch selbstverständlich macht Szaktulsky im scheinbar „apolitischen“ Interview keinen Hehl aus seinem neonazistischen Weltbild und kruden Rassenwahn – besonders prekär ist, dass er sein Dasein als Kampfsportler mit seiner Ideologie rechtfertigen kann, ohne auch nur eine einzige kritische Gegenfrage gestellt zu bekommen. Und so können Neonazis wie Szkatulsky, Petriš, Panač, Beranek oder Maxime „Orsu Corsu“ Bellamy über die reichweitenstarke Kollektivrezeption der KOTS-Plattform ohne Einschränkung ihre neonazistischen Symbole zur Schau stellen, ihre politische Message schon allein durch ihre Präsenz verbreiten und ferner auch soziopolitischen Raumgewinn – sowohl virtuell wie reell – erzielen, denn: Je mehr extrem rechte oder eindeutig neonazistische Kampfsportler bei KOTS teilnehmen, desto eindeutiger ist die Plattform auch gelabelt, ob der Hype Crew das passt oder nicht. Und die dabei produzierten Gewaltakte, die virtuell hunderttausende Zuseher*innen erreichen, werden als Medium für politisch-kulturelle Agitation verwendet: Might is right, oder: Recht hat der, der stärker und hemmungsloser dabei ist, dem Gegenüber schwere Verletzungen zuzuführen.

Als Gesellschaft werden wir die Frage, wie mit solchen Kampfsportformaten und v. a. Akteur*innen wie Octagon, die sowohl hooliganistische als auch gängige Breitensportformate bedienen, umzugehen ist, bald beantworten müssen: Die Zeit drängt, da die extreme Rechte gezielt Deutungshegemonie gerade über großen medialen Verteilerstrukturen anstrebt bzw. bereits partiell erreicht und abgesichert hat. Politische Apathie, Stillschweigen oder affirmierende Beschwichtigung gegenüber der Problematik helfen nur der Rechten, Pauschalverurteilungen (der entgegengesetzte Fall), tragen keineswegs zum Verständnis des Problemfelds bei. Denn nicht nur ist Kampfsport – gerade auch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen – beliebter denn je, was zu stetig steigenden Zuschauer*innenzahlen führt, auch die Einflussnahme von islamistischen und neonazistischen Kräften auf diesem Feld ist groß und etabliert. Unternehmen wie Octagon, die extrem rechten Kampfsport- und Hooligan-Milieus hofieren wie jeder anderen x-beliebigen Kampfsportgala, verschärfen diese Raumnahme noch in einem verstärkten Maße und erzeugen so eine scheinbare Normalität, die die extreme Rechte zu einem regulären Teil des Kampfsportbetriebes macht.

Walter Gerhard Piranty und das Wehrdorf Szőce: Ein militanter Neonazi zwischen Rotlichtkriminalität, organisiertem Betrug und völkischer Landnahme.

Am 25. April 2021 erblickte der mit neonazistischen Inhalten befüllte Telegram-Kanal „Wehrdorf Szőce“ das Licht der Welt, dessen Name bereits die Programmatik des dahinterliegenden Projekts illustriert: Wir sprechen von der zunehmend praktizierten Strategie der völkischen Landnahme durch neonazistische Akteur*innen in ganz Europa, die versuchen abseits der Großstädte völkisch-rassistische Gegenkulturen zu etablieren und Einfluss auf die dort lebende Landbevölkerung zu gewinnen. In dem konkreten Fall verbirgt sich hinter dem Kanal ein rund 30.000m² großes Anwesen in Szőce, einem kleinen Ort mitten im Nirgendwo im ungarischen Landkreis Körmed, etwa eine halbe Stunde von der österreichischen und rund eine Stunde von der slowenischen und kroatischen Grenze entfernt. Das Wehrdorf-Projekt reiht sich damit in einen aktuellen Trend innerhalb der extremen Rechten in Europa ein, vermehrt Siedlungsprojekte in der ungarischen Peripherie – aber nicht nur dort – zu gründen, um dort abseits zivilgesellschaftlicher und behördlicher Sanktionierung „alternative Lebensräume“ zu erschließen. Der Akteur hinter dem besagten Telegram-Kanal und mutmaßlicher Eigentümer des Anwesens in Ungarn ist der aus dem direkten Umfeld von Gottfried Küssel und mit diesem bis zum heutigen Tag in intensivem Kontakt stehende Walter Gerhard Piranty: ein im Rotlichtmilieu tätiger und in seinem Leben immer wieder in verschiedene Betrugsmaschen involvierter Neonazi aus Wien, der in den letzten Jahren auch neben der „Rotlichtlegende“ Peter Konstantin Laskaris in der ATV-Sendung „NachtGschicht“ zu sehen war.

Der ideologischen Ausrichtung und dem Milieu Walter Gerhard Pirantys entsprechend gestaltet sich auch der öffentliche Auftritt dessen Wehrdorf-Kanals, auf dem die Propaganda von neonazistischen Parteien und Organisationen wie die der NPD, des III. Weges, der Légió Hungaria oder der Wotanjugend neben verkitschter Siedlungsromantik rege verbreitet wird. Auch antisemitische Verschwörungsmythen, nazistische Runen, Merchandise-Artikel rechtsextremer Versandhäuser wie Runic Storm und downloadbare Anastasia-Bände sowie die Turner Diaries – die inoffizielle Bibel des Rechtsterrorismus – finden sich auf dem Kanal. Das „Wehrdorf“ selbst befindet sich aktuell noch im Aufbau, soll aber ab 2025 als Rückzugsort abseits der österreichischen Gesellschaft und der hiesigen Politik dienen. Wie bereits erwähnt und in dieser Recherche ausführlich behandelt, fungiert Ungarn aufgrund der fest verankerten parlamentarischen Rechten, der florierenden rechtsextremen Szene und nicht zuletzt auch deshalb, weil bei rechtsextremen Aktivitäten kaum mit staatlicher Repression zu rechnen ist, innerhalb vieler rechtsextremer Milieus in Europa und so auch für Walter Gerhard Piranty als ideologische Projektionsfläche, Sehnsuchtsort und Reisedestination.

Piranty macht auch abseits seines Telegram-Kanals keinen Hehl aus seinen politischen Ansichten – besonders deutlich wurde dies in den letzten Jahren auf den von ihm unter Pseudonymen betriebenen Social-Media-Kanälen: „Ernst Johann Heurteur“, „Ernst Heurteur“, „Ernst Hofer“ oder „Maria Polzer“ (wie u. a. auch FPÖ-Fails 2021 postete). Auf diesen leugnete er die Shoah, verherrlichte und verharmloste die Waffen-SS, artikulierte schwerste Gewaltandrohungen gegenüber muslimischen Migrant*innen, hetzte gegen die LGBTIAQ*-Community, solidarisierte sich mit Gottfried Küssel nach dessen Verurteilung zu einer neunjährigen Haftstrafe und postete Songs der neonazistischen Bands Lunikoff Verschwörung und Landser. Doch auch unter Klarnamen verbreitet der Neonazi aus Wien ohne Hemmungen nazistisches Gedankengut: So teilt er auf seinem Pinterest-Account einen ganzen Ordner strafrechtlich relevanter Glorifizierungen der Waffen-SS, Hakenkreuzfahnen, Sig-Runen, SS-Uniformen, SS-Dolche samt SS-Treueschwur, Wehrmachtpropaganda und militanten Antisemitismus in Form von NS-Hetzplakaten gegen Jüdinnen*Juden.

Dass die propagandistische Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts bei Piranty durchaus System hat, zeigt auch seine öffentliche Reproduktion antisemitischer Verschwörungserzählungen. Diese Narrative scheinen durchaus internalisiert und auch handlungsleitend: So sorgte Piranty unter anderem für kleinere Schlagzeilen in den Boulevardmedien, als er eine Blockade der Klimaaktivist*innen der „Letzten Generation“ in Wien, Nähe Wien-Hauptbahnhof wüst beschimpfte, mit Anderen deren Transparent entwendete, die Aktivist*innen filmte und cholerisch herumschrie, man solle die „Arbeitslosen“ einfach überfahren. Auf den sozialen Medien des Neonazis erhält man dann die Erklärung zu seinem Hass auf jegliche Form des linken Aktivismus: Der menschengemachte Klimawandel wäre die Erfindung einer finsteren globalen Elite, die schon seit Jahrzehnten auch über ethnische Waffen verfügen würde, um diese zur Zerstörung der „natürlich starken“ Völker (heißt: Zerstörung der „weißen Völker“) einzusetzen. Auch der Covid-19-Virus wäre die Erfindung einer „globalistischen Elite“ gewesen, deren Ziel die Erzeugung multipler Krisen wäre, um die Bevölkerungen zu unterwerfen und den Plan der „Umvolkung“ voranzutreiben.

Wäre dies nicht schon besorgniserregend genug, verstärkt sich die Gefährdungslage, da Piranty während seiner Hasstiraden oft rund um seine Wohnung in der Herta Firnberg-Straße 16/10 im 10. Wiener Gemeindebezirk spaziert und als von ihm „ausländisch“ wahrgenommene Personen währenddessen filmt und rassistisch beleidigt – hinzukommt seine Gewaltaffinität und der durchaus (laut Eigenaussage sowie belegt durch Ermittlungen der Behörden nach §50 des Waffengesetzes) vertraute Umgang mit (Schuss-)Waffen.

Das Vorhaben des Aufbaus einer völkischen Siedlung und die Verbreitung militant-nazistischer Inhalte durch einen in den organisierten Rechtsextremismus bestens vernetzten Neonazi wären bereits Grund genug, um über das sogenannte Wehrdorf zu berichten. Nun kommt aber hinzu, dass das Anwesen in Szőce eine gewisse historische Bedeutung für den österreichischen Rechtsterrorismus der 1990er-Jahre hat: Ehemaliger Eigentümer des Objekts war zu dieser Zeit Franz Radl sen., der Vater des später im Briefbombenprozess angeklagten und bis heute im organisierten Neonazismus aktiven Franz Radl jun. Radl sen. siedelte 1991 seine Chemie-Firma Biochemie KFT (in den Unterlagen der Behörden teilweise auch „Biotechnika“ genannt) von Fürstenfeld nach Szőce und betrieb diese dort bis 1993. Der Sohn Franz Radl jun., der zeitweise in der Firma des Vaters tätig war und auch plante, diese zu übernehmen, hatte sich im ungarischen Residuum einen kleinen versperrten Arbeitsraum eingerichtet, indem er sich gelegentlich aufhielt, um ungeklärten Betätigungen nachzugehen. Dies führte dazu, dass in der Nacht des 14. Dezember 1993 die österreichische Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT) gemeinsam mit ungarischen Behörden das Firmengelände stürmte und durchsuchte. Grund dafür waren die damals laufenden Ermittlungen im Kontext der Briefbombenanschläge des Franz Fuchs und der Verdacht der Behörden, es könnte sich belastendes Material z.B. für den Bau der Briefbomben an dem Ort befinden – dazu später mehr.

Die lange rechtsextreme Kontinuität in Bezug auf das ehemalige Firmengelände in Ungarn wirft so einige Fragen auf und gibt Anlass dazu, einen genaueren Blick auf das Netzwerk von Walter Gerhard Piranty und dessen Verwicklungen in den organisierten Neonazismus in Österreich seit den 1980er-Jahren zu werfen. Ferner legt die rege Involvierung Pirantys in dubiose Kryptowährungsgeschäfte sowie seine aktiven Kontakte zu Gottfried Küssel und weiteren Exponenten der Corona-Querfront und der Ferialverbindung Imperia die Frage nahe, ob die organisierte NS-Szene in Österreich sowohl in dessen Geschäfte, als auch in das anliegende Siedlungsprojekt auf die eine oder andere Art involviert ist. Auch wenn die Frage, wie und wann das Gebäude des Franz Radl sen. in den Besitz von Piranty gelangte, nicht mit Sicherheit beantwortet werden kann, gibt die bis heute anhaltende Beziehung Pirantys unter anderem auch zu Franz Radl jun., – der in den sozialen Medien im Übrigen fast jeden Beitrag Pirantys teilt – Anlass zu der Annahme, dass hinter dem „Wehrdorf“ mehr als nur Pirantys privates Vergnügen, sondern auch die Involvierung breiterer politischer Strukturen steht und so die Gefahr der Etablierung eins Siedlungsprojekts des besonders militanten Arms des österreichischen Neonazismus in naher Zukunft durchaus plausibel ist. Um Walter Gerhard Piranty politisch einzuordnen, dessen Geschäfte offenzulegen und um die lang anhaltenden Beziehungen desselben zu zentralen Akteur*innen der extremen Rechten zu belegen, wird in weiterer Folge auf dessen Biografie, Geschäfte und Netzwerke systematisch eingegangen, um daran anschließend das Phänomen der völkischen Landnahme Ungarns als breites gesellschaftliches Problemfeld zu diskutieren.

Walter Gerhard Pirantys langjährige Involvierung in den Neonazismus und die organisierte Kriminalität

Walter Gerhard Piranty wurde am 1. April 1965 in Frankfurt am Main als Sohn eines österreichischen Handelsvertreters geboren, wuchs jedoch schon kurz nach seiner Geburt mit seinen Eltern und seiner Großmutter in Wien auf. Für die anliegende Recherche wird seine Biografie etwa Mitte der 1980er-Jahre interessant, denn: als sich Piranty 1982 für das österreichische Bundesheer verpflichtete, knüpfte er dort auch erste Kontakte in das Rotlicht-, Türsteher- und Glücksspielmilieu sowie in den organisierten Rechtsextremismus. Pirantys kriminelle Karriere begann als „Aufpasser“ bei Hinterzimmer-Kartenspielen und in Glücksspielhallen, aber auch als Zuhälter im Bereich der illegalen Straßenprostitution – letzteres eine Funktion, die er ausweitete und mit Unterbrechung in legalisierter Form auch heute noch ausübt. Einige Jahre nach seinem Eintritt in das Bundesheer trat Piranty dann mit Robert Rudolph, Eric Pasiecznik und Thomas Reisinger, drei weiteren jungen Männern der Wiener Neonazi-Szene, das erste Mal politisch in Erscheinung: Sie hatten 1988 gemeinsam die Nationalsozialistische Freiheitsfront (NSFF) gegründet, vielfach öffentlich Nazi-Parolen gerufen sowie mehrfach Hakenkreuze in der Öffentlichkeit angebracht. Im Zuge von Hausdurchsuchungen wurden bei den jungen Neonazis und auch bei Piranty selbst NS-Devotionalien gefunden, die ihm eine bedingte Haftstrafe von zehn Monaten einbrachten.

Um das politische Milieu, in dem sich Walter Gerhard Piranty in seinen Jugendjahren bewegte, einordnen zu können, müssen die damals breit stattfindenden Reorganisationsprozesse innerhalb der österreichischen Neonazi-Szene beachtet werden. Bei der NSFF handelte es sich nämlich nur um eine von vielen kleinen neonazistischen Splittergruppen des zunehmend militant auftretenden und durch Konsolidierungsversuche gekennzeichneten NS-Milieus Österreichs. So trat Piranty neben seinen Aktivitäten in der NSFF am 26. August 1988 auch der österreichischen Sektion der neonazistischen Nationalistischen Front (NF) bei, in der Franz Radl jun. eine leitende Funktion innehatte. Wie an dieser Stelle gesehen werden kann, handelt es sich bei der anliegenden Rekonstruktion also nicht um ein bloß zeitgeschichtliches Interesse für die zum damaligen Zeitpunkt sich formierende rechtsextreme Szene, sondern verdeutlicht die personellen Kontinuitäten innerhalb der extremen Rechten, die auch heute noch für die Beurteilung des Gegenstandsbereichs Rechtsextremismus von Relevanz sind – und oft sind es auch heute noch kaum bekannte und etwa durch finanzielle Unterstützungen im Hintergrund operierende Personen aus den „alten Tagen“, die für die aktuelle Analyse rechtsextremer Zusammenhänge von Bedeutung sind und kaum Beachtung finden.

Nachdem die Nationalistische Front am 16. November 1985 als deutschlandweite nazistische Parteiorganisation in Bielefeld gegründet wurde, pochten schon kurz danach führende österreichische Neonazi-Kader darauf, auch in der „Ostmark“ eine Unterorganisation selbiger zu gründen. Diesem Gründungsimpetus stand jedoch entgegen, dass Gerd Honsik bereits 1984 die namentlich leicht zu verwechselnde und das Sektierertum der extremen Rechten illustrierende Nationale Front auszurufen versuchte, die faktische Gründung jedoch an einer unmittelbaren Untersagung seitens des österreichischen Innenministeriums scheiterte. Erst 1987 schien die Führungsriege des späteren NF-Ablegers in Österreich nach mehreren Jahren des Wartens nichts mehr davon abzuhalten, nun auch „offiziell“ als Nationalistische Front aufzutreten. Trotz der direkten programmatischen Ausrichtung an der NSDAP hielt man sich dennoch weiterhin bedeckt, um nicht als Nachfolgeorganisation der von Honsik angestrebten Nationalen Front in den Fokus der Behörden zu rücken.

Unter dem Schirm hochrangiger NF-Mitglieder wie etwa Herbert Schweiger oder Lisbeth Grolitsch schlossen sich vorwiegend junge gewaltbereite Neonazis in der Volkstreuen Jugend Offensive (VJO), der Jugendorganisation der Nationalistischen Front, zusammen – ein Gründungsmoment, den die Führung der NF in Deutschland als ersten Meilenstein der NF-Aktivitäten in der „Ostmark“ verbuchte. Im April 1988 folgten dann mit der neuen Organisierung verbundene Publikationstätigkeiten – zuerst Gerd Honsiks Hetzpostille „HALT“ und in weiterer Folge die vom damaligen VJO-Führungskader Franz Radl jun. herausgegebene Zeitung der österreichischen NF mit dem Namen „Gäck“, beides Blätter voller militantem Rassismus, der systematischen Leugnung der Shoah und der Verherrlichung des NS-Regimes. Nicht nur Franz Radl jun. und Walter Gerhard Piranty, sondern einige auch heute noch aktive und einflussreiche Rechtsextreme sozialisierten sich politisch im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in der NF-Jugendsektion. So etwa Heinrich Sickl (ehem. FPÖ-Gemeinderat, IB-Mäzen und alter Herr der pB! Tigurina zu Feldkirchen in Kärnten) Andreas Thierry (ehemals bei der NPD aktiv), Helmut Adolf Schatzmayr (ebenso alter Herr und Schriftführer der pB! Tigurina zu Feldkirchen in Kärnten) sowie Markus Adam, Ewald Friesacher, Georg Lobnig und viele mehr.

Die jungen Neonazis wurden in die streng hierarchisch strukturierte Organisationen nach Vorbild der NSDAP unter der Verpflichtung des bedingungslosen Gehorsams integriert und von einflussreichen Altnazis rund um die zentrale NF-Führungsfigur Herbert Schweiger, dem ehemaligen SS-Untersturmführer der SS-Division Leibstandarte SS Adolf Hitler, protegiert und gefördert. Auch die Verbindung zu den politischen Tätigkeiten der Kameradschaft IV war für die Jungnazis der VJO von prägender Bedeutung – denn der politische Kampf der K IV um die Rehabilitierung der alt-nazistischen Idole in ihrer Funktion als „Zeitzeug*innen“ gehörte ebenso zum integralen Bestandteil der Agitation der nachkommenden Generation rund um die VJO (nähere Informationen zu dieser Verbindung sind in unserer letzten Recherche zum Begräbnis des Waffen-SS-Veteranen Herbert Bellschan-Mildenburg zu finden).

Gedenkgesteck an die vier ermordeten Roma Erwin Horvath, Karl Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon in Oberwart Februar 1995.

In der Frühphase der NF stießen neben den bereits genannten Kernakteur*innen zahlreiche weitere Neonazis zur österreichischen Sektion hinzu. Als finanzielle Unterstützer*innen oder einfache Mitglieder traten neben Walter Gerhard Piranty vor allem im Jahre 1988 zahlreiche später für die VAPO-Gauorganisation relevanten Akteur*innen wie auch Neonazis anderer politischer Spektren in die NF ein. So finden sich etwa Kurt Hofinger („Gaubeauftragter“ für Wien), Reinhold Kovar („Kameradschaftsführer“ Wien I), Markus Ullmann („Kameradschaftsführer“ Stv. Wien II), Franz Propst („Kameradschaftsführer“ Linz), Rene Lang („Kreisleiter“ Innviertel), Günther Reinthaler („Kameradschaftsführer“ Salzburg), Christian Wilhelm Anderle (späterer technischer Leiter des alpen-donau.info-Projekts), Jürgen Hatzenbichler (zuerst stv. „Bereichsleiter“ der NF-Kärnten, danach neurechter Publizist) und Andreas Zepke (neonazistischer Wiener Hooligan, jetzt SGN-Mitglied näher beleuchtet hier: Rechtsextremer Kampfsport, Biker-Kriminalität (MC) und neonazistische Vernetzungen) auf der Liste der NF-Zugehörigen.

Pirantys Mitgliedschaft in der NF gibt auch Aufschluss darüber, warum er sich nicht von der ohnehin milden Verurteilung abschrecken ließ: Zu tief war er schon in das Neonazi-Netzwerk integriert und noch tiefer schien er dazu bereit, in dieses einzusteigen: Wie einer Liste sämtlicher Mitglieder und finanzieller Unterstützer*innen der Volkstreuen außerparlamentarische Opposition (VAPO) entnommen werden kann, war Piranty auch Teil von Gottfried Küssels Sektion „Ostmark“ der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF). Gleichzeitig muss für die Beurteilung von Pirantys Involvierung in die österreichische extreme Rechte der 1990er-Jahre davon ausgegangen werden, dass dieser innerhalb der VAPO-Strukturen keinerlei leitende Funktion eingenommen hatte. Wie etwa aus den umfangreichen Ermittlungsakten und der Liste der geladenen Zeug*innen im Zuge der Anklage gegen Peter Binder, Franz Radl jun. und Alexander Wolfert 1993 im Zuge der Briefbombenermittlungen hervorgeht, scheint Walter Gerhard Piranty an keiner Stelle prominent auf und auch sonst gibt es keinen Hinweis darauf, dass dieser führende Positionen innerhalb des sich neuformierenden „dritten“ Lagers innehatte.

Einstieg ins Rotlichtmilieu und illegale Prostitution

Die Abwesenheit des Namens Walter Gerhard Piranty in den betreffenden Unterlagen lässt sich teilweise mit Blick auf seine Biografie erklären. Ab etwa 1991 übersiedelte Piranty auf die Philippinen und arbeitete und lebte dort bis 1993 – eine Zeit, in der er wohl auch erstmals seinen kompletten Lebensunterhalt durch Zuhälterei bestritt. Mit seiner Rückkehr nach Wien im Jahr 1993 wurde neben der Zuhälterei nun auch der professionelle Kreditkartenbetrug zu einer seiner Haupteinnahmequellen, auch wenn die Betrugsmasche bereits Ende 1993 eine Verurteilung zu fünf Jahren unbedingter Haft nach sich zog. Aus der Haft entlassen folgte der Wiedereinstieg ins Rotlichtmilieu in einem Gürtellokal eines berüchtigten Wiener Zuhälters, auch wenn bereits kurze Zeit später eine weitere Verurteilung zu drei Jahren Haft wegen Anstiftung zum Betrug folgte. Pirantys Erzählungen aus der Haftzeit illustrieren die Gewaltaffinität des kriminellen Neonazis, der gerne heroisch von mehreren brutalen Angriffen auf einen Mithäftling vor den Augen der Justizwache berichtet. Auch sonst macht Piranty keinen Hehl daraus, Probleme mit Gewalt zu lösen und auch vor dem Gebrauch von Schusswaffen nicht zurückzuschrecken.

Nach Ende der zweiten Haftzeit erfolgte nun der Aufstieg im Rotlichtmilieu. Zunächst erwarb Piranty 2004 eine Immobilie in der Wiener Leopoldstadt und betrieb dort mehrere Jahre eine „Zimmervermietung“ im damals für das Straßenprostitutionsgewerbe berüchtigten Stuwerviertel. Berüchtigt war das Viertel nicht nur aufgrund des großen Straßenstrichs, sondern auch deshalb, weil Zuhälter und später Etablissements wie das Pirantys keine Scheu zeigten, auch minderjährige Frauen auf den Strich zu schicken bzw. keinerlei Kontrollen vornahmen, wer sich für 10 Euro die halbe Stunde in die heruntergekommen Zimmer einmietete, um dort den Käuferverkehr abzuwickeln. So entwickelte sich unter der Protektion österreichischer Zuhälter und späterer „Immobilienbesitzer“ in der Wendezeit eine Szene an minderjährigen Prostituierten, die vor allem aus den östlichen Nachbarländern Österreichs, dem Balkan und Baltikum stammten. Mit dem Wachstum des Milieus entwickelte sich auch eine zunehmend aggressiv und gewalttätig auftretende Käufer-Szene im Viertel, die auf der Suche nach „verfügbaren“ Frauen durch das Viertel zogen und dabei oftmals auch nicht davor zurückschreckten, wahllos Frauen und Mädchen auf der Straße und im direkten Umfeld von Schulen sexuell zu belästigen – wie mehrfach Medienberichte dieser Zeit belegen.

Medienberichte der 2000er-Jahre geben auch einen Einblick in die für die Entwicklungen im Stuwerviertel konstitutive Funktion Walter Gerhard Pirantys: Er sei einer der ersten Zuhälter gewesen, der das Format der billigen Zimmervermietung umgesetzt hätte und so eine neue Variante zum typischen Bordell (Einmietung der Prostituierten gegen hohe Mieten mit längerer Laufzeit der Verträge) geschaffen habe. Vor allem Boulevardmedien protokollierten die stetig zunehmende Etablierung des Viertels als Wiener Rotlichthotspot: Im Zentrum der Berichte stehen jedoch zumeist die „gewitzten“ und „frechen“ Versuche der dort aktiven Zuhälter, den Eingriffen und Kontrollen staatlicher Behörden zu entgehen – ein in Österreich gängiger Diskurs der Heroisierung und Exotisierung der „Unterwelt“ der „Strizzis“ und „Ganoven“, bei gleichzeitiger Ausblendung der mit dem Geschäft verbundenen Gewalt und Ausbeutung strukturell Benachteiligter. Auch hierfür ist Pirantys geschäftige Umtriebigkeit und seine ans Querulantentum grenzende Bereitschaft, sich mittels rechtlicher Schlupflöcher staatlicher Kontrolle zu entziehen, „stilbildend“: So gründete der Neonazi-Zuhälter u. a. die „Partei für die freie Liebe“, später umbenannt in „Partei gegen Rassismus“, um seine Laufhäuser als „Parteiheime“ anzumelden, wodurch diese vor Eingriffen polizeilicher Organe geschützt werden sollten. Aber auch Piranty konnte sich, so gerne er es gewollt hätte, nicht der staatlichen Sanktionsgewalt entziehen und wurde im März 2007 wegen illegaler Prostitution angezeigt und vorübergehend inhaftiert, wie zum damaligen Zeitpunkt die Zeitung „Österreich“ berichtete – dem vorausgegangen war die viermalige behördliche Schließung des „Stundenhotels“ aufgrund illegaler Prostitution. Im März 2007 war es mit der „Zimmervermietung“ im Stuwerviertel dann für Piranty endgültig vorbei. Diese  und mehr solcher „Strizzi-Geschichten“ beschreibt Piranty in seinem, u.a. im Falter-Shop erhältlichen, Buch.

Walter Gerhard Piranty im Café Singletreff.

Der durch polizeiliche Maßnahmen forcierte Rückzug des Rotlichtmilieus aus dem Stuwerviertel und den damit verbundenen Strafen führten bei Walter Gerhard Piranty allerdings keineswegs zu einem Umdenken. Mittels eines Privatkonkurses gelang es ihm, seine Verschuldung von mehreren hunderttausend Euro aufgrund vermeintlicher Uneinbringbarkeit aufzulösen. Wenige Jahre später folgte prompt die Eröffnung des auch heute noch existierenden Lokals „Café Single Treff“ am Wiedner Gürtel nahe dem Wiener Hauptbahnhof. Der Erfolg des „Single-Treffs“ wie auch sein medialer Bekanntheitsgrad dürften Piranty wohl auch mit anderen Wiener Rotlicht-Größen in Verbindung gebracht haben. Auffallend ist hierbei vor allem seine Freundschaft zum berüchtigten Bordellbetreiber Peter Konstantin Laskaris. Der mehrfach unter anderem wegen Stalking und Sachbeschädigung vorbestrafte Zuhälter Laskaris gehört zu den bekanntesten der Wiener Rotlichtszene, ist trotz Millionenpleite nach wie vor im Geschäft aktiv und wird seit Neuestem auch von ATV gehostet – zusammen mit Walter Gerhard Piranty, dessen militant neonazistisches Weltbild weder für Laskaris noch für den Privatsender ein Problem zu sein scheint. Die verherrlichende sowie verharmlosende Darstellung des „Wiener Strizzis“ auf die Spitze bringend, widmet sich ATV voll der Glorifizierung des Rotlichtmilieus aus unhinterfragter Perspektive der Zuhälter und unter Ausklammerung der mit dem Geschäft verbundenen Ausbeutung und Gewalt. Dass man bei ATV auch bereitwillig einem verurteilten Neonazi wie Walter Gerhard Piranty eine für ihn hochwillkommene Bühne bietet, löst vor dem Hintergrund dieser Ideologieproduktion leider keine Verwunderung mehr aus.

Das (wiederholte) Geschäft mit der Hoffnung

Mitte bis Ende der 2010er-Jahre entdeckte der bereits mehrfach wegen Betruges verurteilte Piranty neben dem Rotlichtmilieu einen weiteren Erwerbsbereich: Den „Handel“ mit Kryptowährungen in sogenannten Ponzi-Systemen (Schneeballsystemen). In einschlägigen Internetforen der Krypto-Szene ist der Name Piranty geläufig und es wird mehrfach vor seinen Praktiken gewarnt. Beteiligt dürfte Piranty an mehreren solcher Systeme gewesen sein – so unter anderem an Questra und PlusToken, Advert International Marketing (AIM) und seit neustem auch Metronix. Um einen Einblick in diese halb-legalen bis illegalen Geschäftsmodelle zu geben, gehen wir an dieser Stelle exemplarisch auf zwei nachweislich mit Piranty verbundene Projekte ein – auch wenn auf eine detailliertere Darstellung aufgrund des Schwerpunkts dieser Recherche auf das Problemfeld Rechtsextremismus verzichtet wird.

Ein von Walter Gerhard Piranty vielfach beworbener Krypto-Dienst war etwa die Mitte 2015 mit Sitz in Spanien gegründete Questra Holding (später auch Questra World Holding) mit späteren Verbindungen nach Russland und Kasachstan. Bereits im Oktober 2016 sprach die österreichische Finanzmarktaufsicht eine Warnung gegen das Unternehmen aus. Einerseits fehlte dem Unternehmen die Lizenz, Banktransaktionen durchzuführen, andererseits widersprachen die Kreditvergaberichtlinien Questras geltendem österreichischen Recht. Etwa 2017 ging es mit Questra dann den Bach hinab und es kam zu massiven Problemen bei der Auszahlung von Kund*innengeldern. Piranty hatte in das System laut Eigenaussage rund 40.000 € investiert, wie viel Gewinn er abschöpfen konnte und inwieweit er von dem drohenden Zahlungsausfall wusste, bleibt unklar. Fakt ist: Piranty machte bis zum bitteren Ende Werbung für das System und versuchte skeptisch gewordene Kund*innen mittels seiner YouTube-Videos zu beschwichtigen und im System zu halten. Seine späteren Vermittlungsversuche von Geschädigten an einen Anwalt erscheinen vor diesem Hintergrund mehr als unglaubwürdig. Und: Mit PlusToken fand sich für Piranty rasch eine Alternative. Auch bei PlusToken handelte es sich um ein Ponzi-System, das primär im asiatischen Raum beworben wurde. Interessant ist hierbei, dass die Hintermänner des Questra-Betruges allesamt auch bei dem „neuen“ Krypto-Dienst vertreten waren. Das Geschäftsmodell hinter den monatlichen Zahlungen von PlusToken war dabei eine Bot-basierte Kryptowährungsarbitrage sowie der Handel mit und das Mining von Kryptowährungen. Mit der Verhaftung von sechs Hauptfiguren des PlusToken-Systems Juni 2019 auf Vanuatu kollabierte jedoch auch dieses System. Die Verluste beliefen sich laut u.a. dem Bundesministerium für Inneres auf 2,9 Milliarden Dollar. Während Piranty zwar keiner der internationalen Köpfe dieser Systeme war, deuten doch Forderungen von Geschädigten und sein Status als „Big Family“-Member an, dass er im deutschsprachigen Raum ein relevanter Akteur innerhalb dieser Systeme gewesen war. Chancen auf Seiten der Geschädigten bezüglich Wiedergutmachung von Schäden sind bei Betrugsmaschen dieser Art allerdings meistens juristisch nicht durchsetzbar und Pirantys Selbstinszenierung als „Mann des Volkes“, der „ja“ auch verloren hätte, tut ihr Übriges.

Doch auch damit schien es Piranty nicht zu genügen: Nach dem Untergang von PlusToken stieg Piranty in das nächste Schneeballsystem ein – Advert International Marketing. Während Questra und PlusToken klar im Kryptowährungsbereich zu verorten sind, präsentiert sich AIM selbst als Marketingunternehmen. In verkürzter Darstellungsweise funktioniert AIM wie folgt: ein Unternehmen will online Werbung schalten und kauft sich deshalb ein Promotion-Package bei AIM. Damit einher geht die Verpflichtung, sich täglich eine vordefinierte Anzahl an Werbungen anderer AIM-Partner*innen anzusehen. Dafür bekommt man die eigenen Werbekosten erstattet, plus einen Gewinn von 10 bis 40% über einen vordefinierten Zeitraum. Laufzeitverlängerungen und Reinvestitionen innerhalb von AIM sind jederzeit möglich. Mit diesem Modell sind weitere Bonussysteme verbunden, die das Anwerben neuer „Partner*innen“ attraktiv machen sollen und nach der Logik von Pyramidensystemen funktionieren: Hat man ausreichend Partner*innen angeworben, die in das System investieren, verdient man mittels Provisionen an deren Tätigkeiten mit. Je weiter oben eine Person in dem System steht, desto mehr verdient diese auch.

Um neue Investor*innen anzuwerben, werden in diesem Geschäft oftmals virtuelle oder reelle Stammtische organisiert, die dazu dienen, interessierte Personen dazu zu bringen, ihr Geld in die jeweiligen Systeme einzuzahlen. Auch Walter Gerhard Piranty organisierte Stammtische dieser Art – zunächst am Wiedner Gürtel 46, 1040 Wien, danach in der Zentagasse 33, 1050 Wien und später im Café Frey in der Favoritenstraße 44, 1040 Wien (dazu später noch mehr) und verteilte dort etwas höher bepreiste Werbegeschenke wie AirPods und Poloshirts, um einen bleibenden Eindruck bei den hoffnungsvollen Teilnehmer*innen der Stammtische zu hinterlassen. Die hier dargestellte Masche ist eine gängige Betrugsform im Krypto-Bereich: Durch ständige Reinvestitionen bleibt letztlich sämtliches Geldkapital innerhalb des virtuell abgeschlossenen Kreislaufs, wodurch die Betreiber*innen meist nur geringe Beträge auszahlen müssen. Sobald eine wie auch immer geartete externe Unsicherheit die Stabilität des System bedroht, folgt meist der sogenannte „Exit-Scam“: Investor*innen erhalten keine Auszahlungen mehr und bleiben auf ihren Kosten sitzen, während die Organisator*innen des Betrugs das gesamte Investment abschöpfen und untertauchen.

Mutmaßliche Opfer Pirantys Betrugs fordern eine Rückerstattung ihrer Investments.

Aktuell bewirbt Piranty mit dem Tradingdienst Metronix ein weiteres Krypto-System, dieses Mal jedoch de facto in führender Rolle – schon 2019 stieg er mit 25% anteilsmäßig bei Metronix ein. Auch hier kommt das altbekannte Verkaufsmuster zum Einsatz: AirPod-Geschenke, Stammtische, Trading-Sessions; alles „seriös und gedeckt“, wie Piranty nicht müde wird zu betonen – immerhin handle es sich bei Metronix auch um ein österreichisches Unternehmen, was wesentlich mehr Sicherheit garantiere. Als Gründer von Metronix tritt Michael Eder auf, ehemaliger Geschäftsführer des nicht minder dubiosen Marketing- und IT-Dienstleistungsunternehmens EdJoWa GmbH mit Sitz in Ansfelden. Metronix hingegen ist als automatisierte Trading-Software konzipiert, die direkt in Kryptobörsen wie „Binance“ integriert ist und mit diesen interagieren kann. Dazu bietet Eder über die von ihm gegründete Big Deal Company – eine Krypto-Coaching-Plattform – die für das Buying-Schema von Metronix passenden Tradingkurse mit einer Kursgebühr zwischen 300 und 3.000€ an. Dass Piranty bei Metronix wesentlich zentraler involviert ist als bei den global organisierten Ponzi-Systemen und Exit-Scams, ist durch dessen enge Verbindung mit Eder belegbar: Nicht nur teilt Piranty permanent Einführungsvideos Eders auf seinen Online-Kanälen, auch war Eder schon Gast in Pirantys Geschäftsräumen in der Wiener Innenstadt. Dort wartete man mit Sekt, Kanapees & Werbegeschenken auf und war bereit, neue Kundschaft zu empfangen – brisant daran auch: Mit anwesend war auch der seit den 1970er-Jahren aktive Neonazi Harald A. Schmidt, doch dazu im nächsten Teil mehr. Bis dato bewirbt Piranty Metronix aggressiv und umfassend, feierte Ende 2022 das mehr als dreijährige Bestehen und kündigte weitere rege Betriebsamkeit für das System an.

Im Dezember 2019, also nur wenige Monate nach dem Einstieg bei Metronix, schien sich Piranty auch wieder auf stabilem finanziellen Fuß befunden zu haben: So kaufte er in der Wielandgasse 1, 1100 Wien, ein ebenerdiges Objekt just gegenüber des Ernst-Kirchweger-Hauses und baute es zum „Mona Lisa Club“ um, wie auch das Single Treff als „Kontaktlokal“ gedacht. Doch dann schlugen Piranty März 2020 die Covid-19-Maßnahmenpakete und Lockdowns ein Schnippchen – er musste seine Lokalitäten wie alle anderen Gewerbe vorübergehend schließen, Corona-Hilfen seitens des Staates konnte er für den neu eröffneten Club jedoch nicht beantragen, da das Lokal aufgrund der erst kurz zuvor vonstatten gegangenen Eröffnung nicht unter den Coronahilfe-Schirm fiel  – so blieb Piranty wiederum auf mehreren zehntausend Euro Schulden sitzen und das Lokal steht bis dato unter der Telefonnummer +436606304039 zur Vermietung frei.

Zur aktuellen Vernetzung Pirantys in den organisierten Neonazismus

Wir widmen uns in dieser Recherche Walter Gerhard Pirantys Vergangenheit sowie dessen Geschäften deshalb so detailliert, weil hierdurch belegt werden kann, dass dieser zum einen seit den 1980er-Jahren intensive Kontakte in den organisierten Neonazismus pflegt und zum anderen sowohl im Bereich des organisierten Betruges als auch der Rotlicht-Kriminalität tätig war bzw. – wenn auch mittlerweile auf halb-legaler Basis – noch immer ist. Für den Gegenstandsbereich Rechtsextremismus ist allerdings nicht nur Pirantys ehemalige Involvierung in den militanten Neonazismus von Relevanz, sondern auch der Umstand, dass auch heute noch sowohl politische wie auch geschäftliche Beziehungen zwischen ihm und mehreren Exponenten der extremen Rechten bestehen.

Fotoaufnahmen vom 12. Oktober 2019 belegen in diesem Kontext die Zusammenkunft von Walter Gerhard Piranty mit dem Neonazi Paul Blang und mutmaßlich auch Thomas Cibulka. Diese waren an dem Tag zu einem „Heldengedenken“ am Grab des Holocaustleugners Gerd Honsik in der Marktgemeinde Königsstetten zusammengekommen. Traditionsbewusst legte man auf dem Grab ein Gesteck in Reichskriegsfarben und den Aufschriften „Schillerbund – Imperia“ und „Knut-Hamsun-Gesellschaft“ nieder. Auf dem zweiten Band des Gestecks fand sich zusätzlich eine Referenz auf den Treuespruch der SS: „Deine Ehre – unsere Treue.“ Zur Erklärung: Die auf dem Gesteck genannten Organisationen können dem österreichischen Neonazismus zugerechnet werden. Während die Ferialverbindung Imperia den Nachfolgeverein der noch zu VAPO-Zeiten gegründeten Ferialverbindung Reich darstellt und vom ehemaligen VAPO-Mitglied Lucas Tuma nach wie vor legalistisch geleitet wird, ist außerdem interessant, dass auch die 1983 von Gerd Honsik ins Leben gerufene Knut Hamsun-Gesellschaft offenbar bis heute noch aktiv ist beziehungsweise sich Personen des neonazistischen Spektrums selbiger zumindest zuzuordnen scheinen.

Unklar bleibt der dem Imperia-Schriftzug vorangestellte „Schillerbund“: Der 1906 von dem militanten Antisemiten Adolf Bartels (tätig als Schriftsteller und Journalist) ins Leben gerufene Deutsche Schillerbund verzeichnete als völkisch-nationalistisches Kulturorgan schon weit vor der Machtergreifung des NS eine einschlägige Geschichte: So agitierte Bartels – der während des NS-Regimes im Übrigen zu einer wichtigen Figur der nationalsozialistischen Literatur- und Kulturpolitik werden sollte – bereits unmittelbar nach der Gründung des Bundes für eine Ausrichtung an den antisemitischen Wagner-Festspielen in Bayreuth, lediglich umgemünzt auf die Dramatik Schillers. Dass dann auf dem Grab des antisemitischen „Dichters“ Honsik ein Gesteck mit einer Referenz auf den für die NS-Kulturpolitik vielleicht wichtigsten deutschen Dichter liegt, verwundert also nicht – offen und zu klären bleibt allenfalls, ob sich hinter dem Schillerbund eine reelle Organisation von nazistischen Akteur*innen verbirgt.

Gruppenfoto des Gedenktreffens zu Ehren Norbert Burgers.

Rund ein Jahr später fand am 26. September 2020 ein weiteres „Heldengedenken“ in Kirchberg am Wechsel statt. Erneut kamen in diesem Zusammenhang Walter Gerhard Piranty, Paul Blang, Thomas Cibulka und dieses Mal auch Richard Fiebicher und Herbert Fritz zusammen, um dem verurteilten BAS-Terroristen und ehemaligen NDP-Vorsitzenden Norbert Burger zu gedenken. Bei Fiebicher handelt es sich um einen ehemaligen VAPO-Militanten mit ehemals guten Kontakten etwa zu dem Vandalen und Vordenker des Rechtsterrorismus Bendix Wendt oder dem ehemaligen stv. Vorsitzenden der Nationalen Alternative Alexander Dietze. Fiebicher ist seit Jahrzehnten integral in die hochgradig militante, um Gottfried Küssel organisierte Neonazi-Szene eingebunden und konnte über die Jahre in beinahe allen wichtigen Organisierungsversuchen dieses Milieus beobachtet werden (als Gottfried Küssel in Haft war, etwa des Öfteren an der Seite von Karin Küssel, z. B. im Rahmen von Kundgebungen der neonazistischen Partei des Volkes oder beim Neonazi-Aufmarsch in Spielfeld). Jüngst fiel Fiebicher v. a. im Rahmen von CQ stets an der Seite von Gottfried Küssel auf und sorgte zuletzt medial für größeres Aufsehen, da er als offizieller Security für den freiheitlichen Präsidentschaftskandidaten Walter Rosenkranz, aber auch für den amtierenden Bundespräsidenten Alexander van der Bellen tätig war. Herbert Fritz wiederum ist noch länger als Fiebicher in der neonazistischen  Szene Österreichs aktiv: Fritz ist alter Herr der aB! Olympia, war als militanter Südtirol-Aktivist, Gründungsmitglied der NDP und späterer Landessprecher der Wiener-Sektion ein Intimus von Norbert Burger, aber auch von Gerd Honsik, den er laut Eigenaussage im Gefängnis 1961 (im Rahmen der Südtirol-Prozesse Anfang der 1960er-Jahre) kennenlernte und auf den er etwa auch 2018 bei der „Gerd Honsik Feier“ des Gedächtnisstätte e.V. in Guthmannshausen, Thüringen eine Laudatio nach Honsiks Abeleben in Sopron hielt (Honsik wiederum widmete Fritz 2009 ein Gedicht). Bis heute ist Fritz neonazistisch engagiert – sein zahlreichen Aktivitäten können in der hier verlinkten Publikation des DÖW nachgelesen werden.

Der Umstand, dass Piranty zusammen mit zentralen Akteuren der österreichischen Neonazi-Szene an szeneinternen, klandestinen Gedenkveranstaltungen und Vernetzungstreffen dieser Art teilnimmt, verdeutlicht also dessen politische Einbindung in das Milieu und seine noch immer guten Kontakte.

Mit dem Erstarken der Corona-Proteste in Wien nahm Piranty zudem sowohl als regulärer Teilnehmer, als auch im Gleichschritt mit CQ rund um Gottfried Küssel regelmäßig an den Demonstrationen teil. Aufnahmen vom 20. März 2021 zeigen ihn so etwa inmitten der CQ-Neonazis Gottfried Küssel, Karin Küssel, Mario Aulabauer, Marco Helfenbein, Lucas Tuma und anderen. Mindestens zweimal nahm Piranty außerdem an den Demonstrationen der Corona-Querfront in Eisenstadt teil und ließ es sich nicht nehmen, sich gemeinsam anlässlich des Besuches von Sebastian Kurz mit Gottfried Küssel, Lucas Tuma und Franz Radl im Schweizerhaus im Wiener Prater aufzuhalten (er postete ein Live-Video von Küssel, der lautstark mit Tuma skandierte), um die Veranstaltung zu stören. Auch an einer von Walter Gerhard Piranty im kleinen Kreis ausgerichteten Feier in einem Bordell anlässlich dessen Geburtstag nahm Gottfried Küssel teil, um mit Piranty zu feiern. Dass Piranty durchaus enge Kontakte zu Küssel pflegt, belegt des Weiteren eine skurrile Begebenheit: Nachdem eine Razzia im Siga Siga in Ternitz stattgefunden hatte (siehe dazu unsere Recherche zu CQ), kontaktierte Piranty Küssel privat, um sich bei ihm zu erkundigen, ob er tatsächlich verhaftet worden sei. Küssel antwortete scherzhaft, dass er davon nichts wüsste, er ihm aber danke, dass Piranty ihn von seiner eigenen Verhaftung wissen lasse. Darauf folgte eine amüsierte Nachricht Küssels mit dem Bild eines Cobra-Beamten mit Schutzschild und dem Text „Vermummter erstürmt Kühlschrank.“

Neben den privaten Kontakten zu Gottfried Küssel pflegt Piranty auch Kontakte zu weiteren alteingesessenen Persönlichkeiten der österreichischen Neonazi-Szene. Interessant ist hierbei vor allem die Beziehung zu dem seit den 1970er-Jahren aktiven Neonazi Harald A. Schmidt, der sich offenbar für mehrere Jahre mit Piranty Büroräume teilte: ein zweistöckiges Büro in der Johannesgasse 21, 1010 Wien, laut Eigenaussage ein Büro im Hotel Imperial am Opernring, 1010 Wien und zuletzt ein Büro in der Mommsengasse 33/5, 1040 Wien. Fotografien, die in den Büroräumlichkeiten in der Johannesgasse aufgenommen wurden, geben Hinweise auf die geschäftliche Verstrickung der beiden Neonazis: Dort sind Schmidt und Piranty etwa zusammen zu sehen, als sie gemeinsam mit einem unbekannten Dritten das Büro eröffnen und noch einmal zu einem späteren Zeitpunkt mit dem bereits genannten Michael Eder, Gründer von Metronix. Es sind Verbindungen dieser Art, die den begründeten Verdacht nahe legen, dass auch andere rechtsextreme Akteur*innen in die geschäftlichen Machenschaften Pirantys involviert sind. Am Rande: Der Geschäftsmann Michael Eder hat scheinbar kein Problem damit, seine wirtschaftlichen Aktivitäten in Kooperation mit langjährig kriminellen und militanten Neonazis abzuwickeln, die aus ihrer Gesinnung keinen Hehl machen.

Auch in Trumau scheinen Schmidt und Piranty geschäftlich aktiv zu sein.

Bei Walter Gerhard Pirantys Unternehmungen fallen zusätzlich nicht nur dessen Kontakte in die österreichische Neonazi-Szene, sondern auch relevante geografische Überschneidungen mit dieser auf. Seit 2020 organisieren Piranty und Schmidt regelmäßig Metronix-Stammtische im Café Frey auf der Favoritenstraße 44, dem Lokal, in dem über einen längeren Zeitraum bis mindestens 2020 auch Stammtische der Ferialverbindung Imperia stattfanden. Vor dem Hintergrund von Pirantys Kontakten zu Mitgliedern der Imperia und der geografischen Überschneidung mit deren Stammlokal stellt sich zum einen also die Frage, ob auch Piranty innerhalb der Ferialverbindung politisch organisiert ist und zum anderen, ob zwischen der Ferialverbindung Imperia und Walter Gerhard Piranty Gelder geflossen sind. Piranty könnte vor dem Hintergrund seiner ideologischen Überzeugungen als Finanzier neonazistischer Organisationen und Akteur*innen aufgetreten sein, oder diesen mittels seines Ponzi-Systems Investitionsmöglichkeiten abseits staatlicher Kontrolle z.B. gegen Bargeld angeboten haben. Auch wenn auf der Grundlage des aktuellen Informationsstands keine Belege dafür existieren, ist es dennoch notwendig, auf mögliche Finanzierungsstrukturen in diesem Zusammenhang aufmerksam zu machen.

Das Wehrdorf und die Expansion ins heile Ungarn

Abschließend muss der Aufbau von Pirantys völkischer Siedlung im Kontext allgemeiner Trends innerhalb der westeuropäischen extremen Rechten gesehen werden – denn in den letzten Jahren entwickelte sich Ungarn zunehmend zu einer beliebten Destination für rechtsextreme Akteur*innen, die den von ihnen als degeneriert und fremdgesteuert wahrgenommenen westeuropäischen Gesellschaften den Rücken zukehren und versuchen alternative Lebensräume im Osten zu erschließen.

Kommen wir aber zunächst zum Ausgangspunkt dieser Recherche zurück: Bei Walter Gerhard Piranty handelt es sich um einen betrugsaffinen Neonazi mit ausgezeichneten Kontakten in den organisierten Rechtsextremismus, der ein für den österreichischen Rechtsterrorismus historisch relevantes Grundstück in Ungarn mit dem Ziel des Aufbaus einer völkischen Siedlung besitzt. Walter Gerhard Piranty, der auch über Kontakte in die organisierte Kriminalität verfügt, musste sich selbst schon mehrmals in seinem Leben wegen illegalen Waffenbesitzes, Körperverletzung, Betrugsmaschen, illegaler Prostitution und weiteren Delikten vor Gericht verantworten und verbreitet auch heute noch militant-rassistische und militant-antisemitische Inhalte sowie neonazistische Propaganda über seine Social-Media-Kanäle und ist nach wie vor in dubiose Geschäfte verwickelt.

Wir wollen an dieser Stelle vertiefend auf die Hausdurchsuchungen im Jahre 1993 im Zuge der Briefbombenermittlungen und die Rolle Franz Radls eingehen, da eine mögliche Involvierung Pirantys auch schon zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann – zumindest hielt dieser sich zu dieser Zeit wieder in Wien auf und bestritt mittels organisierter Betrugsmaschen seinen Unterhalt in der Wiener Unterwelt. Das zukünftige „Wehrdorf“ von Piranty wurde wie bereits erwähnt in der Nacht vom 14. Dezember 1993 im Rahmen einer groß angelegten Razzia rund vier Stunden lang in Koordination mit den ungarischen Behörden von österreichischen Beamt*innen der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT) durchsucht. Der Aktion war bereits eine fünfstündige Hausdurchsuchung des EBT bei Franz Radl jun. und Johannes Pammer in der Laurenzgasse 6/14, 1050 Wien samt Haftbefehl gegen Radl vorausgegangen. Im Zuge der Durchsuchungen wurden sämtliche Materialien sichergestellt, die in Verbindung mit den Ermittlungen rund um die Anklage gegenüber Peter Binder, Franz Radl und Alexander Wolfert wegen der möglichen Urheberschaft der zum damaligen Zeitpunkt getätigten Briefbombenserien standen. Neben rechtsextremer Propaganda, Disketten, sowie Adress- und Namensverzeichnissen und rechtsextremer Literatur wurden von der Einsatzgruppe auch unterschiedliche Chemikalien zur näheren Untersuchung sichergestellt. Am Grundstück in Szőce blieb man allerdings weitgehend erfolglos – lediglich Honsiks Postille HALT und Druckwerke der Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AfP) wurden von den Ermittler*innen konfisziert.

Im Rahmen der diesen Fall betreffenden Gerichtsverhandlungen wurden alle drei Beschuldigten aufgrund mangelnder Beweislast freigesprochen – trotz der vielfachen Aussagen von Zeug*innen und erdrückender Indizienlage. Wofür und inwieweit das Anwesen in Szőce in weiterer Folge genutzt wurde, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht rekonstruieren. Einige Jahre später (2020/2021) begann Walter Gerhard Piranty allerdings die ersten aufwendigen Umbau- und Renovierungsarbeiten – vor dem Hintergrund der Verfasstheit der Bausubstanz und der großflächigen Verwilderung des etwa 30.000 m² großen Grundstückes kann durchaus angenommen werden, dass dieses über einen längeren Zeitraum nicht genutzt wurde. Auffällig bei den Renovierungsarbeiten ist, dass diese mutmaßlich in zwei Phasen stattgefunden hat. Während das Grundstück nördlich an ein breites Wald- und Moorgebiet grenzt, das Teil des Őrség Nationalpark ist, grenzt der östliche Teil des Grundstücks an die vom Schwertransit geprägte E65 und westlich an Gehöfte des Ortes Szőce. Der nördliche nach dem Wald gehende und nur von diesem aus einsichtige Teil erscheint dabei gut gepflegt und aufgeräumt und wurde im Winter 2022/23 auch weiterhin schon vorangeschrittenen Bauarbeiten unterzogen, während der restliche Teil des Grundstücks erneut verwildert, obwohl Piranty dort bereits mehrfach umfangreiche Gartenarbeiten durchgeführt hatte. Ebenso auffällig ist die breit angelegte Kameraüberwachung des großen, zweistöckigen Hauptgebäudes, in dem in den 1990er-Jahren das Zimmer von Franz Radl angesiedelt war, sowie die im umliegenden Wald zu findenden Spuren der Benutzung, wie etwa in der Umgebung am Boden verteilte, im ungarischen Landkreis nicht erhältliche österreichische Bierdosen, die nahe legen, dass auch die das Grundstück umliegenden Wälder inklusive der schmalen Trampelpfade für die bedenklichen Aktivitäten von Walter Gerhard Piranty und dessen Geschäftspartner*innen bzw. Kamerad*innen genutzt wurden.

Die Historie des Grundstücks, dessen Besitzer sowie die Kontakte desselben geben also Anlass, das „Wehrdorf“-Projekt als potenzielle neonazistische Gefährdung zu betrachten – und auch in Bezug auf das Prostitutionsgewerbe kritisch zu beurteilen. Sollte Piranty seine Pläne tatsächlich umsetzen und in Szőce bis 2025 in der ungarisch-österreichisch-slowenisch-kroatischen Grenzregion ein völkisches Siedlungsprojekt auf mehr als 30.000 m² Land aufziehen, ist durchaus zu befürchten, dass im Schutz provinzieller Abgeschiedenheit und öffentlicher Gleichgültigkeit gegenüber neonazistischen Aktivitäten ein Rückzugs- und Schulungsraum für militante österreichische und ungarische Neonazis sowie auch ein für dessen dubiose Geschäfte attraktiver Netzwerkknoten entstehen könnte – mit transnationalem rechtsterroristischem Potenzial. Anleitungen zum Terrorismus verbreitet Piranty wie schon dargestellt bereits auf seinem Wehrdorf-Kanal und die Gewaltaffinität haben dieser und sein Umfeld mehrfach bewiesen. Es ist außerdem bekannt, dass die österreichisch-ungarische Landesgrenze schon seit Anfang der 1990er-Jahre als Vernetzungsraum der militanten Neonazi-Szene fungiert – man denke etwa an Gottfried Küssels Verbindungen zu dem wegen Mordes verurteilten Neonazi István Györkös sen., der ebenso einen Familienlandsitz nahe Györ bis zu seiner Verhaftung und Inhaftierung 2016 betrieben hatte und in dessen Zusammenhang paramilitärische Trainings der Magyar Nemzeti Arcvonal (MNA) mit österreichischen Neonazis immer wieder Gegenstand medialer Berichterstattung waren. Zu den geschilderten Entwicklung kommt hinzu, dass Piranty neben dem Objekt in Szőce noch weitere Immobilien in Ungarn besitzt, die in Zukunft als Laufhäuser genutzt werden sollen: In Sopron besitzt der militante Neonazi einen Bungalow, den er noch bis Mai 2023 als weiteres „Stundenhotel“ betreiben will, in Mosonmagyarovar existiert außerdem eine Immobilie, deren Nutzung bis dato noch unklar ist.

Das Siedlungsprojekt und der Immobilienankauf Pirantys in Ungarn mag zwar aufgrund dessen intensiver Kontakte in den militanten Neonazismus besonders besorgniserregend sein, steht zugleich aber für eine Entwicklung, die innerhalb der breiten Öffentlichkeit und auch bei Behörden viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Denn hinter Pirantys Ansiedelung steht nicht nur der für den Euroraum günstige Wechselkurs, sondern auch die ideologisch geprägte Imagination Ungarns als noch heile, ethnisch homogene und intakte Gesellschaft, in der im Gegensatz zum westlichen Europa noch wahre Patrioten und Nationalisten an der Macht sind. Diese Vorstellung teilt Piranty mit vielen anderen rechtsextremen Akteur*innen, die sich seit etwa 2014 nicht nur ideologisch, sondern auch geografisch zunehmend in Richtung Ungarn orientieren. So ist bekannt, dass sich die britischen Neonazis der Kinghts Templar International Nick Griffin und James Dowson nach Ungarn abgesetzt haben. Auch den schwedischen und international bekannten Neonazi Daniel Friberg, den US-Neonazi und „Männerrechtler“ Matt Forney, den deutschen Rechtsextremist und Waffenhändler Mario Rönsch sowie den deutschen Shoah-Leugner Horst Mahler, den österreichischen Shoah-Leugner Gerd Honsik (bis zu seinem Tod in Sopron 2018) und den Schweizer Rechtsextremisten und Pegida-Schweiz Gründer Ignaz Bearth sowie einige mehr hat es in den letzten Jahren nach Ungarn verschlagen. Viele andere beschränken sich darauf, Ungarn regelmäßig bei Neonazi-Events zu besuchen oder in Solidarität mit der nationalen Bewegung in Ungarn auf die Revolution in ihrem eigenen Land zu warten.

Gerade Ignaz Bearth versinnbildlicht eine zunehmend bemerkbare Aufbruchsstimmung, die innerhalb einschlägiger Kreise seit der Covid-19-Krise herrscht. Dieser lancierte zeitgleich mit dem Anstieg der Corona-Proteste im deutschsprachigen Raum ein Auswanderungsprogramm für „Patrioten“ und emigrierte mit einer Handvoll Pensionist*innen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich in eine kleine Ortschaft am ungarischen Balaton – eine Region, die seit Jahrzehnten ein beliebtes Reiseziel deutscher und österreichischer Tourist*innen und seit 2014 auch Treffpunkt internationaler Neonazi-Größen ist. In einem Artikel des NZZ-Magazins wurde in diesem Zusammenhang etwa von einer Migrationsbewegung „rechter Rentner“ gesprochen, der Bayerische Rundfunk berichtete davon, dass die meisten dieser Auswanderer aus rassistischen Motiven ihr Land verlassen und daher Ungarn als Zufluchtsort gegen die „Überfremdung im eigenen Land“ auserkoren haben. Einflussreiche Influencer wie Bearth mobilisieren erfolgreich auf ihren Social-Media-Kanälen mit tausenden Mitgliedern für die Auswanderung nach Ungarn und bieten Info-Materialien an, um möglichst rasch in Ungarn Fuß fassen zu können. Mittlerweile existieren etwa 20 intakte und besiedelte „deutschsprachige Stützpunkte“ in Ungarn, zwei Drittel dieser sind rund um den Balaton angesiedelt – 10 weitere wären bereits in Planung. Angetrieben von antisemitischen Verschwörungsmythen, die unter den Begriffen „Great Reset“, „Umvolkung“, „Großer Austausch“ und „Globalisten“ zunehmend aggressiv artikuliert und verbreitet werden, verschlägt es also immer mehr rechtsextreme Akteur*innen in das von Viktor Orbán autoritär geführte Ungarn – dass hierzu kaum öffentlicher Handlungsbedarf seitens Politik und Zivilgesellschaft gesehen wird, ist in diesem Zusammenhang besonders besorgniserregend und garantiert neonazistischen Strukturen weiterhin freie Hand vor Ort.

Resümee

Der Fall Walter Gerhard Piranty verdeutlicht exemplarisch zunehmend relevant werdende Entwicklungen innerhalb des militant neonazistischen Lagers im deutschsprachigen Raum seit den 1990er-Jahren: Gewaltaffine neonazistische Milieus vernetzen sich rege mit Strukturen der organisierten Kriminalität. Die Kontakte rechtsextremer Akteur*innen in das Rotlichtmilieu, den organisierten Drogen- und Waffenhandel, aber auch in den Bereich des organisierten Betruges sind mittlerweile vielfach belegt. Zu diesem Schluss kommt auch eine neue empirische Studie des Counter Extremism Project, die sich in ihrem europaweiten Bericht der Vernetzung rechtsextremer Milieus in Europa mit der organisierten Kriminalität widmet. Oftmals entstehen durch kriminelle Aktivitäten überregionale und transnationale Netzwerkstrukturen, deren Infrastruktur auch für politische Zwecke genutzt werden – etwa durch unregistrierte Cashflows, mittels derer die politische Praxis und der Lebensunterhalt rechtsextremer Gruppen und Einzelpersonen finanziert werden kann.

Die durch die organisierte Kriminalität generierten Gelder fließen so abseits staatlicher Kontrolle in unterschiedliche Aktivitätsbereiche der extremen Rechten: In die Unterstützung von untergetauchten oder inhaftierten Kameraden, die Finanzierung politischer Arbeit, die Bereitstellung von Räumlichkeiten sowie die Produktion von Schulungs- und Propagandamaterialien, den Ankauf von Waffen und Sprengstoff und nicht zuletzt auch in die Finanzierung des Lebens der meist abseits konventioneller Arbeitsverhältnisse agierenden Aktivist*innen der Szene. Fälle wie die des Objekt 21, der Bruderschaft Thüringen (Turonen), der Steeler Jungs und diverse Waffenschieber-Ringe in den letzten Jahren in Deutschland und Österreich verdeutlichen, dass die in der organisierten Kriminalität agierenden Personen und Gruppen der extremen Rechten nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auf der Grundlage eines militant-nazistischen Weltbildes agieren und eine gewisse Affinität zu rechtsterroristischen Strukturen aufweisen. Während manche Personen sich stärker dem politischen Aktivismus zuwenden, bewegen sich andere vertiefend in der organisierten Kriminalität – die gemeinsame weltanschauliche Basis dient jedoch zugleich als Fundament für geschäftliche und politische Beziehungen.

Die Person Walter Gerhard Piranty illustriert diese Interaktionsdynamik zwischen Rechtsextremismus und organisierter Kriminalität: Das rechtsextreme Weltbild sowie die Kontakte in das NS-Milieu prägten ihn trotz der Verlagerung seiner Aktivitäten in die organisierte Kriminalität seit seinem Einstieg in die neonazistischen Subkulturen der 1980er-Jahre. Auch wenn Piranty seit seiner Zeit als Aktivist nicht mehr als relevanter Akteur der extremen Rechten in Österreich wahrgenommen wurde, blieb dieser doch der Szene erhalten. Der Umstand, dass Piranty seit 2020 den Aufbau einer völkischen Siedlung verfolgt und zunehmend engagiert an Aktivitäten der extremen Rechten partizipiert, verdeutlicht dessen Relevanz für den Gegenstandsbereich Rechtsextremismus – und die Relevanz krimineller oder halb-krimineller Strukturen für die extreme Rechte im Allgemeinen. Die finanziell lukrativen Geschäfte Pirantys bei gleichzeitig regem Kontakt zu rechtsextremen Kadern verstärken das Verdachtsmoment, dass dieser für die Szene kaum nachvollziehbare Investitionsmöglichkeiten geschaffen hat. Seit dem 7. April 2023 geht Piranty nun außerdem einem weiteren „Geschäftsmodell“ nach: die inoffizielle Prostitutionsvermittlung via Telegram-Kanal im Raum Wien, Niederösterreich und Burgenland – es ist davon auszugehen, dass die Gelder unter anderem in sein völkisches Siedlungsprojekt fließen werden.

​​​​​​Ein Blick in Gottfried Küssels Vita verdeutlicht außerdem, dass dieser und die ihn umgebenden Personen immer schon Kontakt zu multikriminellen Milieus gesucht haben. Ein prominentes Beispiel sind etwa die Kontakte zu dem 1997 wegen der brutalen Hinrichtung an der Prostituierten Petra K. verurteilten Zuhälter Georg W., mit dem man sich unter anderem zu gemeinsamen Schießübungen traf. Auch der Rückzug aufs Land an die Ränder kleiner, abgelegener Dorfstrukturen ist für Küssel kein Novum. Nach seiner Haft erstand dieser eine ganze Kellergasse bei Poysdorf und wie wir erst kürzlich dargestellt haben ein Objekt in Purbach am See, das CQ-Kader nutzten und in dem eine Hausdurchsuchung des DSN und Spezialeinheiten der Polizei wegen des Verdachts einer illegalen bewaffneten Gruppierung stattfand. Das wesentlich größere und deutlich abgelegenere Gehöft in Szőce gibt vor diesem Hintergrund noch mehr Grund zur Sorge.

Der Umstand, dass die Überschneidung von rechtsextremen Strukturen mit der organisierten Kriminalität sowie die zunehmend praktizierte Strategie der völkischen Landnahme ein zurzeit umfassendes Problem darstellen, ist evident. Dennoch scheint es in Österreich bis dato kaum einen staatlichen noch zivilgesellschaftlich-politischen Umgang mit diesem Phänomen zu geben. Dass dieses Milieu aber vor allem abseits gesellschaftlicher Beobachtung und Sanktionierung gedeiht,  liegt in der Natur der Sache und erfordert daher gezielte Gegenmaßnahmen. Es ist daher von zentraler Bedeutung dort Aufklärung und Licht zu schaffen, wo sich diese Milieus keines wünschen – denn erst durch die Offenlegung der verdeckten Netzwerke der extremen Rechten wird öffentliche Intervention gegen diese möglich.

Hitlergrüße, NS-Tourismus und die grenzüberschreitenden Vernetzungsversuche des Neonazi-Skinhead Mario „Kahl“

Update: Wie Kolleg*innen ermitteln konnten, handelt es sich bei den beiden Kameraden, die mit Mario „Kahl“ in Mainz auf der Demo der NSP gewesen sind, um das NSP-Member Arthur Beidin und den Neonazi im NSP-Umfeld Leonard Tustonjic. Beide sind amtsbekannt und momentan Angeklagte in einem Verfahren: Wie Rechte Umtriebe Ulm berichtete, zeigten die beiden mit Alex Hilbig (ebenso NSP) am 05. Juni 2022 vor einer Synagoge eine Schwarze Sonne sowie ein Transparent, das vor einem „White Genocide“ warnt. Darüber hinaus war auch Anita Amasi (ebenso NSP-Umfeld) mit „Kahl“ in Mainz unterwegs und dürfte mit „Kahl“ auch freundschaftlich verbunden sein.


Am 13. August 2022 fand ab 12:45 ein teilweise konspirativ organisiertes Neonazi-Treffen in Wien statt. Maßgeblich organisiert hatte es der Wiener Neonazi-Skinhead Mario „Kahl“ (faktischer Nachname zu diesem Zeitpunkt unbekannt, wohnhaft ist er in Wien Favoriten, 1100), nach dem aktuell aufgrund eines Vorfalls am 15. Mai 2022 gefahndet wird: Er und ein Kamerad (Name unbekannt) sollen in der U3 Station Hütteldorfer Straße NS-Parolen gerufen und rassistischen Aussagen getätigt sowie Fahrgäste angepöbelt haben. Wie dieser Artikel zeigt, handelt es sich bei diesem Vorfall nicht um einen Einzelfall, sondern um ein notorisches Verhaltensmuster, mit dem der Neonazi Mario „Kahl“ immer wieder (sowohl vor als auch nach dem 15. Mai 2022) aufgefallen ist.

Zu dem besagten Neonazi-Treffen am 13. August waren Neonazi-Skinheads aus Ungarn angereist, später stießen zum Abendessen bekannte Wiener Exponenten des Tanzbrigade-Milieus zu der Gruppe, so u. a. Bernhard Burian, Markus Horváth und jener jüngere Neonazi, der mehrfach auf Demos der Corona-Rechten mit Hakenkreuz-Kette in nämlichen Umfeld in Erscheinung getreten war.

Das angekündigte Programm des Treffens startete beim Haupteingang des Wiener Westbahnhofs, an dem die anwesenden Skinheads vorab rund eine Stunde lang Alkohol konsumierten. Darauf folgte ein bereits im Vorfeld angekündigter „Marsch“. Während vor dem Treffen relativ unklar war, was genau unter dem angekündigten „Marsch“ zu verstehen sei, stellte sich dann heraus, dass damit eine Art gemeinsame Sightseeing-Tour entlang biografischer Stationen Adolf Hitlers in Wien gemeint war: Die Neonazi-Gruppe besichtigte zuerst ein Wohnhaus in der Felberstraße 22, 1150 Wien, in dem Hitler am 18. November 1908 eine Wohnung bezogen hatte. Danach führte „Kahl“ die Gruppe wiederum über den Westbahnhof in die Stumpergasse 31 – dort hatte Hitler mit August Kubizek Anfang des Jahres 1908 gewohnt, bis der Umzug (aus sich verschlechternder finanzieller Situation) in das besagte Wohnobjekt in Rudolfsheim-Fünfhaus erfolgte.

Während Unklarheit herrscht, wie genau das nazistische Gedenkritual im Objekt in der Felberstraße ablief, postete die Gruppe – die auf martialische Selbstinszenierung in den sozialen Medien setzt – im Stiegenhaus Bilder, die mehrere Teilnehmer beim wiederholten Zeigen von Hitlergrüßen abbilden. Die Fotos selbst erschienen auf dem Account von Balasz Földesi („Balage Wolf“ auf Facebook), einem ungarischen Neonazi-Skinhead aus Bekescsaba, der zeitweise in Moosbach, Dietraching 22/5, 5271 Oberösterreich, wohnhaft ist (offiziell gemeldeter Nebenwohnsitz).

Nach dem zweiten Stopp in der Stumpergasse kehrte die Gruppe an der Ecke Fügergasse in das Wirthaus „Zum Wohl“ ein um den kameradschaftlichen Umtrunk fortzusetzen. Danach zog die Gruppe in Richtung Innenstadt, spätnachmittags folgte dann eine Besichtigungstour des „Graben“, 1010 Wien, sowie Fotoaufnahmen vor dem Stephansdom. Beim abendlichen Vernetzungstreffen in der einschlägig bekannten Lokalität „Gasthaus zur Alm“ in der Innstraße 16, 1020 Wien, trafen dann auch noch die bereits genannten Tanzbrigade-Exponenten ein: Im „Gasthaus zur Alm“ wurden u. a. Festivitäten und Treffen der Identitären Bewegung Wien ausgerichtet, ebenso wie klandestine Konzerte der nicht mehr existenten B&H Vienna-Gruppe – lange Zeit wurde es auch vom ehemaligen B&H-Mitglied André Herold geführt, der u. a. auch mit dem wegen Totschlag verurteilten Neonazi Jürgen Kasamas trainierte. Nach dem gemeinsamen Essen folgten weitere mediale Inszenierungen, dieses Mal mit großer Reichskriegsfahne. Die ungarischen Kameraden dürften am nächsten Tag vom Wiener Hauptbahnhof wieder abgereist sein – „Kahl“ resümierte auf Facebook: „Tolles Wochenende mit vielen guten Kameraden gehabt“. Das Foto selbst fand sich wenige Tage später auf einem einschlägigen Telegram-Kanal, der Neonazi-Hooligans aus ganz Europa als Plattform dient, um sich den Kameraden aus dem Ausland zu präsentieren.

Zur Person Mario „Kahl“ ist festzustellen, dass er in der Wiener Neonazi-Szene kein Unbekannter ist: Seit einigen Jahren konnte seine rege Teilnahme an rechtsextremen Events und Demonstrationen festgestellt werden: So nahm er etwa an der Symbolverbotsdemonstration der Identitären Bewegung am 31. Juli 2020 teil sowie an diversen Demonstrationen der Corona-Rechten im Umfeld der Tanzbrigade, aber auch im Ausland am sogenannten „Tag der Ehre“ 2022 in Budapest bei der untersagten neonazistischen Kundgebung am Kapisztrán Platz sowie bei dem von Antifaschist*innen erfolgreich blockierten Demonstrationsversuch der „Neuen Stärke Partei“ am 16. Juli 2022 in Mainz. Nach Mainz war Mario mit zwei weiteren Neonazis angereist. Erst am Freitag, dem 12. August (ein Tag vor dem Kameradschaftstreffen) provozierte er mit dem, teilweise in Bregenz wohnhaften ungarischen Skinhead Ivar „Gauksi“ an einem Wahlkampfstand von Alexander Van der Bellen auf der Mariahilferstraße, indem sie die rechte Hand mit geschlossener Faust zum Hitlergruß hoben und die anwesenden Wahlkampfhelfer*innen als „Volksverräter*innen“ diffamierten.

Überdies pflegt Mario „Kahl“ enge Kontakte in die ungarische, aber auch tschechische Neonazi-Skinhead-Szene: Das dürfte auch daran liegen, dass sowohl Kahl als auch seine ungarischen Kameraden versuchen, ein Revival des subkulturellen Szenehabitus der Baseballschlägerjahre der 90er herbeizuführen und in Ungarn eine äußerst lebendige Subkultur offen auftreten kann, die auch regelmäßig von Gleichgesinnten aus dem Ausland besucht und als Vernetzungsort genutzt wird. Regelmäßig werden in Ungarn große Rechtsrockkonzerte abgehalten, die einschlägiges Publikum aus ganz Europa anziehen. Hungarian Hammerskins, Légió Hungaria, B&H Hungary plus C18 Magyarország, Magyar Gárda sowie diverse weitere neonazistische Gruppierungen können in Ungarn relativ ungestört auftreten und werden von Fidesz und Jobbik teilweise sogar gesponsort. Erst vor kurzem konnte „Kahl“ u. a. mit Földesi und Diana Szöllősi Anfang Juli 2022 in Velence (am Velence See nahe Budapest) beim „Rock Strand“-Festival, wo u. a. die neonazistischen Rockbands Nemzeti Front und Hundriver auftraten, identifiziert werden. Auch am 23. April 2022 war „Kahl“ zur „Brutal 88 Party“ nach Budapest gereist, wo die deutsche Neonazi-Band „Blutzeugen“ auftrat – dort posierte er u. a. mit SS-Totenkopf und schwarzer Sonne. Regelmäßig auch ist „Kahl“ zu Fußballspielen auswärts in Ungarn, Tschechien oder der Slowakei unterwegs: So etwa – wie unten stehende Bilder zeigen – mit Bernhard Burian und Balasz Földesi in Budapest bei einem Spiel von Ferencváros. „Kahl“ selbst gibt online immer wieder damit an, gute Kontakte in die Wiener Hooligan-Szene zu pflegen, es bleibt aber unklar, inwiefern tatsächliche, aktive Vernetzung abseits der Gruppe um Burian besteht.

Dass der Identitätsgewinn des subkulturellen Daseins für Mario „Kahl“ von besonderer Bedeutung ist, zeigen seine diversen Profile in den sozialen Medien: Regelmäßig werden diese gesperrt, da immer wieder massive neonazistische Hetze und NS-Content darüber verbreitet werden. Besonders bizarr ist Kahls offen zur Schau gestellte Faszination und Bewunderung für Adolf Hitler – er dürfte sich ausführlich mit dem Leben Hitlers in Wien befasst und sich in die Biografie seines Idols „hineingefühlt“ haben. So finden sich in den sozialen Medien etwa Bilder von „Kahl“, auf welchen er vor dem Kunsthistorischen Museum und der Akademie der Bildenden Künste in Wien posiert, samt Bildbeschreibung, Hitler hätte sich dort wohl vergebens beworben. Fast immer dabei: „88“ als Szene-Code für „Heil Hitler“. Auch die gewählten Profilnamen weisen auf die einschlägige Gesinnung hin: So finden sich mittlerweile öfter Variationen rund um den „Ostara“-Begriff als Benutzername. „Ostara“ entstammt dem paganen Kultleben im angelsächsischen Raum und dürfte mit unterschiedlichen Matronenkulten in Verbindung gestanden haben. Wichtiger ist jedoch der Konnex zu der von Jörg Lanz von Liebenfels in Wien herausgegebenen ariosophische Zeitschrift „Ostara“: Bis Anfang der 60er-Jahre galt die Hypothese, dass die Ariosophie als Hauptgrundlage des Hitlerismus zu betrachten sei und Hitler die Zeitschriften von Liebenfels zentral rezipiert habe als historisch valide, ist jedoch heutzutage wissenschaftlich widerlegt. Für den Hitler-Adoranten „Kahl“ dürften diese Details jedoch nicht von großer Bedeutung für seinen ideologischen Kampf um eine Rückkehr Österreichs in das „Deutsche Reich“ sein.

In der Analyse ist außerdem die hohe Gewaltaffinität und der militante Rassismus von „Kahl“ und seinen Kameraden hervorzuheben: So etwa verschickte er via Instagram Fotos mit in seinen Augen „gemischtrassigen“ Paaren, die er im 10. zuvor in einem Park abfotografiert hatte. Das Bild kommentiert er als „Rassenschande“ und stellt fest, dass er so etwas überhaupt nicht verstehe. Nur logisch ist es dann auch, dass „Kahl“ sich selbst als „Arier“ bezeichnet, dessen Leben sich einzig und allein darum drehe, Österreich wieder für Arier bewohnbar zu machen, um es dann an Deutschland anzugliedern. Dass diese Parolen nicht nur leere Drohungen sind, sondern „Kahl“ und seine Kameraden auch bereit dazu sind, ihre Ideologie auf die Straße zu tragen, zeigt ein anderer Vorfall: „Kahl“ wurde per jahrelangem Betretungsverbot aus einem Lokal am Schwedenplatz geworfen, weil er eine schwarze Person mit massivster Gewalt bedroht hatte. Auch seine hochfrequentierten Nachrichten via Instagram, die zumeist Szenecodes wie etwas die Zahl „88“ in Form von schwarzen Billardkugeln enthalten, oder Fragen nach der generationalen Quote von Österreicher*innen im Familienstammbaum und Anmerkungen, dass das Waldviertel nicht schön, sondern „arisch“ sei, geben Auskunft über den bereits weit fortgeschrittenen Grad seiner Radikalisierung.

Mittlerweile halten sich viele bekennende Neonazis mit öffentlichen Statements und Postings wegen §3 des Verbotsgesetzes zurück und haben vieles in private Konversationen ausgelagert, „Kahl“ ist diesbezüglich allerdings auffällig unvorsichtig. Allerdings ist Kahl trotz der offen zur Schau gestellten Bekenntnisse zum Nationalsozialismus in der Wiener Neonazi-Szene durchaus vernetzt: Er hat vor allem zur rechtsextremen Hooligan-Szene rund um Tanzbrigade und Eisern Wien Kontakte sowie zu Exponenten des Wiener Final Dawn-Chapters rund um Marco Singraber. Hauptanknüpfungspunkt für ersteres Milieu dürfte erneut Bernhard Burian sein: Das verdeutlichen auch die oben abgebildeten Fotos – Burian dürfte wie kaum ein anderer der jungen Neonazi-Riege in unterschiedlichen rechtsextremen Spektren agieren und versuchen, potenzielle Kameraden für seine Sache zu rekrutieren. Dies dürften jedoch die einzigen Personengruppen der unmittelbaren NS-Szene sein, mit welchen Kahl gut vernetzt ist. Es ist davon auszugehen, dass das überinszenierte zur Schau-Tragen von NS-Klischees der 90er-Jahre und das, auch gerade in Bezug auf mögliche staatliche Repression unvorsichtige Auftreten, nicht nur für Bewunderung innerhalb der „nationalen“ Szene, sondern auch für Spott und Kritik sorgt. So sah sich Kahl etwa in Form eines längeren Sprechbeitrags dazu gezwungen, zu umfassender Kritik an seinem öffentlichen Auftreten Stellung zu nehmen, die aus dem eigenen Lager gekommen war. Seine Rechtfertigung lautete kurz gefasst: Ein Nationalist muss so wie Kahl selbst auftreten, das ethnische Verkommen Deutschlands und Österreichs zwinge der Szene diese Form von totaler Opposition und scheinbarer Unversöhnlichkeit regelrecht auf.

Somit kann abschließend resümiert werden: Mario „Kahl“ ist durchaus als gefährlicher Aktivist innerhalb des neonazistischen Milieus Österreichs einzustufen. Dies begründet sich allerdings weniger durch seine Aktivitäten als Netzwerker, Ideologe oder Führungsfigur. Der überinszenierte Habitus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei Mario „Kahl“ weder um einen außerordentlich begabten, noch besonders professionellen Kader der rechtsextremen Szene handelt. Viel mehr ist „Kahl“ aufgrund seiner fanatischen Fixation auf Hitler und den NS-Staat, sowie den von ihm ausgerufenen Kampf für die „arische Rasse“ als gefährlich einzustufen. Die hinzukommende Idealisierung von Gewalt gegen Menschen, die nicht in das Weltbild von ihm und seinen Kameraden passen, verstärken den Eindruck einer unberechenbaren und instabilen Persönlichkeit, die in einer enthemmten Gruppendynamik wie der vom 13. August 2022 v. a. auch nach massivem Alkoholkonsum (oder aber im Rahmen seiner regelmäßigen Alkoholexzesse in seinem Stammbeisl „Da Capo“ in der Laxenburger Straße 65, 1100 Wien) eine Gefahr für die Öffentlichkeit und insbesondere als „minderwertig“ gelesene Personengruppen und politische Gegner*innen darstellt.